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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
gegen Wassergefahren und Ähnlichem wieder mannigfach entstanden, aber in ganz anderer
Weise als früher. Die Volkswirtschaft wird freilich auch hiedurch aufs mannigfachste
berührt, die persönliche Freiheit beschränkt. Wir haben davon weiter unten zu sprechen.

108. Die Steuern und das Geldsteuersystem. Wo die beiden bisher
betrachteten Arten, dem Staate wirtschaftliche Mittel und Kräfte zuzuführen, nach und
nach versagen, die Arbeitsteilung und Geldwirtschaft sich ausbildet, das privatwirtschaft-
liche Getriebe in Familienwirtschaft und Unternehmung eine gewisse Selbständigkeit
erreicht hat, da muß die Ausbildung von Steuern, und zwar wesentlich von Geld-
steuern, zum Losungsworte und Kennzeichen der höher entwickelten Volks- und Staats-
wirtschaft werden.

Wie im späteren Altertum die Kulturstaaten die Anfänge, so haben die neueren
Staaten des 17.--19. Jahrhunderts die weitere Ausbildung des staatlichen Geldsteuer-
systems vollzogen, nachdem vom 12.--16. Jahrhundert die städtischen Systeme voran-
gegangen, und innerhalb einzelner Staaten und Territorien die ersten Geldsteuerversuche
gemacht worden waren. Die ältesten Geldsteuern knüpfen an die halb freiwilligen, halb
zur Sitte gewordenen Geschenke der Unterthanen an die Fürsten an, die statt in natura
nun in Geld gereicht werden; unter Elisabeth waren z. B. Geldgeschenke an die Königin
zu Neujahr noch ganz allgemein. Sehr vielfach treten dann die Geldsteuern als Ersatz
für Kriegs- oder andere Dienste auf, wie die englischen Dänen- und Schildgelder, die
deutschen Städtesteuern an den König im 12.--13. Jahrhundert. Wo der Unterthan
etwas vom Fürsten will, muß er bezahlen; es entstehen die zahlreichen Gebühren für
Rechtsprechung und andere Amtshandlungen, die Bezahlung für Benutzung des Markt-
platzes, des Hafens, der Brücke, welcher der Kaufmann, besonders der Fremde unter-
worfen wird. So sind Zölle und Marktabgaben, welche ursprünglich in Form von
Anteilen an dem eingeführten oder verkauften Wein, Pfeffer, Mehl und Derartigem
erlegt wurden, frühe allerwärts in Geldgebühren und Geldsteuern umgewandelt worden.
Wo der Unterthan angeblich oder wirklich Unrecht gethan hatte und deshalb der Gnade
und Barmherzigkeit des Fürsten oder der Regierung gegenüberstand, mußte er häufig
nach Gutdünken zahlen. Im attischen demokratischen Freistaate wie im normännischen
Lehnsstaate waren die Strafgelder und Vermögenskonfiskationen gleichmäßig hart und
maßlos ausgebildet. Ohne solche direkte Veranlassung und Gegenleistung aber dem
Staate Geld nach der Kopfzahl der Familie, nach der Zahl der besessenen Hufen, nach
dem Vermögen zu zahlen, das widerstrebte allerwärts dem Sinne der im übrigen schon
mannigfach steuernden Bürger; ja Hörige, Fremde, Schutz- und Bundesgenossen, die
belegte man wohl, aber nicht leicht den Freien. Die attischen Bürger zahlten erst im
peloponnesischen Kriege eine Vermögenssteuer; das römische tributum war ein gezwungenes
Kriegsdarlehen des Bürgers an das Ärar, das man zurückzahlte, sobald es ging, das
man von 167 v. Chr. an nicht mehr erhob. Die städtischen Vermögenssteuern erhoben
die Räte vom 12.--15. Jahrhundert meist nur in schlechten Zeiten, in Kriegsepochen,
wenn es nicht anders ging.

Es ist so ein sehr langsamer Prozeß, der mit der vordringenden Geldwirtschaft und
den zunehmenden staatlichen Leistungen und Rechten durch mancherlei Mittelglieder zur
Steuer führt: man bezahlt da, wo die einzelne Leistung des Staates und der specielle,
dem Bürger daraus erwachsende Vorteil klar zu schätzen ist, einen entsprechenden
Geldpreis wie in der Privatwirtschaft; da wo Leistung und Vorteil weniger deutlich
korrespondieren, eine Gebühr, d. h. einen herkömmlich feststehenden mäßigen Pauschalpreis;
da wo gewisse dauernde staatliche Leistungen einzelnen vorzugsweise zu gute kommen,
belegt man sie mit sogenannten Beiträgen (z. B. die Adjacenten eines Kanals, einer
neuen Straße), die auch als Pauschalsumme für die Staatsleistung sich darstellen; da
wo aber die Leistungen des Staates nicht sowohl einzelnen in bestimmten, klar erkenn-
baren Akten zu gute kommen, sondern in ihrer Gesamtheit allen oder der Mehrzahl in einer
Weise, daß von einer Abmessung des Vorteiles gar nicht die Rede sein kann, da erhebt
man Steuern, d. h. Geldbeiträge, welche der einzelne als Staatsbürger und Unterthan
an sich zahlt, ohne genaue Beziehung von Vorteil und Leistung aufeinander. In diese

Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
gegen Waſſergefahren und Ähnlichem wieder mannigfach entſtanden, aber in ganz anderer
Weiſe als früher. Die Volkswirtſchaft wird freilich auch hiedurch aufs mannigfachſte
berührt, die perſönliche Freiheit beſchränkt. Wir haben davon weiter unten zu ſprechen.

108. Die Steuern und das Geldſteuerſyſtem. Wo die beiden bisher
betrachteten Arten, dem Staate wirtſchaftliche Mittel und Kräfte zuzuführen, nach und
nach verſagen, die Arbeitsteilung und Geldwirtſchaft ſich ausbildet, das privatwirtſchaft-
liche Getriebe in Familienwirtſchaft und Unternehmung eine gewiſſe Selbſtändigkeit
erreicht hat, da muß die Ausbildung von Steuern, und zwar weſentlich von Geld-
ſteuern, zum Loſungsworte und Kennzeichen der höher entwickelten Volks- und Staats-
wirtſchaft werden.

Wie im ſpäteren Altertum die Kulturſtaaten die Anfänge, ſo haben die neueren
Staaten des 17.—19. Jahrhunderts die weitere Ausbildung des ſtaatlichen Geldſteuer-
ſyſtems vollzogen, nachdem vom 12.—16. Jahrhundert die ſtädtiſchen Syſteme voran-
gegangen, und innerhalb einzelner Staaten und Territorien die erſten Geldſteuerverſuche
gemacht worden waren. Die älteſten Geldſteuern knüpfen an die halb freiwilligen, halb
zur Sitte gewordenen Geſchenke der Unterthanen an die Fürſten an, die ſtatt in natura
nun in Geld gereicht werden; unter Eliſabeth waren z. B. Geldgeſchenke an die Königin
zu Neujahr noch ganz allgemein. Sehr vielfach treten dann die Geldſteuern als Erſatz
für Kriegs- oder andere Dienſte auf, wie die engliſchen Dänen- und Schildgelder, die
deutſchen Städteſteuern an den König im 12.—13. Jahrhundert. Wo der Unterthan
etwas vom Fürſten will, muß er bezahlen; es entſtehen die zahlreichen Gebühren für
Rechtſprechung und andere Amtshandlungen, die Bezahlung für Benutzung des Markt-
platzes, des Hafens, der Brücke, welcher der Kaufmann, beſonders der Fremde unter-
worfen wird. So ſind Zölle und Marktabgaben, welche urſprünglich in Form von
Anteilen an dem eingeführten oder verkauften Wein, Pfeffer, Mehl und Derartigem
erlegt wurden, frühe allerwärts in Geldgebühren und Geldſteuern umgewandelt worden.
Wo der Unterthan angeblich oder wirklich Unrecht gethan hatte und deshalb der Gnade
und Barmherzigkeit des Fürſten oder der Regierung gegenüberſtand, mußte er häufig
nach Gutdünken zahlen. Im attiſchen demokratiſchen Freiſtaate wie im normänniſchen
Lehnsſtaate waren die Strafgelder und Vermögenskonfiskationen gleichmäßig hart und
maßlos ausgebildet. Ohne ſolche direkte Veranlaſſung und Gegenleiſtung aber dem
Staate Geld nach der Kopfzahl der Familie, nach der Zahl der beſeſſenen Hufen, nach
dem Vermögen zu zahlen, das widerſtrebte allerwärts dem Sinne der im übrigen ſchon
mannigfach ſteuernden Bürger; ja Hörige, Fremde, Schutz- und Bundesgenoſſen, die
belegte man wohl, aber nicht leicht den Freien. Die attiſchen Bürger zahlten erſt im
peloponneſiſchen Kriege eine Vermögensſteuer; das römiſche tributum war ein gezwungenes
Kriegsdarlehen des Bürgers an das Ärar, das man zurückzahlte, ſobald es ging, das
man von 167 v. Chr. an nicht mehr erhob. Die ſtädtiſchen Vermögensſteuern erhoben
die Räte vom 12.—15. Jahrhundert meiſt nur in ſchlechten Zeiten, in Kriegsepochen,
wenn es nicht anders ging.

Es iſt ſo ein ſehr langſamer Prozeß, der mit der vordringenden Geldwirtſchaft und
den zunehmenden ſtaatlichen Leiſtungen und Rechten durch mancherlei Mittelglieder zur
Steuer führt: man bezahlt da, wo die einzelne Leiſtung des Staates und der ſpecielle,
dem Bürger daraus erwachſende Vorteil klar zu ſchätzen iſt, einen entſprechenden
Geldpreis wie in der Privatwirtſchaft; da wo Leiſtung und Vorteil weniger deutlich
korreſpondieren, eine Gebühr, d. h. einen herkömmlich feſtſtehenden mäßigen Pauſchalpreis;
da wo gewiſſe dauernde ſtaatliche Leiſtungen einzelnen vorzugsweiſe zu gute kommen,
belegt man ſie mit ſogenannten Beiträgen (z. B. die Adjacenten eines Kanals, einer
neuen Straße), die auch als Pauſchalſumme für die Staatsleiſtung ſich darſtellen; da
wo aber die Leiſtungen des Staates nicht ſowohl einzelnen in beſtimmten, klar erkenn-
baren Akten zu gute kommen, ſondern in ihrer Geſamtheit allen oder der Mehrzahl in einer
Weiſe, daß von einer Abmeſſung des Vorteiles gar nicht die Rede ſein kann, da erhebt
man Steuern, d. h. Geldbeiträge, welche der einzelne als Staatsbürger und Unterthan
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[306/0322] Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. gegen Waſſergefahren und Ähnlichem wieder mannigfach entſtanden, aber in ganz anderer Weiſe als früher. Die Volkswirtſchaft wird freilich auch hiedurch aufs mannigfachſte berührt, die perſönliche Freiheit beſchränkt. Wir haben davon weiter unten zu ſprechen. 108. Die Steuern und das Geldſteuerſyſtem. Wo die beiden bisher betrachteten Arten, dem Staate wirtſchaftliche Mittel und Kräfte zuzuführen, nach und nach verſagen, die Arbeitsteilung und Geldwirtſchaft ſich ausbildet, das privatwirtſchaft- liche Getriebe in Familienwirtſchaft und Unternehmung eine gewiſſe Selbſtändigkeit erreicht hat, da muß die Ausbildung von Steuern, und zwar weſentlich von Geld- ſteuern, zum Loſungsworte und Kennzeichen der höher entwickelten Volks- und Staats- wirtſchaft werden. Wie im ſpäteren Altertum die Kulturſtaaten die Anfänge, ſo haben die neueren Staaten des 17.—19. Jahrhunderts die weitere Ausbildung des ſtaatlichen Geldſteuer- ſyſtems vollzogen, nachdem vom 12.—16. Jahrhundert die ſtädtiſchen Syſteme voran- gegangen, und innerhalb einzelner Staaten und Territorien die erſten Geldſteuerverſuche gemacht worden waren. Die älteſten Geldſteuern knüpfen an die halb freiwilligen, halb zur Sitte gewordenen Geſchenke der Unterthanen an die Fürſten an, die ſtatt in natura nun in Geld gereicht werden; unter Eliſabeth waren z. B. Geldgeſchenke an die Königin zu Neujahr noch ganz allgemein. Sehr vielfach treten dann die Geldſteuern als Erſatz für Kriegs- oder andere Dienſte auf, wie die engliſchen Dänen- und Schildgelder, die deutſchen Städteſteuern an den König im 12.—13. Jahrhundert. Wo der Unterthan etwas vom Fürſten will, muß er bezahlen; es entſtehen die zahlreichen Gebühren für Rechtſprechung und andere Amtshandlungen, die Bezahlung für Benutzung des Markt- platzes, des Hafens, der Brücke, welcher der Kaufmann, beſonders der Fremde unter- worfen wird. So ſind Zölle und Marktabgaben, welche urſprünglich in Form von Anteilen an dem eingeführten oder verkauften Wein, Pfeffer, Mehl und Derartigem erlegt wurden, frühe allerwärts in Geldgebühren und Geldſteuern umgewandelt worden. Wo der Unterthan angeblich oder wirklich Unrecht gethan hatte und deshalb der Gnade und Barmherzigkeit des Fürſten oder der Regierung gegenüberſtand, mußte er häufig nach Gutdünken zahlen. Im attiſchen demokratiſchen Freiſtaate wie im normänniſchen Lehnsſtaate waren die Strafgelder und Vermögenskonfiskationen gleichmäßig hart und maßlos ausgebildet. Ohne ſolche direkte Veranlaſſung und Gegenleiſtung aber dem Staate Geld nach der Kopfzahl der Familie, nach der Zahl der beſeſſenen Hufen, nach dem Vermögen zu zahlen, das widerſtrebte allerwärts dem Sinne der im übrigen ſchon mannigfach ſteuernden Bürger; ja Hörige, Fremde, Schutz- und Bundesgenoſſen, die belegte man wohl, aber nicht leicht den Freien. Die attiſchen Bürger zahlten erſt im peloponneſiſchen Kriege eine Vermögensſteuer; das römiſche tributum war ein gezwungenes Kriegsdarlehen des Bürgers an das Ärar, das man zurückzahlte, ſobald es ging, das man von 167 v. Chr. an nicht mehr erhob. Die ſtädtiſchen Vermögensſteuern erhoben die Räte vom 12.—15. Jahrhundert meiſt nur in ſchlechten Zeiten, in Kriegsepochen, wenn es nicht anders ging. Es iſt ſo ein ſehr langſamer Prozeß, der mit der vordringenden Geldwirtſchaft und den zunehmenden ſtaatlichen Leiſtungen und Rechten durch mancherlei Mittelglieder zur Steuer führt: man bezahlt da, wo die einzelne Leiſtung des Staates und der ſpecielle, dem Bürger daraus erwachſende Vorteil klar zu ſchätzen iſt, einen entſprechenden Geldpreis wie in der Privatwirtſchaft; da wo Leiſtung und Vorteil weniger deutlich korreſpondieren, eine Gebühr, d. h. einen herkömmlich feſtſtehenden mäßigen Pauſchalpreis; da wo gewiſſe dauernde ſtaatliche Leiſtungen einzelnen vorzugsweiſe zu gute kommen, belegt man ſie mit ſogenannten Beiträgen (z. B. die Adjacenten eines Kanals, einer neuen Straße), die auch als Pauſchalſumme für die Staatsleiſtung ſich darſtellen; da wo aber die Leiſtungen des Staates nicht ſowohl einzelnen in beſtimmten, klar erkenn- baren Akten zu gute kommen, ſondern in ihrer Geſamtheit allen oder der Mehrzahl in einer Weiſe, daß von einer Abmeſſung des Vorteiles gar nicht die Rede ſein kann, da erhebt man Steuern, d. h. Geldbeiträge, welche der einzelne als Staatsbürger und Unterthan an ſich zahlt, ohne genaue Beziehung von Vorteil und Leiſtung aufeinander. In dieſe

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/322>, abgerufen am 23.04.2024.