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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Die Maschine in ihrer Wirkung auf die Arbeiter.

Die wichtigste sociale Folge der Großtechnik ist die Entstehung eines breiten Lohn-
arbeiterstandes: die Wirkung der Maschine und der modernen Technik auf ihn ist der
letzte specielle, vielumstrittene Punkt, den wir berühren. Wir fassen zunächst die Zu-
oder Abnahme der Arbeitsgelegenheit und ihre Regelmäßigkeit ins Auge.

Wenn aller Zweck der Maschine Ersparung menschlicher Arbeit ist, so kann darüber
nicht wohl Zweifel sein, daß die neuere Maschinenentwickelung immer wieder Arbeitern ihre
hergebrachte Arbeitsgelegenheit und ihren Verdienst nahm, den Lohn der mit der Maschine
konkurrierenden Handarbeit aller Art drückte. Dieser Prozeß wurde ermäßigt durch die
langsame Verbreitung der Maschine und durch die rasche Ausdehnung vieler Gewerbszweige
in den aufblühenden Kulturstaaten; aber die Hunderte von Maschinenzerstörungen und
tumultuarischen Aufständen, die von 1700 bis über die Mitte unseres Jahrhunderts
herein reichen, das chronische Handspinner- und Handweberelend von Hunderttausenden,
wie es zwischen 1770 und 1870 ganze Gegenden proletarisierte, reden eine ebenso
lapidare Sprache über das erzeugte Arbeiterelend wie die neuere Arbeitslosigkeit. In
den Vereinigten Staaten wurden nach Wells und anderen durch die neuesten technischen
Fortschritte von 1870--90 Arbeiter überflüssig: in der Möbelindustrie 25--30, in der
Tapetenindustrie 93, in der Metallindustrie 33, in der Waggonfabrikation 65, in der
Maschinenindustrie 40--70, in der Seidenmanufaktur 50 %. Die Verdrängung der
Männer- durch Frauen- und Kinderarbeit ist auch nur ein Stück aus diesem Prozeß
der Arbeitsersparung. Man sagt nun, all' die so für die entlassenen Arbeiter erzeugte
Not sei nur eine vorübergehende gewesen, und das ist in gewisser Beziehung wahr.
Wenigstens die jüngeren Kräfte fanden stets anderweit Arbeit; die folgende Generation
sah sich in den blühenden exportierenden Staaten immer wieder einer durch die Gesamt-
entwickelung geschaffenen größeren Arbeitsnachfrage in anderen Berufszweigen gegenüber.
Aber zwischen der beginnenden Not und der einsetzenden Hülfe lag oft entsetzliches Hunger-
elend. Der alte gewöhnliche Manchestertrost, überall sei sofort durch die Maschinen-
verbilligung die Nachfrage nach der entsprechenden Ware so gestiegen, daß die Arbeits-
entziehung kaum zu spüren gewesen, ist eine grobe Täuschung. Auch in Zukunft wird
dieser Prozeß fortdauern, nur in dem Maße weniger hervortreten, als ein technisch
hochstehender und beweglicher Arbeiterstand sich rascher den Veränderungen anpaßt und
als eine allgemein hohe Blüte und verbesserte Organisation der Volkswirtschaft die
entlassenen Arbeiter in den Berufen unterzubringen weiß, die als weniger maschinell
entwickelt noch zunehmender Arbeitskräfte bedürfen.

Die Regelmäßigkeit der Arbeitsbeschäftigung war in älteren Zeiten, mit lokalem
Markte und patriarchalischen Zuständen, natürlich viel größer als heute. Sie nahm
mit der Ausdehnung der Märkte und unter den heutigen kurzen Arbeitsverträgen ab;
zunächst am meisten in der Hausindustrie, wo der Arbeitgeber sich für die Heimarbeiter
nicht verantwortlich fühlt. Die maschinelle Fabrikindustrie giebt wieder regelmäßigere
Arbeit, sofern der Unternehmer die Maschinen regelmäßig gehen zu lassen ein Interesse
hat, -- aber unregelmäßigere, sofern die Konjunkturen der Weltwirtschaft und die Moden
schwankender werden. Die unregelmäßigere Beschäftigung wurde früher weniger em-
pfunden, so lange die meisten Arbeiter ein Häuschen, ein Stück Allmende oder Acker-
land zu bebauen hatten, nicht allein vom Lohne lebten. Die ganze Frage der Regel-
mäßigkeit und Unregelmäßigkeit der Arbeit ist in ihrem letzten Kerne aber nicht von
der Technik, sondern von der socialen Ordnung der Volkswirtschaft zu lösen.

Die Wirkung der Maschine auf die Lebenshaltung, Gesundheit, Kraft und Bildung
der Arbeiter ist in jedem Berufe, ja in jeder Abteilung einer Fabrik und je nach der
Länge der Arbeit und den sonst mitwirkenden socialen Umstände so verschieden, daß alle
allgemeinen optimistischen und pessimistischen Urteile übers Ziel hinausschießen. Näh-
maschine und Lokomotive, Spinnstuhl und Dampfhammer können nicht wohl überein-
stimmende Wirkungen ausüben. Man wird nur im allgemeinen sagen können, daß die
ältere haus- und landwirtschaftliche, sowie die Arbeit in der alten Handwerksstatt der
menschlichen Natur schon wegen ihrer Abwechselung angemessener war und sei als die
Maschinenarbeit. Aber lange vor allen Maschinen, seit Jahrtausenden, gab es eine

Die Maſchine in ihrer Wirkung auf die Arbeiter.

Die wichtigſte ſociale Folge der Großtechnik iſt die Entſtehung eines breiten Lohn-
arbeiterſtandes: die Wirkung der Maſchine und der modernen Technik auf ihn iſt der
letzte ſpecielle, vielumſtrittene Punkt, den wir berühren. Wir faſſen zunächſt die Zu-
oder Abnahme der Arbeitsgelegenheit und ihre Regelmäßigkeit ins Auge.

Wenn aller Zweck der Maſchine Erſparung menſchlicher Arbeit iſt, ſo kann darüber
nicht wohl Zweifel ſein, daß die neuere Maſchinenentwickelung immer wieder Arbeitern ihre
hergebrachte Arbeitsgelegenheit und ihren Verdienſt nahm, den Lohn der mit der Maſchine
konkurrierenden Handarbeit aller Art drückte. Dieſer Prozeß wurde ermäßigt durch die
langſame Verbreitung der Maſchine und durch die raſche Ausdehnung vieler Gewerbszweige
in den aufblühenden Kulturſtaaten; aber die Hunderte von Maſchinenzerſtörungen und
tumultuariſchen Aufſtänden, die von 1700 bis über die Mitte unſeres Jahrhunderts
herein reichen, das chroniſche Handſpinner- und Handweberelend von Hunderttauſenden,
wie es zwiſchen 1770 und 1870 ganze Gegenden proletariſierte, reden eine ebenſo
lapidare Sprache über das erzeugte Arbeiterelend wie die neuere Arbeitsloſigkeit. In
den Vereinigten Staaten wurden nach Wells und anderen durch die neueſten techniſchen
Fortſchritte von 1870—90 Arbeiter überflüſſig: in der Möbelinduſtrie 25—30, in der
Tapeteninduſtrie 93, in der Metallinduſtrie 33, in der Waggonfabrikation 65, in der
Maſchineninduſtrie 40—70, in der Seidenmanufaktur 50 %. Die Verdrängung der
Männer- durch Frauen- und Kinderarbeit iſt auch nur ein Stück aus dieſem Prozeß
der Arbeitserſparung. Man ſagt nun, all’ die ſo für die entlaſſenen Arbeiter erzeugte
Not ſei nur eine vorübergehende geweſen, und das iſt in gewiſſer Beziehung wahr.
Wenigſtens die jüngeren Kräfte fanden ſtets anderweit Arbeit; die folgende Generation
ſah ſich in den blühenden exportierenden Staaten immer wieder einer durch die Geſamt-
entwickelung geſchaffenen größeren Arbeitsnachfrage in anderen Berufszweigen gegenüber.
Aber zwiſchen der beginnenden Not und der einſetzenden Hülfe lag oft entſetzliches Hunger-
elend. Der alte gewöhnliche Mancheſtertroſt, überall ſei ſofort durch die Maſchinen-
verbilligung die Nachfrage nach der entſprechenden Ware ſo geſtiegen, daß die Arbeits-
entziehung kaum zu ſpüren geweſen, iſt eine grobe Täuſchung. Auch in Zukunft wird
dieſer Prozeß fortdauern, nur in dem Maße weniger hervortreten, als ein techniſch
hochſtehender und beweglicher Arbeiterſtand ſich raſcher den Veränderungen anpaßt und
als eine allgemein hohe Blüte und verbeſſerte Organiſation der Volkswirtſchaft die
entlaſſenen Arbeiter in den Berufen unterzubringen weiß, die als weniger maſchinell
entwickelt noch zunehmender Arbeitskräfte bedürfen.

Die Regelmäßigkeit der Arbeitsbeſchäftigung war in älteren Zeiten, mit lokalem
Markte und patriarchaliſchen Zuſtänden, natürlich viel größer als heute. Sie nahm
mit der Ausdehnung der Märkte und unter den heutigen kurzen Arbeitsverträgen ab;
zunächſt am meiſten in der Hausinduſtrie, wo der Arbeitgeber ſich für die Heimarbeiter
nicht verantwortlich fühlt. Die maſchinelle Fabrikinduſtrie giebt wieder regelmäßigere
Arbeit, ſofern der Unternehmer die Maſchinen regelmäßig gehen zu laſſen ein Intereſſe
hat, — aber unregelmäßigere, ſofern die Konjunkturen der Weltwirtſchaft und die Moden
ſchwankender werden. Die unregelmäßigere Beſchäftigung wurde früher weniger em-
pfunden, ſo lange die meiſten Arbeiter ein Häuschen, ein Stück Allmende oder Acker-
land zu bebauen hatten, nicht allein vom Lohne lebten. Die ganze Frage der Regel-
mäßigkeit und Unregelmäßigkeit der Arbeit iſt in ihrem letzten Kerne aber nicht von
der Technik, ſondern von der ſocialen Ordnung der Volkswirtſchaft zu löſen.

Die Wirkung der Maſchine auf die Lebenshaltung, Geſundheit, Kraft und Bildung
der Arbeiter iſt in jedem Berufe, ja in jeder Abteilung einer Fabrik und je nach der
Länge der Arbeit und den ſonſt mitwirkenden ſocialen Umſtände ſo verſchieden, daß alle
allgemeinen optimiſtiſchen und peſſimiſtiſchen Urteile übers Ziel hinausſchießen. Näh-
maſchine und Lokomotive, Spinnſtuhl und Dampfhammer können nicht wohl überein-
ſtimmende Wirkungen ausüben. Man wird nur im allgemeinen ſagen können, daß die
ältere haus- und landwirtſchaftliche, ſowie die Arbeit in der alten Handwerksſtatt der
menſchlichen Natur ſchon wegen ihrer Abwechſelung angemeſſener war und ſei als die
Maſchinenarbeit. Aber lange vor allen Maſchinen, ſeit Jahrtauſenden, gab es eine

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[223/0239] Die Maſchine in ihrer Wirkung auf die Arbeiter. Die wichtigſte ſociale Folge der Großtechnik iſt die Entſtehung eines breiten Lohn- arbeiterſtandes: die Wirkung der Maſchine und der modernen Technik auf ihn iſt der letzte ſpecielle, vielumſtrittene Punkt, den wir berühren. Wir faſſen zunächſt die Zu- oder Abnahme der Arbeitsgelegenheit und ihre Regelmäßigkeit ins Auge. Wenn aller Zweck der Maſchine Erſparung menſchlicher Arbeit iſt, ſo kann darüber nicht wohl Zweifel ſein, daß die neuere Maſchinenentwickelung immer wieder Arbeitern ihre hergebrachte Arbeitsgelegenheit und ihren Verdienſt nahm, den Lohn der mit der Maſchine konkurrierenden Handarbeit aller Art drückte. Dieſer Prozeß wurde ermäßigt durch die langſame Verbreitung der Maſchine und durch die raſche Ausdehnung vieler Gewerbszweige in den aufblühenden Kulturſtaaten; aber die Hunderte von Maſchinenzerſtörungen und tumultuariſchen Aufſtänden, die von 1700 bis über die Mitte unſeres Jahrhunderts herein reichen, das chroniſche Handſpinner- und Handweberelend von Hunderttauſenden, wie es zwiſchen 1770 und 1870 ganze Gegenden proletariſierte, reden eine ebenſo lapidare Sprache über das erzeugte Arbeiterelend wie die neuere Arbeitsloſigkeit. In den Vereinigten Staaten wurden nach Wells und anderen durch die neueſten techniſchen Fortſchritte von 1870—90 Arbeiter überflüſſig: in der Möbelinduſtrie 25—30, in der Tapeteninduſtrie 93, in der Metallinduſtrie 33, in der Waggonfabrikation 65, in der Maſchineninduſtrie 40—70, in der Seidenmanufaktur 50 %. Die Verdrängung der Männer- durch Frauen- und Kinderarbeit iſt auch nur ein Stück aus dieſem Prozeß der Arbeitserſparung. Man ſagt nun, all’ die ſo für die entlaſſenen Arbeiter erzeugte Not ſei nur eine vorübergehende geweſen, und das iſt in gewiſſer Beziehung wahr. Wenigſtens die jüngeren Kräfte fanden ſtets anderweit Arbeit; die folgende Generation ſah ſich in den blühenden exportierenden Staaten immer wieder einer durch die Geſamt- entwickelung geſchaffenen größeren Arbeitsnachfrage in anderen Berufszweigen gegenüber. Aber zwiſchen der beginnenden Not und der einſetzenden Hülfe lag oft entſetzliches Hunger- elend. Der alte gewöhnliche Mancheſtertroſt, überall ſei ſofort durch die Maſchinen- verbilligung die Nachfrage nach der entſprechenden Ware ſo geſtiegen, daß die Arbeits- entziehung kaum zu ſpüren geweſen, iſt eine grobe Täuſchung. Auch in Zukunft wird dieſer Prozeß fortdauern, nur in dem Maße weniger hervortreten, als ein techniſch hochſtehender und beweglicher Arbeiterſtand ſich raſcher den Veränderungen anpaßt und als eine allgemein hohe Blüte und verbeſſerte Organiſation der Volkswirtſchaft die entlaſſenen Arbeiter in den Berufen unterzubringen weiß, die als weniger maſchinell entwickelt noch zunehmender Arbeitskräfte bedürfen. Die Regelmäßigkeit der Arbeitsbeſchäftigung war in älteren Zeiten, mit lokalem Markte und patriarchaliſchen Zuſtänden, natürlich viel größer als heute. Sie nahm mit der Ausdehnung der Märkte und unter den heutigen kurzen Arbeitsverträgen ab; zunächſt am meiſten in der Hausinduſtrie, wo der Arbeitgeber ſich für die Heimarbeiter nicht verantwortlich fühlt. Die maſchinelle Fabrikinduſtrie giebt wieder regelmäßigere Arbeit, ſofern der Unternehmer die Maſchinen regelmäßig gehen zu laſſen ein Intereſſe hat, — aber unregelmäßigere, ſofern die Konjunkturen der Weltwirtſchaft und die Moden ſchwankender werden. Die unregelmäßigere Beſchäftigung wurde früher weniger em- pfunden, ſo lange die meiſten Arbeiter ein Häuschen, ein Stück Allmende oder Acker- land zu bebauen hatten, nicht allein vom Lohne lebten. Die ganze Frage der Regel- mäßigkeit und Unregelmäßigkeit der Arbeit iſt in ihrem letzten Kerne aber nicht von der Technik, ſondern von der ſocialen Ordnung der Volkswirtſchaft zu löſen. Die Wirkung der Maſchine auf die Lebenshaltung, Geſundheit, Kraft und Bildung der Arbeiter iſt in jedem Berufe, ja in jeder Abteilung einer Fabrik und je nach der Länge der Arbeit und den ſonſt mitwirkenden ſocialen Umſtände ſo verſchieden, daß alle allgemeinen optimiſtiſchen und peſſimiſtiſchen Urteile übers Ziel hinausſchießen. Näh- maſchine und Lokomotive, Spinnſtuhl und Dampfhammer können nicht wohl überein- ſtimmende Wirkungen ausüben. Man wird nur im allgemeinen ſagen können, daß die ältere haus- und landwirtſchaftliche, ſowie die Arbeit in der alten Handwerksſtatt der menſchlichen Natur ſchon wegen ihrer Abwechſelung angemeſſener war und ſei als die Maſchinenarbeit. Aber lange vor allen Maſchinen, ſeit Jahrtauſenden, gab es eine

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/239>, abgerufen am 29.03.2024.