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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Jagd, Fischfang. Absichtliche Zucht von Pflanzen und Tieren.
höherer Kultur behalten, während die Viehzüchter und Ackerbauern mit ihren besseren
Ernährungsmethoden seiner nicht mehr so dringlich bedürfen.

Fast noch mehr als die Jagd kann der Fischfang durch verbesserte Methoden
ergiebiger gemacht werden, wie wir bereits erwähnten. Und es ist daher ganz begreiflich,
daß die gesamten technischen Fortschritte in der occupatorischen Thätigkeit schon Stämme
mit einem gewissen Wohlstand erzeugen konnten, wo großer Fisch- oder Wildreichtum
vorhanden war. Wir wissen heute, daß es vereinzelt seßhafte Jäger- und Fischervölker
mit Dörfern, mit einer gewissen Technik des Transportes, Hundeschlitten, Renntieren etc.,
mit einer gewissen gesellschaftlichen Organisation der Jagd und des Fischfanges, mit
Schmuck und Sklaven, mit Wohlhabenden und Ärmeren giebt: so in Nordkalifornien,
in Nordasien, in Kamtschatka. Aber es sind seltene Ausnahmen. Und unsicher bleibt
alle bloße Jagd und alle bloße Fischerei, alles Leben von Beeren und Früchten. Der
Mensch, so sagt wohl Peschel, bleibt ein Almosenempfänger im großen Wurzelgarten
der Natur, bis er anfängt, neben die Sammelthätigkeit die absichtliche und planmäßige
Zucht von Pflanzen und Tieren zu setzen. Das erstere ist offenbar das leichtere und
ältere, ursprünglich viel weiter verbreitete, die Tierzucht das viel schwierigere und spätere.
Diese Erkenntnis danken wir aber erst den neuesten Untersuchungen. Es ist damit das
schon von den Alten herrührende Schema der historischen Entwickelung -- Jagd, Vieh-
zucht, Ackerbau -- in seiner Wurzel angegriffen. Obwohl seit langem bezweifelt, wurde
und wird es in den Lehrbüchern, z. B. in Schönbergs Handbuch, doch noch vorgetragen.
Wir müssen dabei einen Augenblick verweilen.

Schon Roscher hatte gemeint, nach der ursprünglich occupatorischen Wirtschafts-
weise werde nach Klima, Boden und Menschenart hier Jagd, dort Viehzucht, an dritter
Stelle Ackerbau entstanden sein. Gerland leitet die ganze physiologische Entstehung des
Menschen aus dem Getreidebau ab, ihm mußten Jagd und Hirtenleben als Entartungen
sich darstellen. A. Nowacki hat dann mit ausführlicher Begründung zu zeigen gesucht,
daß aus der ursprünglich occupatorischen Thätigkeit drei nebeneinander sich entwickelnde
Typen entstanden, 1. die überwiegende Viehzucht, 2. der überwiegende Ackerbau und
3. die Verbindung von beidem. Vor allem aber sucht neuestens Eduard Hahn nach-
zuweisen, daß die Viehzucht nicht aus der Jagd hervorgegangen sein könne, daß es
lange Zeiträume gegeben habe, in welchen ein einfacher Ackerbau -- er nennt ihn Hack-
bau
und wir folgen ihm darin -- ohne Vieh und Pflug bestand, daß ein großer Teil
der Menschen noch heute ganz oder teilweise diesen Hackbau hat, daß die Viehzähmung
wahrscheinlich bei seßhaften Hackbauern entstand und daraus einerseits der Ackerbau mit
Vieh und Pflug, andererseits, und wohl viel später, die Viehwirtschaft der Nomaden,
d. h. der wandernden, und der Hirten, d. h. der seßhaften Viehzüchter, sich entwickelte.
Ich muß aus seinen Resultaten über den Hackbau und die Viehzähmung einiges anführen.

Wir haben oben schon erzählt, wie die Schonung gewisser Wurzel- und Knollen-
gewächse nach und nach sich leicht in Landbau verwandeln konnte. Ihr Anbau und der
von Gemüse durch die Weiber von Fischern und Jägern war wohl der älteste Hackbau;
dann kam in den warmen Ländern der von Durrha, Sorghum, Hirse, in den feuchten
Niederungen der von Reis, im gemäßigten Klima der von Gerste, in Amerika der von
Mais. Neben der Ernährung durch diese Früchte haben die Hackbauern einzelne kleine
Tiere nach und nach zu halten gelernt, wie Hund und Ziege, Huhn und Schwein.
Viele Neger, die etwas höher stehenden Indianer Amerikas, die Melanesier, die Poly-
nesier, die Malaien und anderen Bewohner Indonesiens, die Südchinesen sind bis heute
nicht recht über diese niedrige Art der landwirtschaftlichen Technik, über den Hackbau
hinausgekommen. Es giebt sehr rohe, wandernde Stämme, die einen nur kurze Zeit
an die Scholle fesselnden Hackbau haben. Daneben sehen wir seßhafte Stämme, die
mit dem Hackbau, an welchem die Männer sich beteiligen, schon zu guter Ernährung
und leidlicher wirtschaftlicher Existenz gekommen sind. Wo er in günstigem Klima
durch Bewässerung, Terassenbau, starke Düngung und großen Fleiß bis zum Gartenbau
sich erhob, wie in Vorderasien und China, sowie in Centralamerika, hat er ohne Pflug
und eigentliche Viehhaltung einen erheblichen Wohlstand und eine Art Halbkultur

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Jagd, Fiſchfang. Abſichtliche Zucht von Pflanzen und Tieren.
höherer Kultur behalten, während die Viehzüchter und Ackerbauern mit ihren beſſeren
Ernährungsmethoden ſeiner nicht mehr ſo dringlich bedürfen.

Faſt noch mehr als die Jagd kann der Fiſchfang durch verbeſſerte Methoden
ergiebiger gemacht werden, wie wir bereits erwähnten. Und es iſt daher ganz begreiflich,
daß die geſamten techniſchen Fortſchritte in der occupatoriſchen Thätigkeit ſchon Stämme
mit einem gewiſſen Wohlſtand erzeugen konnten, wo großer Fiſch- oder Wildreichtum
vorhanden war. Wir wiſſen heute, daß es vereinzelt ſeßhafte Jäger- und Fiſchervölker
mit Dörfern, mit einer gewiſſen Technik des Transportes, Hundeſchlitten, Renntieren ꝛc.,
mit einer gewiſſen geſellſchaftlichen Organiſation der Jagd und des Fiſchfanges, mit
Schmuck und Sklaven, mit Wohlhabenden und Ärmeren giebt: ſo in Nordkalifornien,
in Nordaſien, in Kamtſchatka. Aber es ſind ſeltene Ausnahmen. Und unſicher bleibt
alle bloße Jagd und alle bloße Fiſcherei, alles Leben von Beeren und Früchten. Der
Menſch, ſo ſagt wohl Peſchel, bleibt ein Almoſenempfänger im großen Wurzelgarten
der Natur, bis er anfängt, neben die Sammelthätigkeit die abſichtliche und planmäßige
Zucht von Pflanzen und Tieren zu ſetzen. Das erſtere iſt offenbar das leichtere und
ältere, urſprünglich viel weiter verbreitete, die Tierzucht das viel ſchwierigere und ſpätere.
Dieſe Erkenntnis danken wir aber erſt den neueſten Unterſuchungen. Es iſt damit das
ſchon von den Alten herrührende Schema der hiſtoriſchen Entwickelung — Jagd, Vieh-
zucht, Ackerbau — in ſeiner Wurzel angegriffen. Obwohl ſeit langem bezweifelt, wurde
und wird es in den Lehrbüchern, z. B. in Schönbergs Handbuch, doch noch vorgetragen.
Wir müſſen dabei einen Augenblick verweilen.

Schon Roſcher hatte gemeint, nach der urſprünglich occupatoriſchen Wirtſchafts-
weiſe werde nach Klima, Boden und Menſchenart hier Jagd, dort Viehzucht, an dritter
Stelle Ackerbau entſtanden ſein. Gerland leitet die ganze phyſiologiſche Entſtehung des
Menſchen aus dem Getreidebau ab, ihm mußten Jagd und Hirtenleben als Entartungen
ſich darſtellen. A. Nowacki hat dann mit ausführlicher Begründung zu zeigen geſucht,
daß aus der urſprünglich occupatoriſchen Thätigkeit drei nebeneinander ſich entwickelnde
Typen entſtanden, 1. die überwiegende Viehzucht, 2. der überwiegende Ackerbau und
3. die Verbindung von beidem. Vor allem aber ſucht neueſtens Eduard Hahn nach-
zuweiſen, daß die Viehzucht nicht aus der Jagd hervorgegangen ſein könne, daß es
lange Zeiträume gegeben habe, in welchen ein einfacher Ackerbau — er nennt ihn Hack-
bau
und wir folgen ihm darin — ohne Vieh und Pflug beſtand, daß ein großer Teil
der Menſchen noch heute ganz oder teilweiſe dieſen Hackbau hat, daß die Viehzähmung
wahrſcheinlich bei ſeßhaften Hackbauern entſtand und daraus einerſeits der Ackerbau mit
Vieh und Pflug, andererſeits, und wohl viel ſpäter, die Viehwirtſchaft der Nomaden,
d. h. der wandernden, und der Hirten, d. h. der ſeßhaften Viehzüchter, ſich entwickelte.
Ich muß aus ſeinen Reſultaten über den Hackbau und die Viehzähmung einiges anführen.

Wir haben oben ſchon erzählt, wie die Schonung gewiſſer Wurzel- und Knollen-
gewächſe nach und nach ſich leicht in Landbau verwandeln konnte. Ihr Anbau und der
von Gemüſe durch die Weiber von Fiſchern und Jägern war wohl der älteſte Hackbau;
dann kam in den warmen Ländern der von Durrha, Sorghum, Hirſe, in den feuchten
Niederungen der von Reis, im gemäßigten Klima der von Gerſte, in Amerika der von
Mais. Neben der Ernährung durch dieſe Früchte haben die Hackbauern einzelne kleine
Tiere nach und nach zu halten gelernt, wie Hund und Ziege, Huhn und Schwein.
Viele Neger, die etwas höher ſtehenden Indianer Amerikas, die Melaneſier, die Poly-
neſier, die Malaien und anderen Bewohner Indoneſiens, die Südchineſen ſind bis heute
nicht recht über dieſe niedrige Art der landwirtſchaftlichen Technik, über den Hackbau
hinausgekommen. Es giebt ſehr rohe, wandernde Stämme, die einen nur kurze Zeit
an die Scholle feſſelnden Hackbau haben. Daneben ſehen wir ſeßhafte Stämme, die
mit dem Hackbau, an welchem die Männer ſich beteiligen, ſchon zu guter Ernährung
und leidlicher wirtſchaftlicher Exiſtenz gekommen ſind. Wo er in günſtigem Klima
durch Bewäſſerung, Teraſſenbau, ſtarke Düngung und großen Fleiß bis zum Gartenbau
ſich erhob, wie in Vorderaſien und China, ſowie in Centralamerika, hat er ohne Pflug
und eigentliche Viehhaltung einen erheblichen Wohlſtand und eine Art Halbkultur

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[195/0211] Jagd, Fiſchfang. Abſichtliche Zucht von Pflanzen und Tieren. höherer Kultur behalten, während die Viehzüchter und Ackerbauern mit ihren beſſeren Ernährungsmethoden ſeiner nicht mehr ſo dringlich bedürfen. Faſt noch mehr als die Jagd kann der Fiſchfang durch verbeſſerte Methoden ergiebiger gemacht werden, wie wir bereits erwähnten. Und es iſt daher ganz begreiflich, daß die geſamten techniſchen Fortſchritte in der occupatoriſchen Thätigkeit ſchon Stämme mit einem gewiſſen Wohlſtand erzeugen konnten, wo großer Fiſch- oder Wildreichtum vorhanden war. Wir wiſſen heute, daß es vereinzelt ſeßhafte Jäger- und Fiſchervölker mit Dörfern, mit einer gewiſſen Technik des Transportes, Hundeſchlitten, Renntieren ꝛc., mit einer gewiſſen geſellſchaftlichen Organiſation der Jagd und des Fiſchfanges, mit Schmuck und Sklaven, mit Wohlhabenden und Ärmeren giebt: ſo in Nordkalifornien, in Nordaſien, in Kamtſchatka. Aber es ſind ſeltene Ausnahmen. Und unſicher bleibt alle bloße Jagd und alle bloße Fiſcherei, alles Leben von Beeren und Früchten. Der Menſch, ſo ſagt wohl Peſchel, bleibt ein Almoſenempfänger im großen Wurzelgarten der Natur, bis er anfängt, neben die Sammelthätigkeit die abſichtliche und planmäßige Zucht von Pflanzen und Tieren zu ſetzen. Das erſtere iſt offenbar das leichtere und ältere, urſprünglich viel weiter verbreitete, die Tierzucht das viel ſchwierigere und ſpätere. Dieſe Erkenntnis danken wir aber erſt den neueſten Unterſuchungen. Es iſt damit das ſchon von den Alten herrührende Schema der hiſtoriſchen Entwickelung — Jagd, Vieh- zucht, Ackerbau — in ſeiner Wurzel angegriffen. Obwohl ſeit langem bezweifelt, wurde und wird es in den Lehrbüchern, z. B. in Schönbergs Handbuch, doch noch vorgetragen. Wir müſſen dabei einen Augenblick verweilen. Schon Roſcher hatte gemeint, nach der urſprünglich occupatoriſchen Wirtſchafts- weiſe werde nach Klima, Boden und Menſchenart hier Jagd, dort Viehzucht, an dritter Stelle Ackerbau entſtanden ſein. Gerland leitet die ganze phyſiologiſche Entſtehung des Menſchen aus dem Getreidebau ab, ihm mußten Jagd und Hirtenleben als Entartungen ſich darſtellen. A. Nowacki hat dann mit ausführlicher Begründung zu zeigen geſucht, daß aus der urſprünglich occupatoriſchen Thätigkeit drei nebeneinander ſich entwickelnde Typen entſtanden, 1. die überwiegende Viehzucht, 2. der überwiegende Ackerbau und 3. die Verbindung von beidem. Vor allem aber ſucht neueſtens Eduard Hahn nach- zuweiſen, daß die Viehzucht nicht aus der Jagd hervorgegangen ſein könne, daß es lange Zeiträume gegeben habe, in welchen ein einfacher Ackerbau — er nennt ihn Hack- bau und wir folgen ihm darin — ohne Vieh und Pflug beſtand, daß ein großer Teil der Menſchen noch heute ganz oder teilweiſe dieſen Hackbau hat, daß die Viehzähmung wahrſcheinlich bei ſeßhaften Hackbauern entſtand und daraus einerſeits der Ackerbau mit Vieh und Pflug, andererſeits, und wohl viel ſpäter, die Viehwirtſchaft der Nomaden, d. h. der wandernden, und der Hirten, d. h. der ſeßhaften Viehzüchter, ſich entwickelte. Ich muß aus ſeinen Reſultaten über den Hackbau und die Viehzähmung einiges anführen. Wir haben oben ſchon erzählt, wie die Schonung gewiſſer Wurzel- und Knollen- gewächſe nach und nach ſich leicht in Landbau verwandeln konnte. Ihr Anbau und der von Gemüſe durch die Weiber von Fiſchern und Jägern war wohl der älteſte Hackbau; dann kam in den warmen Ländern der von Durrha, Sorghum, Hirſe, in den feuchten Niederungen der von Reis, im gemäßigten Klima der von Gerſte, in Amerika der von Mais. Neben der Ernährung durch dieſe Früchte haben die Hackbauern einzelne kleine Tiere nach und nach zu halten gelernt, wie Hund und Ziege, Huhn und Schwein. Viele Neger, die etwas höher ſtehenden Indianer Amerikas, die Melaneſier, die Poly- neſier, die Malaien und anderen Bewohner Indoneſiens, die Südchineſen ſind bis heute nicht recht über dieſe niedrige Art der landwirtſchaftlichen Technik, über den Hackbau hinausgekommen. Es giebt ſehr rohe, wandernde Stämme, die einen nur kurze Zeit an die Scholle feſſelnden Hackbau haben. Daneben ſehen wir ſeßhafte Stämme, die mit dem Hackbau, an welchem die Männer ſich beteiligen, ſchon zu guter Ernährung und leidlicher wirtſchaftlicher Exiſtenz gekommen ſind. Wo er in günſtigem Klima durch Bewäſſerung, Teraſſenbau, ſtarke Düngung und großen Fleiß bis zum Gartenbau ſich erhob, wie in Vorderaſien und China, ſowie in Centralamerika, hat er ohne Pflug und eigentliche Viehhaltung einen erheblichen Wohlſtand und eine Art Halbkultur 13*

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/211>, abgerufen am 16.04.2024.