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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Geschichte der Bevölkerungszahlen.
solidierten sich die kinderreichen Germanenstaaten, und teils gegen 1250, teils gegen
1500 n. Chr. war die alte Zahl nicht bloß erreicht, sondern überschritten. Spanien ist
unter August auf 6, unter den Antoninen auf 9, 1500 auf 11 Mill. Seelen zu setzen;
dazwischen natürlich viel niedriger; für später sei noch angeführt: 1787 10, 1887 17 Mill.
Italien hat unter Claudius 7 Mill., im älteren Mittelalter viel weniger; dann starke
Zunahme; 1560 etwa 11, 1701 10 Mill., 1788 16, 1896 31 Mill.; Gallien unter
Augustus 5, unter den Antoninen wohl 8 Mill.; unter Karl d. Gr. hatte Frankreich
in seinem heutigen Umfange wahrscheinlich weniger (nicht 8--10 Mill., wie Levasseur
will), Anfang des 14. Jahrhunderts wahrscheinlich auch nicht ganz 20--22 Mill. (wie
Levasseur rechnet); dann kommt ein großer Rückgang; 1574 werden etwa 14, 1700
etwa 21, 1715 18, 1789 bis 26 Mill. geschätzt; 1806 sind es 29, 1861 34, 1896
38 Millionen.

Für Deutschland möchte ich folgende Schätzung, welche der Vergleichbarkeit wegen
die Zahlen auf den Umfang des heutigen Deutschen Reiches berechnet, wagen: zu Cäsars
Zeiten 2--3 Mill.; dann große Zunahme nach der Völkerwanderung in den Tagen der
inneren Kolonisation bis etwa 12 Mill. gegen 1250--1340; nun Stillstand oder gar
Rückgang bis 1480 und nochmalige Zunahme bis 1620 auf etwa 15 Mill.; der 30-
jährige Krieg bringt große Verluste, 1700 mögen wieder 14--15 Mill. vorhanden
gewesen sein, 1800 22--24; 1824 zählte man 24, 1850 35 Mill., 1895 52 Millionen.

England und Wales stieg von 2,5 Mill. im 16. Jahrhundert auf 5 1690, auf
9,1 1801, auf 15,9 1841, auf 30,6 Mill. 1896. In den Jahren 1815--91 wuchsen
Belgien von 3,7 auf 6, die Niederlande von 2,4 auf 4,5, Schweden von 2,4 auf
4,7 Mill.; das Volk der Vereinigten Staaten von 8 auf 62 Mill. Das europäisch-
russische Volk schätzt man 1722 auf 14, 1805 auf 36, 1851 auf 65, 1897 auf 105 Mill.
(mit Finnland und Polen). China soll 1650 etwa 62, 1725 etwa 125, 1890 etwa
357 Mill. Seelen besessen haben; Brittisch-Indien schätzte man 1860 auf etwa 189 Mill.,
1891 zählte man 291. China, Indien, Vorderasien und Europa sind seit langer Zeit
die einzigen Herde großer Volksmassen; jetzt kommt Nordamerika, später vielleicht auch
Australien dazu. Ganz Europa wird man zur Zeit von Christi Geburt auf 30, 1500
wohl auf 60--80, 1700 auf 110, 1800 auf 175 Mill. schätzen können, 1890 waren es
357 Mill. Die Versuche, die Bevölkerung der ganzen Erde zu erfassen, datieren von
Isaak Vossius 1685 (500 Mill.); Süßmilch nahm 1000 an; erst Behm, Wagner und
Supan sind seit 1866 zu halbwegs sicheren Zahlen gekommen: 1866 etwa 1350, 1890
1450--1500 Millionen.

Was lehren die Zahlen? Wohl sicher, daß die menschlichen Gemeinschaften immer
größer wurden, daß die Zahl der Menschen successive mit der Kultur gewachsen ist, daß
niemals früher das menschliche Geschlecht so zahlreich war, auch wohl dauernd nie so
zugenommen hat wie in den letzten 200 Jahren. Wir sehen aber auch, daß die Zu-
nahme stets eine höchst ungleiche war, daß Fortschritt und Rückschritt miteinander
wechseln, daß die Bahn, je weiter wir sie zurückverfolgen können, von desto mehr Ge-
fahren und Hindernissen bedroht war, ja daß sie bis in die neueren Zeiten oft zu
langem Stillstand, ja Rückgang führte, so z. B. für viele europäische Staaten von 1400
bis 1700.

73. Das Bevölkerungsproblem und die Wege seiner Lösung:
a) die Hemmungen. Auf Grund der vorstehenden Mitteilungen über die That-
sachen der Bevölkerungsbewegung können wir uns dem Bevölkerungsproblem zuwenden;
es spielt eine beherrschende Rolle in allem volkswirtschaftlichen Leben. Seit es mensch-
liche Gemeinwesen mit etwas größerer Menschenzahl gab, standen sie vor der Frage, ob
auf dem innegehabten Boden, mit ihren technischen Mitteln eine erhebliche Zunahme
ihrer Zahl möglich sei. Jedes gesunde Paar Menschen kann die doppelte oder mehrfache
Zahl Kinder haben und freut sich ihrer in normalen Verhältnissen. Jeder Stamm,
jedes Volk, das nicht zu sehr von Feinden bedrängt wird, das reichliche Nahrungsquellen
hat, vermehrt sich und empfindet diese Vermehrung als Kraftzuwachs und Glück. Das
menschliche Geschlecht als Ganzes hat seit Millionen Jahren an Zahl zugenommen und

Geſchichte der Bevölkerungszahlen.
ſolidierten ſich die kinderreichen Germanenſtaaten, und teils gegen 1250, teils gegen
1500 n. Chr. war die alte Zahl nicht bloß erreicht, ſondern überſchritten. Spanien iſt
unter Auguſt auf 6, unter den Antoninen auf 9, 1500 auf 11 Mill. Seelen zu ſetzen;
dazwiſchen natürlich viel niedriger; für ſpäter ſei noch angeführt: 1787 10, 1887 17 Mill.
Italien hat unter Claudius 7 Mill., im älteren Mittelalter viel weniger; dann ſtarke
Zunahme; 1560 etwa 11, 1701 10 Mill., 1788 16, 1896 31 Mill.; Gallien unter
Auguſtus 5, unter den Antoninen wohl 8 Mill.; unter Karl d. Gr. hatte Frankreich
in ſeinem heutigen Umfange wahrſcheinlich weniger (nicht 8—10 Mill., wie Levaſſeur
will), Anfang des 14. Jahrhunderts wahrſcheinlich auch nicht ganz 20—22 Mill. (wie
Levaſſeur rechnet); dann kommt ein großer Rückgang; 1574 werden etwa 14, 1700
etwa 21, 1715 18, 1789 bis 26 Mill. geſchätzt; 1806 ſind es 29, 1861 34, 1896
38 Millionen.

Für Deutſchland möchte ich folgende Schätzung, welche der Vergleichbarkeit wegen
die Zahlen auf den Umfang des heutigen Deutſchen Reiches berechnet, wagen: zu Cäſars
Zeiten 2—3 Mill.; dann große Zunahme nach der Völkerwanderung in den Tagen der
inneren Koloniſation bis etwa 12 Mill. gegen 1250—1340; nun Stillſtand oder gar
Rückgang bis 1480 und nochmalige Zunahme bis 1620 auf etwa 15 Mill.; der 30-
jährige Krieg bringt große Verluſte, 1700 mögen wieder 14—15 Mill. vorhanden
geweſen ſein, 1800 22—24; 1824 zählte man 24, 1850 35 Mill., 1895 52 Millionen.

England und Wales ſtieg von 2,5 Mill. im 16. Jahrhundert auf 5 1690, auf
9,1 1801, auf 15,9 1841, auf 30,6 Mill. 1896. In den Jahren 1815—91 wuchſen
Belgien von 3,7 auf 6, die Niederlande von 2,4 auf 4,5, Schweden von 2,4 auf
4,7 Mill.; das Volk der Vereinigten Staaten von 8 auf 62 Mill. Das europäiſch-
ruſſiſche Volk ſchätzt man 1722 auf 14, 1805 auf 36, 1851 auf 65, 1897 auf 105 Mill.
(mit Finnland und Polen). China ſoll 1650 etwa 62, 1725 etwa 125, 1890 etwa
357 Mill. Seelen beſeſſen haben; Brittiſch-Indien ſchätzte man 1860 auf etwa 189 Mill.,
1891 zählte man 291. China, Indien, Vorderaſien und Europa ſind ſeit langer Zeit
die einzigen Herde großer Volksmaſſen; jetzt kommt Nordamerika, ſpäter vielleicht auch
Auſtralien dazu. Ganz Europa wird man zur Zeit von Chriſti Geburt auf 30, 1500
wohl auf 60—80, 1700 auf 110, 1800 auf 175 Mill. ſchätzen können, 1890 waren es
357 Mill. Die Verſuche, die Bevölkerung der ganzen Erde zu erfaſſen, datieren von
Iſaak Voſſius 1685 (500 Mill.); Süßmilch nahm 1000 an; erſt Behm, Wagner und
Supan ſind ſeit 1866 zu halbwegs ſicheren Zahlen gekommen: 1866 etwa 1350, 1890
1450—1500 Millionen.

Was lehren die Zahlen? Wohl ſicher, daß die menſchlichen Gemeinſchaften immer
größer wurden, daß die Zahl der Menſchen ſucceſſive mit der Kultur gewachſen iſt, daß
niemals früher das menſchliche Geſchlecht ſo zahlreich war, auch wohl dauernd nie ſo
zugenommen hat wie in den letzten 200 Jahren. Wir ſehen aber auch, daß die Zu-
nahme ſtets eine höchſt ungleiche war, daß Fortſchritt und Rückſchritt miteinander
wechſeln, daß die Bahn, je weiter wir ſie zurückverfolgen können, von deſto mehr Ge-
fahren und Hinderniſſen bedroht war, ja daß ſie bis in die neueren Zeiten oft zu
langem Stillſtand, ja Rückgang führte, ſo z. B. für viele europäiſche Staaten von 1400
bis 1700.

73. Das Bevölkerungsproblem und die Wege ſeiner Löſung:
a) die Hemmungen. Auf Grund der vorſtehenden Mitteilungen über die That-
ſachen der Bevölkerungsbewegung können wir uns dem Bevölkerungsproblem zuwenden;
es ſpielt eine beherrſchende Rolle in allem volkswirtſchaftlichen Leben. Seit es menſch-
liche Gemeinweſen mit etwas größerer Menſchenzahl gab, ſtanden ſie vor der Frage, ob
auf dem innegehabten Boden, mit ihren techniſchen Mitteln eine erhebliche Zunahme
ihrer Zahl möglich ſei. Jedes geſunde Paar Menſchen kann die doppelte oder mehrfache
Zahl Kinder haben und freut ſich ihrer in normalen Verhältniſſen. Jeder Stamm,
jedes Volk, das nicht zu ſehr von Feinden bedrängt wird, das reichliche Nahrungsquellen
hat, vermehrt ſich und empfindet dieſe Vermehrung als Kraftzuwachs und Glück. Das
menſchliche Geſchlecht als Ganzes hat ſeit Millionen Jahren an Zahl zugenommen und

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[171/0187] Geſchichte der Bevölkerungszahlen. ſolidierten ſich die kinderreichen Germanenſtaaten, und teils gegen 1250, teils gegen 1500 n. Chr. war die alte Zahl nicht bloß erreicht, ſondern überſchritten. Spanien iſt unter Auguſt auf 6, unter den Antoninen auf 9, 1500 auf 11 Mill. Seelen zu ſetzen; dazwiſchen natürlich viel niedriger; für ſpäter ſei noch angeführt: 1787 10, 1887 17 Mill. Italien hat unter Claudius 7 Mill., im älteren Mittelalter viel weniger; dann ſtarke Zunahme; 1560 etwa 11, 1701 10 Mill., 1788 16, 1896 31 Mill.; Gallien unter Auguſtus 5, unter den Antoninen wohl 8 Mill.; unter Karl d. Gr. hatte Frankreich in ſeinem heutigen Umfange wahrſcheinlich weniger (nicht 8—10 Mill., wie Levaſſeur will), Anfang des 14. Jahrhunderts wahrſcheinlich auch nicht ganz 20—22 Mill. (wie Levaſſeur rechnet); dann kommt ein großer Rückgang; 1574 werden etwa 14, 1700 etwa 21, 1715 18, 1789 bis 26 Mill. geſchätzt; 1806 ſind es 29, 1861 34, 1896 38 Millionen. Für Deutſchland möchte ich folgende Schätzung, welche der Vergleichbarkeit wegen die Zahlen auf den Umfang des heutigen Deutſchen Reiches berechnet, wagen: zu Cäſars Zeiten 2—3 Mill.; dann große Zunahme nach der Völkerwanderung in den Tagen der inneren Koloniſation bis etwa 12 Mill. gegen 1250—1340; nun Stillſtand oder gar Rückgang bis 1480 und nochmalige Zunahme bis 1620 auf etwa 15 Mill.; der 30- jährige Krieg bringt große Verluſte, 1700 mögen wieder 14—15 Mill. vorhanden geweſen ſein, 1800 22—24; 1824 zählte man 24, 1850 35 Mill., 1895 52 Millionen. England und Wales ſtieg von 2,5 Mill. im 16. Jahrhundert auf 5 1690, auf 9,1 1801, auf 15,9 1841, auf 30,6 Mill. 1896. In den Jahren 1815—91 wuchſen Belgien von 3,7 auf 6, die Niederlande von 2,4 auf 4,5, Schweden von 2,4 auf 4,7 Mill.; das Volk der Vereinigten Staaten von 8 auf 62 Mill. Das europäiſch- ruſſiſche Volk ſchätzt man 1722 auf 14, 1805 auf 36, 1851 auf 65, 1897 auf 105 Mill. (mit Finnland und Polen). China ſoll 1650 etwa 62, 1725 etwa 125, 1890 etwa 357 Mill. Seelen beſeſſen haben; Brittiſch-Indien ſchätzte man 1860 auf etwa 189 Mill., 1891 zählte man 291. China, Indien, Vorderaſien und Europa ſind ſeit langer Zeit die einzigen Herde großer Volksmaſſen; jetzt kommt Nordamerika, ſpäter vielleicht auch Auſtralien dazu. Ganz Europa wird man zur Zeit von Chriſti Geburt auf 30, 1500 wohl auf 60—80, 1700 auf 110, 1800 auf 175 Mill. ſchätzen können, 1890 waren es 357 Mill. Die Verſuche, die Bevölkerung der ganzen Erde zu erfaſſen, datieren von Iſaak Voſſius 1685 (500 Mill.); Süßmilch nahm 1000 an; erſt Behm, Wagner und Supan ſind ſeit 1866 zu halbwegs ſicheren Zahlen gekommen: 1866 etwa 1350, 1890 1450—1500 Millionen. Was lehren die Zahlen? Wohl ſicher, daß die menſchlichen Gemeinſchaften immer größer wurden, daß die Zahl der Menſchen ſucceſſive mit der Kultur gewachſen iſt, daß niemals früher das menſchliche Geſchlecht ſo zahlreich war, auch wohl dauernd nie ſo zugenommen hat wie in den letzten 200 Jahren. Wir ſehen aber auch, daß die Zu- nahme ſtets eine höchſt ungleiche war, daß Fortſchritt und Rückſchritt miteinander wechſeln, daß die Bahn, je weiter wir ſie zurückverfolgen können, von deſto mehr Ge- fahren und Hinderniſſen bedroht war, ja daß ſie bis in die neueren Zeiten oft zu langem Stillſtand, ja Rückgang führte, ſo z. B. für viele europäiſche Staaten von 1400 bis 1700. 73. Das Bevölkerungsproblem und die Wege ſeiner Löſung: a) die Hemmungen. Auf Grund der vorſtehenden Mitteilungen über die That- ſachen der Bevölkerungsbewegung können wir uns dem Bevölkerungsproblem zuwenden; es ſpielt eine beherrſchende Rolle in allem volkswirtſchaftlichen Leben. Seit es menſch- liche Gemeinweſen mit etwas größerer Menſchenzahl gab, ſtanden ſie vor der Frage, ob auf dem innegehabten Boden, mit ihren techniſchen Mitteln eine erhebliche Zunahme ihrer Zahl möglich ſei. Jedes geſunde Paar Menſchen kann die doppelte oder mehrfache Zahl Kinder haben und freut ſich ihrer in normalen Verhältniſſen. Jeder Stamm, jedes Volk, das nicht zu ſehr von Feinden bedrängt wird, das reichliche Nahrungsquellen hat, vermehrt ſich und empfindet dieſe Vermehrung als Kraftzuwachs und Glück. Das menſchliche Geſchlecht als Ganzes hat ſeit Millionen Jahren an Zahl zugenommen und

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/187>, abgerufen am 24.04.2024.