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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Der gesellschaftliche Erfolg der Arbeitsteilung.
und Genies so mit Hülfe der Arbeitsteilung ersannen, das macht in der Folge als
objektive Arbeitsmaxime die Arbeit von Millionen fruchtbarer. Indem arbeitsteilige
Organe uns besonders das abnehmen, was uns übermäßig viel Zeit und Mühe kostet,
weil wir es nicht regelmäßig üben, was uns, wie die Bestellung von Briefen, der
nächtliche Schutz unseres Hauses, nicht mehr Mühe macht, ob wir es für uns allein
oder für 10 und 100 Nachbarn zugleich besorgen, entsteht eine gesellschaftliche Zeit-
ersparnis ohnegleichen.

Der heutige Staat, die heutige Volks- und Weltwirtschaft mit all' ihrem Glanz,
ihrem Reichtum, sie sind ein Ergebnis der Arbeitsteilung. Die Existenz eines neben-
einander bestehenden regulierenden, produzierenden und verteilenden Systems von Or-
ganen, wie es Herbert Spencer ausdrückt, und alles Zusammenwirken dieser regierenden,
schaffenden und verteilenden Kreise, die Spaltung der regierenden in centrale und lokale,
in Specialzweige, in befehlende und ausführende Organe, die Abzweigung der wirtschaft-
lichen Leitung von der regierenden in der Gesellschaft, die Scheidung der liberalen Berufe
von den kirchlichen Funktionen, die Gegensätze von Stadt und Land, von Gewerbe,
Handel und Landwirtschaft, von Unternehmer und Arbeiter, kurz alles dieses kompliziertere
Kulturleben ist eine Folge der Arbeitsteilung. Durch sie kommen alle Glieder einer
Gesellschaft in immer größere Abhängigkeit von einander; die Vergesellschaftung wächst;
oft wachsen auch die Konflikte und Reibungen; aber zuletzt müssen die Lösungen gefunden,
die richtigen Verbindungen hergestellt werden. Insofern liegt in der Arbeitsteilung der
Antrieb zum sittlichen Fortschritte, zu immer besseren Institutionen. So oft die Völker
an dem Probleme strauchelten, so viele darüber zu Grunde gingen, den fähigsten gelang
es. Die zunehmende Arbeitsteilung ging bei ihnen Hand in Hand mit dem intellek-
tuellen und moralischen Fortschritte. Die Völker mit der größten Arbeitsteilung sind
doch die an Macht, Größe, Bevölkerung, Reichtum, Ausbreitungsmöglichkeit ersten; sie
sind denen mit geringerer Arbeitsteilung überlegen, sie bleiben die Sieger im welt-
geschichtlichen Kampfe um den Erdball.

Aber dieser große Erfolg für die Gesamtheit wird nicht ohne schwere Opfer für
einzelne Individuen und Klassen erreicht. Die Arbeitsteilung fordert von ihnen, daß
sie sich einzelnen Aufgaben anpassen, daß sie vielfach ihre Eigenzwecke hintansetzen hinter
die Thätigkeit für andere, für die Gesellschaft; sie fordert die komplizierten Kompromisse,
deren psychologische Voraussetzungen oft ebenso schwer herzustellen sind, wie ihre Durchführung
Körper und Geist schädigen. Seit es eine Arbeitsteilung giebt, haben die Klagen über
sie vom individuellen Standpunkt nicht aufgehört. Zumal die neuen großen Fortschritte
der Arbeitsteilung, deren richtige Begrenzung und Versöhnung mit den Ansprüchen
individueller Ausbildung und harmonischer Lebensführung so vielfach noch nicht gefunden
sind, haben sie aufs neue gesteigert. Die Naturschwärmerei Rousseaus und des ganzen
18. Jahrhunderts ist ein Protest gegen die Arbeitsteilung. Schiller klagt, daß sie den
an ein kleines Bruchstück des Ganzen gefesselten Menschen nur zu einem Bruchstück
ausbilde, Hölderlin jammert, man sehe heute nur Handwerker, Priester etc., aber keine
Menschen. Der socialistische Urquhart meint: einen Menschen unterabteilen heißt ihn
hinrichten, wenn er das Todesurteil verdient hat, ihn meuchelmorden, wenn er es nicht
verdient hat; die Unterabteilung der Arbeit ist der Meuchelmord eines Volkes. Engels
klagt, der erste große Schritt der Arbeitsteilung, die Scheidung von Stadt und Land,
habe die Landbevölkerung zu jahrtausendelanger Verdummung verurteilt; "indem die
Arbeit geteilt wird, wird auch der Mensch geteilt; der Ausbildung einer einzigen
Thätigkeit werden alle übrigen körperlichen und geistigen Fähigkeiten zum Opfer
gebracht". Von der Maschine und der modernen Technik hofft er Beseitigung aller
Arbeitsteilung, wie er vom Verschwinden des Gegensatzes von Stadt und Land träumt.
Alle derartigen Vorwürfe gegen die Arbeitsteilung haben darin recht, daß sie die
harmonische Ausbildung der menschlichen Körper- und Geisteskräfte als individualistisches
Lebensideal betonen gegenüber der einseitigen Thätigkeit in einem erschöpfenden Lebens-
beruf; sie haben auch darin recht, daß dieses individualistische Lebensideal immer wieder
sich geltend machen muß gegenüber den Ansprüchen der Gesellschaft und den über-

Der geſellſchaftliche Erfolg der Arbeitsteilung.
und Genies ſo mit Hülfe der Arbeitsteilung erſannen, das macht in der Folge als
objektive Arbeitsmaxime die Arbeit von Millionen fruchtbarer. Indem arbeitsteilige
Organe uns beſonders das abnehmen, was uns übermäßig viel Zeit und Mühe koſtet,
weil wir es nicht regelmäßig üben, was uns, wie die Beſtellung von Briefen, der
nächtliche Schutz unſeres Hauſes, nicht mehr Mühe macht, ob wir es für uns allein
oder für 10 und 100 Nachbarn zugleich beſorgen, entſteht eine geſellſchaftliche Zeit-
erſparnis ohnegleichen.

Der heutige Staat, die heutige Volks- und Weltwirtſchaft mit all’ ihrem Glanz,
ihrem Reichtum, ſie ſind ein Ergebnis der Arbeitsteilung. Die Exiſtenz eines neben-
einander beſtehenden regulierenden, produzierenden und verteilenden Syſtems von Or-
ganen, wie es Herbert Spencer ausdrückt, und alles Zuſammenwirken dieſer regierenden,
ſchaffenden und verteilenden Kreiſe, die Spaltung der regierenden in centrale und lokale,
in Specialzweige, in befehlende und ausführende Organe, die Abzweigung der wirtſchaft-
lichen Leitung von der regierenden in der Geſellſchaft, die Scheidung der liberalen Berufe
von den kirchlichen Funktionen, die Gegenſätze von Stadt und Land, von Gewerbe,
Handel und Landwirtſchaft, von Unternehmer und Arbeiter, kurz alles dieſes kompliziertere
Kulturleben iſt eine Folge der Arbeitsteilung. Durch ſie kommen alle Glieder einer
Geſellſchaft in immer größere Abhängigkeit von einander; die Vergeſellſchaftung wächſt;
oft wachſen auch die Konflikte und Reibungen; aber zuletzt müſſen die Löſungen gefunden,
die richtigen Verbindungen hergeſtellt werden. Inſofern liegt in der Arbeitsteilung der
Antrieb zum ſittlichen Fortſchritte, zu immer beſſeren Inſtitutionen. So oft die Völker
an dem Probleme ſtrauchelten, ſo viele darüber zu Grunde gingen, den fähigſten gelang
es. Die zunehmende Arbeitsteilung ging bei ihnen Hand in Hand mit dem intellek-
tuellen und moraliſchen Fortſchritte. Die Völker mit der größten Arbeitsteilung ſind
doch die an Macht, Größe, Bevölkerung, Reichtum, Ausbreitungsmöglichkeit erſten; ſie
ſind denen mit geringerer Arbeitsteilung überlegen, ſie bleiben die Sieger im welt-
geſchichtlichen Kampfe um den Erdball.

Aber dieſer große Erfolg für die Geſamtheit wird nicht ohne ſchwere Opfer für
einzelne Individuen und Klaſſen erreicht. Die Arbeitsteilung fordert von ihnen, daß
ſie ſich einzelnen Aufgaben anpaſſen, daß ſie vielfach ihre Eigenzwecke hintanſetzen hinter
die Thätigkeit für andere, für die Geſellſchaft; ſie fordert die komplizierten Kompromiſſe,
deren pſychologiſche Vorausſetzungen oft ebenſo ſchwer herzuſtellen ſind, wie ihre Durchführung
Körper und Geiſt ſchädigen. Seit es eine Arbeitsteilung giebt, haben die Klagen über
ſie vom individuellen Standpunkt nicht aufgehört. Zumal die neuen großen Fortſchritte
der Arbeitsteilung, deren richtige Begrenzung und Verſöhnung mit den Anſprüchen
individueller Ausbildung und harmoniſcher Lebensführung ſo vielfach noch nicht gefunden
ſind, haben ſie aufs neue geſteigert. Die Naturſchwärmerei Rouſſeaus und des ganzen
18. Jahrhunderts iſt ein Proteſt gegen die Arbeitsteilung. Schiller klagt, daß ſie den
an ein kleines Bruchſtück des Ganzen gefeſſelten Menſchen nur zu einem Bruchſtück
ausbilde, Hölderlin jammert, man ſehe heute nur Handwerker, Prieſter ꝛc., aber keine
Menſchen. Der ſocialiſtiſche Urquhart meint: einen Menſchen unterabteilen heißt ihn
hinrichten, wenn er das Todesurteil verdient hat, ihn meuchelmorden, wenn er es nicht
verdient hat; die Unterabteilung der Arbeit iſt der Meuchelmord eines Volkes. Engels
klagt, der erſte große Schritt der Arbeitsteilung, die Scheidung von Stadt und Land,
habe die Landbevölkerung zu jahrtauſendelanger Verdummung verurteilt; „indem die
Arbeit geteilt wird, wird auch der Menſch geteilt; der Ausbildung einer einzigen
Thätigkeit werden alle übrigen körperlichen und geiſtigen Fähigkeiten zum Opfer
gebracht“. Von der Maſchine und der modernen Technik hofft er Beſeitigung aller
Arbeitsteilung, wie er vom Verſchwinden des Gegenſatzes von Stadt und Land träumt.
Alle derartigen Vorwürfe gegen die Arbeitsteilung haben darin recht, daß ſie die
harmoniſche Ausbildung der menſchlichen Körper- und Geiſteskräfte als individualiſtiſches
Lebensideal betonen gegenüber der einſeitigen Thätigkeit in einem erſchöpfenden Lebens-
beruf; ſie haben auch darin recht, daß dieſes individualiſtiſche Lebensideal immer wieder
ſich geltend machen muß gegenüber den Anſprüchen der Geſellſchaft und den über-

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[365/0381] Der geſellſchaftliche Erfolg der Arbeitsteilung. und Genies ſo mit Hülfe der Arbeitsteilung erſannen, das macht in der Folge als objektive Arbeitsmaxime die Arbeit von Millionen fruchtbarer. Indem arbeitsteilige Organe uns beſonders das abnehmen, was uns übermäßig viel Zeit und Mühe koſtet, weil wir es nicht regelmäßig üben, was uns, wie die Beſtellung von Briefen, der nächtliche Schutz unſeres Hauſes, nicht mehr Mühe macht, ob wir es für uns allein oder für 10 und 100 Nachbarn zugleich beſorgen, entſteht eine geſellſchaftliche Zeit- erſparnis ohnegleichen. Der heutige Staat, die heutige Volks- und Weltwirtſchaft mit all’ ihrem Glanz, ihrem Reichtum, ſie ſind ein Ergebnis der Arbeitsteilung. Die Exiſtenz eines neben- einander beſtehenden regulierenden, produzierenden und verteilenden Syſtems von Or- ganen, wie es Herbert Spencer ausdrückt, und alles Zuſammenwirken dieſer regierenden, ſchaffenden und verteilenden Kreiſe, die Spaltung der regierenden in centrale und lokale, in Specialzweige, in befehlende und ausführende Organe, die Abzweigung der wirtſchaft- lichen Leitung von der regierenden in der Geſellſchaft, die Scheidung der liberalen Berufe von den kirchlichen Funktionen, die Gegenſätze von Stadt und Land, von Gewerbe, Handel und Landwirtſchaft, von Unternehmer und Arbeiter, kurz alles dieſes kompliziertere Kulturleben iſt eine Folge der Arbeitsteilung. Durch ſie kommen alle Glieder einer Geſellſchaft in immer größere Abhängigkeit von einander; die Vergeſellſchaftung wächſt; oft wachſen auch die Konflikte und Reibungen; aber zuletzt müſſen die Löſungen gefunden, die richtigen Verbindungen hergeſtellt werden. Inſofern liegt in der Arbeitsteilung der Antrieb zum ſittlichen Fortſchritte, zu immer beſſeren Inſtitutionen. So oft die Völker an dem Probleme ſtrauchelten, ſo viele darüber zu Grunde gingen, den fähigſten gelang es. Die zunehmende Arbeitsteilung ging bei ihnen Hand in Hand mit dem intellek- tuellen und moraliſchen Fortſchritte. Die Völker mit der größten Arbeitsteilung ſind doch die an Macht, Größe, Bevölkerung, Reichtum, Ausbreitungsmöglichkeit erſten; ſie ſind denen mit geringerer Arbeitsteilung überlegen, ſie bleiben die Sieger im welt- geſchichtlichen Kampfe um den Erdball. Aber dieſer große Erfolg für die Geſamtheit wird nicht ohne ſchwere Opfer für einzelne Individuen und Klaſſen erreicht. Die Arbeitsteilung fordert von ihnen, daß ſie ſich einzelnen Aufgaben anpaſſen, daß ſie vielfach ihre Eigenzwecke hintanſetzen hinter die Thätigkeit für andere, für die Geſellſchaft; ſie fordert die komplizierten Kompromiſſe, deren pſychologiſche Vorausſetzungen oft ebenſo ſchwer herzuſtellen ſind, wie ihre Durchführung Körper und Geiſt ſchädigen. Seit es eine Arbeitsteilung giebt, haben die Klagen über ſie vom individuellen Standpunkt nicht aufgehört. Zumal die neuen großen Fortſchritte der Arbeitsteilung, deren richtige Begrenzung und Verſöhnung mit den Anſprüchen individueller Ausbildung und harmoniſcher Lebensführung ſo vielfach noch nicht gefunden ſind, haben ſie aufs neue geſteigert. Die Naturſchwärmerei Rouſſeaus und des ganzen 18. Jahrhunderts iſt ein Proteſt gegen die Arbeitsteilung. Schiller klagt, daß ſie den an ein kleines Bruchſtück des Ganzen gefeſſelten Menſchen nur zu einem Bruchſtück ausbilde, Hölderlin jammert, man ſehe heute nur Handwerker, Prieſter ꝛc., aber keine Menſchen. Der ſocialiſtiſche Urquhart meint: einen Menſchen unterabteilen heißt ihn hinrichten, wenn er das Todesurteil verdient hat, ihn meuchelmorden, wenn er es nicht verdient hat; die Unterabteilung der Arbeit iſt der Meuchelmord eines Volkes. Engels klagt, der erſte große Schritt der Arbeitsteilung, die Scheidung von Stadt und Land, habe die Landbevölkerung zu jahrtauſendelanger Verdummung verurteilt; „indem die Arbeit geteilt wird, wird auch der Menſch geteilt; der Ausbildung einer einzigen Thätigkeit werden alle übrigen körperlichen und geiſtigen Fähigkeiten zum Opfer gebracht“. Von der Maſchine und der modernen Technik hofft er Beſeitigung aller Arbeitsteilung, wie er vom Verſchwinden des Gegenſatzes von Stadt und Land träumt. Alle derartigen Vorwürfe gegen die Arbeitsteilung haben darin recht, daß ſie die harmoniſche Ausbildung der menſchlichen Körper- und Geiſteskräfte als individualiſtiſches Lebensideal betonen gegenüber der einſeitigen Thätigkeit in einem erſchöpfenden Lebens- beruf; ſie haben auch darin recht, daß dieſes individualiſtiſche Lebensideal immer wieder ſich geltend machen muß gegenüber den Anſprüchen der Geſellſchaft und den über-

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/381>, abgerufen am 24.04.2024.