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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
fach die Zuweisung von Ackerland in der Hand; sie mußte Bedürfnis werden, wo nicht
viel überflüssiges Bauland vorhanden war; sie ergab sich da von selbst, wo die Sippen
gemeinsame Rodungsarbeiten vornahmen oder gemeinsam das Feld bestellten. Hier liegt
der Kern aller Feldgemeinschaft. Auch zu gewissen Jagdarten wirken alle oder einzelne
Genossen zusammen. Die Plätze für Heiligtümer und Zusammenkünfte, die Hallen für
solche und für Unterbringung der kriegerischen Jugend, der Fremden, der Schiffe sind
Sippeneigentum; ebenso die Vorratshäuser und ihr Inhalt, die Schutzbauten; gemein-
same Speisung besonders der kriegerischen, kasernierten Jugend kommt vor. Bei vielen
Stämmen sind Einrichtungen, wie wir sie von den Spartanern her kennen. Wo wir
sie treffen, können wir sicher sein, daß ihr Ursprung in der Gentilverfassung liegt.

Wir sehen die Sippen das Recht der Vormundschaft der Minderjährigen und der
Verheiratung der mannbaren Töchter da und dort in Anspruch nehmen; die Gens hat
teilweise ein Recht der Erbfolge an dem beweglichen Besitz der Genossen, während daneben
auch schon die Kinder gegenüber Mutter und mütterlichem Onkel ein solches beanspruchen.

Die Funktionen und Rechte der Gens sind von denen der Muttergruppen und
Individuen, später von denen der Familie sehr verschieden abgegrenzt. Die Gemeinsam-
keit konnte eine sehr beschränkte und eine relativ weitgehende sein. Wohl nur unter
günstigen Umständen gelang den fähigsten Rassen eine sehr starke Zusammenfassung.
Aber je mehr sie gelang, desto kräftiger konnte der Stamm auftreten, seiner Feinde Herr
werden, wirtschaftlich und kulturell vorankommen. Wo 50--100 erwachsene Männer
gewohnt waren, in der Schlacht und bei gewissen Arbeiten zusammen zu stehen, einem
Befehle zu folgen, wo die Stammesvorstände mit ihren Befehlen sich nur an die wenigen
Gentilvorstände zu wenden brauchten, da war ein Princip der Zucht, der Ordnung vor-
handen, eine Kraftzusammenfassung gelungen, welche allein bei dem niedrigen Stande
der damaligen Technik große Erfolge garantierte.

Die Voraussetzung für das Entstehen und die Blüte dieser genossenschaftlichen
Gruppen war, daß noch keine sehr erhebliche geistige und körperliche Differenzierung unter
den Genossen, noch kein bedeutender individueller Besitz vorhanden war, noch weniger erheb-
liche Besitzunterschiede. Auch die innerhalb der Gens vorhandenen Muttergruppen durften
keine zu feste individuelle Sonderorganisation erreicht haben, noch durfte da, wo das
Vaterrecht mit Eigentum, Herdenbesitz und Sklaven, mit Weiberkauf und starker väter-
licher Gewalt über Söhne und Töchter sich auszubilden anfing, dieses sich schon in
seinen ganzen Konsequenzen befestigt haben. Nur leise Anfänge einer Arbeitsteilung
innerhalb des Stammes, einer Bildung aristokratischer Kräfte, einer Umwandlung der
Häuptlingswürde in befestigte Königsgewalt durften die Gentilverfassung begleiten, so
lange sie ihre volle Wirksamkeit behaupten sollte. In der Regel hatte jede Gens mehrere
gewählte Friedenshäuptlinge, nur für die Kriegszeit einen Kriegshäuptling; die Wahl
bedurfte der Bestätigung durch Phratrie oder Stamm; die Absetzung war in bestimmten
Fällen üblich. Die Versammlung der sämtlichen Häuptlinge der Gentes regierte, in
bestimmten Fristen als Keim der späteren Senate zusammentretend, den Stamm. Aber
im ganzen waren diese führenden Organe der Gentes und des Stammes noch meist
ohne zu viel Gewalt und Macht. Der wirkliche Zusammenhalt des Stammes beruhte
auf dem durch Sitte und Kult geheiligten innigen brüderlich-genossenschaftlichen Zu-
sammenhang der Männer und Weiber jeder Gens in sich und auf den Geschlechts-
beziehungen der Glieder jeder einzelnen Gens in die andere hinüber, auf der Thatsache,
daß der ganze Stamm doch noch wie eine große Verwandtschaftsgruppe sich fühlte, in
der jeder jeden persönlich kannte und mit seinem genauen Verwandtschaftstitel anredete.

Gegenüber den Zuständen in den kleineren, älteren Horden von einigen Dutzenden
zusammenlebender Menschen bildet die Stammesverfassung mit Sippen den großen Fort-
schritt, daß sie statt einiger Dutzend schon Hunderte, ja mehrere Tausende von Menschen
einheitlich zusammenfaßt, daß sie durch das feste Mittelglied der Sippe die einzelnen
und kleine Gruppen mit dem ganzen Stamme verbindet, daß sie für einzelne große
militärische und wirtschaftliche, Friedens- und politische Zwecke die Gentilgenossenschaften
als geordnete, eingeschulte, große Gruppen verwendet; die Sippenverfassung will mir

Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
fach die Zuweiſung von Ackerland in der Hand; ſie mußte Bedürfnis werden, wo nicht
viel überflüſſiges Bauland vorhanden war; ſie ergab ſich da von ſelbſt, wo die Sippen
gemeinſame Rodungsarbeiten vornahmen oder gemeinſam das Feld beſtellten. Hier liegt
der Kern aller Feldgemeinſchaft. Auch zu gewiſſen Jagdarten wirken alle oder einzelne
Genoſſen zuſammen. Die Plätze für Heiligtümer und Zuſammenkünfte, die Hallen für
ſolche und für Unterbringung der kriegeriſchen Jugend, der Fremden, der Schiffe ſind
Sippeneigentum; ebenſo die Vorratshäuſer und ihr Inhalt, die Schutzbauten; gemein-
ſame Speiſung beſonders der kriegeriſchen, kaſernierten Jugend kommt vor. Bei vielen
Stämmen ſind Einrichtungen, wie wir ſie von den Spartanern her kennen. Wo wir
ſie treffen, können wir ſicher ſein, daß ihr Urſprung in der Gentilverfaſſung liegt.

Wir ſehen die Sippen das Recht der Vormundſchaft der Minderjährigen und der
Verheiratung der mannbaren Töchter da und dort in Anſpruch nehmen; die Gens hat
teilweiſe ein Recht der Erbfolge an dem beweglichen Beſitz der Genoſſen, während daneben
auch ſchon die Kinder gegenüber Mutter und mütterlichem Onkel ein ſolches beanſpruchen.

Die Funktionen und Rechte der Gens ſind von denen der Muttergruppen und
Individuen, ſpäter von denen der Familie ſehr verſchieden abgegrenzt. Die Gemeinſam-
keit konnte eine ſehr beſchränkte und eine relativ weitgehende ſein. Wohl nur unter
günſtigen Umſtänden gelang den fähigſten Raſſen eine ſehr ſtarke Zuſammenfaſſung.
Aber je mehr ſie gelang, deſto kräftiger konnte der Stamm auftreten, ſeiner Feinde Herr
werden, wirtſchaftlich und kulturell vorankommen. Wo 50—100 erwachſene Männer
gewohnt waren, in der Schlacht und bei gewiſſen Arbeiten zuſammen zu ſtehen, einem
Befehle zu folgen, wo die Stammesvorſtände mit ihren Befehlen ſich nur an die wenigen
Gentilvorſtände zu wenden brauchten, da war ein Princip der Zucht, der Ordnung vor-
handen, eine Kraftzuſammenfaſſung gelungen, welche allein bei dem niedrigen Stande
der damaligen Technik große Erfolge garantierte.

Die Vorausſetzung für das Entſtehen und die Blüte dieſer genoſſenſchaftlichen
Gruppen war, daß noch keine ſehr erhebliche geiſtige und körperliche Differenzierung unter
den Genoſſen, noch kein bedeutender individueller Beſitz vorhanden war, noch weniger erheb-
liche Beſitzunterſchiede. Auch die innerhalb der Gens vorhandenen Muttergruppen durften
keine zu feſte individuelle Sonderorganiſation erreicht haben, noch durfte da, wo das
Vaterrecht mit Eigentum, Herdenbeſitz und Sklaven, mit Weiberkauf und ſtarker väter-
licher Gewalt über Söhne und Töchter ſich auszubilden anfing, dieſes ſich ſchon in
ſeinen ganzen Konſequenzen befeſtigt haben. Nur leiſe Anfänge einer Arbeitsteilung
innerhalb des Stammes, einer Bildung ariſtokratiſcher Kräfte, einer Umwandlung der
Häuptlingswürde in befeſtigte Königsgewalt durften die Gentilverfaſſung begleiten, ſo
lange ſie ihre volle Wirkſamkeit behaupten ſollte. In der Regel hatte jede Gens mehrere
gewählte Friedenshäuptlinge, nur für die Kriegszeit einen Kriegshäuptling; die Wahl
bedurfte der Beſtätigung durch Phratrie oder Stamm; die Abſetzung war in beſtimmten
Fällen üblich. Die Verſammlung der ſämtlichen Häuptlinge der Gentes regierte, in
beſtimmten Friſten als Keim der ſpäteren Senate zuſammentretend, den Stamm. Aber
im ganzen waren dieſe führenden Organe der Gentes und des Stammes noch meiſt
ohne zu viel Gewalt und Macht. Der wirkliche Zuſammenhalt des Stammes beruhte
auf dem durch Sitte und Kult geheiligten innigen brüderlich-genoſſenſchaftlichen Zu-
ſammenhang der Männer und Weiber jeder Gens in ſich und auf den Geſchlechts-
beziehungen der Glieder jeder einzelnen Gens in die andere hinüber, auf der Thatſache,
daß der ganze Stamm doch noch wie eine große Verwandtſchaftsgruppe ſich fühlte, in
der jeder jeden perſönlich kannte und mit ſeinem genauen Verwandtſchaftstitel anredete.

Gegenüber den Zuſtänden in den kleineren, älteren Horden von einigen Dutzenden
zuſammenlebender Menſchen bildet die Stammesverfaſſung mit Sippen den großen Fort-
ſchritt, daß ſie ſtatt einiger Dutzend ſchon Hunderte, ja mehrere Tauſende von Menſchen
einheitlich zuſammenfaßt, daß ſie durch das feſte Mittelglied der Sippe die einzelnen
und kleine Gruppen mit dem ganzen Stamme verbindet, daß ſie für einzelne große
militäriſche und wirtſchaftliche, Friedens- und politiſche Zwecke die Gentilgenoſſenſchaften
als geordnete, eingeſchulte, große Gruppen verwendet; die Sippenverfaſſung will mir

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[238/0254] Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. fach die Zuweiſung von Ackerland in der Hand; ſie mußte Bedürfnis werden, wo nicht viel überflüſſiges Bauland vorhanden war; ſie ergab ſich da von ſelbſt, wo die Sippen gemeinſame Rodungsarbeiten vornahmen oder gemeinſam das Feld beſtellten. Hier liegt der Kern aller Feldgemeinſchaft. Auch zu gewiſſen Jagdarten wirken alle oder einzelne Genoſſen zuſammen. Die Plätze für Heiligtümer und Zuſammenkünfte, die Hallen für ſolche und für Unterbringung der kriegeriſchen Jugend, der Fremden, der Schiffe ſind Sippeneigentum; ebenſo die Vorratshäuſer und ihr Inhalt, die Schutzbauten; gemein- ſame Speiſung beſonders der kriegeriſchen, kaſernierten Jugend kommt vor. Bei vielen Stämmen ſind Einrichtungen, wie wir ſie von den Spartanern her kennen. Wo wir ſie treffen, können wir ſicher ſein, daß ihr Urſprung in der Gentilverfaſſung liegt. Wir ſehen die Sippen das Recht der Vormundſchaft der Minderjährigen und der Verheiratung der mannbaren Töchter da und dort in Anſpruch nehmen; die Gens hat teilweiſe ein Recht der Erbfolge an dem beweglichen Beſitz der Genoſſen, während daneben auch ſchon die Kinder gegenüber Mutter und mütterlichem Onkel ein ſolches beanſpruchen. Die Funktionen und Rechte der Gens ſind von denen der Muttergruppen und Individuen, ſpäter von denen der Familie ſehr verſchieden abgegrenzt. Die Gemeinſam- keit konnte eine ſehr beſchränkte und eine relativ weitgehende ſein. Wohl nur unter günſtigen Umſtänden gelang den fähigſten Raſſen eine ſehr ſtarke Zuſammenfaſſung. Aber je mehr ſie gelang, deſto kräftiger konnte der Stamm auftreten, ſeiner Feinde Herr werden, wirtſchaftlich und kulturell vorankommen. Wo 50—100 erwachſene Männer gewohnt waren, in der Schlacht und bei gewiſſen Arbeiten zuſammen zu ſtehen, einem Befehle zu folgen, wo die Stammesvorſtände mit ihren Befehlen ſich nur an die wenigen Gentilvorſtände zu wenden brauchten, da war ein Princip der Zucht, der Ordnung vor- handen, eine Kraftzuſammenfaſſung gelungen, welche allein bei dem niedrigen Stande der damaligen Technik große Erfolge garantierte. Die Vorausſetzung für das Entſtehen und die Blüte dieſer genoſſenſchaftlichen Gruppen war, daß noch keine ſehr erhebliche geiſtige und körperliche Differenzierung unter den Genoſſen, noch kein bedeutender individueller Beſitz vorhanden war, noch weniger erheb- liche Beſitzunterſchiede. Auch die innerhalb der Gens vorhandenen Muttergruppen durften keine zu feſte individuelle Sonderorganiſation erreicht haben, noch durfte da, wo das Vaterrecht mit Eigentum, Herdenbeſitz und Sklaven, mit Weiberkauf und ſtarker väter- licher Gewalt über Söhne und Töchter ſich auszubilden anfing, dieſes ſich ſchon in ſeinen ganzen Konſequenzen befeſtigt haben. Nur leiſe Anfänge einer Arbeitsteilung innerhalb des Stammes, einer Bildung ariſtokratiſcher Kräfte, einer Umwandlung der Häuptlingswürde in befeſtigte Königsgewalt durften die Gentilverfaſſung begleiten, ſo lange ſie ihre volle Wirkſamkeit behaupten ſollte. In der Regel hatte jede Gens mehrere gewählte Friedenshäuptlinge, nur für die Kriegszeit einen Kriegshäuptling; die Wahl bedurfte der Beſtätigung durch Phratrie oder Stamm; die Abſetzung war in beſtimmten Fällen üblich. Die Verſammlung der ſämtlichen Häuptlinge der Gentes regierte, in beſtimmten Friſten als Keim der ſpäteren Senate zuſammentretend, den Stamm. Aber im ganzen waren dieſe führenden Organe der Gentes und des Stammes noch meiſt ohne zu viel Gewalt und Macht. Der wirkliche Zuſammenhalt des Stammes beruhte auf dem durch Sitte und Kult geheiligten innigen brüderlich-genoſſenſchaftlichen Zu- ſammenhang der Männer und Weiber jeder Gens in ſich und auf den Geſchlechts- beziehungen der Glieder jeder einzelnen Gens in die andere hinüber, auf der Thatſache, daß der ganze Stamm doch noch wie eine große Verwandtſchaftsgruppe ſich fühlte, in der jeder jeden perſönlich kannte und mit ſeinem genauen Verwandtſchaftstitel anredete. Gegenüber den Zuſtänden in den kleineren, älteren Horden von einigen Dutzenden zuſammenlebender Menſchen bildet die Stammesverfaſſung mit Sippen den großen Fort- ſchritt, daß ſie ſtatt einiger Dutzend ſchon Hunderte, ja mehrere Tauſende von Menſchen einheitlich zuſammenfaßt, daß ſie durch das feſte Mittelglied der Sippe die einzelnen und kleine Gruppen mit dem ganzen Stamme verbindet, daß ſie für einzelne große militäriſche und wirtſchaftliche, Friedens- und politiſche Zwecke die Gentilgenoſſenſchaften als geordnete, eingeſchulte, große Gruppen verwendet; die Sippenverfaſſung will mir

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/254>, abgerufen am 28.03.2024.