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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
einzutreten. Aus dem Zusammenwirken der neuen Technik, des neuen Rechtes, der
persönlichen Freiheit, der vordringenden Geldwirtschaft, der bestehenden Gesellschafts-
verhältnisse, der Bevölkerungszunahme ergab sich das neuere Arbeitsverhältnis, der
moderne Stand von Lohnarbeitern, seine Basierung auf den freien Arbeitsvertrag. Das
Wesentliche ist dabei folgendes.

Nicht mehr bloß jüngere Leute stehen in abhängigen dauernden Arbeitsstellungen,
sondern auch verheiratete Familienväter und Frauen; ein großer Teil der Arbeitenden
hat keine Hoffnung, wie es früher vielfach der Fall war, mit den Jahren an die Spitze
eines Kleinbetriebes zu kommen; die Mehrzahl der Arbeitenden verkauft nicht einzelne
Arbeitsleistungen, wie die Dienste leistenden Handwerker, sondern sie verrichten in einem
wenn auch löslichen, doch festen und ihre Lebensführung beherrschenden Arbeitsverhältnis
für einen Arbeitgeber täglich bestimmte gleichmäßig sich wiederholende Dienste und
Arbeiten. Aber dafür ist auch für die Mehrzahl der Arbeiter durch eine gleichmäßig
fortgehende Einnahme die Existenz wenigstens einigermaßen gesichert; eine erbliche oder
lebenslängliche Berufsbindung, wie früher, besteht nicht; jeder kann seiner Fähigkeit
entsprechend sich seinen Verdienst suchen, wo und wie er will. Darin lag eben der
wesentliche Fortschritt. Der Arbeiter ist selbst verantwortlich gemacht; und wenn erst
langsam das rechte Gefühl dieser Verantwortlichkeit sich bildete, wenn es zunächst nur
eine Elite haben konnte, die übrigen ohne die alten Gängelbande teilweise zurückgingen,
der Segen der Freiheit trat doch nach und nach ein, zeigte sich in dem Maße, wie der
Arbeitsvertrag sich richtig ausgestaltete, der Arbeiterstand sich hob. Auch wo der
größere Teil der Arbeitenden erhebliche andere wirtschaftliche Mittel der Existenz nicht
hat als den täglich verdienten Lohn, der nur bei den höheren Stufen sich in Jahres-
gehalte mit dauernder Anstellung verwandelt, konnten Reformen aller Art das Arbeits-
verhältnis verbessern, wie wir im zweiten Teile sehen werden. Auf die einzelnen Seiten
des heutigen Arbeitsvertrages in wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht kommen
wir daselbst.

Hier haben wir nur die Entstehung des freien Arbeiterstandes klarzulegen als
ein Glied in der Kette der gesellschaftlichen Arbeits- und Berufsteilung. So Ver-
schiedenes er umfaßt, wie einst die Sklaverei und die Hörigkeit, alle, welche wir zu ihm rechnen,
stehen nicht bloß unter einer ähnlichen Rechts- und Wirtschaftsinstitution, sondern zeigen
auch den übereinstimmenden Zug, daß sie die mehr ausführende, die mehr mechanische
Arbeit arbeitsteilig auszuführen haben, daß sie durch diese Teilung an ihre Arbeitgeber
gekettet sind, daß beide zusammen eine gesellschaftliche Organisation darstellen, auf deren
Wesen wir bei der Lehre von der Unternehmung kommen.

Hier haben wir nur noch die Frage zu beantworten, wie groß dieser Lohn-
arbeiterstand sei und aus welchen einzelnen Elementen er sich zusammensetze. So wenig
sicher die statistischen Grundlagen hiefür sind, so geben sie doch einigen Anhalt. Für
den alten preußischen Staat möchte ich folgende, freilich weder erschöpfende noch ganz
sichere Angaben wagen. Es gab etwa:

[Tabelle]

Also ohne Dienstboten von 1816--67 eine Zunahme von 1,3 auf 3,9 mit ihnen
von etwa 2,3 auf 4,9 Mill.; in Prozenten der ganzen Bevölkerung ein Wachstum von
13 auf 19, mit den Dienstboten von 22 auf 24 %; der ganze preußische Staat dürfte
1867 etwas über 5, mit Dienstboten etwas über 6 Mill. Arbeiter gehabt haben; im
Jahre 1895 zählte Preußen in Landwirtschaft, Industrie und Handel 7,5 Mill. Arbeiter
(ohne Dienstboten). Das Deutsche Reich hatte nach den Berufszählungen von 1882
10,7, von 1895 12,8 Mill. Arbeiter in diesen Produktionszweigen (ohne 0,6 Mill.
höhere Angestellte, 0,4 Mill. wechselnde Lohnarbeiter und 1,3 Mill. Dienstboten, auch

Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
einzutreten. Aus dem Zuſammenwirken der neuen Technik, des neuen Rechtes, der
perſönlichen Freiheit, der vordringenden Geldwirtſchaft, der beſtehenden Geſellſchafts-
verhältniſſe, der Bevölkerungszunahme ergab ſich das neuere Arbeitsverhältnis, der
moderne Stand von Lohnarbeitern, ſeine Baſierung auf den freien Arbeitsvertrag. Das
Weſentliche iſt dabei folgendes.

Nicht mehr bloß jüngere Leute ſtehen in abhängigen dauernden Arbeitsſtellungen,
ſondern auch verheiratete Familienväter und Frauen; ein großer Teil der Arbeitenden
hat keine Hoffnung, wie es früher vielfach der Fall war, mit den Jahren an die Spitze
eines Kleinbetriebes zu kommen; die Mehrzahl der Arbeitenden verkauft nicht einzelne
Arbeitsleiſtungen, wie die Dienſte leiſtenden Handwerker, ſondern ſie verrichten in einem
wenn auch löslichen, doch feſten und ihre Lebensführung beherrſchenden Arbeitsverhältnis
für einen Arbeitgeber täglich beſtimmte gleichmäßig ſich wiederholende Dienſte und
Arbeiten. Aber dafür iſt auch für die Mehrzahl der Arbeiter durch eine gleichmäßig
fortgehende Einnahme die Exiſtenz wenigſtens einigermaßen geſichert; eine erbliche oder
lebenslängliche Berufsbindung, wie früher, beſteht nicht; jeder kann ſeiner Fähigkeit
entſprechend ſich ſeinen Verdienſt ſuchen, wo und wie er will. Darin lag eben der
weſentliche Fortſchritt. Der Arbeiter iſt ſelbſt verantwortlich gemacht; und wenn erſt
langſam das rechte Gefühl dieſer Verantwortlichkeit ſich bildete, wenn es zunächſt nur
eine Elite haben konnte, die übrigen ohne die alten Gängelbande teilweiſe zurückgingen,
der Segen der Freiheit trat doch nach und nach ein, zeigte ſich in dem Maße, wie der
Arbeitsvertrag ſich richtig ausgeſtaltete, der Arbeiterſtand ſich hob. Auch wo der
größere Teil der Arbeitenden erhebliche andere wirtſchaftliche Mittel der Exiſtenz nicht
hat als den täglich verdienten Lohn, der nur bei den höheren Stufen ſich in Jahres-
gehalte mit dauernder Anſtellung verwandelt, konnten Reformen aller Art das Arbeits-
verhältnis verbeſſern, wie wir im zweiten Teile ſehen werden. Auf die einzelnen Seiten
des heutigen Arbeitsvertrages in wirtſchaftlicher und rechtlicher Hinſicht kommen
wir daſelbſt.

Hier haben wir nur die Entſtehung des freien Arbeiterſtandes klarzulegen als
ein Glied in der Kette der geſellſchaftlichen Arbeits- und Berufsteilung. So Ver-
ſchiedenes er umfaßt, wie einſt die Sklaverei und die Hörigkeit, alle, welche wir zu ihm rechnen,
ſtehen nicht bloß unter einer ähnlichen Rechts- und Wirtſchaftsinſtitution, ſondern zeigen
auch den übereinſtimmenden Zug, daß ſie die mehr ausführende, die mehr mechaniſche
Arbeit arbeitsteilig auszuführen haben, daß ſie durch dieſe Teilung an ihre Arbeitgeber
gekettet ſind, daß beide zuſammen eine geſellſchaftliche Organiſation darſtellen, auf deren
Weſen wir bei der Lehre von der Unternehmung kommen.

Hier haben wir nur noch die Frage zu beantworten, wie groß dieſer Lohn-
arbeiterſtand ſei und aus welchen einzelnen Elementen er ſich zuſammenſetze. So wenig
ſicher die ſtatiſtiſchen Grundlagen hiefür ſind, ſo geben ſie doch einigen Anhalt. Für
den alten preußiſchen Staat möchte ich folgende, freilich weder erſchöpfende noch ganz
ſichere Angaben wagen. Es gab etwa:

[Tabelle]

Alſo ohne Dienſtboten von 1816—67 eine Zunahme von 1,3 auf 3,9 mit ihnen
von etwa 2,3 auf 4,9 Mill.; in Prozenten der ganzen Bevölkerung ein Wachstum von
13 auf 19, mit den Dienſtboten von 22 auf 24 %; der ganze preußiſche Staat dürfte
1867 etwas über 5, mit Dienſtboten etwas über 6 Mill. Arbeiter gehabt haben; im
Jahre 1895 zählte Preußen in Landwirtſchaft, Induſtrie und Handel 7,5 Mill. Arbeiter
(ohne Dienſtboten). Das Deutſche Reich hatte nach den Berufszählungen von 1882
10,7, von 1895 12,8 Mill. Arbeiter in dieſen Produktionszweigen (ohne 0,6 Mill.
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[344/0360] Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. einzutreten. Aus dem Zuſammenwirken der neuen Technik, des neuen Rechtes, der perſönlichen Freiheit, der vordringenden Geldwirtſchaft, der beſtehenden Geſellſchafts- verhältniſſe, der Bevölkerungszunahme ergab ſich das neuere Arbeitsverhältnis, der moderne Stand von Lohnarbeitern, ſeine Baſierung auf den freien Arbeitsvertrag. Das Weſentliche iſt dabei folgendes. Nicht mehr bloß jüngere Leute ſtehen in abhängigen dauernden Arbeitsſtellungen, ſondern auch verheiratete Familienväter und Frauen; ein großer Teil der Arbeitenden hat keine Hoffnung, wie es früher vielfach der Fall war, mit den Jahren an die Spitze eines Kleinbetriebes zu kommen; die Mehrzahl der Arbeitenden verkauft nicht einzelne Arbeitsleiſtungen, wie die Dienſte leiſtenden Handwerker, ſondern ſie verrichten in einem wenn auch löslichen, doch feſten und ihre Lebensführung beherrſchenden Arbeitsverhältnis für einen Arbeitgeber täglich beſtimmte gleichmäßig ſich wiederholende Dienſte und Arbeiten. Aber dafür iſt auch für die Mehrzahl der Arbeiter durch eine gleichmäßig fortgehende Einnahme die Exiſtenz wenigſtens einigermaßen geſichert; eine erbliche oder lebenslängliche Berufsbindung, wie früher, beſteht nicht; jeder kann ſeiner Fähigkeit entſprechend ſich ſeinen Verdienſt ſuchen, wo und wie er will. Darin lag eben der weſentliche Fortſchritt. Der Arbeiter iſt ſelbſt verantwortlich gemacht; und wenn erſt langſam das rechte Gefühl dieſer Verantwortlichkeit ſich bildete, wenn es zunächſt nur eine Elite haben konnte, die übrigen ohne die alten Gängelbande teilweiſe zurückgingen, der Segen der Freiheit trat doch nach und nach ein, zeigte ſich in dem Maße, wie der Arbeitsvertrag ſich richtig ausgeſtaltete, der Arbeiterſtand ſich hob. Auch wo der größere Teil der Arbeitenden erhebliche andere wirtſchaftliche Mittel der Exiſtenz nicht hat als den täglich verdienten Lohn, der nur bei den höheren Stufen ſich in Jahres- gehalte mit dauernder Anſtellung verwandelt, konnten Reformen aller Art das Arbeits- verhältnis verbeſſern, wie wir im zweiten Teile ſehen werden. Auf die einzelnen Seiten des heutigen Arbeitsvertrages in wirtſchaftlicher und rechtlicher Hinſicht kommen wir daſelbſt. Hier haben wir nur die Entſtehung des freien Arbeiterſtandes klarzulegen als ein Glied in der Kette der geſellſchaftlichen Arbeits- und Berufsteilung. So Ver- ſchiedenes er umfaßt, wie einſt die Sklaverei und die Hörigkeit, alle, welche wir zu ihm rechnen, ſtehen nicht bloß unter einer ähnlichen Rechts- und Wirtſchaftsinſtitution, ſondern zeigen auch den übereinſtimmenden Zug, daß ſie die mehr ausführende, die mehr mechaniſche Arbeit arbeitsteilig auszuführen haben, daß ſie durch dieſe Teilung an ihre Arbeitgeber gekettet ſind, daß beide zuſammen eine geſellſchaftliche Organiſation darſtellen, auf deren Weſen wir bei der Lehre von der Unternehmung kommen. Hier haben wir nur noch die Frage zu beantworten, wie groß dieſer Lohn- arbeiterſtand ſei und aus welchen einzelnen Elementen er ſich zuſammenſetze. So wenig ſicher die ſtatiſtiſchen Grundlagen hiefür ſind, ſo geben ſie doch einigen Anhalt. Für den alten preußiſchen Staat möchte ich folgende, freilich weder erſchöpfende noch ganz ſichere Angaben wagen. Es gab etwa: Alſo ohne Dienſtboten von 1816—67 eine Zunahme von 1,3 auf 3,9 mit ihnen von etwa 2,3 auf 4,9 Mill.; in Prozenten der ganzen Bevölkerung ein Wachstum von 13 auf 19, mit den Dienſtboten von 22 auf 24 %; der ganze preußiſche Staat dürfte 1867 etwas über 5, mit Dienſtboten etwas über 6 Mill. Arbeiter gehabt haben; im Jahre 1895 zählte Preußen in Landwirtſchaft, Induſtrie und Handel 7,5 Mill. Arbeiter (ohne Dienſtboten). Das Deutſche Reich hatte nach den Berufszählungen von 1882 10,7, von 1895 12,8 Mill. Arbeiter in dieſen Produktionszweigen (ohne 0,6 Mill. höhere Angeſtellte, 0,4 Mill. wechſelnde Lohnarbeiter und 1,3 Mill. Dienſtboten, auch

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/360>, abgerufen am 25.04.2024.