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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Das kleine Grundeigentum der Germanen und Slaven. Die Entstehung des großen.
überwiegend nicht auf den Teilungen, welche die genossenschaftliche Rechtsbasis hatten; die
Häuptlinge waren längst Herren des größeren Teiles des Grund und Bodens geworden
und gaben sie in zu kleinen Stücken gegen Rente an die zahlreichen verarmten pachtenden
Glieder der Sept, des Geschlechtes.

Im ganzen Slavengebiete hat wahrscheinlich in älterer Zeit allgemein die Haus-
kommunion geherrscht (s. oben S. 241), d. h. die Familien blieben mehrere Generationen
hindurch zusammen und wirtschafteten kommunistisch unter einem Hausvater und einer
Hausmutter; sie hatten einen entsprechend großen Landbesitz. Wo aber die Zahl der
Familienglieder zu groß wurde, teilte man, und so entstanden frühe zu kleine Besitzungen;
auch scheint in Böhmen, Polen und Rußland die Hauskommunion sich früh aufgelöst und
kleinen Bauernnahrungen Platz gemacht zu haben. Nur in den südslavischen Landen
hat sie sich erhalten, ist aber auch wohl da im Zurückgehen. In Rußland hat sich das
Princip wiederholter Teilung des Landes in den Bauerngemeinden erst seit dem 16.
und 17. Jahrhundert unter dem Drucke der schweren staatlichen und grundherrlichen
Lasten festgesetzt. Die seither entstandene russische Gemeindeverfassung giebt jedem männ-
lichen erwachsenen Gemeindemitgliede das Recht auf einen gleichen Ackerteil, aber legt
ihm auch die Pflicht auf, die entsprechenden Steuern zu tragen und Dienste zu leisten;
sie kommt mit diesem Princip zu häufigen Neuverteilungen des Ackerlandes, die von da
an bedenklich und störend werden, wo die Bevölkerung über das Maß der in der Ge-
meinde vorhandenen Nahrungsstellen gewachsen und wo eine intensivere Bodenbestellung,
eine Fixierung von Kapitalien in den Boden angezeigt ist. Die Folge ist eine Summe
zu kleiner, fast lebensunfähiger, schlecht und extensiv bestellter Ackernahrungen. --

Ist so im neueren Europa meist eine etwas aristokratischer oder etwas demo-
kratischer gefärbte, hier zu erblichem, dort zu zeitweisem Nutzungsrechte ausgestaltete
Verteilung des Bodens an mittlere und kleine bäuerliche Wirte die Grundlage, so erhebt
sich nun über derselben eine andere Entwickelung, die seit den Tagen der Völkerwanderung
wirksam, teilweise die alte Grundlage zerstört, teilweise sie aber nur vorübergehend
beeinflußt und partiell verändert hat. Sie entspringt teils romanischen und kirchlichen
Einflüssen, teils dem Aufsteigen des Königs, des kriegerischen und Dienstadels, dem
Lehenswesen, der Grundherrschaft, erzeugt, wie wir schon sahen, hier ein Obereigentum,
dort einen großen Besitz von 12, 30, 50 und mehr Hufen. Wir wollen hier nicht auf
die Frage zurückkommen, ob die Verschiedenheit des Besitzes und Besitzrechtes das ältere,
die höhere Klassen schaffende, oder ob diese eine Folge der verschiedenen persönlichen
Eigenschaften und Leistungen gewesen sei. Schon Tacitus spricht von Geringen und
Mächtigen, die sich doch an Besitz noch gleich gestanden.

Die angesehenen Fürsten, der Erb- und der Dienstadel wie kluge romanisierte
Priester verstehen es, die antike Grundbesitzordnung für sich zu nützen. Sie hatte auf
dem früher römischen Boden vielfach sich erhalten. Große Güter, abhängige, unfreie
Kolonen darauf, individuelles, unbeschränktes Eigentum bestanden da fort, wo man
germanische Stämme erst an der Hand der römischen Einquartierungsordnung auf-
genommen, dann mit der Hälfte des Grundbesitzes ihrer Gastgeber ausgestattet hatte.
Die Kirche besaß in Gallien zu Ende des 7. Jahrhunderts schon ein Drittel alles Grund
und Bodens. Die Könige beanspruchten als Bodenregal alle großen Flächen unbebauten
Landes; ihnen gehörten große Stücke bebauten konfiszierten Landes, das sie teils
behielten, teils in beliebigen Stücken verschenkten; sie gaben sie ihrem Gefolge als Lehen.
Diese erst lebenslänglichen Lehen wurden später erblich; an die großen Lehen des hohen
Adels schlossen sich in den Jahrhunderten des aufkommenden Reiterdienstes die kleinen
Reiterlehen an, die wenigstens das 4--8 fache einer Bauernhufe ausmachten. Überall
beanspruchten große und kleine Herren in der Mark- und Dorfgenossenschaft die erste
Stelle, galten zuletzt als oberste Märker, ja als Eigentümer des Waldes, der Weiden,
der Fischwasser, an denen die Hufner nur Nutzungsrechte behielten. So roh und brutal
sich da und dort die Inhaber dieses größeren Grundbesitzes gegen die Bauern benahmen,
im ganzen war dieses Eigentum der Grundherren lange ein bloßes Obereigentum; die
Mehrzahl der Bauern war durch ihre genossenschaftliche Verfassung, durch die Fixierung

Das kleine Grundeigentum der Germanen und Slaven. Die Entſtehung des großen.
überwiegend nicht auf den Teilungen, welche die genoſſenſchaftliche Rechtsbaſis hatten; die
Häuptlinge waren längſt Herren des größeren Teiles des Grund und Bodens geworden
und gaben ſie in zu kleinen Stücken gegen Rente an die zahlreichen verarmten pachtenden
Glieder der Sept, des Geſchlechtes.

Im ganzen Slavengebiete hat wahrſcheinlich in älterer Zeit allgemein die Haus-
kommunion geherrſcht (ſ. oben S. 241), d. h. die Familien blieben mehrere Generationen
hindurch zuſammen und wirtſchafteten kommuniſtiſch unter einem Hausvater und einer
Hausmutter; ſie hatten einen entſprechend großen Landbeſitz. Wo aber die Zahl der
Familienglieder zu groß wurde, teilte man, und ſo entſtanden frühe zu kleine Beſitzungen;
auch ſcheint in Böhmen, Polen und Rußland die Hauskommunion ſich früh aufgelöſt und
kleinen Bauernnahrungen Platz gemacht zu haben. Nur in den ſüdſlaviſchen Landen
hat ſie ſich erhalten, iſt aber auch wohl da im Zurückgehen. In Rußland hat ſich das
Princip wiederholter Teilung des Landes in den Bauerngemeinden erſt ſeit dem 16.
und 17. Jahrhundert unter dem Drucke der ſchweren ſtaatlichen und grundherrlichen
Laſten feſtgeſetzt. Die ſeither entſtandene ruſſiſche Gemeindeverfaſſung giebt jedem männ-
lichen erwachſenen Gemeindemitgliede das Recht auf einen gleichen Ackerteil, aber legt
ihm auch die Pflicht auf, die entſprechenden Steuern zu tragen und Dienſte zu leiſten;
ſie kommt mit dieſem Princip zu häufigen Neuverteilungen des Ackerlandes, die von da
an bedenklich und ſtörend werden, wo die Bevölkerung über das Maß der in der Ge-
meinde vorhandenen Nahrungsſtellen gewachſen und wo eine intenſivere Bodenbeſtellung,
eine Fixierung von Kapitalien in den Boden angezeigt iſt. Die Folge iſt eine Summe
zu kleiner, faſt lebensunfähiger, ſchlecht und extenſiv beſtellter Ackernahrungen. —

Iſt ſo im neueren Europa meiſt eine etwas ariſtokratiſcher oder etwas demo-
kratiſcher gefärbte, hier zu erblichem, dort zu zeitweiſem Nutzungsrechte ausgeſtaltete
Verteilung des Bodens an mittlere und kleine bäuerliche Wirte die Grundlage, ſo erhebt
ſich nun über derſelben eine andere Entwickelung, die ſeit den Tagen der Völkerwanderung
wirkſam, teilweiſe die alte Grundlage zerſtört, teilweiſe ſie aber nur vorübergehend
beeinflußt und partiell verändert hat. Sie entſpringt teils romaniſchen und kirchlichen
Einflüſſen, teils dem Aufſteigen des Königs, des kriegeriſchen und Dienſtadels, dem
Lehensweſen, der Grundherrſchaft, erzeugt, wie wir ſchon ſahen, hier ein Obereigentum,
dort einen großen Beſitz von 12, 30, 50 und mehr Hufen. Wir wollen hier nicht auf
die Frage zurückkommen, ob die Verſchiedenheit des Beſitzes und Beſitzrechtes das ältere,
die höhere Klaſſen ſchaffende, oder ob dieſe eine Folge der verſchiedenen perſönlichen
Eigenſchaften und Leiſtungen geweſen ſei. Schon Tacitus ſpricht von Geringen und
Mächtigen, die ſich doch an Beſitz noch gleich geſtanden.

Die angeſehenen Fürſten, der Erb- und der Dienſtadel wie kluge romaniſierte
Prieſter verſtehen es, die antike Grundbeſitzordnung für ſich zu nützen. Sie hatte auf
dem früher römiſchen Boden vielfach ſich erhalten. Große Güter, abhängige, unfreie
Kolonen darauf, individuelles, unbeſchränktes Eigentum beſtanden da fort, wo man
germaniſche Stämme erſt an der Hand der römiſchen Einquartierungsordnung auf-
genommen, dann mit der Hälfte des Grundbeſitzes ihrer Gaſtgeber ausgeſtattet hatte.
Die Kirche beſaß in Gallien zu Ende des 7. Jahrhunderts ſchon ein Drittel alles Grund
und Bodens. Die Könige beanſpruchten als Bodenregal alle großen Flächen unbebauten
Landes; ihnen gehörten große Stücke bebauten konfiszierten Landes, das ſie teils
behielten, teils in beliebigen Stücken verſchenkten; ſie gaben ſie ihrem Gefolge als Lehen.
Dieſe erſt lebenslänglichen Lehen wurden ſpäter erblich; an die großen Lehen des hohen
Adels ſchloſſen ſich in den Jahrhunderten des aufkommenden Reiterdienſtes die kleinen
Reiterlehen an, die wenigſtens das 4—8 fache einer Bauernhufe ausmachten. Überall
beanſpruchten große und kleine Herren in der Mark- und Dorfgenoſſenſchaft die erſte
Stelle, galten zuletzt als oberſte Märker, ja als Eigentümer des Waldes, der Weiden,
der Fiſchwaſſer, an denen die Hufner nur Nutzungsrechte behielten. So roh und brutal
ſich da und dort die Inhaber dieſes größeren Grundbeſitzes gegen die Bauern benahmen,
im ganzen war dieſes Eigentum der Grundherren lange ein bloßes Obereigentum; die
Mehrzahl der Bauern war durch ihre genoſſenſchaftliche Verfaſſung, durch die Fixierung

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[375/0391] Das kleine Grundeigentum der Germanen und Slaven. Die Entſtehung des großen. überwiegend nicht auf den Teilungen, welche die genoſſenſchaftliche Rechtsbaſis hatten; die Häuptlinge waren längſt Herren des größeren Teiles des Grund und Bodens geworden und gaben ſie in zu kleinen Stücken gegen Rente an die zahlreichen verarmten pachtenden Glieder der Sept, des Geſchlechtes. Im ganzen Slavengebiete hat wahrſcheinlich in älterer Zeit allgemein die Haus- kommunion geherrſcht (ſ. oben S. 241), d. h. die Familien blieben mehrere Generationen hindurch zuſammen und wirtſchafteten kommuniſtiſch unter einem Hausvater und einer Hausmutter; ſie hatten einen entſprechend großen Landbeſitz. Wo aber die Zahl der Familienglieder zu groß wurde, teilte man, und ſo entſtanden frühe zu kleine Beſitzungen; auch ſcheint in Böhmen, Polen und Rußland die Hauskommunion ſich früh aufgelöſt und kleinen Bauernnahrungen Platz gemacht zu haben. Nur in den ſüdſlaviſchen Landen hat ſie ſich erhalten, iſt aber auch wohl da im Zurückgehen. In Rußland hat ſich das Princip wiederholter Teilung des Landes in den Bauerngemeinden erſt ſeit dem 16. und 17. Jahrhundert unter dem Drucke der ſchweren ſtaatlichen und grundherrlichen Laſten feſtgeſetzt. Die ſeither entſtandene ruſſiſche Gemeindeverfaſſung giebt jedem männ- lichen erwachſenen Gemeindemitgliede das Recht auf einen gleichen Ackerteil, aber legt ihm auch die Pflicht auf, die entſprechenden Steuern zu tragen und Dienſte zu leiſten; ſie kommt mit dieſem Princip zu häufigen Neuverteilungen des Ackerlandes, die von da an bedenklich und ſtörend werden, wo die Bevölkerung über das Maß der in der Ge- meinde vorhandenen Nahrungsſtellen gewachſen und wo eine intenſivere Bodenbeſtellung, eine Fixierung von Kapitalien in den Boden angezeigt iſt. Die Folge iſt eine Summe zu kleiner, faſt lebensunfähiger, ſchlecht und extenſiv beſtellter Ackernahrungen. — Iſt ſo im neueren Europa meiſt eine etwas ariſtokratiſcher oder etwas demo- kratiſcher gefärbte, hier zu erblichem, dort zu zeitweiſem Nutzungsrechte ausgeſtaltete Verteilung des Bodens an mittlere und kleine bäuerliche Wirte die Grundlage, ſo erhebt ſich nun über derſelben eine andere Entwickelung, die ſeit den Tagen der Völkerwanderung wirkſam, teilweiſe die alte Grundlage zerſtört, teilweiſe ſie aber nur vorübergehend beeinflußt und partiell verändert hat. Sie entſpringt teils romaniſchen und kirchlichen Einflüſſen, teils dem Aufſteigen des Königs, des kriegeriſchen und Dienſtadels, dem Lehensweſen, der Grundherrſchaft, erzeugt, wie wir ſchon ſahen, hier ein Obereigentum, dort einen großen Beſitz von 12, 30, 50 und mehr Hufen. Wir wollen hier nicht auf die Frage zurückkommen, ob die Verſchiedenheit des Beſitzes und Beſitzrechtes das ältere, die höhere Klaſſen ſchaffende, oder ob dieſe eine Folge der verſchiedenen perſönlichen Eigenſchaften und Leiſtungen geweſen ſei. Schon Tacitus ſpricht von Geringen und Mächtigen, die ſich doch an Beſitz noch gleich geſtanden. Die angeſehenen Fürſten, der Erb- und der Dienſtadel wie kluge romaniſierte Prieſter verſtehen es, die antike Grundbeſitzordnung für ſich zu nützen. Sie hatte auf dem früher römiſchen Boden vielfach ſich erhalten. Große Güter, abhängige, unfreie Kolonen darauf, individuelles, unbeſchränktes Eigentum beſtanden da fort, wo man germaniſche Stämme erſt an der Hand der römiſchen Einquartierungsordnung auf- genommen, dann mit der Hälfte des Grundbeſitzes ihrer Gaſtgeber ausgeſtattet hatte. Die Kirche beſaß in Gallien zu Ende des 7. Jahrhunderts ſchon ein Drittel alles Grund und Bodens. Die Könige beanſpruchten als Bodenregal alle großen Flächen unbebauten Landes; ihnen gehörten große Stücke bebauten konfiszierten Landes, das ſie teils behielten, teils in beliebigen Stücken verſchenkten; ſie gaben ſie ihrem Gefolge als Lehen. Dieſe erſt lebenslänglichen Lehen wurden ſpäter erblich; an die großen Lehen des hohen Adels ſchloſſen ſich in den Jahrhunderten des aufkommenden Reiterdienſtes die kleinen Reiterlehen an, die wenigſtens das 4—8 fache einer Bauernhufe ausmachten. Überall beanſpruchten große und kleine Herren in der Mark- und Dorfgenoſſenſchaft die erſte Stelle, galten zuletzt als oberſte Märker, ja als Eigentümer des Waldes, der Weiden, der Fiſchwaſſer, an denen die Hufner nur Nutzungsrechte behielten. So roh und brutal ſich da und dort die Inhaber dieſes größeren Grundbeſitzes gegen die Bauern benahmen, im ganzen war dieſes Eigentum der Grundherren lange ein bloßes Obereigentum; die Mehrzahl der Bauern war durch ihre genoſſenſchaftliche Verfaſſung, durch die Fixierung

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/391>, abgerufen am 28.03.2024.