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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Erstes Buch. Land, Leute und Technik.
10 ja 5000 Jahre ist auch nur Vereinzeltes von den Hauptkulturvölkern bekannt; nur
über die letzten zwanzig Jahrhunderte haben wir umfangreichere Überlieferungen. Noch
sind sie aber nicht ganz erforscht und dargestellt. Nur wenige Kapitel aus der Geschichte
der Technik sind gut bearbeitet. Und nun sollen wir hier nicht sowohl das unübersehbare
Heer von technischen Einzelthatsachen, die wir kennen, vorführen, sondern es zu Gesamt-
resultaten nach Zeitaltern und Völkern zusammenfassen und stets versuchen, die Ursachen
und die Zusammenhänge mit dem ganzen volkswirtschaftlichen Leben darzulegen.

Man hat diese Aufgabe durch verschiedene Einteilungen in technische Perioden zu
erleichtern gesucht. Man unterschied: Jagd-, Hirten-, Ackerbau-, Gewerbe-, Handels-
völker; ein Stein-, Kupfer-, Bronze-, Eisenzeitalter; die Perioden der Wildheit, Barbarei,
Halb- und Ganzkultur; die der Werkzeuge und der Maschinen, die Epochen der An-
wendung von Menschen-, Tier-, Wind-, Wasser-, Dampfkraft und Elektricität. Aber die
meisten dieser Einteilungen sind heute als zu einseitig oder auch als ungenau und irre-
führend erkannt. Und doch wird eine vorläufige historisch-geographische Einteilung nicht
zu entbehren sein. Wir versuchen in einigen ersten Paragraphen je gesondert die Ent-
wickelung der Werkzeuge und die der technischen Methoden der Ernährung bis zur
historisch beglaubigten Zeit darzustellen, dann lassen wir die Epochen der vorderasiatischen,
der europäischen Werkzeugtechnik und der modernen Maschinentechnik folgen.

Zum Schlusse dieser Vorbemerkung noch ein Wort über die allgemeinen mensch-
lichen und historischen Ursachen, die alle Entwickelung der Technik beherrschen.

Wir haben (S. 42) die Entstehung des Sittlichen in Zusammenhang gebracht
mit der Thatsache, daß der Mensch Werkzeuge schuf und arbeiten lernte. Wir führten
beides auf die Besonnenheit zurück. Nicht umsonst sagt Franklin, der Mensch sei ein
Tier, das Werkzeuge mache; andere meinten, ein Tier, das kochen gelernt habe. Auch
einzelne höhere Tiere haben gewisse Methoden der Nahrungsfürsorge und das Vorrats-
sammeln durch Instinkte ausgebildet, die auf gewissen Erfahrungen beruhen mußten.
Lotze sagt, auf der Feinheit unseres Tastsinnes, der in den Fingerspitzen liegt, der Be-
weglichkeit unserer Arme, der Muskelkraft unserer Arme, Beine und Zähne, aber ebenso
auf unserer Fähigkeit zu beobachten, Vorstellungen zu associieren, zu schließen, beruhe
alle technische Entwickelung des Menschen. Er drückt damit richtiger das aus, was schon
die Alten meinten, wenn sie die Kultur auf den Bau der menschlichen Hand zurück-
führten, oder was ein Schriftsteller andeuten wollte, der im Daumen, als dem wichtigsten
Finger, den Kern der Weltgeschichte fand. E. Hermann hat den menschlichen Körper
neuerdings eine reichgegliederte Maschine genannt, die selbst das Ergebnis der Übung
und Verbesserungsarbeit von Hunderttausenden von Generationen sei. Diese Übung mag
zuerst unter der Leitung von Instinkten erfolgt sein, hauptsächlich aber ist sie, wie alle
späteren technischen Fortschritte, das Ergebnis der denkenden Überlegung, der Beobachtung,
der Selbstbeherrschung, der Zielsetzung.

Wenn der Mensch, wie der Affe, einen Stein zum Öffnen einer Frucht, einen
Stock zum Schlagen brauchte, so hatte er noch kein Werkzeug; erst dann konnte man
davon sprechen, wenn er diesen Stein, diesen Stock stetig bei sich führte, wenn die
Erinnerung an den Nutzen dieses Hülfsmittels die Unbequemlichkeit der Aufbewahrung,
des Mitschleppens überwand. Damit der Urmensch den Stein schärfte, mußte er beob-
achten und nachdenken. Wenn ihm dabei sein Tastsinn half, die Härte, die Beweglichkeit,
die Form der Stoffe herauszufühlen, wenn er in Hand und Arm das Vorbild der
Waffe und des Werkzeuges fand, so ändert das an dem geistigen Vorgange nichts.
Schon die Nachahmung setzt Nachdenken und Zwecksetzen voraus: die geballte Faust
wurde das Vorbild des Hammers, die Schneide desselben ahmt Nägel und Zähne, die
Feile und Säge die Zahnreihe, die Beißzange und der Schraubstock die greifende Hand
und das Doppelgebiß nach; der gekrümmte Finger wird zum Haken, der steife Finger
mit dem Nagel zum Bohrer, die hohle Hand zur Schale; die Lanze stellt den ver-
längerten Arm dar. Die Werkzeuge wie die später aus ihnen entwickelten Waffen,
Apparate und Maschinen sind -- hat man gesagt -- menschliche Organprojektionen in
die Natur hinein; aber sie entstehen nur durch innere geistige Vorgänge, die bewußt

Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.
10 ja 5000 Jahre iſt auch nur Vereinzeltes von den Hauptkulturvölkern bekannt; nur
über die letzten zwanzig Jahrhunderte haben wir umfangreichere Überlieferungen. Noch
ſind ſie aber nicht ganz erforſcht und dargeſtellt. Nur wenige Kapitel aus der Geſchichte
der Technik ſind gut bearbeitet. Und nun ſollen wir hier nicht ſowohl das unüberſehbare
Heer von techniſchen Einzelthatſachen, die wir kennen, vorführen, ſondern es zu Geſamt-
reſultaten nach Zeitaltern und Völkern zuſammenfaſſen und ſtets verſuchen, die Urſachen
und die Zuſammenhänge mit dem ganzen volkswirtſchaftlichen Leben darzulegen.

Man hat dieſe Aufgabe durch verſchiedene Einteilungen in techniſche Perioden zu
erleichtern geſucht. Man unterſchied: Jagd-, Hirten-, Ackerbau-, Gewerbe-, Handels-
völker; ein Stein-, Kupfer-, Bronze-, Eiſenzeitalter; die Perioden der Wildheit, Barbarei,
Halb- und Ganzkultur; die der Werkzeuge und der Maſchinen, die Epochen der An-
wendung von Menſchen-, Tier-, Wind-, Waſſer-, Dampfkraft und Elektricität. Aber die
meiſten dieſer Einteilungen ſind heute als zu einſeitig oder auch als ungenau und irre-
führend erkannt. Und doch wird eine vorläufige hiſtoriſch-geographiſche Einteilung nicht
zu entbehren ſein. Wir verſuchen in einigen erſten Paragraphen je geſondert die Ent-
wickelung der Werkzeuge und die der techniſchen Methoden der Ernährung bis zur
hiſtoriſch beglaubigten Zeit darzuſtellen, dann laſſen wir die Epochen der vorderaſiatiſchen,
der europäiſchen Werkzeugtechnik und der modernen Maſchinentechnik folgen.

Zum Schluſſe dieſer Vorbemerkung noch ein Wort über die allgemeinen menſch-
lichen und hiſtoriſchen Urſachen, die alle Entwickelung der Technik beherrſchen.

Wir haben (S. 42) die Entſtehung des Sittlichen in Zuſammenhang gebracht
mit der Thatſache, daß der Menſch Werkzeuge ſchuf und arbeiten lernte. Wir führten
beides auf die Beſonnenheit zurück. Nicht umſonſt ſagt Franklin, der Menſch ſei ein
Tier, das Werkzeuge mache; andere meinten, ein Tier, das kochen gelernt habe. Auch
einzelne höhere Tiere haben gewiſſe Methoden der Nahrungsfürſorge und das Vorrats-
ſammeln durch Inſtinkte ausgebildet, die auf gewiſſen Erfahrungen beruhen mußten.
Lotze ſagt, auf der Feinheit unſeres Taſtſinnes, der in den Fingerſpitzen liegt, der Be-
weglichkeit unſerer Arme, der Muskelkraft unſerer Arme, Beine und Zähne, aber ebenſo
auf unſerer Fähigkeit zu beobachten, Vorſtellungen zu aſſociieren, zu ſchließen, beruhe
alle techniſche Entwickelung des Menſchen. Er drückt damit richtiger das aus, was ſchon
die Alten meinten, wenn ſie die Kultur auf den Bau der menſchlichen Hand zurück-
führten, oder was ein Schriftſteller andeuten wollte, der im Daumen, als dem wichtigſten
Finger, den Kern der Weltgeſchichte fand. E. Hermann hat den menſchlichen Körper
neuerdings eine reichgegliederte Maſchine genannt, die ſelbſt das Ergebnis der Übung
und Verbeſſerungsarbeit von Hunderttauſenden von Generationen ſei. Dieſe Übung mag
zuerſt unter der Leitung von Inſtinkten erfolgt ſein, hauptſächlich aber iſt ſie, wie alle
ſpäteren techniſchen Fortſchritte, das Ergebnis der denkenden Überlegung, der Beobachtung,
der Selbſtbeherrſchung, der Zielſetzung.

Wenn der Menſch, wie der Affe, einen Stein zum Öffnen einer Frucht, einen
Stock zum Schlagen brauchte, ſo hatte er noch kein Werkzeug; erſt dann konnte man
davon ſprechen, wenn er dieſen Stein, dieſen Stock ſtetig bei ſich führte, wenn die
Erinnerung an den Nutzen dieſes Hülfsmittels die Unbequemlichkeit der Aufbewahrung,
des Mitſchleppens überwand. Damit der Urmenſch den Stein ſchärfte, mußte er beob-
achten und nachdenken. Wenn ihm dabei ſein Taſtſinn half, die Härte, die Beweglichkeit,
die Form der Stoffe herauszufühlen, wenn er in Hand und Arm das Vorbild der
Waffe und des Werkzeuges fand, ſo ändert das an dem geiſtigen Vorgange nichts.
Schon die Nachahmung ſetzt Nachdenken und Zweckſetzen voraus: die geballte Fauſt
wurde das Vorbild des Hammers, die Schneide desſelben ahmt Nägel und Zähne, die
Feile und Säge die Zahnreihe, die Beißzange und der Schraubſtock die greifende Hand
und das Doppelgebiß nach; der gekrümmte Finger wird zum Haken, der ſteife Finger
mit dem Nagel zum Bohrer, die hohle Hand zur Schale; die Lanze ſtellt den ver-
längerten Arm dar. Die Werkzeuge wie die ſpäter aus ihnen entwickelten Waffen,
Apparate und Maſchinen ſind — hat man geſagt — menſchliche Organprojektionen in
die Natur hinein; aber ſie entſtehen nur durch innere geiſtige Vorgänge, die bewußt

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[190/0206] Erſtes Buch. Land, Leute und Technik. 10 ja 5000 Jahre iſt auch nur Vereinzeltes von den Hauptkulturvölkern bekannt; nur über die letzten zwanzig Jahrhunderte haben wir umfangreichere Überlieferungen. Noch ſind ſie aber nicht ganz erforſcht und dargeſtellt. Nur wenige Kapitel aus der Geſchichte der Technik ſind gut bearbeitet. Und nun ſollen wir hier nicht ſowohl das unüberſehbare Heer von techniſchen Einzelthatſachen, die wir kennen, vorführen, ſondern es zu Geſamt- reſultaten nach Zeitaltern und Völkern zuſammenfaſſen und ſtets verſuchen, die Urſachen und die Zuſammenhänge mit dem ganzen volkswirtſchaftlichen Leben darzulegen. Man hat dieſe Aufgabe durch verſchiedene Einteilungen in techniſche Perioden zu erleichtern geſucht. Man unterſchied: Jagd-, Hirten-, Ackerbau-, Gewerbe-, Handels- völker; ein Stein-, Kupfer-, Bronze-, Eiſenzeitalter; die Perioden der Wildheit, Barbarei, Halb- und Ganzkultur; die der Werkzeuge und der Maſchinen, die Epochen der An- wendung von Menſchen-, Tier-, Wind-, Waſſer-, Dampfkraft und Elektricität. Aber die meiſten dieſer Einteilungen ſind heute als zu einſeitig oder auch als ungenau und irre- führend erkannt. Und doch wird eine vorläufige hiſtoriſch-geographiſche Einteilung nicht zu entbehren ſein. Wir verſuchen in einigen erſten Paragraphen je geſondert die Ent- wickelung der Werkzeuge und die der techniſchen Methoden der Ernährung bis zur hiſtoriſch beglaubigten Zeit darzuſtellen, dann laſſen wir die Epochen der vorderaſiatiſchen, der europäiſchen Werkzeugtechnik und der modernen Maſchinentechnik folgen. Zum Schluſſe dieſer Vorbemerkung noch ein Wort über die allgemeinen menſch- lichen und hiſtoriſchen Urſachen, die alle Entwickelung der Technik beherrſchen. Wir haben (S. 42) die Entſtehung des Sittlichen in Zuſammenhang gebracht mit der Thatſache, daß der Menſch Werkzeuge ſchuf und arbeiten lernte. Wir führten beides auf die Beſonnenheit zurück. Nicht umſonſt ſagt Franklin, der Menſch ſei ein Tier, das Werkzeuge mache; andere meinten, ein Tier, das kochen gelernt habe. Auch einzelne höhere Tiere haben gewiſſe Methoden der Nahrungsfürſorge und das Vorrats- ſammeln durch Inſtinkte ausgebildet, die auf gewiſſen Erfahrungen beruhen mußten. Lotze ſagt, auf der Feinheit unſeres Taſtſinnes, der in den Fingerſpitzen liegt, der Be- weglichkeit unſerer Arme, der Muskelkraft unſerer Arme, Beine und Zähne, aber ebenſo auf unſerer Fähigkeit zu beobachten, Vorſtellungen zu aſſociieren, zu ſchließen, beruhe alle techniſche Entwickelung des Menſchen. Er drückt damit richtiger das aus, was ſchon die Alten meinten, wenn ſie die Kultur auf den Bau der menſchlichen Hand zurück- führten, oder was ein Schriftſteller andeuten wollte, der im Daumen, als dem wichtigſten Finger, den Kern der Weltgeſchichte fand. E. Hermann hat den menſchlichen Körper neuerdings eine reichgegliederte Maſchine genannt, die ſelbſt das Ergebnis der Übung und Verbeſſerungsarbeit von Hunderttauſenden von Generationen ſei. Dieſe Übung mag zuerſt unter der Leitung von Inſtinkten erfolgt ſein, hauptſächlich aber iſt ſie, wie alle ſpäteren techniſchen Fortſchritte, das Ergebnis der denkenden Überlegung, der Beobachtung, der Selbſtbeherrſchung, der Zielſetzung. Wenn der Menſch, wie der Affe, einen Stein zum Öffnen einer Frucht, einen Stock zum Schlagen brauchte, ſo hatte er noch kein Werkzeug; erſt dann konnte man davon ſprechen, wenn er dieſen Stein, dieſen Stock ſtetig bei ſich führte, wenn die Erinnerung an den Nutzen dieſes Hülfsmittels die Unbequemlichkeit der Aufbewahrung, des Mitſchleppens überwand. Damit der Urmenſch den Stein ſchärfte, mußte er beob- achten und nachdenken. Wenn ihm dabei ſein Taſtſinn half, die Härte, die Beweglichkeit, die Form der Stoffe herauszufühlen, wenn er in Hand und Arm das Vorbild der Waffe und des Werkzeuges fand, ſo ändert das an dem geiſtigen Vorgange nichts. Schon die Nachahmung ſetzt Nachdenken und Zweckſetzen voraus: die geballte Fauſt wurde das Vorbild des Hammers, die Schneide desſelben ahmt Nägel und Zähne, die Feile und Säge die Zahnreihe, die Beißzange und der Schraubſtock die greifende Hand und das Doppelgebiß nach; der gekrümmte Finger wird zum Haken, der ſteife Finger mit dem Nagel zum Bohrer, die hohle Hand zur Schale; die Lanze ſtellt den ver- längerten Arm dar. Die Werkzeuge wie die ſpäter aus ihnen entwickelten Waffen, Apparate und Maſchinen ſind — hat man geſagt — menſchliche Organprojektionen in die Natur hinein; aber ſie entſtehen nur durch innere geiſtige Vorgänge, die bewußt

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/206>, abgerufen am 29.03.2024.