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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
in sich. Die Epochen des großen socialen Fortschritts, der steigenden Zusammenfassung
der Kräfte sind zugleich Zeiten, in welchen das gemeinsame Eigentum nicht bloß das
des Staates sondern aller größeren socialen Organe zunimmt, und die Unterordnung
des individuellen Eigentums unter die Gesamtzwecke wächst. Wir leben heute wieder
in einer solchen Epoche, die die Grenzen zwischen gemeinschaftlicher und individueller
Eigentumssphäre etwas anders reguliert, eine kompliziertere Ineinanderpassung beider
Sphären herbeiführt, eine Summe neuer Gemeinschaftsorgane mit eigentümlicher,
komplizierter Verfassung und gemeinschaftlichem Eigentum erzeugt und erzeugen wird.
Das Wesentliche aber bei all' dem ist, daß die Eigentumsordnung eine immer kom-
pliziertere wird, die verschiedensten je für bestimmte Verhältnisse passenden Formen
ausbildet, aber nicht, daß sie zu den rohen Formen des alten Staats- oder Gemeinde-
eigentums zurückkehrt.

Die Geschichte des Eigentums reflektiert stets die ganze Geschichte der Gesellschaft
und ihrer Organisation, sowie die Geschichte der fortschreitenden sittlichen Ideen, welche
diese in sich aufnimmt. Alle Gesellschafts-, Genossenschafts-, Staatsbildung hat irgend
welche Formen des gemeinsamen Eigentums, irgend welche Schranken und Pflichten des
privaten Eigentums erzeugt. Die Ausbildung des individuellen Eigentums hat die
älteren Gesellschaftsordnungen aufgelöst, die neuere bilden helfen. Ohne dasselbe konnte
die patriarchalische und moderne Familie, die Unternehmung, die Arbeitsteilung, Handel
und Verkehr so wenig entstehen, wie die individuelle Persönlichkeit sich ausbilden. Immer
mehr aber haben sich zugleich die Gesamtinteressen, die sociale Zweckmäßigkeit und Reform,
die sympathischen Gefühle in alle Rechtssatzungen des Eigentums eingeschoben und haben
edlere höhere Formen des privaten und kollektiven Eigentums erzeugt.

132. Eigentumsdefinitionen und Eigentumstheorien. Wenn wir so
alle Konsequenzen des Eigentumsrechtes ins Auge fassen, so werden wir uns für unseren
Zweck auch nicht mit der gewöhnlichen Definition zufrieden geben, das Eigentum sei die
ausschließliche rechtliche Herrschaft einer natürlichen Person oder eines socialen Organes
über eine Sache; das ist eine Definition mittelst einer bildlichen Analogie; das Bild
der politischen oder socialen Herrschaft einer Person über andere wird auf die Sachen-
welt übertragen. Alles Recht ist in seinem Kerne eine Regelung der Beziehungen von
Personen und socialen Organen untereinander, und daher sage ich lieber: das Eigentums-
recht ist der Inbegriff von rechtlichen Regeln, welche die Nutzungsbefugnisse und -Verbote
der Personen und socialen Organe untereinander in Bezug auf die materiellen Objekte
der Außenwelt festsetzen. Das Eigentum an der einzelnen Sache ist in erster Linie der
rechtliche Inbegriff der andere ausschließenden Nutzungsbefugnisse, also das Recht des
Gebrauches, des Verkaufes, der Vererbung, der Verschenkung etc., in zweiter Linie schließt
aber das Eigentumsrecht stets auch gewisse rechtliche Schranken und Pflichten ein,
welche dem Eigentümer in Bezug auf die bestimmte Sache gegen andere Personen und
sociale Organe auferlegt sind.

Die Eigentumsordnung ist die rechtliche Regelung der gesamten Beziehungen der
einzelnen Personen und der socialen Organe zur materiellen Außenwelt; sie normiert
gemäß den bestehenden Machtverhältnissen und sittlichen Grundanschauungen in der
Form des Rechtes die Verteilung von Grund- und beweglichem Besitz an die Individuen
und socialen Organe. Das heißt: sie normiert die erlaubten und verbotenen Nutzungen
für die Gegenwart und bestimmt die zulässigen Veränderungen in der künftigen
Verteilung durch das Erbrecht, durch die Verträge, die rechtlich zulässigen Erwerbsarten.
Schon die älteren einfachen Eigentumsordnungen bestehen so aus einer großen Zahl
von formalen und materiellen Bestimmungen; je höher die Kultur steigt, desto mannig-
faltiger und komplizierter werden sie, desto mehr erschöpft sich die Eigentumsordnung
nur in einer steigenden Zahl selbständiger Rechts- und Verkehrsinstitutionen.

Die historische Entwickelung des Eigentums und alle spätere formale und materielle
Ausbildung des Eigentumsrechtes, alle Veränderung in der Grenznormierung zwischen
individueller und gemeinschaftlicher Sphäre knüpft an praktische Anlässe, an Macht-
kämpfe, an die socialen und volkswirtschaftlichen, die politischen und militärischen Ein-

Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
in ſich. Die Epochen des großen ſocialen Fortſchritts, der ſteigenden Zuſammenfaſſung
der Kräfte ſind zugleich Zeiten, in welchen das gemeinſame Eigentum nicht bloß das
des Staates ſondern aller größeren ſocialen Organe zunimmt, und die Unterordnung
des individuellen Eigentums unter die Geſamtzwecke wächſt. Wir leben heute wieder
in einer ſolchen Epoche, die die Grenzen zwiſchen gemeinſchaftlicher und individueller
Eigentumsſphäre etwas anders reguliert, eine kompliziertere Ineinanderpaſſung beider
Sphären herbeiführt, eine Summe neuer Gemeinſchaftsorgane mit eigentümlicher,
komplizierter Verfaſſung und gemeinſchaftlichem Eigentum erzeugt und erzeugen wird.
Das Weſentliche aber bei all’ dem iſt, daß die Eigentumsordnung eine immer kom-
pliziertere wird, die verſchiedenſten je für beſtimmte Verhältniſſe paſſenden Formen
ausbildet, aber nicht, daß ſie zu den rohen Formen des alten Staats- oder Gemeinde-
eigentums zurückkehrt.

Die Geſchichte des Eigentums reflektiert ſtets die ganze Geſchichte der Geſellſchaft
und ihrer Organiſation, ſowie die Geſchichte der fortſchreitenden ſittlichen Ideen, welche
dieſe in ſich aufnimmt. Alle Geſellſchafts-, Genoſſenſchafts-, Staatsbildung hat irgend
welche Formen des gemeinſamen Eigentums, irgend welche Schranken und Pflichten des
privaten Eigentums erzeugt. Die Ausbildung des individuellen Eigentums hat die
älteren Geſellſchaftsordnungen aufgelöſt, die neuere bilden helfen. Ohne dasſelbe konnte
die patriarchaliſche und moderne Familie, die Unternehmung, die Arbeitsteilung, Handel
und Verkehr ſo wenig entſtehen, wie die individuelle Perſönlichkeit ſich ausbilden. Immer
mehr aber haben ſich zugleich die Geſamtintereſſen, die ſociale Zweckmäßigkeit und Reform,
die ſympathiſchen Gefühle in alle Rechtsſatzungen des Eigentums eingeſchoben und haben
edlere höhere Formen des privaten und kollektiven Eigentums erzeugt.

132. Eigentumsdefinitionen und Eigentumstheorien. Wenn wir ſo
alle Konſequenzen des Eigentumsrechtes ins Auge faſſen, ſo werden wir uns für unſeren
Zweck auch nicht mit der gewöhnlichen Definition zufrieden geben, das Eigentum ſei die
ausſchließliche rechtliche Herrſchaft einer natürlichen Perſon oder eines ſocialen Organes
über eine Sache; das iſt eine Definition mittelſt einer bildlichen Analogie; das Bild
der politiſchen oder ſocialen Herrſchaft einer Perſon über andere wird auf die Sachen-
welt übertragen. Alles Recht iſt in ſeinem Kerne eine Regelung der Beziehungen von
Perſonen und ſocialen Organen untereinander, und daher ſage ich lieber: das Eigentums-
recht iſt der Inbegriff von rechtlichen Regeln, welche die Nutzungsbefugniſſe und -Verbote
der Perſonen und ſocialen Organe untereinander in Bezug auf die materiellen Objekte
der Außenwelt feſtſetzen. Das Eigentum an der einzelnen Sache iſt in erſter Linie der
rechtliche Inbegriff der andere ausſchließenden Nutzungsbefugniſſe, alſo das Recht des
Gebrauches, des Verkaufes, der Vererbung, der Verſchenkung ꝛc., in zweiter Linie ſchließt
aber das Eigentumsrecht ſtets auch gewiſſe rechtliche Schranken und Pflichten ein,
welche dem Eigentümer in Bezug auf die beſtimmte Sache gegen andere Perſonen und
ſociale Organe auferlegt ſind.

Die Eigentumsordnung iſt die rechtliche Regelung der geſamten Beziehungen der
einzelnen Perſonen und der ſocialen Organe zur materiellen Außenwelt; ſie normiert
gemäß den beſtehenden Machtverhältniſſen und ſittlichen Grundanſchauungen in der
Form des Rechtes die Verteilung von Grund- und beweglichem Beſitz an die Individuen
und ſocialen Organe. Das heißt: ſie normiert die erlaubten und verbotenen Nutzungen
für die Gegenwart und beſtimmt die zuläſſigen Veränderungen in der künftigen
Verteilung durch das Erbrecht, durch die Verträge, die rechtlich zuläſſigen Erwerbsarten.
Schon die älteren einfachen Eigentumsordnungen beſtehen ſo aus einer großen Zahl
von formalen und materiellen Beſtimmungen; je höher die Kultur ſteigt, deſto mannig-
faltiger und komplizierter werden ſie, deſto mehr erſchöpft ſich die Eigentumsordnung
nur in einer ſteigenden Zahl ſelbſtändiger Rechts- und Verkehrsinſtitutionen.

Die hiſtoriſche Entwickelung des Eigentums und alle ſpätere formale und materielle
Ausbildung des Eigentumsrechtes, alle Veränderung in der Grenznormierung zwiſchen
individueller und gemeinſchaftlicher Sphäre knüpft an praktiſche Anläſſe, an Macht-
kämpfe, an die ſocialen und volkswirtſchaftlichen, die politiſchen und militäriſchen Ein-

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[388/0404] Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. in ſich. Die Epochen des großen ſocialen Fortſchritts, der ſteigenden Zuſammenfaſſung der Kräfte ſind zugleich Zeiten, in welchen das gemeinſame Eigentum nicht bloß das des Staates ſondern aller größeren ſocialen Organe zunimmt, und die Unterordnung des individuellen Eigentums unter die Geſamtzwecke wächſt. Wir leben heute wieder in einer ſolchen Epoche, die die Grenzen zwiſchen gemeinſchaftlicher und individueller Eigentumsſphäre etwas anders reguliert, eine kompliziertere Ineinanderpaſſung beider Sphären herbeiführt, eine Summe neuer Gemeinſchaftsorgane mit eigentümlicher, komplizierter Verfaſſung und gemeinſchaftlichem Eigentum erzeugt und erzeugen wird. Das Weſentliche aber bei all’ dem iſt, daß die Eigentumsordnung eine immer kom- pliziertere wird, die verſchiedenſten je für beſtimmte Verhältniſſe paſſenden Formen ausbildet, aber nicht, daß ſie zu den rohen Formen des alten Staats- oder Gemeinde- eigentums zurückkehrt. Die Geſchichte des Eigentums reflektiert ſtets die ganze Geſchichte der Geſellſchaft und ihrer Organiſation, ſowie die Geſchichte der fortſchreitenden ſittlichen Ideen, welche dieſe in ſich aufnimmt. Alle Geſellſchafts-, Genoſſenſchafts-, Staatsbildung hat irgend welche Formen des gemeinſamen Eigentums, irgend welche Schranken und Pflichten des privaten Eigentums erzeugt. Die Ausbildung des individuellen Eigentums hat die älteren Geſellſchaftsordnungen aufgelöſt, die neuere bilden helfen. Ohne dasſelbe konnte die patriarchaliſche und moderne Familie, die Unternehmung, die Arbeitsteilung, Handel und Verkehr ſo wenig entſtehen, wie die individuelle Perſönlichkeit ſich ausbilden. Immer mehr aber haben ſich zugleich die Geſamtintereſſen, die ſociale Zweckmäßigkeit und Reform, die ſympathiſchen Gefühle in alle Rechtsſatzungen des Eigentums eingeſchoben und haben edlere höhere Formen des privaten und kollektiven Eigentums erzeugt. 132. Eigentumsdefinitionen und Eigentumstheorien. Wenn wir ſo alle Konſequenzen des Eigentumsrechtes ins Auge faſſen, ſo werden wir uns für unſeren Zweck auch nicht mit der gewöhnlichen Definition zufrieden geben, das Eigentum ſei die ausſchließliche rechtliche Herrſchaft einer natürlichen Perſon oder eines ſocialen Organes über eine Sache; das iſt eine Definition mittelſt einer bildlichen Analogie; das Bild der politiſchen oder ſocialen Herrſchaft einer Perſon über andere wird auf die Sachen- welt übertragen. Alles Recht iſt in ſeinem Kerne eine Regelung der Beziehungen von Perſonen und ſocialen Organen untereinander, und daher ſage ich lieber: das Eigentums- recht iſt der Inbegriff von rechtlichen Regeln, welche die Nutzungsbefugniſſe und -Verbote der Perſonen und ſocialen Organe untereinander in Bezug auf die materiellen Objekte der Außenwelt feſtſetzen. Das Eigentum an der einzelnen Sache iſt in erſter Linie der rechtliche Inbegriff der andere ausſchließenden Nutzungsbefugniſſe, alſo das Recht des Gebrauches, des Verkaufes, der Vererbung, der Verſchenkung ꝛc., in zweiter Linie ſchließt aber das Eigentumsrecht ſtets auch gewiſſe rechtliche Schranken und Pflichten ein, welche dem Eigentümer in Bezug auf die beſtimmte Sache gegen andere Perſonen und ſociale Organe auferlegt ſind. Die Eigentumsordnung iſt die rechtliche Regelung der geſamten Beziehungen der einzelnen Perſonen und der ſocialen Organe zur materiellen Außenwelt; ſie normiert gemäß den beſtehenden Machtverhältniſſen und ſittlichen Grundanſchauungen in der Form des Rechtes die Verteilung von Grund- und beweglichem Beſitz an die Individuen und ſocialen Organe. Das heißt: ſie normiert die erlaubten und verbotenen Nutzungen für die Gegenwart und beſtimmt die zuläſſigen Veränderungen in der künftigen Verteilung durch das Erbrecht, durch die Verträge, die rechtlich zuläſſigen Erwerbsarten. Schon die älteren einfachen Eigentumsordnungen beſtehen ſo aus einer großen Zahl von formalen und materiellen Beſtimmungen; je höher die Kultur ſteigt, deſto mannig- faltiger und komplizierter werden ſie, deſto mehr erſchöpft ſich die Eigentumsordnung nur in einer ſteigenden Zahl ſelbſtändiger Rechts- und Verkehrsinſtitutionen. Die hiſtoriſche Entwickelung des Eigentums und alle ſpätere formale und materielle Ausbildung des Eigentumsrechtes, alle Veränderung in der Grenznormierung zwiſchen individueller und gemeinſchaftlicher Sphäre knüpft an praktiſche Anläſſe, an Macht- kämpfe, an die ſocialen und volkswirtſchaftlichen, die politiſchen und militäriſchen Ein-

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/404>, abgerufen am 29.03.2024.