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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Der Einfluß der Individuen, der Gemeinde, des Staates auf die Wohnweise.
beseitigen, aber unter Umständen auch ungünstige Ergebnisse herbeiführen kann und
zwar viel mehr als auf dem gewöhnlichen Warenmarkte. Es werden die künftigen
Folgen einer ungesunden Grundstücksspekulation, einer falschen Straßenziehung und
Bauweise nicht so leicht eingesehen. Und doch legen solche Spekulationen, und was ihnen
folgt, die Siedlungsweise für Generationen fest; es entsteht daraus vielleicht für Jahr-
hunderte ein festes System, das alle möglichen menschlichen und wirtschaftlichen Zwecke
beeinflußt, ja beherrscht. Daher kann dem privaten wirtschaftlichen Egoismus hier
weniger als sonstwo ganz freie Bahn gelassen werden. Die Interessen der Zukunft und
der Gesamtheit müssen mitsprechen und diejenige Verteilung der Grundstücke, der Straßen,
der Plätze, diejenigen Ortsanlagen und Einrichtungen aller Art teils direkt, teils indirekt
schaffen, die zweckentsprechend sind. Daher in der Gegenwart so vielfach die Forderung, daß
die Vertreter der Gesamtinteressen stärker als die heutige Bau-, Straßen-, Fabrik- und
Gesundheitspolizei es gestattet, in das Wohnungs- und Mietswesen wie in die ganze
Siedlung eingreifen sollen. Man fordert Expropriationen ganz anderer Art als bisher,
Sorge der öffentlichen Korporationen für Wohnungen ihrer Beamten oder gar schon
Übergang alles oder eines Teils des städtischen Grundbesitzes auf die Kommune. Es
liegt in diesen noch unklar hin- und herwogenden Forderungen ein berechtigter Kern.

Es handelt sich darum, die Ordnungen zu finden, die am besten die Individual-
und Gesamtinteressen ausgleichen, auf Grund deren begangene Fehler und falsche Rich-
tungen wieder gut gemacht werden können. Es kann Korrekturen geben, die ihrerseits
derb und kühn, fast plump durchgreifen, wie die bauliche Umwandlung von Paris durch
den Präfekten Hausmann, daneben andere, die zu schüchtern verfahren, wie die neuere
städtische Bau- und Gesundheitsgesetzgebung es noch vielfach thut. Der Staat und seine
Verwaltung können auch das Richtige treffen, wie z. B. die neuere preußische und
deutsche Separationsgesetzgebung, die staatliche preußische Kolonisation des 18. Jahr-
hunderts, die heutige deutsche Kolonisation in den östlichen Provinzen zu beurteilen sein
wird. Immer wird es sich heute, wie erwähnt, hauptsächlich um eine indirekte Be-
einflussung aller Siedlungsverhältnisse handeln. Staat und Gemeinde haben eine solche
in der Hand durch die ganze hierauf bezügliche Agrar- und Baugesetzgebung, wie durch
den Wege- und Straßenbau und durch die Kontrolle und Durchführung der Verkehrs-
mittel und -Anstalten. Ebenso ist der Bau von Schulen, Kirchen, Märkten, die Kon-
zessionierung der Dampfkessel, der Fabrikanlagen, der Schenken ein indirektes Mittel
der Einwirkung. Man wird behaupten können, daß, je dichter die Menschen wohnen,
desto unentbehrlicher die Herrschaft allgemeiner, vom Gesamtinteresse aus wirkender
Ordnungen über den Siedlungsprozeß sei.

100. Die Folgen der verschiedenen Siedlung. Die historische Über-
legenheit der Stadt über das platte Land ist dieselbe, die der große über den kleinen
Stamm, das dicht- über das dünnbevölkerte Land hat. Die Stadt bietet die Möglich-
keit und Wahrscheinlichkeit lebendigerer gesellschaftlicher Berührung, Reibung, Arbeits-
teilung und Ineinanderpassung; die gegenseitige Förderung des gesteigerten Geschäfts-
verkehrs, das Gelingen socialer Organisation ist bei dichterer Wohnweise erleichtert.
Daher hat immer leicht die Stadt das Land beherrscht, eine gegenüber ihrer Einwohner-
zahl überraschende Macht ausgeübt. Aber ebenso klar ist, daß nicht das gedrängte
Wohnen an sich diese Folgen erzeugt, sondern daß es nur die gesellschaftlichen Berührungen
und damit die geistigen Fortschritte sind, welche sociale Anstalts- und Machtbildung
ermöglichen und erleichtern. Es giebt gedrängtes Wohnen stumpfsinniger Menschen ohne
diese Folgen, und es giebt eine Verkehrsausbildung und Steigerung der Bildungselemente
des platten Landes, die nahezu ähnliche oder gleiche Erfolge erzielen. Die ungesunde Über-
macht der Städte gehört hauptsächlich den Epochen zurückgebliebener Entwickelung des
platten Landes an.

Auch die von Herbert Spencer mit Recht betonten politischen und socialen Folgen
zerstreuter und dichter Siedlung sind nur mit diesem Vorbehalt anzuerkennen. Er führt
aus, daß auf dem Lande der Angesehene, der Krieger und Priester, der große Grund-
besitzer, der Aristokrat stets eine ganz andere Übermacht behaupte, weil die ihn Um-

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Der Einfluß der Individuen, der Gemeinde, des Staates auf die Wohnweiſe.
beſeitigen, aber unter Umſtänden auch ungünſtige Ergebniſſe herbeiführen kann und
zwar viel mehr als auf dem gewöhnlichen Warenmarkte. Es werden die künftigen
Folgen einer ungeſunden Grundſtücksſpekulation, einer falſchen Straßenziehung und
Bauweiſe nicht ſo leicht eingeſehen. Und doch legen ſolche Spekulationen, und was ihnen
folgt, die Siedlungsweiſe für Generationen feſt; es entſteht daraus vielleicht für Jahr-
hunderte ein feſtes Syſtem, das alle möglichen menſchlichen und wirtſchaftlichen Zwecke
beeinflußt, ja beherrſcht. Daher kann dem privaten wirtſchaftlichen Egoismus hier
weniger als ſonſtwo ganz freie Bahn gelaſſen werden. Die Intereſſen der Zukunft und
der Geſamtheit müſſen mitſprechen und diejenige Verteilung der Grundſtücke, der Straßen,
der Plätze, diejenigen Ortsanlagen und Einrichtungen aller Art teils direkt, teils indirekt
ſchaffen, die zweckentſprechend ſind. Daher in der Gegenwart ſo vielfach die Forderung, daß
die Vertreter der Geſamtintereſſen ſtärker als die heutige Bau-, Straßen-, Fabrik- und
Geſundheitspolizei es geſtattet, in das Wohnungs- und Mietsweſen wie in die ganze
Siedlung eingreifen ſollen. Man fordert Expropriationen ganz anderer Art als bisher,
Sorge der öffentlichen Korporationen für Wohnungen ihrer Beamten oder gar ſchon
Übergang alles oder eines Teils des ſtädtiſchen Grundbeſitzes auf die Kommune. Es
liegt in dieſen noch unklar hin- und herwogenden Forderungen ein berechtigter Kern.

Es handelt ſich darum, die Ordnungen zu finden, die am beſten die Individual-
und Geſamtintereſſen ausgleichen, auf Grund deren begangene Fehler und falſche Rich-
tungen wieder gut gemacht werden können. Es kann Korrekturen geben, die ihrerſeits
derb und kühn, faſt plump durchgreifen, wie die bauliche Umwandlung von Paris durch
den Präfekten Hausmann, daneben andere, die zu ſchüchtern verfahren, wie die neuere
ſtädtiſche Bau- und Geſundheitsgeſetzgebung es noch vielfach thut. Der Staat und ſeine
Verwaltung können auch das Richtige treffen, wie z. B. die neuere preußiſche und
deutſche Separationsgeſetzgebung, die ſtaatliche preußiſche Koloniſation des 18. Jahr-
hunderts, die heutige deutſche Koloniſation in den öſtlichen Provinzen zu beurteilen ſein
wird. Immer wird es ſich heute, wie erwähnt, hauptſächlich um eine indirekte Be-
einfluſſung aller Siedlungsverhältniſſe handeln. Staat und Gemeinde haben eine ſolche
in der Hand durch die ganze hierauf bezügliche Agrar- und Baugeſetzgebung, wie durch
den Wege- und Straßenbau und durch die Kontrolle und Durchführung der Verkehrs-
mittel und -Anſtalten. Ebenſo iſt der Bau von Schulen, Kirchen, Märkten, die Kon-
zeſſionierung der Dampfkeſſel, der Fabrikanlagen, der Schenken ein indirektes Mittel
der Einwirkung. Man wird behaupten können, daß, je dichter die Menſchen wohnen,
deſto unentbehrlicher die Herrſchaft allgemeiner, vom Geſamtintereſſe aus wirkender
Ordnungen über den Siedlungsprozeß ſei.

100. Die Folgen der verſchiedenen Siedlung. Die hiſtoriſche Über-
legenheit der Stadt über das platte Land iſt dieſelbe, die der große über den kleinen
Stamm, das dicht- über das dünnbevölkerte Land hat. Die Stadt bietet die Möglich-
keit und Wahrſcheinlichkeit lebendigerer geſellſchaftlicher Berührung, Reibung, Arbeits-
teilung und Ineinanderpaſſung; die gegenſeitige Förderung des geſteigerten Geſchäfts-
verkehrs, das Gelingen ſocialer Organiſation iſt bei dichterer Wohnweiſe erleichtert.
Daher hat immer leicht die Stadt das Land beherrſcht, eine gegenüber ihrer Einwohner-
zahl überraſchende Macht ausgeübt. Aber ebenſo klar iſt, daß nicht das gedrängte
Wohnen an ſich dieſe Folgen erzeugt, ſondern daß es nur die geſellſchaftlichen Berührungen
und damit die geiſtigen Fortſchritte ſind, welche ſociale Anſtalts- und Machtbildung
ermöglichen und erleichtern. Es giebt gedrängtes Wohnen ſtumpfſinniger Menſchen ohne
dieſe Folgen, und es giebt eine Verkehrsausbildung und Steigerung der Bildungselemente
des platten Landes, die nahezu ähnliche oder gleiche Erfolge erzielen. Die ungeſunde Über-
macht der Städte gehört hauptſächlich den Epochen zurückgebliebener Entwickelung des
platten Landes an.

Auch die von Herbert Spencer mit Recht betonten politiſchen und ſocialen Folgen
zerſtreuter und dichter Siedlung ſind nur mit dieſem Vorbehalt anzuerkennen. Er führt
aus, daß auf dem Lande der Angeſehene, der Krieger und Prieſter, der große Grund-
beſitzer, der Ariſtokrat ſtets eine ganz andere Übermacht behaupte, weil die ihn Um-

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[275/0291] Der Einfluß der Individuen, der Gemeinde, des Staates auf die Wohnweiſe. beſeitigen, aber unter Umſtänden auch ungünſtige Ergebniſſe herbeiführen kann und zwar viel mehr als auf dem gewöhnlichen Warenmarkte. Es werden die künftigen Folgen einer ungeſunden Grundſtücksſpekulation, einer falſchen Straßenziehung und Bauweiſe nicht ſo leicht eingeſehen. Und doch legen ſolche Spekulationen, und was ihnen folgt, die Siedlungsweiſe für Generationen feſt; es entſteht daraus vielleicht für Jahr- hunderte ein feſtes Syſtem, das alle möglichen menſchlichen und wirtſchaftlichen Zwecke beeinflußt, ja beherrſcht. Daher kann dem privaten wirtſchaftlichen Egoismus hier weniger als ſonſtwo ganz freie Bahn gelaſſen werden. Die Intereſſen der Zukunft und der Geſamtheit müſſen mitſprechen und diejenige Verteilung der Grundſtücke, der Straßen, der Plätze, diejenigen Ortsanlagen und Einrichtungen aller Art teils direkt, teils indirekt ſchaffen, die zweckentſprechend ſind. Daher in der Gegenwart ſo vielfach die Forderung, daß die Vertreter der Geſamtintereſſen ſtärker als die heutige Bau-, Straßen-, Fabrik- und Geſundheitspolizei es geſtattet, in das Wohnungs- und Mietsweſen wie in die ganze Siedlung eingreifen ſollen. Man fordert Expropriationen ganz anderer Art als bisher, Sorge der öffentlichen Korporationen für Wohnungen ihrer Beamten oder gar ſchon Übergang alles oder eines Teils des ſtädtiſchen Grundbeſitzes auf die Kommune. Es liegt in dieſen noch unklar hin- und herwogenden Forderungen ein berechtigter Kern. Es handelt ſich darum, die Ordnungen zu finden, die am beſten die Individual- und Geſamtintereſſen ausgleichen, auf Grund deren begangene Fehler und falſche Rich- tungen wieder gut gemacht werden können. Es kann Korrekturen geben, die ihrerſeits derb und kühn, faſt plump durchgreifen, wie die bauliche Umwandlung von Paris durch den Präfekten Hausmann, daneben andere, die zu ſchüchtern verfahren, wie die neuere ſtädtiſche Bau- und Geſundheitsgeſetzgebung es noch vielfach thut. Der Staat und ſeine Verwaltung können auch das Richtige treffen, wie z. B. die neuere preußiſche und deutſche Separationsgeſetzgebung, die ſtaatliche preußiſche Koloniſation des 18. Jahr- hunderts, die heutige deutſche Koloniſation in den öſtlichen Provinzen zu beurteilen ſein wird. Immer wird es ſich heute, wie erwähnt, hauptſächlich um eine indirekte Be- einfluſſung aller Siedlungsverhältniſſe handeln. Staat und Gemeinde haben eine ſolche in der Hand durch die ganze hierauf bezügliche Agrar- und Baugeſetzgebung, wie durch den Wege- und Straßenbau und durch die Kontrolle und Durchführung der Verkehrs- mittel und -Anſtalten. Ebenſo iſt der Bau von Schulen, Kirchen, Märkten, die Kon- zeſſionierung der Dampfkeſſel, der Fabrikanlagen, der Schenken ein indirektes Mittel der Einwirkung. Man wird behaupten können, daß, je dichter die Menſchen wohnen, deſto unentbehrlicher die Herrſchaft allgemeiner, vom Geſamtintereſſe aus wirkender Ordnungen über den Siedlungsprozeß ſei. 100. Die Folgen der verſchiedenen Siedlung. Die hiſtoriſche Über- legenheit der Stadt über das platte Land iſt dieſelbe, die der große über den kleinen Stamm, das dicht- über das dünnbevölkerte Land hat. Die Stadt bietet die Möglich- keit und Wahrſcheinlichkeit lebendigerer geſellſchaftlicher Berührung, Reibung, Arbeits- teilung und Ineinanderpaſſung; die gegenſeitige Förderung des geſteigerten Geſchäfts- verkehrs, das Gelingen ſocialer Organiſation iſt bei dichterer Wohnweiſe erleichtert. Daher hat immer leicht die Stadt das Land beherrſcht, eine gegenüber ihrer Einwohner- zahl überraſchende Macht ausgeübt. Aber ebenſo klar iſt, daß nicht das gedrängte Wohnen an ſich dieſe Folgen erzeugt, ſondern daß es nur die geſellſchaftlichen Berührungen und damit die geiſtigen Fortſchritte ſind, welche ſociale Anſtalts- und Machtbildung ermöglichen und erleichtern. Es giebt gedrängtes Wohnen ſtumpfſinniger Menſchen ohne dieſe Folgen, und es giebt eine Verkehrsausbildung und Steigerung der Bildungselemente des platten Landes, die nahezu ähnliche oder gleiche Erfolge erzielen. Die ungeſunde Über- macht der Städte gehört hauptſächlich den Epochen zurückgebliebener Entwickelung des platten Landes an. Auch die von Herbert Spencer mit Recht betonten politiſchen und ſocialen Folgen zerſtreuter und dichter Siedlung ſind nur mit dieſem Vorbehalt anzuerkennen. Er führt aus, daß auf dem Lande der Angeſehene, der Krieger und Prieſter, der große Grund- beſitzer, der Ariſtokrat ſtets eine ganz andere Übermacht behaupte, weil die ihn Um- 18*

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/291>, abgerufen am 28.03.2024.