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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Statistik des Großbetriebes. Das gesellschaftliche Problem desselben.

Wir sahen, daß die Familienwirtschaft, die patriarchalische Gewalt des Haus-
vaters über Kinder und Gesinde und der an Stelle von Sklaven und Hörigkeit tretende
freie Arbeitsvertrag die Grundlage für die Ausbildung des Großbetriebes war. Und
wo es sich um Geschäfte von mäßigerem Umfang handelt, reichen diese Traditionen und
Rechtsbeziehungen auch aus, eine kleine Zahl von Arbeitskräften zu dem einheitlichen
Zusammenwirken, wie es das Geschäftsleben erfordert, zu bringen, wenn auch die
Schwierigkeiten in dem Maße sich steigern, wie erwachsene, verheiratete Mitarbeiter in
den Kreis eintreten, wie es sich um verschiedene Klassen und Menschen, um zunehmende
Interessengegensätze handelt. Wo aber 50--100 und mehr Personen in Betracht
kommen, wo die Zahl sich gar auf Tausende steigert, da ist die rechte Organisation
und Disciplin, das pünktliche und sichere Ineinandergreifen so vieler verschiedener
Menschen mit teilweise niedriger Bildung, mit starken Leidenschaften und gewecktem
Selbstgefühl nicht leicht zu erreichen. Die Ansprüche an persönliche Freiheit, achtungs-
volle Behandlung wachsen; und im selben Maße muß im Riesenbetrieb die Ehrlichkeit,
die Unterordnung, die Pünktlichkeit, die Kontrolle zunehmen. Eine Hierarchie von
Stellungen und Ämtern muß sich bilden; komplizierte Geschäfts- und Arbeitsordnungen
müssen thatsächlich entstehen, schriftlich fixiert werden und in Fleisch und Blut über-
gehen. Der Großbetrieb, als Riesenanstalt, gewinnt ein Leben, eine Tradition, ein
Gesamtinteresse für sich, das über dem des privaten zufälligen Eigentümers steht, mit
den Absichten und Gefühlen des letzteren in Konflikt kommen kann.

Drei große Fragen sind es hauptsächlich, die im Zusammenhang mit diesen Er-
wägungen entstehen: 1. Kann und soll der Großbetrieb in den Händen individueller
persönlicher Eigentümer bleiben? soll ihr privates Schicksal die Anstalten in Mitleiden-
schaft ziehen? 2. In den Großbetrieben schiebt sich zwischen die Chefs und die Arbeiter
eine steigende Anzahl Beamter, Ingenieure, kaufmännischer Angestellter, Werkmeister;
wie soll ihre Stellung, ihre Carriere, ihre Vorbildung geordnet werden? Der Groß-
betrieb hat hier die gleichen schwierigen Aufgaben zu lösen, wie Staat und Gemeinde.
3. Das Rechtsverhältnis der steigenden Arbeiterzahl bedarf einer reformierenden Ordnung,
wenn nicht die Reibung und die Konflikte hier ebenso wie einst bei der Sklaverei und
Leibeigenschaft zu einem Punkte der Unerträglichkeit, der Bedrohung der Großbetriebe
und der ganzen Gesellschaft führen sollen.

ad 1. Seit den letzten 5000 Jahren beruhte überall der wichtigste Teil des
Kulturfortschrittes auf herrschaftlichen Organisationen; und diese waren immer am
leistungsfähigsten, wenn einzelne dazu Befähigte befahlen, eine steigende Zahl ihnen
gehorchte. Aber an einer steigenden Zahl von Stellen hat man auch aus dem einen
ein Kollegium, eine gegliederte kollektive Persönlichkeit gemacht, um die Leidenschaften
und Fehler, die Einseitigkeit des einen durch den Charakter und die Kenntnisse mehrerer
zu ergänzen, um die befehlende Spitze stetiger, dauerhafter zu machen. Ähnliches sehen
wir auch in der Welt der wirtschaftlichen Unternehmungen. Neben den Einzelunter-
nehmer, welcher für die Mehrzahl aller kleinen und mittleren Betriebe heute noch seine
unzweifelhaften Vorzüge hat, treten successiv an die Spitze der größeren Unternehmungen
kollektive Persönlichkeiten.

Der unternehmende einzelne Handwerker, Kaufmann, Landwirt und Fabrikant hat
als Geschäftseigentümer und Betriebsleiter, wo die Technik, das Geschäft, das Kapital
nicht zu groß, zu kompliziert ist, den unendlichen Vorzug ungeteilter Verantwortung
und einheitlichster Leitung; ihn beseelt ein Erwerbstrieb wie nie einen Beamten; an der
guten Leitung des Geschäftes hängt sein Vermögen, seine Ehre, seine Zukunft. Er hat
niemand Rechenschaft abzulegen; ihm ist rasches und kühnes Handeln möglich wie nie
einer Mehrheit von Personen. Er kann sich, wenn er nur leidlich Menschen zu behandeln
versteht, bei seinen Leuten eine Autorität verschaffen wie keine vielköpfige Leitung; er
kann die Friktionen der Mitarbeitenden leichter überwinden, den Absatz gut organisieren,
den richtigen Kredit finden, weil er als Persönlichkeit sich einsetzt, Vertrauen erwirbt.

Sobald aber das Geschäft einen gewissen Umfang erreicht, fallen viele dieser
günstigen Folgen weg; der Herr kann nicht mehr alles sehen, nicht mehr seine Leute

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Statiſtik des Großbetriebes. Das geſellſchaftliche Problem deſſelben.

Wir ſahen, daß die Familienwirtſchaft, die patriarchaliſche Gewalt des Haus-
vaters über Kinder und Geſinde und der an Stelle von Sklaven und Hörigkeit tretende
freie Arbeitsvertrag die Grundlage für die Ausbildung des Großbetriebes war. Und
wo es ſich um Geſchäfte von mäßigerem Umfang handelt, reichen dieſe Traditionen und
Rechtsbeziehungen auch aus, eine kleine Zahl von Arbeitskräften zu dem einheitlichen
Zuſammenwirken, wie es das Geſchäftsleben erfordert, zu bringen, wenn auch die
Schwierigkeiten in dem Maße ſich ſteigern, wie erwachſene, verheiratete Mitarbeiter in
den Kreis eintreten, wie es ſich um verſchiedene Klaſſen und Menſchen, um zunehmende
Intereſſengegenſätze handelt. Wo aber 50—100 und mehr Perſonen in Betracht
kommen, wo die Zahl ſich gar auf Tauſende ſteigert, da iſt die rechte Organiſation
und Disciplin, das pünktliche und ſichere Ineinandergreifen ſo vieler verſchiedener
Menſchen mit teilweiſe niedriger Bildung, mit ſtarken Leidenſchaften und gewecktem
Selbſtgefühl nicht leicht zu erreichen. Die Anſprüche an perſönliche Freiheit, achtungs-
volle Behandlung wachſen; und im ſelben Maße muß im Rieſenbetrieb die Ehrlichkeit,
die Unterordnung, die Pünktlichkeit, die Kontrolle zunehmen. Eine Hierarchie von
Stellungen und Ämtern muß ſich bilden; komplizierte Geſchäfts- und Arbeitsordnungen
müſſen thatſächlich entſtehen, ſchriftlich fixiert werden und in Fleiſch und Blut über-
gehen. Der Großbetrieb, als Rieſenanſtalt, gewinnt ein Leben, eine Tradition, ein
Geſamtintereſſe für ſich, das über dem des privaten zufälligen Eigentümers ſteht, mit
den Abſichten und Gefühlen des letzteren in Konflikt kommen kann.

Drei große Fragen ſind es hauptſächlich, die im Zuſammenhang mit dieſen Er-
wägungen entſtehen: 1. Kann und ſoll der Großbetrieb in den Händen individueller
perſönlicher Eigentümer bleiben? ſoll ihr privates Schickſal die Anſtalten in Mitleiden-
ſchaft ziehen? 2. In den Großbetrieben ſchiebt ſich zwiſchen die Chefs und die Arbeiter
eine ſteigende Anzahl Beamter, Ingenieure, kaufmänniſcher Angeſtellter, Werkmeiſter;
wie ſoll ihre Stellung, ihre Carriere, ihre Vorbildung geordnet werden? Der Groß-
betrieb hat hier die gleichen ſchwierigen Aufgaben zu löſen, wie Staat und Gemeinde.
3. Das Rechtsverhältnis der ſteigenden Arbeiterzahl bedarf einer reformierenden Ordnung,
wenn nicht die Reibung und die Konflikte hier ebenſo wie einſt bei der Sklaverei und
Leibeigenſchaft zu einem Punkte der Unerträglichkeit, der Bedrohung der Großbetriebe
und der ganzen Geſellſchaft führen ſollen.

ad 1. Seit den letzten 5000 Jahren beruhte überall der wichtigſte Teil des
Kulturfortſchrittes auf herrſchaftlichen Organiſationen; und dieſe waren immer am
leiſtungsfähigſten, wenn einzelne dazu Befähigte befahlen, eine ſteigende Zahl ihnen
gehorchte. Aber an einer ſteigenden Zahl von Stellen hat man auch aus dem einen
ein Kollegium, eine gegliederte kollektive Perſönlichkeit gemacht, um die Leidenſchaften
und Fehler, die Einſeitigkeit des einen durch den Charakter und die Kenntniſſe mehrerer
zu ergänzen, um die befehlende Spitze ſtetiger, dauerhafter zu machen. Ähnliches ſehen
wir auch in der Welt der wirtſchaftlichen Unternehmungen. Neben den Einzelunter-
nehmer, welcher für die Mehrzahl aller kleinen und mittleren Betriebe heute noch ſeine
unzweifelhaften Vorzüge hat, treten ſucceſſiv an die Spitze der größeren Unternehmungen
kollektive Perſönlichkeiten.

Der unternehmende einzelne Handwerker, Kaufmann, Landwirt und Fabrikant hat
als Geſchäftseigentümer und Betriebsleiter, wo die Technik, das Geſchäft, das Kapital
nicht zu groß, zu kompliziert iſt, den unendlichen Vorzug ungeteilter Verantwortung
und einheitlichſter Leitung; ihn beſeelt ein Erwerbstrieb wie nie einen Beamten; an der
guten Leitung des Geſchäftes hängt ſein Vermögen, ſeine Ehre, ſeine Zukunft. Er hat
niemand Rechenſchaft abzulegen; ihm iſt raſches und kühnes Handeln möglich wie nie
einer Mehrheit von Perſonen. Er kann ſich, wenn er nur leidlich Menſchen zu behandeln
verſteht, bei ſeinen Leuten eine Autorität verſchaffen wie keine vielköpfige Leitung; er
kann die Friktionen der Mitarbeitenden leichter überwinden, den Abſatz gut organiſieren,
den richtigen Kredit finden, weil er als Perſönlichkeit ſich einſetzt, Vertrauen erwirbt.

Sobald aber das Geſchäft einen gewiſſen Umfang erreicht, fallen viele dieſer
günſtigen Folgen weg; der Herr kann nicht mehr alles ſehen, nicht mehr ſeine Leute

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[435/0451] Statiſtik des Großbetriebes. Das geſellſchaftliche Problem deſſelben. Wir ſahen, daß die Familienwirtſchaft, die patriarchaliſche Gewalt des Haus- vaters über Kinder und Geſinde und der an Stelle von Sklaven und Hörigkeit tretende freie Arbeitsvertrag die Grundlage für die Ausbildung des Großbetriebes war. Und wo es ſich um Geſchäfte von mäßigerem Umfang handelt, reichen dieſe Traditionen und Rechtsbeziehungen auch aus, eine kleine Zahl von Arbeitskräften zu dem einheitlichen Zuſammenwirken, wie es das Geſchäftsleben erfordert, zu bringen, wenn auch die Schwierigkeiten in dem Maße ſich ſteigern, wie erwachſene, verheiratete Mitarbeiter in den Kreis eintreten, wie es ſich um verſchiedene Klaſſen und Menſchen, um zunehmende Intereſſengegenſätze handelt. Wo aber 50—100 und mehr Perſonen in Betracht kommen, wo die Zahl ſich gar auf Tauſende ſteigert, da iſt die rechte Organiſation und Disciplin, das pünktliche und ſichere Ineinandergreifen ſo vieler verſchiedener Menſchen mit teilweiſe niedriger Bildung, mit ſtarken Leidenſchaften und gewecktem Selbſtgefühl nicht leicht zu erreichen. Die Anſprüche an perſönliche Freiheit, achtungs- volle Behandlung wachſen; und im ſelben Maße muß im Rieſenbetrieb die Ehrlichkeit, die Unterordnung, die Pünktlichkeit, die Kontrolle zunehmen. Eine Hierarchie von Stellungen und Ämtern muß ſich bilden; komplizierte Geſchäfts- und Arbeitsordnungen müſſen thatſächlich entſtehen, ſchriftlich fixiert werden und in Fleiſch und Blut über- gehen. Der Großbetrieb, als Rieſenanſtalt, gewinnt ein Leben, eine Tradition, ein Geſamtintereſſe für ſich, das über dem des privaten zufälligen Eigentümers ſteht, mit den Abſichten und Gefühlen des letzteren in Konflikt kommen kann. Drei große Fragen ſind es hauptſächlich, die im Zuſammenhang mit dieſen Er- wägungen entſtehen: 1. Kann und ſoll der Großbetrieb in den Händen individueller perſönlicher Eigentümer bleiben? ſoll ihr privates Schickſal die Anſtalten in Mitleiden- ſchaft ziehen? 2. In den Großbetrieben ſchiebt ſich zwiſchen die Chefs und die Arbeiter eine ſteigende Anzahl Beamter, Ingenieure, kaufmänniſcher Angeſtellter, Werkmeiſter; wie ſoll ihre Stellung, ihre Carriere, ihre Vorbildung geordnet werden? Der Groß- betrieb hat hier die gleichen ſchwierigen Aufgaben zu löſen, wie Staat und Gemeinde. 3. Das Rechtsverhältnis der ſteigenden Arbeiterzahl bedarf einer reformierenden Ordnung, wenn nicht die Reibung und die Konflikte hier ebenſo wie einſt bei der Sklaverei und Leibeigenſchaft zu einem Punkte der Unerträglichkeit, der Bedrohung der Großbetriebe und der ganzen Geſellſchaft führen ſollen. ad 1. Seit den letzten 5000 Jahren beruhte überall der wichtigſte Teil des Kulturfortſchrittes auf herrſchaftlichen Organiſationen; und dieſe waren immer am leiſtungsfähigſten, wenn einzelne dazu Befähigte befahlen, eine ſteigende Zahl ihnen gehorchte. Aber an einer ſteigenden Zahl von Stellen hat man auch aus dem einen ein Kollegium, eine gegliederte kollektive Perſönlichkeit gemacht, um die Leidenſchaften und Fehler, die Einſeitigkeit des einen durch den Charakter und die Kenntniſſe mehrerer zu ergänzen, um die befehlende Spitze ſtetiger, dauerhafter zu machen. Ähnliches ſehen wir auch in der Welt der wirtſchaftlichen Unternehmungen. Neben den Einzelunter- nehmer, welcher für die Mehrzahl aller kleinen und mittleren Betriebe heute noch ſeine unzweifelhaften Vorzüge hat, treten ſucceſſiv an die Spitze der größeren Unternehmungen kollektive Perſönlichkeiten. Der unternehmende einzelne Handwerker, Kaufmann, Landwirt und Fabrikant hat als Geſchäftseigentümer und Betriebsleiter, wo die Technik, das Geſchäft, das Kapital nicht zu groß, zu kompliziert iſt, den unendlichen Vorzug ungeteilter Verantwortung und einheitlichſter Leitung; ihn beſeelt ein Erwerbstrieb wie nie einen Beamten; an der guten Leitung des Geſchäftes hängt ſein Vermögen, ſeine Ehre, ſeine Zukunft. Er hat niemand Rechenſchaft abzulegen; ihm iſt raſches und kühnes Handeln möglich wie nie einer Mehrheit von Perſonen. Er kann ſich, wenn er nur leidlich Menſchen zu behandeln verſteht, bei ſeinen Leuten eine Autorität verſchaffen wie keine vielköpfige Leitung; er kann die Friktionen der Mitarbeitenden leichter überwinden, den Abſatz gut organiſieren, den richtigen Kredit finden, weil er als Perſönlichkeit ſich einſetzt, Vertrauen erwirbt. Sobald aber das Geſchäft einen gewiſſen Umfang erreicht, fallen viele dieſer günſtigen Folgen weg; der Herr kann nicht mehr alles ſehen, nicht mehr ſeine Leute 28*

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/451>, abgerufen am 16.04.2024.