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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Die Teilung der wirtschaftlichen Funktionen zwischen Familie, Staat und Unternehmung.
ist stets gewachsen; der Volkswirtschaft des 19. Jahrhunderts gab sie die Signatur.
Wenn ihre Groß- und Riesenbetriebe sich der Gemeinde und dem Staate genähert haben,
so geschah dies mehr in der äußerlichen Verfassung, in der Behandlung der dienenden
Kräfte, teilweise auch in dem Monopol, das viele erlangen; es erscheint nur erträglich in
Privathänden, wenn die Anstalten große Pflichten übernehmen, einen erheblichen Gewinn-
anteil an die Gesamtheit abgeben. In der freien Bewegung, in der Möglichkeit, ohne
zu viel Zwang, Rechtsschablone, parlamentarische Streitigkeit zu verfahren, in der Not-
wendigkeit, kaufmännisch sich dem Angebot, dem Markte anzupassen, bleibt die Aktien-
gesellschaft und das Kartell vom Staatsbetrieb verschieden und ihm überlegen. Für alle
kleinen Unternehmungen, für die gewöhnliche landwirtschaftliche und gewerbliche Güter-
produktion, die gewöhnlichen Handelsgeschäfte wäre die Kommunalisierung und Ver-
staatlichung eine verteuernde Absurdität, eine künstliche Erzeugung von Reibung, von
Schwerfälligkeit, von Umwegen, wie wir schon oben (S. 321--324) sahen.

So Vieles sich also in der gesellschaftlichen Verfassung der Volkswirtschaft in den
letzten Jahrzehnten geändert hat, so sehr, wie wir eben sahen, durch ihre komplizierteren
Teile ein Zug der Centralisation geht, so wenig spricht die Wahrscheinlichkeit dafür,
daß in absehbaren Zeiten eine ganz socialistische oder kommunistische Verfassung siegen
werde. Gewiß, die socialistischen Einzelzüge werden da und dort noch wachsen, und wer
das nicht begreift, sollte heute weder als Minister, noch als Parlamentarier weiter eine
Rolle spielen, aber ebenso sicher werden die verschiedenen wirtschaftlichen Aufgaben
immer verschiedene Organisationsprincipien erzeugen, und das Resultat wird nicht eine
centralistische Riesenwirtschaft des Staates, sondern das komplizierte Nebeneinander-
bestehen und Zusammenwirken verschiedener Organe, verschiedener Motive, verschiedener
Institution seien.

Nur schablonenhafter Doktrinarismus kann es überraschend oder gar widerspruchs-
voll finden, daß heute neben Staatsbahn, Staatspost und Staatstelegraphen große
private Kartelle und Aktienbetriebe, neben zahlreichen kommunalen Wirtschaftsbetrieben
die Einzelgeschäfte und die Genossenschaften, neben Großindustrie und Fabrik Haus-
industrie und Handwerk, neben den großen Gutsbetrieben die Bauern- und Parzellenwirt-
schaften stehen, daß sich neben der Produktion für den Markt in breiter Weise die Eigen-
wirtschaft, neben kostenloser Darreichung einzelner Leistungen die überwiegende Bezahlung
der Waren und Leistungen erhält. Jede Form und Art des wirtschaftlichen Lebens
hat ihre Bedingungen und Voraussetzungen und erhält sich, wo letztere vorhanden sind.
Der Großbetrieb, das Kartell, der Staatsbetrieb ist an manchen Stellen dem Klein-
betrieb, dem Privatgeschäft sehr weit überlegen, aber produziert an anderen teurer und
nicht besser. Alle höheren Formen der wirtschaftlichen Organisation haben zu ihrer
gedeihlichen Wirksamkeit höhere psychologische und institutionelle Voraussetzungen, so
daß schon deshalb die Entwickelung derselben nur eine langsame, von Rückschlägen
begleitete, in gewissen festen Grenzen sich bewegende sein muß. --

Wirtschaften heißt, die äußeren materiellen Mittel für unsere Existenz beschaffen.
Der einzelne Mensch that es einstens allein, und zwar auf die direkteste Weise und
im Augenblicke des Bedarfs. Alle höhere Kultur besteht darin, die Mittel gemeinsam,
gesicherter, auf indirekte Weise und so im voraus zu beschaffen, daß die Menschen nicht
Not leiden. Alle höhere Technik, alle Anwendung früherer Mittel (des Kapitals) bei
der Beschaffung hat dies im Auge. Für viele Jahrtausende war die Wirtschaft und
die Technik der Familie und ihre Vorratshaltung das beste und fast das einzige
Mittel, um reichlich und nachhaltig die Bedürfnisse zu befriedigen. Aber das Organ
reichte doch nicht ganz aus, die Wechselfälle der Natur zu beschwören, die Bedürfnisse
der größeren differenzierten Gesellschaften zu befriedigen. Die Gebietskörperschaften
und ihre Spitzen waren fernsichtiger, reicher, kräftiger; sie konnten zuerst Heer-, Gerichts-
wesen und Verwaltung, dann auch eine Summe rein wirtschaftlicher Aufgaben über-
nehmen, aber sie erlahmten doch bald wieder auf letzterem Gebiete, weil die führenden
Spitzen sich zu viel aufgeladen hatten, weil ihre Organe den meisten wirtschaftlichen
Bedürfnissen zu fern standen und sie nur mit allzugroßem Aufwand und Mißbräuchen

Die Teilung der wirtſchaftlichen Funktionen zwiſchen Familie, Staat und Unternehmung.
iſt ſtets gewachſen; der Volkswirtſchaft des 19. Jahrhunderts gab ſie die Signatur.
Wenn ihre Groß- und Rieſenbetriebe ſich der Gemeinde und dem Staate genähert haben,
ſo geſchah dies mehr in der äußerlichen Verfaſſung, in der Behandlung der dienenden
Kräfte, teilweiſe auch in dem Monopol, das viele erlangen; es erſcheint nur erträglich in
Privathänden, wenn die Anſtalten große Pflichten übernehmen, einen erheblichen Gewinn-
anteil an die Geſamtheit abgeben. In der freien Bewegung, in der Möglichkeit, ohne
zu viel Zwang, Rechtsſchablone, parlamentariſche Streitigkeit zu verfahren, in der Not-
wendigkeit, kaufmänniſch ſich dem Angebot, dem Markte anzupaſſen, bleibt die Aktien-
geſellſchaft und das Kartell vom Staatsbetrieb verſchieden und ihm überlegen. Für alle
kleinen Unternehmungen, für die gewöhnliche landwirtſchaftliche und gewerbliche Güter-
produktion, die gewöhnlichen Handelsgeſchäfte wäre die Kommunaliſierung und Ver-
ſtaatlichung eine verteuernde Abſurdität, eine künſtliche Erzeugung von Reibung, von
Schwerfälligkeit, von Umwegen, wie wir ſchon oben (S. 321—324) ſahen.

So Vieles ſich alſo in der geſellſchaftlichen Verfaſſung der Volkswirtſchaft in den
letzten Jahrzehnten geändert hat, ſo ſehr, wie wir eben ſahen, durch ihre komplizierteren
Teile ein Zug der Centraliſation geht, ſo wenig ſpricht die Wahrſcheinlichkeit dafür,
daß in abſehbaren Zeiten eine ganz ſocialiſtiſche oder kommuniſtiſche Verfaſſung ſiegen
werde. Gewiß, die ſocialiſtiſchen Einzelzüge werden da und dort noch wachſen, und wer
das nicht begreift, ſollte heute weder als Miniſter, noch als Parlamentarier weiter eine
Rolle ſpielen, aber ebenſo ſicher werden die verſchiedenen wirtſchaftlichen Aufgaben
immer verſchiedene Organiſationsprincipien erzeugen, und das Reſultat wird nicht eine
centraliſtiſche Rieſenwirtſchaft des Staates, ſondern das komplizierte Nebeneinander-
beſtehen und Zuſammenwirken verſchiedener Organe, verſchiedener Motive, verſchiedener
Inſtitution ſeien.

Nur ſchablonenhafter Doktrinarismus kann es überraſchend oder gar widerſpruchs-
voll finden, daß heute neben Staatsbahn, Staatspoſt und Staatstelegraphen große
private Kartelle und Aktienbetriebe, neben zahlreichen kommunalen Wirtſchaftsbetrieben
die Einzelgeſchäfte und die Genoſſenſchaften, neben Großinduſtrie und Fabrik Haus-
induſtrie und Handwerk, neben den großen Gutsbetrieben die Bauern- und Parzellenwirt-
ſchaften ſtehen, daß ſich neben der Produktion für den Markt in breiter Weiſe die Eigen-
wirtſchaft, neben koſtenloſer Darreichung einzelner Leiſtungen die überwiegende Bezahlung
der Waren und Leiſtungen erhält. Jede Form und Art des wirtſchaftlichen Lebens
hat ihre Bedingungen und Vorausſetzungen und erhält ſich, wo letztere vorhanden ſind.
Der Großbetrieb, das Kartell, der Staatsbetrieb iſt an manchen Stellen dem Klein-
betrieb, dem Privatgeſchäft ſehr weit überlegen, aber produziert an anderen teurer und
nicht beſſer. Alle höheren Formen der wirtſchaftlichen Organiſation haben zu ihrer
gedeihlichen Wirkſamkeit höhere pſychologiſche und inſtitutionelle Vorausſetzungen, ſo
daß ſchon deshalb die Entwickelung derſelben nur eine langſame, von Rückſchlägen
begleitete, in gewiſſen feſten Grenzen ſich bewegende ſein muß. —

Wirtſchaften heißt, die äußeren materiellen Mittel für unſere Exiſtenz beſchaffen.
Der einzelne Menſch that es einſtens allein, und zwar auf die direkteſte Weiſe und
im Augenblicke des Bedarfs. Alle höhere Kultur beſteht darin, die Mittel gemeinſam,
geſicherter, auf indirekte Weiſe und ſo im voraus zu beſchaffen, daß die Menſchen nicht
Not leiden. Alle höhere Technik, alle Anwendung früherer Mittel (des Kapitals) bei
der Beſchaffung hat dies im Auge. Für viele Jahrtauſende war die Wirtſchaft und
die Technik der Familie und ihre Vorratshaltung das beſte und faſt das einzige
Mittel, um reichlich und nachhaltig die Bedürfniſſe zu befriedigen. Aber das Organ
reichte doch nicht ganz aus, die Wechſelfälle der Natur zu beſchwören, die Bedürfniſſe
der größeren differenzierten Geſellſchaften zu befriedigen. Die Gebietskörperſchaften
und ihre Spitzen waren fernſichtiger, reicher, kräftiger; ſie konnten zuerſt Heer-, Gerichts-
weſen und Verwaltung, dann auch eine Summe rein wirtſchaftlicher Aufgaben über-
nehmen, aber ſie erlahmten doch bald wieder auf letzterem Gebiete, weil die führenden
Spitzen ſich zu viel aufgeladen hatten, weil ihre Organe den meiſten wirtſchaftlichen
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[455/0471] Die Teilung der wirtſchaftlichen Funktionen zwiſchen Familie, Staat und Unternehmung. iſt ſtets gewachſen; der Volkswirtſchaft des 19. Jahrhunderts gab ſie die Signatur. Wenn ihre Groß- und Rieſenbetriebe ſich der Gemeinde und dem Staate genähert haben, ſo geſchah dies mehr in der äußerlichen Verfaſſung, in der Behandlung der dienenden Kräfte, teilweiſe auch in dem Monopol, das viele erlangen; es erſcheint nur erträglich in Privathänden, wenn die Anſtalten große Pflichten übernehmen, einen erheblichen Gewinn- anteil an die Geſamtheit abgeben. In der freien Bewegung, in der Möglichkeit, ohne zu viel Zwang, Rechtsſchablone, parlamentariſche Streitigkeit zu verfahren, in der Not- wendigkeit, kaufmänniſch ſich dem Angebot, dem Markte anzupaſſen, bleibt die Aktien- geſellſchaft und das Kartell vom Staatsbetrieb verſchieden und ihm überlegen. Für alle kleinen Unternehmungen, für die gewöhnliche landwirtſchaftliche und gewerbliche Güter- produktion, die gewöhnlichen Handelsgeſchäfte wäre die Kommunaliſierung und Ver- ſtaatlichung eine verteuernde Abſurdität, eine künſtliche Erzeugung von Reibung, von Schwerfälligkeit, von Umwegen, wie wir ſchon oben (S. 321—324) ſahen. So Vieles ſich alſo in der geſellſchaftlichen Verfaſſung der Volkswirtſchaft in den letzten Jahrzehnten geändert hat, ſo ſehr, wie wir eben ſahen, durch ihre komplizierteren Teile ein Zug der Centraliſation geht, ſo wenig ſpricht die Wahrſcheinlichkeit dafür, daß in abſehbaren Zeiten eine ganz ſocialiſtiſche oder kommuniſtiſche Verfaſſung ſiegen werde. Gewiß, die ſocialiſtiſchen Einzelzüge werden da und dort noch wachſen, und wer das nicht begreift, ſollte heute weder als Miniſter, noch als Parlamentarier weiter eine Rolle ſpielen, aber ebenſo ſicher werden die verſchiedenen wirtſchaftlichen Aufgaben immer verſchiedene Organiſationsprincipien erzeugen, und das Reſultat wird nicht eine centraliſtiſche Rieſenwirtſchaft des Staates, ſondern das komplizierte Nebeneinander- beſtehen und Zuſammenwirken verſchiedener Organe, verſchiedener Motive, verſchiedener Inſtitution ſeien. Nur ſchablonenhafter Doktrinarismus kann es überraſchend oder gar widerſpruchs- voll finden, daß heute neben Staatsbahn, Staatspoſt und Staatstelegraphen große private Kartelle und Aktienbetriebe, neben zahlreichen kommunalen Wirtſchaftsbetrieben die Einzelgeſchäfte und die Genoſſenſchaften, neben Großinduſtrie und Fabrik Haus- induſtrie und Handwerk, neben den großen Gutsbetrieben die Bauern- und Parzellenwirt- ſchaften ſtehen, daß ſich neben der Produktion für den Markt in breiter Weiſe die Eigen- wirtſchaft, neben koſtenloſer Darreichung einzelner Leiſtungen die überwiegende Bezahlung der Waren und Leiſtungen erhält. Jede Form und Art des wirtſchaftlichen Lebens hat ihre Bedingungen und Vorausſetzungen und erhält ſich, wo letztere vorhanden ſind. Der Großbetrieb, das Kartell, der Staatsbetrieb iſt an manchen Stellen dem Klein- betrieb, dem Privatgeſchäft ſehr weit überlegen, aber produziert an anderen teurer und nicht beſſer. Alle höheren Formen der wirtſchaftlichen Organiſation haben zu ihrer gedeihlichen Wirkſamkeit höhere pſychologiſche und inſtitutionelle Vorausſetzungen, ſo daß ſchon deshalb die Entwickelung derſelben nur eine langſame, von Rückſchlägen begleitete, in gewiſſen feſten Grenzen ſich bewegende ſein muß. — Wirtſchaften heißt, die äußeren materiellen Mittel für unſere Exiſtenz beſchaffen. Der einzelne Menſch that es einſtens allein, und zwar auf die direkteſte Weiſe und im Augenblicke des Bedarfs. Alle höhere Kultur beſteht darin, die Mittel gemeinſam, geſicherter, auf indirekte Weiſe und ſo im voraus zu beſchaffen, daß die Menſchen nicht Not leiden. Alle höhere Technik, alle Anwendung früherer Mittel (des Kapitals) bei der Beſchaffung hat dies im Auge. Für viele Jahrtauſende war die Wirtſchaft und die Technik der Familie und ihre Vorratshaltung das beſte und faſt das einzige Mittel, um reichlich und nachhaltig die Bedürfniſſe zu befriedigen. Aber das Organ reichte doch nicht ganz aus, die Wechſelfälle der Natur zu beſchwören, die Bedürfniſſe der größeren differenzierten Geſellſchaften zu befriedigen. Die Gebietskörperſchaften und ihre Spitzen waren fernſichtiger, reicher, kräftiger; ſie konnten zuerſt Heer-, Gerichts- weſen und Verwaltung, dann auch eine Summe rein wirtſchaftlicher Aufgaben über- nehmen, aber ſie erlahmten doch bald wieder auf letzterem Gebiete, weil die führenden Spitzen ſich zu viel aufgeladen hatten, weil ihre Organe den meiſten wirtſchaftlichen Bedürfniſſen zu fern ſtanden und ſie nur mit allzugroßem Aufwand und Mißbräuchen

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/471>, abgerufen am 23.04.2024.