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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Die verschiedenen Eigentumstheorien.
richtungen der Zeit an; alle selbstischen und alle sympathischen Motive menschlichen
Lebens wirken da mit, bei der Ausbildung der individuellen Sphäre mehr die selbstischen,
bei den gemeinschaftlichen mehr die höheren Gefühle.

In dem Maße, wie in dieses Spiel der Motive und Interessen denkende Betrach-
tung eingriff, haben führende Geister einzelne der mitwirkenden Motive, Gedanken-
und Erscheinungsreihen herausgegriffen und aus ihnen sogenannte Eigentumgstheorien
geschaffen, die alle den Zweck verfolgten, mit einer einheitlichen Formel das Wesen des
Eigentums historisch und begrifflich zu erklären und meist zugleich ein bestimmtes Ideal
der Eigentumsordnung aufzustellen. In dem Maße, wie solche Theorien das Glaubens-
bekenntnis ganzer Schulen, Klassen und Parteien wurden, haben sie auf das praktische
Leben wieder maßgebend zurückgewirkt. Über die ursprünglichen Motive aber und die
geschichtlichen Prozesse, welche das Eigentum schufen und umgestalteten, waren die
meisten dieser Eigentumstheoretiker wenig unterrichtet; sie verlegten ihre Gedanken und
die vorherrschenden Motive ihrer Zeit in die Epoche der Entstehung des Eigentums.

Aber alle diese Theorien sind als historische Produkte ihrer Zeit, als Fermente
für die Weiterbildung des Eigentums von Bedeutung. Sie zerfallen der Tendenz nach
wie alle derartigen Theorien über staatliche und wirtschaftliche Einrichtungen in eine
individualistische und eine centralistische Gruppe; der Motivierung nach knüpfen sie
teils mehr an die materiellen Vorgänge und Thatsachen, teils mehr an die Formen
und Entstehungsgründe des Rechtes überhaupt an. Zu allen Zeiten haben die
verschiedenen Theorien neben einander bestanden; nur findet je nach den Zeitverhältnissen
und Zuständen bald die eine, bald die andere mehr Anhänger.

An der Spitze der individualistischen Eigentumstheorien stehen die
der urgeschichtlichen Wortbildungen, die uns O. Schrader aus der indogermanischen
Sprachwelt vorführt. Wir sehen, daß schon in den ältesten Zeiten das werdende
Eigentum bezeichnet wurde als das "Besessene, Innegehabte, Erarbeitete, Erlangte,
Erbeutete, Überlassene, dann als das Verborgene, das mit der Hand Ergriffene, das der
Gewalt Untergebene, das zum Leben Gehörige". An ähnliche Vorstellungen knüpfen
die späteren individualistischen Theorien überwiegend an. Die von A. Wagner sogenannte
natürliche Eigentumstheorie, als deren Hauptvertreter Fichte, Krause, Hegel, Stahl,
Trendelenburg genannt werden können, geht davon aus, daß individuelles Eigentum
Voraussetzung der Entwickelung der Persönlichkeit und daher gerechtfertigt sei. Diesem
an sich ganz richtigen Gedanken wird entgegnet: der Pächter, der auf fremdem Boden,
der Arbeiter, der an fremder Maschine fremden Rohstoff bearbeite, entwickele trotzdem
seine Persönlichkeit, also passe die Theorie nicht auf den Boden und nicht auf das
Kapital; soweit der Satz zutreffe, beweise er nur, wie falsch das Eigentum heute
verteilt sei, indem einzelne zu viel, andere zu wenig Eigentum zu einer sittlich-
individuellen Entwickelung hätten.

Die von A. Wagner als natürlich-ökonomische bezeichnete Theorie, die auf
Nationalökonomen wie Mill und Roscher zurückgeht, erklärt das individuelle Eigentum
für notwendig, um Fleiß, Sparsamkeit, Kapitalbildung zu erzeugen. Sie bezeichnet
psychologisch zutreffend eine der fundamentalen Voraussetzungen unserer ganzen Kultur-
entwickelung und unserer heutigen Volkswirtschaft, aber sie erklärt und rechtfertigt nicht
jedes bestehende Privateigentum, sie ignoriert alles Gemeinschaftseigentum.

Die römischrechtliche Occupationstheorie, die alles individuelle Eigentum aus einem
individuellen Willensakt ableitet, ist für das ursprünglich meist durch sociale Gemein-
schaften occupierte und verteilte Grundeigentum, und vielfach auch für alle spätere
Eigentumsverteilung gänzlich falsch; sie stammt aus den kriegerischen Beuteerinnerungen
von Männern, die nach Gajus maxime sua esse credebant, quae ex hostibus cepissent.
Viel richtiger erfaßt die von den Niederländern und Locke aufgestellte, von vielen
Nationalökonomen angenommene Arbeitstheorie das Problem. Daß, was ich mit meiner
Hand geschaffen, mir mehr gehört als anderen, ist eine so evidente Wahrheit, daß sie
stets dem natürlichen Gefühl sich aufdrängen mußte. Aber in einer kompliziert zusammen-
wirkenden arbeitsteiligen Gesellschaft begegnete die Durchführung dieses Princips steigenden

Die verſchiedenen Eigentumstheorien.
richtungen der Zeit an; alle ſelbſtiſchen und alle ſympathiſchen Motive menſchlichen
Lebens wirken da mit, bei der Ausbildung der individuellen Sphäre mehr die ſelbſtiſchen,
bei den gemeinſchaftlichen mehr die höheren Gefühle.

In dem Maße, wie in dieſes Spiel der Motive und Intereſſen denkende Betrach-
tung eingriff, haben führende Geiſter einzelne der mitwirkenden Motive, Gedanken-
und Erſcheinungsreihen herausgegriffen und aus ihnen ſogenannte Eigentumgstheorien
geſchaffen, die alle den Zweck verfolgten, mit einer einheitlichen Formel das Weſen des
Eigentums hiſtoriſch und begrifflich zu erklären und meiſt zugleich ein beſtimmtes Ideal
der Eigentumsordnung aufzuſtellen. In dem Maße, wie ſolche Theorien das Glaubens-
bekenntnis ganzer Schulen, Klaſſen und Parteien wurden, haben ſie auf das praktiſche
Leben wieder maßgebend zurückgewirkt. Über die urſprünglichen Motive aber und die
geſchichtlichen Prozeſſe, welche das Eigentum ſchufen und umgeſtalteten, waren die
meiſten dieſer Eigentumstheoretiker wenig unterrichtet; ſie verlegten ihre Gedanken und
die vorherrſchenden Motive ihrer Zeit in die Epoche der Entſtehung des Eigentums.

Aber alle dieſe Theorien ſind als hiſtoriſche Produkte ihrer Zeit, als Fermente
für die Weiterbildung des Eigentums von Bedeutung. Sie zerfallen der Tendenz nach
wie alle derartigen Theorien über ſtaatliche und wirtſchaftliche Einrichtungen in eine
individualiſtiſche und eine centraliſtiſche Gruppe; der Motivierung nach knüpfen ſie
teils mehr an die materiellen Vorgänge und Thatſachen, teils mehr an die Formen
und Entſtehungsgründe des Rechtes überhaupt an. Zu allen Zeiten haben die
verſchiedenen Theorien neben einander beſtanden; nur findet je nach den Zeitverhältniſſen
und Zuſtänden bald die eine, bald die andere mehr Anhänger.

An der Spitze der individualiſtiſchen Eigentumstheorien ſtehen die
der urgeſchichtlichen Wortbildungen, die uns O. Schrader aus der indogermaniſchen
Sprachwelt vorführt. Wir ſehen, daß ſchon in den älteſten Zeiten das werdende
Eigentum bezeichnet wurde als das „Beſeſſene, Innegehabte, Erarbeitete, Erlangte,
Erbeutete, Überlaſſene, dann als das Verborgene, das mit der Hand Ergriffene, das der
Gewalt Untergebene, das zum Leben Gehörige“. An ähnliche Vorſtellungen knüpfen
die ſpäteren individualiſtiſchen Theorien überwiegend an. Die von A. Wagner ſogenannte
natürliche Eigentumstheorie, als deren Hauptvertreter Fichte, Krauſe, Hegel, Stahl,
Trendelenburg genannt werden können, geht davon aus, daß individuelles Eigentum
Vorausſetzung der Entwickelung der Perſönlichkeit und daher gerechtfertigt ſei. Dieſem
an ſich ganz richtigen Gedanken wird entgegnet: der Pächter, der auf fremdem Boden,
der Arbeiter, der an fremder Maſchine fremden Rohſtoff bearbeite, entwickele trotzdem
ſeine Perſönlichkeit, alſo paſſe die Theorie nicht auf den Boden und nicht auf das
Kapital; ſoweit der Satz zutreffe, beweiſe er nur, wie falſch das Eigentum heute
verteilt ſei, indem einzelne zu viel, andere zu wenig Eigentum zu einer ſittlich-
individuellen Entwickelung hätten.

Die von A. Wagner als natürlich-ökonomiſche bezeichnete Theorie, die auf
Nationalökonomen wie Mill und Roſcher zurückgeht, erklärt das individuelle Eigentum
für notwendig, um Fleiß, Sparſamkeit, Kapitalbildung zu erzeugen. Sie bezeichnet
pſychologiſch zutreffend eine der fundamentalen Vorausſetzungen unſerer ganzen Kultur-
entwickelung und unſerer heutigen Volkswirtſchaft, aber ſie erklärt und rechtfertigt nicht
jedes beſtehende Privateigentum, ſie ignoriert alles Gemeinſchaftseigentum.

Die römiſchrechtliche Occupationstheorie, die alles individuelle Eigentum aus einem
individuellen Willensakt ableitet, iſt für das urſprünglich meiſt durch ſociale Gemein-
ſchaften occupierte und verteilte Grundeigentum, und vielfach auch für alle ſpätere
Eigentumsverteilung gänzlich falſch; ſie ſtammt aus den kriegeriſchen Beuteerinnerungen
von Männern, die nach Gajus maxime sua esse credebant, quae ex hostibus cepissent.
Viel richtiger erfaßt die von den Niederländern und Locke aufgeſtellte, von vielen
Nationalökonomen angenommene Arbeitstheorie das Problem. Daß, was ich mit meiner
Hand geſchaffen, mir mehr gehört als anderen, iſt eine ſo evidente Wahrheit, daß ſie
ſtets dem natürlichen Gefühl ſich aufdrängen mußte. Aber in einer kompliziert zuſammen-
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[389/0405] Die verſchiedenen Eigentumstheorien. richtungen der Zeit an; alle ſelbſtiſchen und alle ſympathiſchen Motive menſchlichen Lebens wirken da mit, bei der Ausbildung der individuellen Sphäre mehr die ſelbſtiſchen, bei den gemeinſchaftlichen mehr die höheren Gefühle. In dem Maße, wie in dieſes Spiel der Motive und Intereſſen denkende Betrach- tung eingriff, haben führende Geiſter einzelne der mitwirkenden Motive, Gedanken- und Erſcheinungsreihen herausgegriffen und aus ihnen ſogenannte Eigentumgstheorien geſchaffen, die alle den Zweck verfolgten, mit einer einheitlichen Formel das Weſen des Eigentums hiſtoriſch und begrifflich zu erklären und meiſt zugleich ein beſtimmtes Ideal der Eigentumsordnung aufzuſtellen. In dem Maße, wie ſolche Theorien das Glaubens- bekenntnis ganzer Schulen, Klaſſen und Parteien wurden, haben ſie auf das praktiſche Leben wieder maßgebend zurückgewirkt. Über die urſprünglichen Motive aber und die geſchichtlichen Prozeſſe, welche das Eigentum ſchufen und umgeſtalteten, waren die meiſten dieſer Eigentumstheoretiker wenig unterrichtet; ſie verlegten ihre Gedanken und die vorherrſchenden Motive ihrer Zeit in die Epoche der Entſtehung des Eigentums. Aber alle dieſe Theorien ſind als hiſtoriſche Produkte ihrer Zeit, als Fermente für die Weiterbildung des Eigentums von Bedeutung. Sie zerfallen der Tendenz nach wie alle derartigen Theorien über ſtaatliche und wirtſchaftliche Einrichtungen in eine individualiſtiſche und eine centraliſtiſche Gruppe; der Motivierung nach knüpfen ſie teils mehr an die materiellen Vorgänge und Thatſachen, teils mehr an die Formen und Entſtehungsgründe des Rechtes überhaupt an. Zu allen Zeiten haben die verſchiedenen Theorien neben einander beſtanden; nur findet je nach den Zeitverhältniſſen und Zuſtänden bald die eine, bald die andere mehr Anhänger. An der Spitze der individualiſtiſchen Eigentumstheorien ſtehen die der urgeſchichtlichen Wortbildungen, die uns O. Schrader aus der indogermaniſchen Sprachwelt vorführt. Wir ſehen, daß ſchon in den älteſten Zeiten das werdende Eigentum bezeichnet wurde als das „Beſeſſene, Innegehabte, Erarbeitete, Erlangte, Erbeutete, Überlaſſene, dann als das Verborgene, das mit der Hand Ergriffene, das der Gewalt Untergebene, das zum Leben Gehörige“. An ähnliche Vorſtellungen knüpfen die ſpäteren individualiſtiſchen Theorien überwiegend an. Die von A. Wagner ſogenannte natürliche Eigentumstheorie, als deren Hauptvertreter Fichte, Krauſe, Hegel, Stahl, Trendelenburg genannt werden können, geht davon aus, daß individuelles Eigentum Vorausſetzung der Entwickelung der Perſönlichkeit und daher gerechtfertigt ſei. Dieſem an ſich ganz richtigen Gedanken wird entgegnet: der Pächter, der auf fremdem Boden, der Arbeiter, der an fremder Maſchine fremden Rohſtoff bearbeite, entwickele trotzdem ſeine Perſönlichkeit, alſo paſſe die Theorie nicht auf den Boden und nicht auf das Kapital; ſoweit der Satz zutreffe, beweiſe er nur, wie falſch das Eigentum heute verteilt ſei, indem einzelne zu viel, andere zu wenig Eigentum zu einer ſittlich- individuellen Entwickelung hätten. Die von A. Wagner als natürlich-ökonomiſche bezeichnete Theorie, die auf Nationalökonomen wie Mill und Roſcher zurückgeht, erklärt das individuelle Eigentum für notwendig, um Fleiß, Sparſamkeit, Kapitalbildung zu erzeugen. Sie bezeichnet pſychologiſch zutreffend eine der fundamentalen Vorausſetzungen unſerer ganzen Kultur- entwickelung und unſerer heutigen Volkswirtſchaft, aber ſie erklärt und rechtfertigt nicht jedes beſtehende Privateigentum, ſie ignoriert alles Gemeinſchaftseigentum. Die römiſchrechtliche Occupationstheorie, die alles individuelle Eigentum aus einem individuellen Willensakt ableitet, iſt für das urſprünglich meiſt durch ſociale Gemein- ſchaften occupierte und verteilte Grundeigentum, und vielfach auch für alle ſpätere Eigentumsverteilung gänzlich falſch; ſie ſtammt aus den kriegeriſchen Beuteerinnerungen von Männern, die nach Gajus maxime sua esse credebant, quae ex hostibus cepissent. Viel richtiger erfaßt die von den Niederländern und Locke aufgeſtellte, von vielen Nationalökonomen angenommene Arbeitstheorie das Problem. Daß, was ich mit meiner Hand geſchaffen, mir mehr gehört als anderen, iſt eine ſo evidente Wahrheit, daß ſie ſtets dem natürlichen Gefühl ſich aufdrängen mußte. Aber in einer kompliziert zuſammen- wirkenden arbeitsteiligen Geſellſchaft begegnete die Durchführung dieſes Princips ſteigenden

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/405>, abgerufen am 20.04.2024.