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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
die Natur und Bedeutung des Rechtes überhaupt, über seine Entstehung aus der Sitte,
über den notwendig formalistischen Charakter alles positiven Rechtes gesagt ist. Das
Eigentumsrecht ist gleichsam der Kernpunkt und das Centrum alles Rechtes, jedenfalls
alles Privatrechtes. Alle dergleichen Rechte und ein Teil des Familien- und Erbrechtes
sind nur ein Anhängsel des Eigentumsrechtes. Ein erheblicher Teil des Obligationen-
und Strafrechtes stellt nur ein Mittel zur Durchführung der Zwecke des Eigentums-
rechtes dar.

Hätten wir nun das Eigentumsrecht vom Standpunkt des Juristen zu erklären
und zu erörtern, so würden wir versuchen, die historisch-genetische Entstehung des
Besitzschutzes, der Prozeßformen, kurz des formalistischen Gesellschaftsapparates zu
schildern, dessen Funktionen die äußere Ausbildung des Eigentumsrechtes ermöglichen.
Diese Aufgabe müssen wir dem Juristen und Rechtsphilosophen überlassen; wir haben
uns vom gesellschaftswissenschaftlichen und volkswirtschaftlichen Standpunkt aus klar zu
werden, wie, an welchem Stoffe, unter welchen Verhältnissen das Eigentumsrecht
entstanden sei, was für Folgen socialer und wirtschaftlicher Art sich daran knüpften,
wie es sich in seinen Grundzügen auf Staat, andere Korporationen, Familien und
Individuen verteilt habe, was es in seinem innersten Kern bedeute. Und wenn wir
dabei zu dem Resultat kommen werden, das Eigentumsrecht sei der Inbegriff der
rechtlichen Regeln, welche die Nutzungsbefugnisse und die Nutzungsverbote der Individuen
und der socialen Organe untereinander in Bezug auf die materiellen Objekte der Außen-
welt festsetzen, so liegt darin schon die ganze Tragweite des Eigentumsrechtes angedeutet
und ebenso seine doppelte Funktion: das Eigentumsrecht ist in seiner äußeren Funktion
eine Schranke, um den Streit zu hindern, bestimmte Bethätigungssphären abzugrenzen;
es ist seiner inneren Funktion nach Gesellschaftsordnung, d. h. eine Institution, welche
Individuen, Familien, Genossenschaften, Gemeinde und Staat zu bestimmtem Zusammen-
wirken veranlaßt und nötigt.

Es mag sehr schwer erscheinen, hier in kurzen Strichen die Grundzüge der
Eigentumsverteilung vorzuführen, ohne vorher die Einkommenslehre vorzutragen, ohne
auf die ganze Rechtsgeschichte des Grund- und beweglichen Eigentumes einzugehen.
Aber da an dieser Stelle vom Eigentum geredet werden muß, als einem der Ecksteine
des volkswirtschaftlichen Lebens, als einer Voraussetzung der gesellschaftlichen Klassen-
bildung und der Unternehmung, wie sie heute die Volkswirtschaft charakterisiert, so
müssen auch die thatsächlichen und historischen Verteilungserscheinungen kurz dargestellt
werden, weil ohne ihre Kenntnis alles Reden über das Eigentum ins Blaue und
Nebelhafte geht. Einzelne Ergebnisse des folgenden Buches, welches den Verteilungs-
prozeß darstellt, müssen dabei schon hier vorweggenommen werden. --

Sobald es eine Gesellschaft gab, mußte auch eine gewisse, wenn auch noch so
primitive Ordnung der Nutzung des Bodens, des Besitzes an Geräten, Gebrauchs-
gegenständen und Nahrungsmitteln vorhanden sein. Man behauptet wohl, daß es bei
den rohesten Stämmen keinen Besitzschutz gebe, daß Kleider und Geräte scheinbar ohne
Gegengabe von einem Individuum zum anderen übergingen, daß jeder Stammesgenosse
bei den anderen unbegrenzte Gastfreundschaft finde. Aber das sind mehr Beweise für
die Wertlosigkeit aller Habe unter bestimmten Verhältnissen, als für das Fehlen jedes
Eigentumsbegriffes. Ein solcher springt deutlich in die Augen, wenn wir hören, daß
selbst der roheste und ärmste Wilde seine Waffen und Werkzeuge als ihm gehörig
ansieht, daß dann bei beginnender Differenzierung der Gesellschaft Vornehmen ihre
Waffen, ja später ihre Weiber und Sklaven ins Grab mitgegeben werden, daß Fürsten
in ihren Palästen begraben, und die letzteren für immer mit ihren Schätzen verlassen
werden. Ein gewisser Eigentumsschutz wurde überhaupt den Göttern und Häuptlingen,
auch den Priestern eher zu teil, als anderen Menschen. Aber auch für sie fehlte er
nicht. Wir sehen jedenfalls bei Jägern und Hackbauern, daß teils der Stamm und
die Gens, teils die Mutter mit ihren Kindern und die Individuen zu bestimmten
Teilen der Außenwelt in ausschließliche Beziehung gebracht, als ausschließliche Nutzungs-
und Verfügungsberechtigte betrachtet werden. Wo die Horden und Stämme lagern, Quellen

Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
die Natur und Bedeutung des Rechtes überhaupt, über ſeine Entſtehung aus der Sitte,
über den notwendig formaliſtiſchen Charakter alles poſitiven Rechtes geſagt iſt. Das
Eigentumsrecht iſt gleichſam der Kernpunkt und das Centrum alles Rechtes, jedenfalls
alles Privatrechtes. Alle dergleichen Rechte und ein Teil des Familien- und Erbrechtes
ſind nur ein Anhängſel des Eigentumsrechtes. Ein erheblicher Teil des Obligationen-
und Strafrechtes ſtellt nur ein Mittel zur Durchführung der Zwecke des Eigentums-
rechtes dar.

Hätten wir nun das Eigentumsrecht vom Standpunkt des Juriſten zu erklären
und zu erörtern, ſo würden wir verſuchen, die hiſtoriſch-genetiſche Entſtehung des
Beſitzſchutzes, der Prozeßformen, kurz des formaliſtiſchen Geſellſchaftsapparates zu
ſchildern, deſſen Funktionen die äußere Ausbildung des Eigentumsrechtes ermöglichen.
Dieſe Aufgabe müſſen wir dem Juriſten und Rechtsphiloſophen überlaſſen; wir haben
uns vom geſellſchaftswiſſenſchaftlichen und volkswirtſchaftlichen Standpunkt aus klar zu
werden, wie, an welchem Stoffe, unter welchen Verhältniſſen das Eigentumsrecht
entſtanden ſei, was für Folgen ſocialer und wirtſchaftlicher Art ſich daran knüpften,
wie es ſich in ſeinen Grundzügen auf Staat, andere Korporationen, Familien und
Individuen verteilt habe, was es in ſeinem innerſten Kern bedeute. Und wenn wir
dabei zu dem Reſultat kommen werden, das Eigentumsrecht ſei der Inbegriff der
rechtlichen Regeln, welche die Nutzungsbefugniſſe und die Nutzungsverbote der Individuen
und der ſocialen Organe untereinander in Bezug auf die materiellen Objekte der Außen-
welt feſtſetzen, ſo liegt darin ſchon die ganze Tragweite des Eigentumsrechtes angedeutet
und ebenſo ſeine doppelte Funktion: das Eigentumsrecht iſt in ſeiner äußeren Funktion
eine Schranke, um den Streit zu hindern, beſtimmte Bethätigungsſphären abzugrenzen;
es iſt ſeiner inneren Funktion nach Geſellſchaftsordnung, d. h. eine Inſtitution, welche
Individuen, Familien, Genoſſenſchaften, Gemeinde und Staat zu beſtimmtem Zuſammen-
wirken veranlaßt und nötigt.

Es mag ſehr ſchwer erſcheinen, hier in kurzen Strichen die Grundzüge der
Eigentumsverteilung vorzuführen, ohne vorher die Einkommenslehre vorzutragen, ohne
auf die ganze Rechtsgeſchichte des Grund- und beweglichen Eigentumes einzugehen.
Aber da an dieſer Stelle vom Eigentum geredet werden muß, als einem der Eckſteine
des volkswirtſchaftlichen Lebens, als einer Vorausſetzung der geſellſchaftlichen Klaſſen-
bildung und der Unternehmung, wie ſie heute die Volkswirtſchaft charakteriſiert, ſo
müſſen auch die thatſächlichen und hiſtoriſchen Verteilungserſcheinungen kurz dargeſtellt
werden, weil ohne ihre Kenntnis alles Reden über das Eigentum ins Blaue und
Nebelhafte geht. Einzelne Ergebniſſe des folgenden Buches, welches den Verteilungs-
prozeß darſtellt, müſſen dabei ſchon hier vorweggenommen werden. —

Sobald es eine Geſellſchaft gab, mußte auch eine gewiſſe, wenn auch noch ſo
primitive Ordnung der Nutzung des Bodens, des Beſitzes an Geräten, Gebrauchs-
gegenſtänden und Nahrungsmitteln vorhanden ſein. Man behauptet wohl, daß es bei
den roheſten Stämmen keinen Beſitzſchutz gebe, daß Kleider und Geräte ſcheinbar ohne
Gegengabe von einem Individuum zum anderen übergingen, daß jeder Stammesgenoſſe
bei den anderen unbegrenzte Gaſtfreundſchaft finde. Aber das ſind mehr Beweiſe für
die Wertloſigkeit aller Habe unter beſtimmten Verhältniſſen, als für das Fehlen jedes
Eigentumsbegriffes. Ein ſolcher ſpringt deutlich in die Augen, wenn wir hören, daß
ſelbſt der roheſte und ärmſte Wilde ſeine Waffen und Werkzeuge als ihm gehörig
anſieht, daß dann bei beginnender Differenzierung der Geſellſchaft Vornehmen ihre
Waffen, ja ſpäter ihre Weiber und Sklaven ins Grab mitgegeben werden, daß Fürſten
in ihren Paläſten begraben, und die letzteren für immer mit ihren Schätzen verlaſſen
werden. Ein gewiſſer Eigentumsſchutz wurde überhaupt den Göttern und Häuptlingen,
auch den Prieſtern eher zu teil, als anderen Menſchen. Aber auch für ſie fehlte er
nicht. Wir ſehen jedenfalls bei Jägern und Hackbauern, daß teils der Stamm und
die Gens, teils die Mutter mit ihren Kindern und die Individuen zu beſtimmten
Teilen der Außenwelt in ausſchließliche Beziehung gebracht, als ausſchließliche Nutzungs-
und Verfügungsberechtigte betrachtet werden. Wo die Horden und Stämme lagern, Quellen

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[368/0384] Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. die Natur und Bedeutung des Rechtes überhaupt, über ſeine Entſtehung aus der Sitte, über den notwendig formaliſtiſchen Charakter alles poſitiven Rechtes geſagt iſt. Das Eigentumsrecht iſt gleichſam der Kernpunkt und das Centrum alles Rechtes, jedenfalls alles Privatrechtes. Alle dergleichen Rechte und ein Teil des Familien- und Erbrechtes ſind nur ein Anhängſel des Eigentumsrechtes. Ein erheblicher Teil des Obligationen- und Strafrechtes ſtellt nur ein Mittel zur Durchführung der Zwecke des Eigentums- rechtes dar. Hätten wir nun das Eigentumsrecht vom Standpunkt des Juriſten zu erklären und zu erörtern, ſo würden wir verſuchen, die hiſtoriſch-genetiſche Entſtehung des Beſitzſchutzes, der Prozeßformen, kurz des formaliſtiſchen Geſellſchaftsapparates zu ſchildern, deſſen Funktionen die äußere Ausbildung des Eigentumsrechtes ermöglichen. Dieſe Aufgabe müſſen wir dem Juriſten und Rechtsphiloſophen überlaſſen; wir haben uns vom geſellſchaftswiſſenſchaftlichen und volkswirtſchaftlichen Standpunkt aus klar zu werden, wie, an welchem Stoffe, unter welchen Verhältniſſen das Eigentumsrecht entſtanden ſei, was für Folgen ſocialer und wirtſchaftlicher Art ſich daran knüpften, wie es ſich in ſeinen Grundzügen auf Staat, andere Korporationen, Familien und Individuen verteilt habe, was es in ſeinem innerſten Kern bedeute. Und wenn wir dabei zu dem Reſultat kommen werden, das Eigentumsrecht ſei der Inbegriff der rechtlichen Regeln, welche die Nutzungsbefugniſſe und die Nutzungsverbote der Individuen und der ſocialen Organe untereinander in Bezug auf die materiellen Objekte der Außen- welt feſtſetzen, ſo liegt darin ſchon die ganze Tragweite des Eigentumsrechtes angedeutet und ebenſo ſeine doppelte Funktion: das Eigentumsrecht iſt in ſeiner äußeren Funktion eine Schranke, um den Streit zu hindern, beſtimmte Bethätigungsſphären abzugrenzen; es iſt ſeiner inneren Funktion nach Geſellſchaftsordnung, d. h. eine Inſtitution, welche Individuen, Familien, Genoſſenſchaften, Gemeinde und Staat zu beſtimmtem Zuſammen- wirken veranlaßt und nötigt. Es mag ſehr ſchwer erſcheinen, hier in kurzen Strichen die Grundzüge der Eigentumsverteilung vorzuführen, ohne vorher die Einkommenslehre vorzutragen, ohne auf die ganze Rechtsgeſchichte des Grund- und beweglichen Eigentumes einzugehen. Aber da an dieſer Stelle vom Eigentum geredet werden muß, als einem der Eckſteine des volkswirtſchaftlichen Lebens, als einer Vorausſetzung der geſellſchaftlichen Klaſſen- bildung und der Unternehmung, wie ſie heute die Volkswirtſchaft charakteriſiert, ſo müſſen auch die thatſächlichen und hiſtoriſchen Verteilungserſcheinungen kurz dargeſtellt werden, weil ohne ihre Kenntnis alles Reden über das Eigentum ins Blaue und Nebelhafte geht. Einzelne Ergebniſſe des folgenden Buches, welches den Verteilungs- prozeß darſtellt, müſſen dabei ſchon hier vorweggenommen werden. — Sobald es eine Geſellſchaft gab, mußte auch eine gewiſſe, wenn auch noch ſo primitive Ordnung der Nutzung des Bodens, des Beſitzes an Geräten, Gebrauchs- gegenſtänden und Nahrungsmitteln vorhanden ſein. Man behauptet wohl, daß es bei den roheſten Stämmen keinen Beſitzſchutz gebe, daß Kleider und Geräte ſcheinbar ohne Gegengabe von einem Individuum zum anderen übergingen, daß jeder Stammesgenoſſe bei den anderen unbegrenzte Gaſtfreundſchaft finde. Aber das ſind mehr Beweiſe für die Wertloſigkeit aller Habe unter beſtimmten Verhältniſſen, als für das Fehlen jedes Eigentumsbegriffes. Ein ſolcher ſpringt deutlich in die Augen, wenn wir hören, daß ſelbſt der roheſte und ärmſte Wilde ſeine Waffen und Werkzeuge als ihm gehörig anſieht, daß dann bei beginnender Differenzierung der Geſellſchaft Vornehmen ihre Waffen, ja ſpäter ihre Weiber und Sklaven ins Grab mitgegeben werden, daß Fürſten in ihren Paläſten begraben, und die letzteren für immer mit ihren Schätzen verlaſſen werden. Ein gewiſſer Eigentumsſchutz wurde überhaupt den Göttern und Häuptlingen, auch den Prieſtern eher zu teil, als anderen Menſchen. Aber auch für ſie fehlte er nicht. Wir ſehen jedenfalls bei Jägern und Hackbauern, daß teils der Stamm und die Gens, teils die Mutter mit ihren Kindern und die Individuen zu beſtimmten Teilen der Außenwelt in ausſchließliche Beziehung gebracht, als ausſchließliche Nutzungs- und Verfügungsberechtigte betrachtet werden. Wo die Horden und Stämme lagern, Quellen

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/384>, abgerufen am 19.04.2024.