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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Die Epochen der Technik und der Volkswirtschaft.
mit hoher Technik wirtschaftlich zurückgingen, von technisch tiefer stehenden überholt, ja
vernichtet wurden; Völker, die ohne gleich hohe Technik wie andere, sie an geistiger,
sittlicher und socialer Kultur übertrafen, Völker, die auch wirtschaftlich durch größeren
Fleiß, bessere sociale und politische Organisation vorankamen, ohne in der gleichen
Zeit erhebliche technische Fortschritte zu machen.

Den Beweis für die zuerst genannte allgemeine Wahrheit des Zusammenhanges
haben wir in unseren ganzen historisch-technischen Ausführungen geliefert. Die Benützung
des Feuers, die Zähmung des Viehes, die Erfindung der Werkzeuge, der Bau von
Wohnungen, vollends die moderne Maschine, die heutige Präcisionstechnik sind Stationen
auf einer ansteigenden Erziehungsbahn, welche den Menschen immer besser versorgten,
ihn aber auch denken, beobachten, die Zukunft beherrschen lehrten. Mit der höheren
Technik allein wurden zugleich die größeren, komplizierteren arbeitsgeteilten socialen
Körper möglich. Die Organisation derselben aber, die Pflichten der einzelnen in ihnen
waren immer schwer zu finden. Und deshalb die Möglichkeit der sittlichen Ent-
artung bei jedem großen technischen Fortschritt, deshalb die große Frage, ob sofort oder
überhaupt allein mit der besseren Technik und dem größeren Wohlstand die vollendetere
gesellschaftliche Organisation gelinge.

Im ganzen waren gewiß die Völker mit höherer Technik nicht bloß die reicheren,
sondern auch die herrschenden, die siegreich sich ausbreitenden. Und zwar umsomehr, je
langsamer früher die Fortschritte der einzelnen sich auf andere übertrugen. Die heutige
Ausgleichung der Technik zwischen fast allen Völkern und Rassen wird schneller gehen
als je früher. Ob sie einzelnen der heute in erster Linie stehenden Völker ihren Primat
entreißt, ob bei der Konkurrenz und dem Ausgleichungsprozesse viele der unentwickelten
Rassen und Völker durch die unvermittelte Berührung mit hoher Technik leiden oder gar
zu Grunde gehen, ist schwer sicher zu prophezeien. Die höhere Technik und der größere
Wohlstand, die zunehmenden Genüsse sind etwas, was erst in langer sittlicher Schulung
an der Hand bestimmter moralisch-politischer Gesellschaftseinrichtungen ohne Schaden
erträglich und segensreich wird.

Als alleinige Ursache der volkswirtschaftlichen Organisation, der jeweiligen wirt-
schaftlichen Zustände und Institutionen wird kein geschichtlich Unterrichteter die Technik
und ihren jeweiligen Stand hinstellen wollen. Sie bildet nur ein sehr wichtiges
Mittelglied zwischen den zwei Hauptreihen der volkswirtschaftlichen Ursachen, den rein
natürlichen (Klima, physiologische Menschennatur, Flora, Fauna etc.) und den geistig-
moralischen. Die drei Gruppen von Ursachen beeinflussen sich gegenseitig, aber keine
beherrscht ganz die andere. Es giebt kein höheres geistiges Leben ohne technische Ent-
wickelung, aber auch keine höhere Technik ohne geistige und moralische Fortschritte,
größeres Nachdenken, bessere Selbstbeherrschung.

Die volkswirtschaftliche Organisation in Familien, Gemeinden, Staaten, Unter-
nehmungen, die sociale Klassenbildung und Arbeitsteilung ist von der Technik in gewissen
groben Umrissen der Struktur stets bedingt. Ackerbauer und Nomaden sind notwendig
verschieden organisiert; die ältere Ackerbau- und Handwerkstechnik hat die Bauern- und
Handwerkswirtschaft, die Maschinenwirtschaft den Großbetrieb, die heutige Verkehrs-
technik große Märkte und Staaten geschaffen; aber keine dieser technischen Ursachen hat
die Rasseneigenschaften der Menschen, ihre sittlichen Ideale, ihre Institutionen allein
geordnet, beeinflußt, gestaltet, sondern nur in Verbindung mit ebenso starken, selbständig
daneben stehenden psychischen Ursachen das einzelne der praktisch historischen Aus-
gestaltung bestimmt. Wie könnte sonst dieselbe oder eine ganz ähnliche Technik jederzeit
so verschiedene Volkswirtschaften erzeugt haben? Daß dem so sei, haben wir an ver-
schiedenen Stellen gezeigt.

Darum wird aber auch der Stufengang der Technik nicht allein ausreichen, um
als das allein herrschende Entwickelungsgesetz des volkswirtschaftlichen Lebens zu dienen,
obwohl in gewissem beschränkten Sinne die Stufen der Technik zugleich gewiß Stufen
des volkswirtschaftlichen Lebens sind. Es kommt für unser heutiges Urteil hinzu, daß
der Stufengang der technischen Entwickelung heute weder schon ganz klar wissenschaftlich

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Die Epochen der Technik und der Volkswirtſchaft.
mit hoher Technik wirtſchaftlich zurückgingen, von techniſch tiefer ſtehenden überholt, ja
vernichtet wurden; Völker, die ohne gleich hohe Technik wie andere, ſie an geiſtiger,
ſittlicher und ſocialer Kultur übertrafen, Völker, die auch wirtſchaftlich durch größeren
Fleiß, beſſere ſociale und politiſche Organiſation vorankamen, ohne in der gleichen
Zeit erhebliche techniſche Fortſchritte zu machen.

Den Beweis für die zuerſt genannte allgemeine Wahrheit des Zuſammenhanges
haben wir in unſeren ganzen hiſtoriſch-techniſchen Ausführungen geliefert. Die Benützung
des Feuers, die Zähmung des Viehes, die Erfindung der Werkzeuge, der Bau von
Wohnungen, vollends die moderne Maſchine, die heutige Präciſionstechnik ſind Stationen
auf einer anſteigenden Erziehungsbahn, welche den Menſchen immer beſſer verſorgten,
ihn aber auch denken, beobachten, die Zukunft beherrſchen lehrten. Mit der höheren
Technik allein wurden zugleich die größeren, komplizierteren arbeitsgeteilten ſocialen
Körper möglich. Die Organiſation derſelben aber, die Pflichten der einzelnen in ihnen
waren immer ſchwer zu finden. Und deshalb die Möglichkeit der ſittlichen Ent-
artung bei jedem großen techniſchen Fortſchritt, deshalb die große Frage, ob ſofort oder
überhaupt allein mit der beſſeren Technik und dem größeren Wohlſtand die vollendetere
geſellſchaftliche Organiſation gelinge.

Im ganzen waren gewiß die Völker mit höherer Technik nicht bloß die reicheren,
ſondern auch die herrſchenden, die ſiegreich ſich ausbreitenden. Und zwar umſomehr, je
langſamer früher die Fortſchritte der einzelnen ſich auf andere übertrugen. Die heutige
Ausgleichung der Technik zwiſchen faſt allen Völkern und Raſſen wird ſchneller gehen
als je früher. Ob ſie einzelnen der heute in erſter Linie ſtehenden Völker ihren Primat
entreißt, ob bei der Konkurrenz und dem Ausgleichungsprozeſſe viele der unentwickelten
Raſſen und Völker durch die unvermittelte Berührung mit hoher Technik leiden oder gar
zu Grunde gehen, iſt ſchwer ſicher zu prophezeien. Die höhere Technik und der größere
Wohlſtand, die zunehmenden Genüſſe ſind etwas, was erſt in langer ſittlicher Schulung
an der Hand beſtimmter moraliſch-politiſcher Geſellſchaftseinrichtungen ohne Schaden
erträglich und ſegensreich wird.

Als alleinige Urſache der volkswirtſchaftlichen Organiſation, der jeweiligen wirt-
ſchaftlichen Zuſtände und Inſtitutionen wird kein geſchichtlich Unterrichteter die Technik
und ihren jeweiligen Stand hinſtellen wollen. Sie bildet nur ein ſehr wichtiges
Mittelglied zwiſchen den zwei Hauptreihen der volkswirtſchaftlichen Urſachen, den rein
natürlichen (Klima, phyſiologiſche Menſchennatur, Flora, Fauna ꝛc.) und den geiſtig-
moraliſchen. Die drei Gruppen von Urſachen beeinfluſſen ſich gegenſeitig, aber keine
beherrſcht ganz die andere. Es giebt kein höheres geiſtiges Leben ohne techniſche Ent-
wickelung, aber auch keine höhere Technik ohne geiſtige und moraliſche Fortſchritte,
größeres Nachdenken, beſſere Selbſtbeherrſchung.

Die volkswirtſchaftliche Organiſation in Familien, Gemeinden, Staaten, Unter-
nehmungen, die ſociale Klaſſenbildung und Arbeitsteilung iſt von der Technik in gewiſſen
groben Umriſſen der Struktur ſtets bedingt. Ackerbauer und Nomaden ſind notwendig
verſchieden organiſiert; die ältere Ackerbau- und Handwerkstechnik hat die Bauern- und
Handwerkswirtſchaft, die Maſchinenwirtſchaft den Großbetrieb, die heutige Verkehrs-
technik große Märkte und Staaten geſchaffen; aber keine dieſer techniſchen Urſachen hat
die Raſſeneigenſchaften der Menſchen, ihre ſittlichen Ideale, ihre Inſtitutionen allein
geordnet, beeinflußt, geſtaltet, ſondern nur in Verbindung mit ebenſo ſtarken, ſelbſtändig
daneben ſtehenden pſychiſchen Urſachen das einzelne der praktiſch hiſtoriſchen Aus-
geſtaltung beſtimmt. Wie könnte ſonſt dieſelbe oder eine ganz ähnliche Technik jederzeit
ſo verſchiedene Volkswirtſchaften erzeugt haben? Daß dem ſo ſei, haben wir an ver-
ſchiedenen Stellen gezeigt.

Darum wird aber auch der Stufengang der Technik nicht allein ausreichen, um
als das allein herrſchende Entwickelungsgeſetz des volkswirtſchaftlichen Lebens zu dienen,
obwohl in gewiſſem beſchränkten Sinne die Stufen der Technik zugleich gewiß Stufen
des volkswirtſchaftlichen Lebens ſind. Es kommt für unſer heutiges Urteil hinzu, daß
der Stufengang der techniſchen Entwickelung heute weder ſchon ganz klar wiſſenſchaftlich

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[227/0243] Die Epochen der Technik und der Volkswirtſchaft. mit hoher Technik wirtſchaftlich zurückgingen, von techniſch tiefer ſtehenden überholt, ja vernichtet wurden; Völker, die ohne gleich hohe Technik wie andere, ſie an geiſtiger, ſittlicher und ſocialer Kultur übertrafen, Völker, die auch wirtſchaftlich durch größeren Fleiß, beſſere ſociale und politiſche Organiſation vorankamen, ohne in der gleichen Zeit erhebliche techniſche Fortſchritte zu machen. Den Beweis für die zuerſt genannte allgemeine Wahrheit des Zuſammenhanges haben wir in unſeren ganzen hiſtoriſch-techniſchen Ausführungen geliefert. Die Benützung des Feuers, die Zähmung des Viehes, die Erfindung der Werkzeuge, der Bau von Wohnungen, vollends die moderne Maſchine, die heutige Präciſionstechnik ſind Stationen auf einer anſteigenden Erziehungsbahn, welche den Menſchen immer beſſer verſorgten, ihn aber auch denken, beobachten, die Zukunft beherrſchen lehrten. Mit der höheren Technik allein wurden zugleich die größeren, komplizierteren arbeitsgeteilten ſocialen Körper möglich. Die Organiſation derſelben aber, die Pflichten der einzelnen in ihnen waren immer ſchwer zu finden. Und deshalb die Möglichkeit der ſittlichen Ent- artung bei jedem großen techniſchen Fortſchritt, deshalb die große Frage, ob ſofort oder überhaupt allein mit der beſſeren Technik und dem größeren Wohlſtand die vollendetere geſellſchaftliche Organiſation gelinge. Im ganzen waren gewiß die Völker mit höherer Technik nicht bloß die reicheren, ſondern auch die herrſchenden, die ſiegreich ſich ausbreitenden. Und zwar umſomehr, je langſamer früher die Fortſchritte der einzelnen ſich auf andere übertrugen. Die heutige Ausgleichung der Technik zwiſchen faſt allen Völkern und Raſſen wird ſchneller gehen als je früher. Ob ſie einzelnen der heute in erſter Linie ſtehenden Völker ihren Primat entreißt, ob bei der Konkurrenz und dem Ausgleichungsprozeſſe viele der unentwickelten Raſſen und Völker durch die unvermittelte Berührung mit hoher Technik leiden oder gar zu Grunde gehen, iſt ſchwer ſicher zu prophezeien. Die höhere Technik und der größere Wohlſtand, die zunehmenden Genüſſe ſind etwas, was erſt in langer ſittlicher Schulung an der Hand beſtimmter moraliſch-politiſcher Geſellſchaftseinrichtungen ohne Schaden erträglich und ſegensreich wird. Als alleinige Urſache der volkswirtſchaftlichen Organiſation, der jeweiligen wirt- ſchaftlichen Zuſtände und Inſtitutionen wird kein geſchichtlich Unterrichteter die Technik und ihren jeweiligen Stand hinſtellen wollen. Sie bildet nur ein ſehr wichtiges Mittelglied zwiſchen den zwei Hauptreihen der volkswirtſchaftlichen Urſachen, den rein natürlichen (Klima, phyſiologiſche Menſchennatur, Flora, Fauna ꝛc.) und den geiſtig- moraliſchen. Die drei Gruppen von Urſachen beeinfluſſen ſich gegenſeitig, aber keine beherrſcht ganz die andere. Es giebt kein höheres geiſtiges Leben ohne techniſche Ent- wickelung, aber auch keine höhere Technik ohne geiſtige und moraliſche Fortſchritte, größeres Nachdenken, beſſere Selbſtbeherrſchung. Die volkswirtſchaftliche Organiſation in Familien, Gemeinden, Staaten, Unter- nehmungen, die ſociale Klaſſenbildung und Arbeitsteilung iſt von der Technik in gewiſſen groben Umriſſen der Struktur ſtets bedingt. Ackerbauer und Nomaden ſind notwendig verſchieden organiſiert; die ältere Ackerbau- und Handwerkstechnik hat die Bauern- und Handwerkswirtſchaft, die Maſchinenwirtſchaft den Großbetrieb, die heutige Verkehrs- technik große Märkte und Staaten geſchaffen; aber keine dieſer techniſchen Urſachen hat die Raſſeneigenſchaften der Menſchen, ihre ſittlichen Ideale, ihre Inſtitutionen allein geordnet, beeinflußt, geſtaltet, ſondern nur in Verbindung mit ebenſo ſtarken, ſelbſtändig daneben ſtehenden pſychiſchen Urſachen das einzelne der praktiſch hiſtoriſchen Aus- geſtaltung beſtimmt. Wie könnte ſonſt dieſelbe oder eine ganz ähnliche Technik jederzeit ſo verſchiedene Volkswirtſchaften erzeugt haben? Daß dem ſo ſei, haben wir an ver- ſchiedenen Stellen gezeigt. Darum wird aber auch der Stufengang der Technik nicht allein ausreichen, um als das allein herrſchende Entwickelungsgeſetz des volkswirtſchaftlichen Lebens zu dienen, obwohl in gewiſſem beſchränkten Sinne die Stufen der Technik zugleich gewiß Stufen des volkswirtſchaftlichen Lebens ſind. Es kommt für unſer heutiges Urteil hinzu, daß der Stufengang der techniſchen Entwickelung heute weder ſchon ganz klar wiſſenſchaftlich 15*

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/243>, abgerufen am 29.03.2024.