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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Die Verfassung und Größe der patriarchalischen Familie.

Wie groß die Familien der Häuptlinge, der Fürsten, der Großen teilweise im
Altertume und im Mittelalter wurden, davon können wir uns wenigstens eine Vor-
stellung machen, wenn z. B. Homer den Palast des Priamus schildert: fünfzig Gemächer,
nachbarlich aneinander gebaut, umgeben die Königshalle; es ruhten des Königs Söhne
allhier mit den anvermählten Weibern. Es entstanden so Familien von Hunderten von
Gliedern; freilich meist nur, wo Polygamie und Sklaverei sie so erweiterte. Wie umfang-
reich die gewöhnliche ältere Familie wurde, darüber wissen wir nichts. Wir können
aber annehmen, daß sie eher größer war als in den Beispielen, die wir aus neuerer
Zeit aus den Gebieten anführen können, wo sich die ältere Familienverfassung bis zur
Gegenwart erhalten hat. In China und Indien umfaßt die in aneinander gebauten
Hütten wohnende Familie heute noch fast regelmäßig 16--40 Personen, die südslavische
Zadruga oder Hauskommunion, deren mehrere ein Dorf ausmachen, hat in der Regel
20--25 Mitglieder; ähnlich die russische Bauernfamilie vor Aufhebung der Leibeigen-
schaft; Le Play fand noch neuerdings auf dem südfranzösischen pyrenäischen Bauernhofe
durchschnittlich 18 Personen versammelt; ebenso oder noch größer haben wir uns die
deutschen und französischen bäuerlichen Gemeinderschaften des Mittelalters zu denken, wie
sie Heusler uns schildert. Der heutige isolierte alpine Bauernhof vereint oft noch
12--18 Personen. Die Hälfte dieser Zahlen haben wir uns im Durchschnitt als Er-
wachsene, als mitarbeitend zu denken. Dabei ist nicht zu vergessen, daß diese Beispiele
teilweise keine fremden Elemente, sondern nur Verwandte umfassen. Wir erwähnten
schon, daß die patriarchalischen Familien in älterer Zeit nicht leicht ihre Töchter her-
geben wollten; der Sohn, der sich nicht halten ließ und abgeschichtet wurde, hatte so
wenig wie die in eine andere Familie verheiratete Tochter einen Erbanspruch nach älterem
römischen Rechte. Auf die übrigen Mittel, die man anwandte, die Familie zusammen-
zuhalten, können wir hier nicht eingehen; sie sind mannigfaltigster Art; in Tibet hat
man die jüngeren Söhne im Hause festgehalten, indem man ihnen Teil an der Gattin
des ältesten gab; in Skandinavien und auf dem pyrenäischen und deutschen Bauernhofe
zwingt man sie noch heute zur Ehelosigkeit. So ging es nirgends ohne Zwang und Ent-
sagung, ohne harte Unterordnung vieler unter den Patriarchen ab. Die Frau, die Kinder,
die Verwandten, die Knechte mußten gehorchen. Aber die Kraft der Familie war auch
um so größer, je unerbittlicher die Herrschaft des paterfamilias aufgerichtet war. Nicht
umsonst waren die Römer stolz darauf, daß nirgends so weit wie bei ihnen die Gewalt
des Hausvaters gereicht habe.

Der Hausvater ist Regent, Richter, Priester, Lehrer und Wirtschaftsvorstand seines
Hauses und seiner Familie, die nun in Sippe, Stamm und Staat als ein fast selb-
ständiger, fast unantastbarer, auf sich ruhender Lebenskreis dasteht. Er vertritt die
Familie allein nach außen, kauft und verkauft für sie, verteilt die Arbeit und die
gewonnenen Güter nach innen. Frauen und Kinder sind ursprünglich rechtlos wie die
Sklaven; sie werden gekauft und verkauft, ausgenützt und mißhandelt; aber es lag in
der Natur der engen, stets wieder edle, sympathische Gefühle erzeugenden Hausgemeinschaft
zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern, daß die Stellung von Frau und
Kindern trotz aller brutalen Gewalt des Mannes doch nach und nach eine bessere, auch
rechtlich geschützte wurde. Der Frauenkauf, die Polygamie, die geringe Rücksicht auf
individuelle Gefühle bei der Verheiratung, das Straf- und Tötungsrecht des Mannes
im Hause haben nicht gehindert, daß die patriarchalische Familienverfassung nach und
nach das wichtigste Instrument nicht bloß für den wirtschaftlichen, sondern auch für
den sittlichen Fortschritt wurde; "die Zwingherrschaft des Hauses ist der älteste Adels-
brief der Menschheit" (Riehl).

Neben Raub und Kauf der Frau treten sinnige Hochzeitsgebräuche und die religiöse
Feier des Ehebündnisses, um die ersteren Formen später ganz zu verdrängen; die
zuerst heimgeführte Frau erhält schon wegen der Bevorzugung ihrer Söhne eine höhere
Stellung, wird Beherrscherin im Hause. Der ursprünglich ihrem Vater gezahlte Kauf-
preis fällt ihr zu; sie wird daneben mit einer Ausstattung von den Ihrigen, mit der

Schmoller, Grundriß der Volkswirtschaftslehre. I. 16
Die Verfaſſung und Größe der patriarchaliſchen Familie.

Wie groß die Familien der Häuptlinge, der Fürſten, der Großen teilweiſe im
Altertume und im Mittelalter wurden, davon können wir uns wenigſtens eine Vor-
ſtellung machen, wenn z. B. Homer den Palaſt des Priamus ſchildert: fünfzig Gemächer,
nachbarlich aneinander gebaut, umgeben die Königshalle; es ruhten des Königs Söhne
allhier mit den anvermählten Weibern. Es entſtanden ſo Familien von Hunderten von
Gliedern; freilich meiſt nur, wo Polygamie und Sklaverei ſie ſo erweiterte. Wie umfang-
reich die gewöhnliche ältere Familie wurde, darüber wiſſen wir nichts. Wir können
aber annehmen, daß ſie eher größer war als in den Beiſpielen, die wir aus neuerer
Zeit aus den Gebieten anführen können, wo ſich die ältere Familienverfaſſung bis zur
Gegenwart erhalten hat. In China und Indien umfaßt die in aneinander gebauten
Hütten wohnende Familie heute noch faſt regelmäßig 16—40 Perſonen, die ſüdſlaviſche
Zadruga oder Hauskommunion, deren mehrere ein Dorf ausmachen, hat in der Regel
20—25 Mitglieder; ähnlich die ruſſiſche Bauernfamilie vor Aufhebung der Leibeigen-
ſchaft; Le Play fand noch neuerdings auf dem ſüdfranzöſiſchen pyrenäiſchen Bauernhofe
durchſchnittlich 18 Perſonen verſammelt; ebenſo oder noch größer haben wir uns die
deutſchen und franzöſiſchen bäuerlichen Gemeinderſchaften des Mittelalters zu denken, wie
ſie Heusler uns ſchildert. Der heutige iſolierte alpine Bauernhof vereint oft noch
12—18 Perſonen. Die Hälfte dieſer Zahlen haben wir uns im Durchſchnitt als Er-
wachſene, als mitarbeitend zu denken. Dabei iſt nicht zu vergeſſen, daß dieſe Beiſpiele
teilweiſe keine fremden Elemente, ſondern nur Verwandte umfaſſen. Wir erwähnten
ſchon, daß die patriarchaliſchen Familien in älterer Zeit nicht leicht ihre Töchter her-
geben wollten; der Sohn, der ſich nicht halten ließ und abgeſchichtet wurde, hatte ſo
wenig wie die in eine andere Familie verheiratete Tochter einen Erbanſpruch nach älterem
römiſchen Rechte. Auf die übrigen Mittel, die man anwandte, die Familie zuſammen-
zuhalten, können wir hier nicht eingehen; ſie ſind mannigfaltigſter Art; in Tibet hat
man die jüngeren Söhne im Hauſe feſtgehalten, indem man ihnen Teil an der Gattin
des älteſten gab; in Skandinavien und auf dem pyrenäiſchen und deutſchen Bauernhofe
zwingt man ſie noch heute zur Eheloſigkeit. So ging es nirgends ohne Zwang und Ent-
ſagung, ohne harte Unterordnung vieler unter den Patriarchen ab. Die Frau, die Kinder,
die Verwandten, die Knechte mußten gehorchen. Aber die Kraft der Familie war auch
um ſo größer, je unerbittlicher die Herrſchaft des paterfamilias aufgerichtet war. Nicht
umſonſt waren die Römer ſtolz darauf, daß nirgends ſo weit wie bei ihnen die Gewalt
des Hausvaters gereicht habe.

Der Hausvater iſt Regent, Richter, Prieſter, Lehrer und Wirtſchaftsvorſtand ſeines
Hauſes und ſeiner Familie, die nun in Sippe, Stamm und Staat als ein faſt ſelb-
ſtändiger, faſt unantaſtbarer, auf ſich ruhender Lebenskreis daſteht. Er vertritt die
Familie allein nach außen, kauft und verkauft für ſie, verteilt die Arbeit und die
gewonnenen Güter nach innen. Frauen und Kinder ſind urſprünglich rechtlos wie die
Sklaven; ſie werden gekauft und verkauft, ausgenützt und mißhandelt; aber es lag in
der Natur der engen, ſtets wieder edle, ſympathiſche Gefühle erzeugenden Hausgemeinſchaft
zwiſchen Mann und Frau, Eltern und Kindern, daß die Stellung von Frau und
Kindern trotz aller brutalen Gewalt des Mannes doch nach und nach eine beſſere, auch
rechtlich geſchützte wurde. Der Frauenkauf, die Polygamie, die geringe Rückſicht auf
individuelle Gefühle bei der Verheiratung, das Straf- und Tötungsrecht des Mannes
im Hauſe haben nicht gehindert, daß die patriarchaliſche Familienverfaſſung nach und
nach das wichtigſte Inſtrument nicht bloß für den wirtſchaftlichen, ſondern auch für
den ſittlichen Fortſchritt wurde; „die Zwingherrſchaft des Hauſes iſt der älteſte Adels-
brief der Menſchheit“ (Riehl).

Neben Raub und Kauf der Frau treten ſinnige Hochzeitsgebräuche und die religiöſe
Feier des Ehebündniſſes, um die erſteren Formen ſpäter ganz zu verdrängen; die
zuerſt heimgeführte Frau erhält ſchon wegen der Bevorzugung ihrer Söhne eine höhere
Stellung, wird Beherrſcherin im Hauſe. Der urſprünglich ihrem Vater gezahlte Kauf-
preis fällt ihr zu; ſie wird daneben mit einer Ausſtattung von den Ihrigen, mit der

Schmoller, Grundriß der Volkswirtſchaftslehre. I. 16
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[241/0257] Die Verfaſſung und Größe der patriarchaliſchen Familie. Wie groß die Familien der Häuptlinge, der Fürſten, der Großen teilweiſe im Altertume und im Mittelalter wurden, davon können wir uns wenigſtens eine Vor- ſtellung machen, wenn z. B. Homer den Palaſt des Priamus ſchildert: fünfzig Gemächer, nachbarlich aneinander gebaut, umgeben die Königshalle; es ruhten des Königs Söhne allhier mit den anvermählten Weibern. Es entſtanden ſo Familien von Hunderten von Gliedern; freilich meiſt nur, wo Polygamie und Sklaverei ſie ſo erweiterte. Wie umfang- reich die gewöhnliche ältere Familie wurde, darüber wiſſen wir nichts. Wir können aber annehmen, daß ſie eher größer war als in den Beiſpielen, die wir aus neuerer Zeit aus den Gebieten anführen können, wo ſich die ältere Familienverfaſſung bis zur Gegenwart erhalten hat. In China und Indien umfaßt die in aneinander gebauten Hütten wohnende Familie heute noch faſt regelmäßig 16—40 Perſonen, die ſüdſlaviſche Zadruga oder Hauskommunion, deren mehrere ein Dorf ausmachen, hat in der Regel 20—25 Mitglieder; ähnlich die ruſſiſche Bauernfamilie vor Aufhebung der Leibeigen- ſchaft; Le Play fand noch neuerdings auf dem ſüdfranzöſiſchen pyrenäiſchen Bauernhofe durchſchnittlich 18 Perſonen verſammelt; ebenſo oder noch größer haben wir uns die deutſchen und franzöſiſchen bäuerlichen Gemeinderſchaften des Mittelalters zu denken, wie ſie Heusler uns ſchildert. Der heutige iſolierte alpine Bauernhof vereint oft noch 12—18 Perſonen. Die Hälfte dieſer Zahlen haben wir uns im Durchſchnitt als Er- wachſene, als mitarbeitend zu denken. Dabei iſt nicht zu vergeſſen, daß dieſe Beiſpiele teilweiſe keine fremden Elemente, ſondern nur Verwandte umfaſſen. Wir erwähnten ſchon, daß die patriarchaliſchen Familien in älterer Zeit nicht leicht ihre Töchter her- geben wollten; der Sohn, der ſich nicht halten ließ und abgeſchichtet wurde, hatte ſo wenig wie die in eine andere Familie verheiratete Tochter einen Erbanſpruch nach älterem römiſchen Rechte. Auf die übrigen Mittel, die man anwandte, die Familie zuſammen- zuhalten, können wir hier nicht eingehen; ſie ſind mannigfaltigſter Art; in Tibet hat man die jüngeren Söhne im Hauſe feſtgehalten, indem man ihnen Teil an der Gattin des älteſten gab; in Skandinavien und auf dem pyrenäiſchen und deutſchen Bauernhofe zwingt man ſie noch heute zur Eheloſigkeit. So ging es nirgends ohne Zwang und Ent- ſagung, ohne harte Unterordnung vieler unter den Patriarchen ab. Die Frau, die Kinder, die Verwandten, die Knechte mußten gehorchen. Aber die Kraft der Familie war auch um ſo größer, je unerbittlicher die Herrſchaft des paterfamilias aufgerichtet war. Nicht umſonſt waren die Römer ſtolz darauf, daß nirgends ſo weit wie bei ihnen die Gewalt des Hausvaters gereicht habe. Der Hausvater iſt Regent, Richter, Prieſter, Lehrer und Wirtſchaftsvorſtand ſeines Hauſes und ſeiner Familie, die nun in Sippe, Stamm und Staat als ein faſt ſelb- ſtändiger, faſt unantaſtbarer, auf ſich ruhender Lebenskreis daſteht. Er vertritt die Familie allein nach außen, kauft und verkauft für ſie, verteilt die Arbeit und die gewonnenen Güter nach innen. Frauen und Kinder ſind urſprünglich rechtlos wie die Sklaven; ſie werden gekauft und verkauft, ausgenützt und mißhandelt; aber es lag in der Natur der engen, ſtets wieder edle, ſympathiſche Gefühle erzeugenden Hausgemeinſchaft zwiſchen Mann und Frau, Eltern und Kindern, daß die Stellung von Frau und Kindern trotz aller brutalen Gewalt des Mannes doch nach und nach eine beſſere, auch rechtlich geſchützte wurde. Der Frauenkauf, die Polygamie, die geringe Rückſicht auf individuelle Gefühle bei der Verheiratung, das Straf- und Tötungsrecht des Mannes im Hauſe haben nicht gehindert, daß die patriarchaliſche Familienverfaſſung nach und nach das wichtigſte Inſtrument nicht bloß für den wirtſchaftlichen, ſondern auch für den ſittlichen Fortſchritt wurde; „die Zwingherrſchaft des Hauſes iſt der älteſte Adels- brief der Menſchheit“ (Riehl). Neben Raub und Kauf der Frau treten ſinnige Hochzeitsgebräuche und die religiöſe Feier des Ehebündniſſes, um die erſteren Formen ſpäter ganz zu verdrängen; die zuerſt heimgeführte Frau erhält ſchon wegen der Bevorzugung ihrer Söhne eine höhere Stellung, wird Beherrſcherin im Hauſe. Der urſprünglich ihrem Vater gezahlte Kauf- preis fällt ihr zu; ſie wird daneben mit einer Ausſtattung von den Ihrigen, mit der Schmoller, Grundriß der Volkswirtſchaftslehre. I. 16

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/257>, abgerufen am 28.03.2024.