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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Die Wirtschaft der patriarchalischen Familie.
hängt nicht von Absatz und Kredit ab; ihr Hauptzweck ist die Eigenwirtschaft. Die
sämtlichen Familiengenossen sind zugleich Wirtschaftsgenossen und haben wirtschaftlich
mit keinem Nichtfamiliengenossen viel zu thun. So hart ein Teil der Familienglieder
oft behandelt werden mochte, ihre Stellung als Hausgenossen und der enge Zweck der
Eigenwirtschaft schützte sie vor allzu hartem Drucke. Die leidliche Behandlung aller
Glieder hat in der patriarchalischen Familie so lange gedauert, als die Eigenversorgung
ihr Lebensprincip blieb. Erst als sie anfing für den Markt zu arbeiten, dadurch große
Gewinne erzielte, als hiemit die Gewinn- und Habsucht neben dem Sinn für technischen
Fortschritt entstand, wuchs die Mißhandlung der unteren Glieder der Familie, des Ge-
sindes, der Sklaven.

Die ältere Hütte, die Individuen oder Muttergruppen diente, hatte bei einzelnen
Stämmen schon zur Zeit des Mutterrechtes größeren Sippenhäusern Platz gemacht, die
aber doch mehr eine Anhäufung zahlreicher schlechter Hütten unter einem Dache waren.
Nun wird das Zelt der Nomadenfamilie ein gegliederter Organismus mit einer Reihe
von Abteilungen, und das Haus des Ackerbauers erhält nach und nach seine feste, teil-
weise noch vorhandene Gestalt; um das Atrium, die Halle der patriarchalischen Familie
mit dem Ehebette des Hausvaters, fügen sich die Schlafgemache der verheirateten Kinder
und der dienenden Kräfte; der Wirtschaftshof gliedert sich nach den Zwecken des Be-
triebes, er wird mit einer Umfriedigung umgeben; die Tiere, die Vorräte, die Gerät-
schaften erhalten ihre besonderen Räume; die Holzhäuser, die noch in Perikles' Tagen
und noch im 12. und 13. Jahrhundert in den deutschen Städten zu der beweglichen
Habe gerechnet werden, nehmen nun unter der Leitung der Familienväter festere Gestalt
aus Holz, Stein und Mörtel an, werden für Generationen hergestellt (vergl. oben
S. 203--205). Die bauliche Einrichtung der patriarchalischen Wohnung schafft die
Gewohnheiten, die festen Sitten, welche nun das Geschäft und die Freuden, die Arbeit
und die Ruhe regeln. Nicht umsonst hat man daher die Entstehung der Hauswirtschaft
als das Ende der Barbarei, als den Anfang der höheren Kultur bezeichnet; nicht um-
sonst benennen alle Kulturvölker noch heute alle Wirtschaft mit dem griechischen Worte
"Haus" oikos -- als Ökonomie.

An das Haus und seine Einrichtungen schließt sich die nunmehr vom Manne
systematisch geleitete Arbeitsteilung der Familie an. Die Verschiedenheit von Geschlecht
und Kraft hatte von jeher den Mann auf die Jagd, den Kampf, die Tierzucht, die
Frau auf das Sammeln von Beeren, auf den Hack- und Ackerbau, das Vorrätesammeln,
die Unterhaltung des Feuers gewiesen; die Herrschaft des Mannes bürdete ihr nach
dem Siege des Vaterrechtes wohl oft zunächst noch mehr auf, machte sie zur Sklavin.
Aber gerade bei den edleren Rassen verschafften der Gattin ihre hauswirtschaftlichen
Künste doch wohl bald eine bessere Stellung in dem gemeinsamen Haushalt. Der vieh-
züchtende, jagende und in den Kampf ziehende Mann übernimmt neben der Rodung
nun auch die schwere Ackerarbeit, das Pflügen; das bedeutete eine große Veränderung
in den Funktionen der Frau; ihre Kräfte werden so für die Bereitung der Speisen und
Kleidung, für die Erhaltung der Vorräte, für die innere Leitung der Hauswirtschaft,
vor allem für die Erziehung der Kinder freier. Und an die Arbeitsteilung von Mann
und Frau schließt sich die der Söhne und Töchter, der Knechte und Mägde, und es
entstehen so im patriarchalischen Hause feste Typen von hauswirtschaftlichen Ämtern,
von arbeitsteiligen Handwerksarten als Keime späterer selbständiger Organisationen. --

Die geordnete Hauswirtschaft der patriarchalischen Familie wird in dieser Weise
für mehrere Tausend Jahre, für die Epoche der älteren asiatischen und griechisch-römischen
Kultur bis über das Ende des Mittelalters hinaus, sie ist noch für viele Völker und
sociale Klassen bis zur Gegenwart das einzige oder das wichtigste gesellschaftliche Organ,
um die Menschen fortzupflanzen, zu erziehen und um sie mit wirtschaftlichen Gütern zu
versorgen; es war das erste, das dem Individuum als solchem planvoll und im ganzen
die wirtschaftliche Fürsorge abnahm, um sie einer fest organisierten Gruppe von Indi-
viduen zu übergeben; es war das Organ, welches die Menschen eine geordnete Haus-
wirtschaft zu führen, einen erheblichen Herden- und Landbesitz, sowie Vermögen überhaupt

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Die Wirtſchaft der patriarchaliſchen Familie.
hängt nicht von Abſatz und Kredit ab; ihr Hauptzweck iſt die Eigenwirtſchaft. Die
ſämtlichen Familiengenoſſen ſind zugleich Wirtſchaftsgenoſſen und haben wirtſchaftlich
mit keinem Nichtfamiliengenoſſen viel zu thun. So hart ein Teil der Familienglieder
oft behandelt werden mochte, ihre Stellung als Hausgenoſſen und der enge Zweck der
Eigenwirtſchaft ſchützte ſie vor allzu hartem Drucke. Die leidliche Behandlung aller
Glieder hat in der patriarchaliſchen Familie ſo lange gedauert, als die Eigenverſorgung
ihr Lebensprincip blieb. Erſt als ſie anfing für den Markt zu arbeiten, dadurch große
Gewinne erzielte, als hiemit die Gewinn- und Habſucht neben dem Sinn für techniſchen
Fortſchritt entſtand, wuchs die Mißhandlung der unteren Glieder der Familie, des Ge-
ſindes, der Sklaven.

Die ältere Hütte, die Individuen oder Muttergruppen diente, hatte bei einzelnen
Stämmen ſchon zur Zeit des Mutterrechtes größeren Sippenhäuſern Platz gemacht, die
aber doch mehr eine Anhäufung zahlreicher ſchlechter Hütten unter einem Dache waren.
Nun wird das Zelt der Nomadenfamilie ein gegliederter Organismus mit einer Reihe
von Abteilungen, und das Haus des Ackerbauers erhält nach und nach ſeine feſte, teil-
weiſe noch vorhandene Geſtalt; um das Atrium, die Halle der patriarchaliſchen Familie
mit dem Ehebette des Hausvaters, fügen ſich die Schlafgemache der verheirateten Kinder
und der dienenden Kräfte; der Wirtſchaftshof gliedert ſich nach den Zwecken des Be-
triebes, er wird mit einer Umfriedigung umgeben; die Tiere, die Vorräte, die Gerät-
ſchaften erhalten ihre beſonderen Räume; die Holzhäuſer, die noch in Perikles’ Tagen
und noch im 12. und 13. Jahrhundert in den deutſchen Städten zu der beweglichen
Habe gerechnet werden, nehmen nun unter der Leitung der Familienväter feſtere Geſtalt
aus Holz, Stein und Mörtel an, werden für Generationen hergeſtellt (vergl. oben
S. 203—205). Die bauliche Einrichtung der patriarchaliſchen Wohnung ſchafft die
Gewohnheiten, die feſten Sitten, welche nun das Geſchäft und die Freuden, die Arbeit
und die Ruhe regeln. Nicht umſonſt hat man daher die Entſtehung der Hauswirtſchaft
als das Ende der Barbarei, als den Anfang der höheren Kultur bezeichnet; nicht um-
ſonſt benennen alle Kulturvölker noch heute alle Wirtſchaft mit dem griechiſchen Worte
„Haus“ οἴκος — als Ökonomie.

An das Haus und ſeine Einrichtungen ſchließt ſich die nunmehr vom Manne
ſyſtematiſch geleitete Arbeitsteilung der Familie an. Die Verſchiedenheit von Geſchlecht
und Kraft hatte von jeher den Mann auf die Jagd, den Kampf, die Tierzucht, die
Frau auf das Sammeln von Beeren, auf den Hack- und Ackerbau, das Vorräteſammeln,
die Unterhaltung des Feuers gewieſen; die Herrſchaft des Mannes bürdete ihr nach
dem Siege des Vaterrechtes wohl oft zunächſt noch mehr auf, machte ſie zur Sklavin.
Aber gerade bei den edleren Raſſen verſchafften der Gattin ihre hauswirtſchaftlichen
Künſte doch wohl bald eine beſſere Stellung in dem gemeinſamen Haushalt. Der vieh-
züchtende, jagende und in den Kampf ziehende Mann übernimmt neben der Rodung
nun auch die ſchwere Ackerarbeit, das Pflügen; das bedeutete eine große Veränderung
in den Funktionen der Frau; ihre Kräfte werden ſo für die Bereitung der Speiſen und
Kleidung, für die Erhaltung der Vorräte, für die innere Leitung der Hauswirtſchaft,
vor allem für die Erziehung der Kinder freier. Und an die Arbeitsteilung von Mann
und Frau ſchließt ſich die der Söhne und Töchter, der Knechte und Mägde, und es
entſtehen ſo im patriarchaliſchen Hauſe feſte Typen von hauswirtſchaftlichen Ämtern,
von arbeitsteiligen Handwerksarten als Keime ſpäterer ſelbſtändiger Organiſationen. —

Die geordnete Hauswirtſchaft der patriarchaliſchen Familie wird in dieſer Weiſe
für mehrere Tauſend Jahre, für die Epoche der älteren aſiatiſchen und griechiſch-römiſchen
Kultur bis über das Ende des Mittelalters hinaus, ſie iſt noch für viele Völker und
ſociale Klaſſen bis zur Gegenwart das einzige oder das wichtigſte geſellſchaftliche Organ,
um die Menſchen fortzupflanzen, zu erziehen und um ſie mit wirtſchaftlichen Gütern zu
verſorgen; es war das erſte, das dem Individuum als ſolchem planvoll und im ganzen
die wirtſchaftliche Fürſorge abnahm, um ſie einer feſt organiſierten Gruppe von Indi-
viduen zu übergeben; es war das Organ, welches die Menſchen eine geordnete Haus-
wirtſchaft zu führen, einen erheblichen Herden- und Landbeſitz, ſowie Vermögen überhaupt

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[243/0259] Die Wirtſchaft der patriarchaliſchen Familie. hängt nicht von Abſatz und Kredit ab; ihr Hauptzweck iſt die Eigenwirtſchaft. Die ſämtlichen Familiengenoſſen ſind zugleich Wirtſchaftsgenoſſen und haben wirtſchaftlich mit keinem Nichtfamiliengenoſſen viel zu thun. So hart ein Teil der Familienglieder oft behandelt werden mochte, ihre Stellung als Hausgenoſſen und der enge Zweck der Eigenwirtſchaft ſchützte ſie vor allzu hartem Drucke. Die leidliche Behandlung aller Glieder hat in der patriarchaliſchen Familie ſo lange gedauert, als die Eigenverſorgung ihr Lebensprincip blieb. Erſt als ſie anfing für den Markt zu arbeiten, dadurch große Gewinne erzielte, als hiemit die Gewinn- und Habſucht neben dem Sinn für techniſchen Fortſchritt entſtand, wuchs die Mißhandlung der unteren Glieder der Familie, des Ge- ſindes, der Sklaven. Die ältere Hütte, die Individuen oder Muttergruppen diente, hatte bei einzelnen Stämmen ſchon zur Zeit des Mutterrechtes größeren Sippenhäuſern Platz gemacht, die aber doch mehr eine Anhäufung zahlreicher ſchlechter Hütten unter einem Dache waren. Nun wird das Zelt der Nomadenfamilie ein gegliederter Organismus mit einer Reihe von Abteilungen, und das Haus des Ackerbauers erhält nach und nach ſeine feſte, teil- weiſe noch vorhandene Geſtalt; um das Atrium, die Halle der patriarchaliſchen Familie mit dem Ehebette des Hausvaters, fügen ſich die Schlafgemache der verheirateten Kinder und der dienenden Kräfte; der Wirtſchaftshof gliedert ſich nach den Zwecken des Be- triebes, er wird mit einer Umfriedigung umgeben; die Tiere, die Vorräte, die Gerät- ſchaften erhalten ihre beſonderen Räume; die Holzhäuſer, die noch in Perikles’ Tagen und noch im 12. und 13. Jahrhundert in den deutſchen Städten zu der beweglichen Habe gerechnet werden, nehmen nun unter der Leitung der Familienväter feſtere Geſtalt aus Holz, Stein und Mörtel an, werden für Generationen hergeſtellt (vergl. oben S. 203—205). Die bauliche Einrichtung der patriarchaliſchen Wohnung ſchafft die Gewohnheiten, die feſten Sitten, welche nun das Geſchäft und die Freuden, die Arbeit und die Ruhe regeln. Nicht umſonſt hat man daher die Entſtehung der Hauswirtſchaft als das Ende der Barbarei, als den Anfang der höheren Kultur bezeichnet; nicht um- ſonſt benennen alle Kulturvölker noch heute alle Wirtſchaft mit dem griechiſchen Worte „Haus“ οἴκος — als Ökonomie. An das Haus und ſeine Einrichtungen ſchließt ſich die nunmehr vom Manne ſyſtematiſch geleitete Arbeitsteilung der Familie an. Die Verſchiedenheit von Geſchlecht und Kraft hatte von jeher den Mann auf die Jagd, den Kampf, die Tierzucht, die Frau auf das Sammeln von Beeren, auf den Hack- und Ackerbau, das Vorräteſammeln, die Unterhaltung des Feuers gewieſen; die Herrſchaft des Mannes bürdete ihr nach dem Siege des Vaterrechtes wohl oft zunächſt noch mehr auf, machte ſie zur Sklavin. Aber gerade bei den edleren Raſſen verſchafften der Gattin ihre hauswirtſchaftlichen Künſte doch wohl bald eine beſſere Stellung in dem gemeinſamen Haushalt. Der vieh- züchtende, jagende und in den Kampf ziehende Mann übernimmt neben der Rodung nun auch die ſchwere Ackerarbeit, das Pflügen; das bedeutete eine große Veränderung in den Funktionen der Frau; ihre Kräfte werden ſo für die Bereitung der Speiſen und Kleidung, für die Erhaltung der Vorräte, für die innere Leitung der Hauswirtſchaft, vor allem für die Erziehung der Kinder freier. Und an die Arbeitsteilung von Mann und Frau ſchließt ſich die der Söhne und Töchter, der Knechte und Mägde, und es entſtehen ſo im patriarchaliſchen Hauſe feſte Typen von hauswirtſchaftlichen Ämtern, von arbeitsteiligen Handwerksarten als Keime ſpäterer ſelbſtändiger Organiſationen. — Die geordnete Hauswirtſchaft der patriarchaliſchen Familie wird in dieſer Weiſe für mehrere Tauſend Jahre, für die Epoche der älteren aſiatiſchen und griechiſch-römiſchen Kultur bis über das Ende des Mittelalters hinaus, ſie iſt noch für viele Völker und ſociale Klaſſen bis zur Gegenwart das einzige oder das wichtigſte geſellſchaftliche Organ, um die Menſchen fortzupflanzen, zu erziehen und um ſie mit wirtſchaftlichen Gütern zu verſorgen; es war das erſte, das dem Individuum als ſolchem planvoll und im ganzen die wirtſchaftliche Fürſorge abnahm, um ſie einer feſt organiſierten Gruppe von Indi- viduen zu übergeben; es war das Organ, welches die Menſchen eine geordnete Haus- wirtſchaft zu führen, einen erheblichen Herden- und Landbeſitz, ſowie Vermögen überhaupt 16*

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/259>, abgerufen am 29.03.2024.