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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Staat und Volkswirtschaft im 19. Jahrhundert. Die ältere Naturaldienstverfassung.
haushaltes und der staatlichen Wirtschaftsinstitutionen Hand in Hand ging. Man
hatte im 18. Jahrhundert Volkswirtschaft und Staatshaushalt als eine Gesamterschei-
nung unter dem Begriffe "Staatswirtschaft" zusammengefaßt. Im 19. Jahrhundert hat
man bald das privatwirtschaftliche Getriebe für sich als Volkswirtschaft bezeichnet und
ihm die staatliche Finanzwirtschaft entgegengestellt. Das entsprach den individualistischen
liberalen Tendenzen. Wir verstehen unter der Volkswirtschaft heute die Gesamtheit aller
in einem Staate vorhandenen Wirtschaften, wirtschaftlichen Veranstaltungen und Ein-
richtungen, einschließlich der größten, im Mittelpunkte stehenden Wirtschaft, des Staats-
haushaltes. Wollen wir daneben den Begriff der Staatswirtschaft beibehalten, so ist
darunter der Staatshaushalt und alle vom Staate ausgehende Einwirkung auf das
übrige Wirtschaftsleben, also die staatlichen Wirtschaftsinstitutionen und die ganze wirt-
schaftliche Verwaltung zu verstehen. Aber wir sagen nicht, wie Rodbertus, daß die
Volkswirtschaft durch die Staatswirtschaft abgelöst werden müsse.

Wir betrachten nun das einzelne des Staatshaushaltes und gehen dabei an
einzelnen Punkten auch auf die Anfänge, die weiter zurückliegen, kurz ein.

107. Die Naturalabgaben- und Naturaldienstverfassung und die
Domänenwirtschaft
. Jeder Gemeinde- oder Staatshaushalt konnte in der älteren
Zeit der mangelnden oder unausgebildeten Geldwirtschaft nur in zweierlei liegen, entweder
in einer direkten Verfügungsgewalt des Staates über die Arbeitskräfte und wirtschaft-
lichen Güter der Mitglieder des politischen Körpers, oder in einem großen Besitz, vor
allem in umfangreichem Grundeigentum, über die Fürst, Gemeinde, Staat zu ihren
Zwecken frei bestimmen konnten. Das erstere dürfte im ganzen das Ältere, das zweite
das Spätere gewesen sein; beides kommt auch nebeneinander vor. Wir bezeichnen das
erstere als die Naturalabgaben- und -Dienstverfassung, das letztere als die Basierung der
Staatsgewalt auf Domänenwirtschaft. Die erstere Verfassung geht in die zweite über,
wo die öffentliche Gewalt als Eigentümerin alles Grund und Bodens gilt, ihn an die
einzelnen gegen Dienste und Naturalabgaben erblich oder zeitweise ausgiebt.

Eine ausgebildete Naturalabgaben- und -dienstverfassung konnte auch bei sonst
geringer wirtschaftlicher Entwickelung eine sehr kräftige Centralgewalt schaffen; sie tritt
uns besonders in kriegerischen Barbarenstaaten entgegen. Die Häuptlinge und Könige
lassen Burgen und Grenzwälle bauen, sie sammeln große Vorräte, vermehren sie durch
Kriegs- und Raubzüge, bieten alle Männer zum Waffendienste auf. Aber auch später
in größeren halbkultivierten und kultivierten Staaten haben sich solche Einrichtungen
erhalten: aus der Sitte, den Fürsten Geschenke zu bestimmter Zeit zu geben, werden
feste Naturallieferungen. Getreide, Vieh, oft der Zehnte aller Erträgnisse oder gar
größere Quoten müssen abgeliefert werden. Daneben bleibt die Verpflichtung zum
Kriegsdienste, oft ohne Entgelt, bei eigener Stellung der Waffen und Verpflegung;
Wagen, Vieh, Schiffe müssen für den öffentlichen Dienst zeitweise gestellt werden. Im
Altertume und im Mittelalter herrscht da und dort eine ausgebildete Ordnung, welche
die Küstenbezirke, oft auch nur gewisse reichere Klassen zur Gestellung von Kriegs- und
anderen Schiffen für den öffentlichen Dienst verpflichtet. Das ganze System konnte nur
in nicht zu großen, wirtschaftlich nicht allzu hoch entwickelten Gemeinwesen mit her-
gebrachter genossenschaftlicher Schulung, mit patriotischem Geist, mit straff kriegerischer
Zucht ohne zu viel Härten und Schwierigkeiten sich erhalten; es unterstellt alle private
Wirtschaft der Regierung und ihren Zwecken. So Großes man da und dort, in Mexiko
und Peru, im persischen Reiche, in Sparta und Rom, in einzelnen mittelalterlichen
Lehnsstaaten wohl mit solchen Einrichtungen erreichte, eine solche Verfassung mußte
stets in größeren Staaten mit Arbeitsteilung und verschiedenen Klassen, mit herrschenden
und beherrschten Teilen und Gebieten endlich an einen Punkt kommen, wo ihre Wirk-
samkeit versagte. Die individuelle Wirtschaft kann sich nicht ausbilden, die Arbeitsteilung
keine Fortschritte machen, wenn jeder jederzeit seine halbe Arbeitskraft dem Staate zur
Verfügung stellen, periodisch so und so viel Getreide oder andere Produkte abliefern
soll; sind die staatlichen Dienste und Abgaben gering und an feste Regeln gebunden, so
versagt das System im Moment der Gefahr und der größeren Anforderungen; fehlen

Staat und Volkswirtſchaft im 19. Jahrhundert. Die ältere Naturaldienſtverfaſſung.
haushaltes und der ſtaatlichen Wirtſchaftsinſtitutionen Hand in Hand ging. Man
hatte im 18. Jahrhundert Volkswirtſchaft und Staatshaushalt als eine Geſamterſchei-
nung unter dem Begriffe „Staatswirtſchaft“ zuſammengefaßt. Im 19. Jahrhundert hat
man bald das privatwirtſchaftliche Getriebe für ſich als Volkswirtſchaft bezeichnet und
ihm die ſtaatliche Finanzwirtſchaft entgegengeſtellt. Das entſprach den individualiſtiſchen
liberalen Tendenzen. Wir verſtehen unter der Volkswirtſchaft heute die Geſamtheit aller
in einem Staate vorhandenen Wirtſchaften, wirtſchaftlichen Veranſtaltungen und Ein-
richtungen, einſchließlich der größten, im Mittelpunkte ſtehenden Wirtſchaft, des Staats-
haushaltes. Wollen wir daneben den Begriff der Staatswirtſchaft beibehalten, ſo iſt
darunter der Staatshaushalt und alle vom Staate ausgehende Einwirkung auf das
übrige Wirtſchaftsleben, alſo die ſtaatlichen Wirtſchaftsinſtitutionen und die ganze wirt-
ſchaftliche Verwaltung zu verſtehen. Aber wir ſagen nicht, wie Rodbertus, daß die
Volkswirtſchaft durch die Staatswirtſchaft abgelöſt werden müſſe.

Wir betrachten nun das einzelne des Staatshaushaltes und gehen dabei an
einzelnen Punkten auch auf die Anfänge, die weiter zurückliegen, kurz ein.

107. Die Naturalabgaben- und Naturaldienſtverfaſſung und die
Domänenwirtſchaft
. Jeder Gemeinde- oder Staatshaushalt konnte in der älteren
Zeit der mangelnden oder unausgebildeten Geldwirtſchaft nur in zweierlei liegen, entweder
in einer direkten Verfügungsgewalt des Staates über die Arbeitskräfte und wirtſchaft-
lichen Güter der Mitglieder des politiſchen Körpers, oder in einem großen Beſitz, vor
allem in umfangreichem Grundeigentum, über die Fürſt, Gemeinde, Staat zu ihren
Zwecken frei beſtimmen konnten. Das erſtere dürfte im ganzen das Ältere, das zweite
das Spätere geweſen ſein; beides kommt auch nebeneinander vor. Wir bezeichnen das
erſtere als die Naturalabgaben- und -Dienſtverfaſſung, das letztere als die Baſierung der
Staatsgewalt auf Domänenwirtſchaft. Die erſtere Verfaſſung geht in die zweite über,
wo die öffentliche Gewalt als Eigentümerin alles Grund und Bodens gilt, ihn an die
einzelnen gegen Dienſte und Naturalabgaben erblich oder zeitweiſe ausgiebt.

Eine ausgebildete Naturalabgaben- und -dienſtverfaſſung konnte auch bei ſonſt
geringer wirtſchaftlicher Entwickelung eine ſehr kräftige Centralgewalt ſchaffen; ſie tritt
uns beſonders in kriegeriſchen Barbarenſtaaten entgegen. Die Häuptlinge und Könige
laſſen Burgen und Grenzwälle bauen, ſie ſammeln große Vorräte, vermehren ſie durch
Kriegs- und Raubzüge, bieten alle Männer zum Waffendienſte auf. Aber auch ſpäter
in größeren halbkultivierten und kultivierten Staaten haben ſich ſolche Einrichtungen
erhalten: aus der Sitte, den Fürſten Geſchenke zu beſtimmter Zeit zu geben, werden
feſte Naturallieferungen. Getreide, Vieh, oft der Zehnte aller Erträgniſſe oder gar
größere Quoten müſſen abgeliefert werden. Daneben bleibt die Verpflichtung zum
Kriegsdienſte, oft ohne Entgelt, bei eigener Stellung der Waffen und Verpflegung;
Wagen, Vieh, Schiffe müſſen für den öffentlichen Dienſt zeitweiſe geſtellt werden. Im
Altertume und im Mittelalter herrſcht da und dort eine ausgebildete Ordnung, welche
die Küſtenbezirke, oft auch nur gewiſſe reichere Klaſſen zur Geſtellung von Kriegs- und
anderen Schiffen für den öffentlichen Dienſt verpflichtet. Das ganze Syſtem konnte nur
in nicht zu großen, wirtſchaftlich nicht allzu hoch entwickelten Gemeinweſen mit her-
gebrachter genoſſenſchaftlicher Schulung, mit patriotiſchem Geiſt, mit ſtraff kriegeriſcher
Zucht ohne zu viel Härten und Schwierigkeiten ſich erhalten; es unterſtellt alle private
Wirtſchaft der Regierung und ihren Zwecken. So Großes man da und dort, in Mexiko
und Peru, im perſiſchen Reiche, in Sparta und Rom, in einzelnen mittelalterlichen
Lehnsſtaaten wohl mit ſolchen Einrichtungen erreichte, eine ſolche Verfaſſung mußte
ſtets in größeren Staaten mit Arbeitsteilung und verſchiedenen Klaſſen, mit herrſchenden
und beherrſchten Teilen und Gebieten endlich an einen Punkt kommen, wo ihre Wirk-
ſamkeit verſagte. Die individuelle Wirtſchaft kann ſich nicht ausbilden, die Arbeitsteilung
keine Fortſchritte machen, wenn jeder jederzeit ſeine halbe Arbeitskraft dem Staate zur
Verfügung ſtellen, periodiſch ſo und ſo viel Getreide oder andere Produkte abliefern
ſoll; ſind die ſtaatlichen Dienſte und Abgaben gering und an feſte Regeln gebunden, ſo
verſagt das Syſtem im Moment der Gefahr und der größeren Anforderungen; fehlen

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[303/0319] Staat und Volkswirtſchaft im 19. Jahrhundert. Die ältere Naturaldienſtverfaſſung. haushaltes und der ſtaatlichen Wirtſchaftsinſtitutionen Hand in Hand ging. Man hatte im 18. Jahrhundert Volkswirtſchaft und Staatshaushalt als eine Geſamterſchei- nung unter dem Begriffe „Staatswirtſchaft“ zuſammengefaßt. Im 19. Jahrhundert hat man bald das privatwirtſchaftliche Getriebe für ſich als Volkswirtſchaft bezeichnet und ihm die ſtaatliche Finanzwirtſchaft entgegengeſtellt. Das entſprach den individualiſtiſchen liberalen Tendenzen. Wir verſtehen unter der Volkswirtſchaft heute die Geſamtheit aller in einem Staate vorhandenen Wirtſchaften, wirtſchaftlichen Veranſtaltungen und Ein- richtungen, einſchließlich der größten, im Mittelpunkte ſtehenden Wirtſchaft, des Staats- haushaltes. Wollen wir daneben den Begriff der Staatswirtſchaft beibehalten, ſo iſt darunter der Staatshaushalt und alle vom Staate ausgehende Einwirkung auf das übrige Wirtſchaftsleben, alſo die ſtaatlichen Wirtſchaftsinſtitutionen und die ganze wirt- ſchaftliche Verwaltung zu verſtehen. Aber wir ſagen nicht, wie Rodbertus, daß die Volkswirtſchaft durch die Staatswirtſchaft abgelöſt werden müſſe. Wir betrachten nun das einzelne des Staatshaushaltes und gehen dabei an einzelnen Punkten auch auf die Anfänge, die weiter zurückliegen, kurz ein. 107. Die Naturalabgaben- und Naturaldienſtverfaſſung und die Domänenwirtſchaft. Jeder Gemeinde- oder Staatshaushalt konnte in der älteren Zeit der mangelnden oder unausgebildeten Geldwirtſchaft nur in zweierlei liegen, entweder in einer direkten Verfügungsgewalt des Staates über die Arbeitskräfte und wirtſchaft- lichen Güter der Mitglieder des politiſchen Körpers, oder in einem großen Beſitz, vor allem in umfangreichem Grundeigentum, über die Fürſt, Gemeinde, Staat zu ihren Zwecken frei beſtimmen konnten. Das erſtere dürfte im ganzen das Ältere, das zweite das Spätere geweſen ſein; beides kommt auch nebeneinander vor. Wir bezeichnen das erſtere als die Naturalabgaben- und -Dienſtverfaſſung, das letztere als die Baſierung der Staatsgewalt auf Domänenwirtſchaft. Die erſtere Verfaſſung geht in die zweite über, wo die öffentliche Gewalt als Eigentümerin alles Grund und Bodens gilt, ihn an die einzelnen gegen Dienſte und Naturalabgaben erblich oder zeitweiſe ausgiebt. Eine ausgebildete Naturalabgaben- und -dienſtverfaſſung konnte auch bei ſonſt geringer wirtſchaftlicher Entwickelung eine ſehr kräftige Centralgewalt ſchaffen; ſie tritt uns beſonders in kriegeriſchen Barbarenſtaaten entgegen. Die Häuptlinge und Könige laſſen Burgen und Grenzwälle bauen, ſie ſammeln große Vorräte, vermehren ſie durch Kriegs- und Raubzüge, bieten alle Männer zum Waffendienſte auf. Aber auch ſpäter in größeren halbkultivierten und kultivierten Staaten haben ſich ſolche Einrichtungen erhalten: aus der Sitte, den Fürſten Geſchenke zu beſtimmter Zeit zu geben, werden feſte Naturallieferungen. Getreide, Vieh, oft der Zehnte aller Erträgniſſe oder gar größere Quoten müſſen abgeliefert werden. Daneben bleibt die Verpflichtung zum Kriegsdienſte, oft ohne Entgelt, bei eigener Stellung der Waffen und Verpflegung; Wagen, Vieh, Schiffe müſſen für den öffentlichen Dienſt zeitweiſe geſtellt werden. Im Altertume und im Mittelalter herrſcht da und dort eine ausgebildete Ordnung, welche die Küſtenbezirke, oft auch nur gewiſſe reichere Klaſſen zur Geſtellung von Kriegs- und anderen Schiffen für den öffentlichen Dienſt verpflichtet. Das ganze Syſtem konnte nur in nicht zu großen, wirtſchaftlich nicht allzu hoch entwickelten Gemeinweſen mit her- gebrachter genoſſenſchaftlicher Schulung, mit patriotiſchem Geiſt, mit ſtraff kriegeriſcher Zucht ohne zu viel Härten und Schwierigkeiten ſich erhalten; es unterſtellt alle private Wirtſchaft der Regierung und ihren Zwecken. So Großes man da und dort, in Mexiko und Peru, im perſiſchen Reiche, in Sparta und Rom, in einzelnen mittelalterlichen Lehnsſtaaten wohl mit ſolchen Einrichtungen erreichte, eine ſolche Verfaſſung mußte ſtets in größeren Staaten mit Arbeitsteilung und verſchiedenen Klaſſen, mit herrſchenden und beherrſchten Teilen und Gebieten endlich an einen Punkt kommen, wo ihre Wirk- ſamkeit verſagte. Die individuelle Wirtſchaft kann ſich nicht ausbilden, die Arbeitsteilung keine Fortſchritte machen, wenn jeder jederzeit ſeine halbe Arbeitskraft dem Staate zur Verfügung ſtellen, periodiſch ſo und ſo viel Getreide oder andere Produkte abliefern ſoll; ſind die ſtaatlichen Dienſte und Abgaben gering und an feſte Regeln gebunden, ſo verſagt das Syſtem im Moment der Gefahr und der größeren Anforderungen; fehlen

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/319>, abgerufen am 29.03.2024.