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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Der Generationswechsel und die Altersklassen.
41--52 %; auf ihnen ruht überwiegend die wirtschaftliche Last der Unterhaltung der
Familien, der Gemeinden, des Staates. Von den beiden anderen Altersgruppen, die
überwiegend nur verzehren, fällt die Heranziehung der künftigen Generation 4--6 mal
schwerer als die Pflege der absterbenden. Sie ist durch die viel stärkeren Triebe der
mütterlichen und elterlichen Liebe garantiert; aber diese haben oft nicht ausgereicht
und reichen selbst heute vielfach noch nicht ganz aus; ein großer Teil der Kinder ist
zu allen Zeiten der Schwierigkeit zum Opfer gefallen, welche durch ihre wirtschaftliche
Pflege für die Eltern entstand. Auch die viel leichtere Last, die alten Leute zu unter-
halten, hat immer schwer auf der Gesellschaft geruht. Und wenn die rohesten Zeiten,
die doch viel weniger Greise hatten, die Alten töteten, so hat die höhere sittliche Kultur
zwar ihre Lage gebessert, hat Jahrtausende lang Ehrfurcht und Pflege für das Alter
verlangt, ist aber nie voll zum Ziele gelangt; noch die neueste Entwickelung zeigt, daß
die Liebe der Verwandten und Kinder nicht recht ausreichen will, daß alle möglichen
Versicherungs-, Pensions- und ähnliche Einrichtungen über die Klippe hinweghelfen
müssen.

Auch wenn man die Abgrenzungen der drei großen Altersgruppen etwas anders
faßt oder ihre Zahlenverhältnisse weiter ins einzelne verfolgt, wird das Bild nicht viel
geändert. Die unter 15 jährigen machen durchschnittlich etwa 35 %, die 15--70 jährigen
etwa 60 %, die über 70 jährigen etwa 5 % aus. Engel berechnet, daß die preußische
Bevölkerung 1855 444 Millionen Jahre durchlebt hatte, und daß von diesen auf die
Zeit vom 15.--70. Jahre nur 230, auf die übrige, die sogenannte "unproduktive"
Zeit 210 Millionen fielen. Die Säuglinge unter einem Jahre machen in Deutschland
fast 3 % der Bevölkerung, die schulpflichtigen Kinder 17--18 % aus; die wehrpflichtigen
männlichen Altersklassen (17--45 jährigen Männer) 19--20 %. Die ehemündigen, über
16 Jahre alten Frauen 32--33 %. An Gebrechlichen (Blinden, Taubstummen, Irr-
sinnigen) rechnet man etwa 0,4 %; an Kranken gehen von den sonst produktiv Thätigen
immer noch einige Prozente regelmäßig ab. So giebt der Altersaufbau durch alle wirt-
schaftlichen Lebensverhältnisse hindurch den festen zahlenmäßigen Rahmen für die Summe
der verwendbaren Kräfte und der daneben zu tragenden Lasten.

Natürlich ist nun aber das Verhältnis von Kraft und Last je nach den Kultur-
verhältnissen ein verschiedenes. Schon die obige Tabelle zeigt es, und aus ihr sind (da
ihre Zahlen alle der Gegenwart und mehr oder weniger geordneten Staaten angehören)
die Gegensätze, die in der Geschichte vorgekommen sind, entfernt nicht in ihrer vollen
Schärfe zu entnehmen. Je weiter wir in der Geschichte und Kultur der Menschheit
zurückgehen, desto weniger erwachsene und ältere Personen waren ohne Zweifel durch-
schnittlich in jeder Gesellschaft.

Herbert Spencer hat durch eine Vergleichung aller Tierarten und dieser mit den
Menschen gezeigt, daß bei den niedrigsten Wesen die Erzeugung der Nachkommen Ver-
nichtung der Eltern bedeutet, daß, je höher die Wesen stehen, desto mehr die Jugendzeit
und die Epoche nach der Geschlechtsreife verlängert wird, Eltern und Kinder neben-
einander leben. Er sieht in dem Verhältnis der Natur- zu den Kulturvölkern einen
ähnlichen Fortschritt: dort frühe Geschlechtsreife, frühes Altern und Sterben, erschöpfende
Inanspruchnahme der Frauen durch Kindererzeugung, größte Kindersterblichkeit; hier,
zumal bei den nördlichen Rassen, längere Jugend, spätere Geschlechtsreife, Verringerung
der Geburtenzahl, höheres Alter; das menschliche Leben ist weniger durch die Fort-
pflanzung ausgefüllt, andere Zwecke können mehr verfolgt werden; es leben mehr
Menschen, welche die Zeit der Kindererzeugung hinter sich haben; und dabei sorgen die
Eltern für die Kinder, diese für jene besser, die edelsten Freuden beider aneinander
wachsen; all' dies setzt er in Zusammenhang mit der Monogamie und ihrem Siege.
Und er hat wohl mit diesem Gedanken vollständig recht: das planmäßige Leben der
hohen Kultur, die Herrschaft der Überlieferung, die feste Ordnung der Gesellschaft hängt
mit einer steigenden Zahl erwachsener, älterer, für höhere Aufgaben zugänglicher Menschen
zusammen. Auch der Wohlstand kann eher steigen, wenn nicht eine Überzahl von Ge-

Schmoller, Grundriß der Volkswirtschaftslehre. I. 11

Der Generationswechſel und die Altersklaſſen.
41—52 %; auf ihnen ruht überwiegend die wirtſchaftliche Laſt der Unterhaltung der
Familien, der Gemeinden, des Staates. Von den beiden anderen Altersgruppen, die
überwiegend nur verzehren, fällt die Heranziehung der künftigen Generation 4—6 mal
ſchwerer als die Pflege der abſterbenden. Sie iſt durch die viel ſtärkeren Triebe der
mütterlichen und elterlichen Liebe garantiert; aber dieſe haben oft nicht ausgereicht
und reichen ſelbſt heute vielfach noch nicht ganz aus; ein großer Teil der Kinder iſt
zu allen Zeiten der Schwierigkeit zum Opfer gefallen, welche durch ihre wirtſchaftliche
Pflege für die Eltern entſtand. Auch die viel leichtere Laſt, die alten Leute zu unter-
halten, hat immer ſchwer auf der Geſellſchaft geruht. Und wenn die roheſten Zeiten,
die doch viel weniger Greiſe hatten, die Alten töteten, ſo hat die höhere ſittliche Kultur
zwar ihre Lage gebeſſert, hat Jahrtauſende lang Ehrfurcht und Pflege für das Alter
verlangt, iſt aber nie voll zum Ziele gelangt; noch die neueſte Entwickelung zeigt, daß
die Liebe der Verwandten und Kinder nicht recht ausreichen will, daß alle möglichen
Verſicherungs-, Penſions- und ähnliche Einrichtungen über die Klippe hinweghelfen
müſſen.

Auch wenn man die Abgrenzungen der drei großen Altersgruppen etwas anders
faßt oder ihre Zahlenverhältniſſe weiter ins einzelne verfolgt, wird das Bild nicht viel
geändert. Die unter 15 jährigen machen durchſchnittlich etwa 35 %, die 15—70 jährigen
etwa 60 %, die über 70 jährigen etwa 5 % aus. Engel berechnet, daß die preußiſche
Bevölkerung 1855 444 Millionen Jahre durchlebt hatte, und daß von dieſen auf die
Zeit vom 15.—70. Jahre nur 230, auf die übrige, die ſogenannte „unproduktive“
Zeit 210 Millionen fielen. Die Säuglinge unter einem Jahre machen in Deutſchland
faſt 3 % der Bevölkerung, die ſchulpflichtigen Kinder 17—18 % aus; die wehrpflichtigen
männlichen Altersklaſſen (17—45 jährigen Männer) 19—20 %. Die ehemündigen, über
16 Jahre alten Frauen 32—33 %. An Gebrechlichen (Blinden, Taubſtummen, Irr-
ſinnigen) rechnet man etwa 0,4 %; an Kranken gehen von den ſonſt produktiv Thätigen
immer noch einige Prozente regelmäßig ab. So giebt der Altersaufbau durch alle wirt-
ſchaftlichen Lebensverhältniſſe hindurch den feſten zahlenmäßigen Rahmen für die Summe
der verwendbaren Kräfte und der daneben zu tragenden Laſten.

Natürlich iſt nun aber das Verhältnis von Kraft und Laſt je nach den Kultur-
verhältniſſen ein verſchiedenes. Schon die obige Tabelle zeigt es, und aus ihr ſind (da
ihre Zahlen alle der Gegenwart und mehr oder weniger geordneten Staaten angehören)
die Gegenſätze, die in der Geſchichte vorgekommen ſind, entfernt nicht in ihrer vollen
Schärfe zu entnehmen. Je weiter wir in der Geſchichte und Kultur der Menſchheit
zurückgehen, deſto weniger erwachſene und ältere Perſonen waren ohne Zweifel durch-
ſchnittlich in jeder Geſellſchaft.

Herbert Spencer hat durch eine Vergleichung aller Tierarten und dieſer mit den
Menſchen gezeigt, daß bei den niedrigſten Weſen die Erzeugung der Nachkommen Ver-
nichtung der Eltern bedeutet, daß, je höher die Weſen ſtehen, deſto mehr die Jugendzeit
und die Epoche nach der Geſchlechtsreife verlängert wird, Eltern und Kinder neben-
einander leben. Er ſieht in dem Verhältnis der Natur- zu den Kulturvölkern einen
ähnlichen Fortſchritt: dort frühe Geſchlechtsreife, frühes Altern und Sterben, erſchöpfende
Inanſpruchnahme der Frauen durch Kindererzeugung, größte Kinderſterblichkeit; hier,
zumal bei den nördlichen Raſſen, längere Jugend, ſpätere Geſchlechtsreife, Verringerung
der Geburtenzahl, höheres Alter; das menſchliche Leben iſt weniger durch die Fort-
pflanzung ausgefüllt, andere Zwecke können mehr verfolgt werden; es leben mehr
Menſchen, welche die Zeit der Kindererzeugung hinter ſich haben; und dabei ſorgen die
Eltern für die Kinder, dieſe für jene beſſer, die edelſten Freuden beider aneinander
wachſen; all’ dies ſetzt er in Zuſammenhang mit der Monogamie und ihrem Siege.
Und er hat wohl mit dieſem Gedanken vollſtändig recht: das planmäßige Leben der
hohen Kultur, die Herrſchaft der Überlieferung, die feſte Ordnung der Geſellſchaft hängt
mit einer ſteigenden Zahl erwachſener, älterer, für höhere Aufgaben zugänglicher Menſchen
zuſammen. Auch der Wohlſtand kann eher ſteigen, wenn nicht eine Überzahl von Ge-

Schmoller, Grundriß der Volkswirtſchaftslehre. I. 11
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[161/0177] Der Generationswechſel und die Altersklaſſen. 41—52 %; auf ihnen ruht überwiegend die wirtſchaftliche Laſt der Unterhaltung der Familien, der Gemeinden, des Staates. Von den beiden anderen Altersgruppen, die überwiegend nur verzehren, fällt die Heranziehung der künftigen Generation 4—6 mal ſchwerer als die Pflege der abſterbenden. Sie iſt durch die viel ſtärkeren Triebe der mütterlichen und elterlichen Liebe garantiert; aber dieſe haben oft nicht ausgereicht und reichen ſelbſt heute vielfach noch nicht ganz aus; ein großer Teil der Kinder iſt zu allen Zeiten der Schwierigkeit zum Opfer gefallen, welche durch ihre wirtſchaftliche Pflege für die Eltern entſtand. Auch die viel leichtere Laſt, die alten Leute zu unter- halten, hat immer ſchwer auf der Geſellſchaft geruht. Und wenn die roheſten Zeiten, die doch viel weniger Greiſe hatten, die Alten töteten, ſo hat die höhere ſittliche Kultur zwar ihre Lage gebeſſert, hat Jahrtauſende lang Ehrfurcht und Pflege für das Alter verlangt, iſt aber nie voll zum Ziele gelangt; noch die neueſte Entwickelung zeigt, daß die Liebe der Verwandten und Kinder nicht recht ausreichen will, daß alle möglichen Verſicherungs-, Penſions- und ähnliche Einrichtungen über die Klippe hinweghelfen müſſen. Auch wenn man die Abgrenzungen der drei großen Altersgruppen etwas anders faßt oder ihre Zahlenverhältniſſe weiter ins einzelne verfolgt, wird das Bild nicht viel geändert. Die unter 15 jährigen machen durchſchnittlich etwa 35 %, die 15—70 jährigen etwa 60 %, die über 70 jährigen etwa 5 % aus. Engel berechnet, daß die preußiſche Bevölkerung 1855 444 Millionen Jahre durchlebt hatte, und daß von dieſen auf die Zeit vom 15.—70. Jahre nur 230, auf die übrige, die ſogenannte „unproduktive“ Zeit 210 Millionen fielen. Die Säuglinge unter einem Jahre machen in Deutſchland faſt 3 % der Bevölkerung, die ſchulpflichtigen Kinder 17—18 % aus; die wehrpflichtigen männlichen Altersklaſſen (17—45 jährigen Männer) 19—20 %. Die ehemündigen, über 16 Jahre alten Frauen 32—33 %. An Gebrechlichen (Blinden, Taubſtummen, Irr- ſinnigen) rechnet man etwa 0,4 %; an Kranken gehen von den ſonſt produktiv Thätigen immer noch einige Prozente regelmäßig ab. So giebt der Altersaufbau durch alle wirt- ſchaftlichen Lebensverhältniſſe hindurch den feſten zahlenmäßigen Rahmen für die Summe der verwendbaren Kräfte und der daneben zu tragenden Laſten. Natürlich iſt nun aber das Verhältnis von Kraft und Laſt je nach den Kultur- verhältniſſen ein verſchiedenes. Schon die obige Tabelle zeigt es, und aus ihr ſind (da ihre Zahlen alle der Gegenwart und mehr oder weniger geordneten Staaten angehören) die Gegenſätze, die in der Geſchichte vorgekommen ſind, entfernt nicht in ihrer vollen Schärfe zu entnehmen. Je weiter wir in der Geſchichte und Kultur der Menſchheit zurückgehen, deſto weniger erwachſene und ältere Perſonen waren ohne Zweifel durch- ſchnittlich in jeder Geſellſchaft. Herbert Spencer hat durch eine Vergleichung aller Tierarten und dieſer mit den Menſchen gezeigt, daß bei den niedrigſten Weſen die Erzeugung der Nachkommen Ver- nichtung der Eltern bedeutet, daß, je höher die Weſen ſtehen, deſto mehr die Jugendzeit und die Epoche nach der Geſchlechtsreife verlängert wird, Eltern und Kinder neben- einander leben. Er ſieht in dem Verhältnis der Natur- zu den Kulturvölkern einen ähnlichen Fortſchritt: dort frühe Geſchlechtsreife, frühes Altern und Sterben, erſchöpfende Inanſpruchnahme der Frauen durch Kindererzeugung, größte Kinderſterblichkeit; hier, zumal bei den nördlichen Raſſen, längere Jugend, ſpätere Geſchlechtsreife, Verringerung der Geburtenzahl, höheres Alter; das menſchliche Leben iſt weniger durch die Fort- pflanzung ausgefüllt, andere Zwecke können mehr verfolgt werden; es leben mehr Menſchen, welche die Zeit der Kindererzeugung hinter ſich haben; und dabei ſorgen die Eltern für die Kinder, dieſe für jene beſſer, die edelſten Freuden beider aneinander wachſen; all’ dies ſetzt er in Zuſammenhang mit der Monogamie und ihrem Siege. Und er hat wohl mit dieſem Gedanken vollſtändig recht: das planmäßige Leben der hohen Kultur, die Herrſchaft der Überlieferung, die feſte Ordnung der Geſellſchaft hängt mit einer ſteigenden Zahl erwachſener, älterer, für höhere Aufgaben zugänglicher Menſchen zuſammen. Auch der Wohlſtand kann eher ſteigen, wenn nicht eine Überzahl von Ge- Schmoller, Grundriß der Volkswirtſchaftslehre. I. 11

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/177>, abgerufen am 23.04.2024.