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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Der Einfluß der Naturverhältnisse in der bisherigen Litteratur.
Volksleben, Natur und Volkswirtschaft einander entgegen. Er setzt sich und das, was
er am direktesten als Habe und Besitz beherrscht, was er durch seine Technik umgestaltet
hat, dem übrigen der äußeren Natur, ihren Kräften und Einflüssen entgegen. Sie ist
ihm ein fremdes, übermächtiges, unbeherrschtes Gebilde; sie tritt ihm als Erde und
Klima, als Boden und Gebirge, als Luft und Wasser, als Pflanze und Tier gegenüber.
Sie ist ihm eine fremde Macht, die ihn freilich hier fördert, aber dort hindert und
vernichtet, mit der er ringt, die ihn beherrscht, die er beherrschen möchte. Je nachdem
ihm ihre Unterwerfung gelingt, ist er arm oder reich. Ihre Gestaltung und Umformung
durch die Technik macht den Inhalt seiner wirtschaftlichen Thätigkeit aus. Es ist klar,
daß ihre verschiedenen Kräfte, ihr verschiedener Reichtum ihm es bald leichter, bald
schwerer machen, zum Ziele zu kommen. Das Band seiner Abhängigkeit von ihr ist
bald ganz kurz, bald elastischer und loser.

Es ist die Frage, was wir über dieses Band, über diesen unzerreißbaren Zu-
sammenhang, über die Wechselwirkung zwischen Erde und Mensch, Natur und Volks-
wirtschaft wissen.

Das in die Augen Fallendste aus diesen Zusammenhängen war schon den Alten
klar, und Montesquieu hat es im 18. Buch des Geistes der Gesetze wieder in Erinne-
rung gebracht, indem er z. B. die freiheitliebenden Bergstämme mit den bequemen
Ackerbauern der Tiefebene, die sich despotischer Herrschaft leicht unterwerfen, verglich.
Herder hat dann in seinen Ideen zur Geschichte der Menschheit diese Zusammenhänge
weiter verfolgt, er sucht zu zeigen, daß die Geschichte der menschlichen Kultur zu einem
erheblichen Teile zoologisch und geographisch sei, daß die Menschen jedes Klimas, jedes
Weltteils und Landes andere seien. Karl Ritter hat, auf diesen Gedanken bauend, die
Vorstellung, daß die natürliche Gestaltung der Erde providentiell die Entwickelung der
menschlichen Kultur vorgezeichnet habe, durch sein reiches empirisch-geographisches Wissen
ebenso wie durch seine philosophischen Anschauungen zu stützen gesucht. Und wenn die
Wege teleologisch-geistvoller Ausdeutung des Zusammenhanges zwischen Natur und
Geschichte nur teilweise direkte Nachfolger in E. Kapp, J. G. Kohl, A. Guyot, E. Curtius,
H. Sivert fanden, gewisse Grundlinien dieser Auffassung blieben den historischen, staats-
wissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Studien doch als unverlierbares Erbe erhalten.
Es sei nur an zwei freilich einseitige Worte K. E. v. Baers erinnert: "Als die Erdachse
ihre Neigung erhielt, als das feste Land vom Wasser sich schied, als die Berge höher sich
hoben und die Ländergebiete sich begrenzten, war das Fatum des Menschengeschlechtes
in großen Umrissen vorausbestimmt." Und: "Es giebt keinen Grund, anzunehmen,
daß die verschiedenen Völker ursprünglich aus den Hand der Natur verschieden hervor-
gegangen sind; man hat vielmehr Grund, anzunehmen, daß sie verschieden geworden
sind durch die verschiedenen Einflüsse des Klimas, der Nahrung, der socialen Zustände.
Der sociale Zustand wird aber, zwar nicht allein, doch vorherrschend durch die physische
Beschaffenheit der Wohngebiete veranlaßt."

Was neuerdings durch die fortschreitende geographische Forschung auf diesem
Gebiete geleistet wurde, es sei nur an die Arbeiten Peschels und Ratzels erinnert, hat
die einschlägigen Fragen im einzelnen weiter gefördert. Auch die Fortschritte der
Meteorologie (Mühry, Dove), der Klimatologie (Hann, Woeikoff), der Pflanzen-
und Tiergeographie (Grisebach, Drude, A. Wallace), der Kulturgeschichte der Pflanzen
und Tiere (Hehn, Hahn) schufen einen besseren Boden für die wirkliche Erkenntnis,
während die mechanischen Theorien und spielenden Analogien Buckles eher einen Rückfall
hinter Montesquieu bedeuten und die Nationalökonomen zwar in einzelnen Schilde-
rungen sich der Methode der wissenschaftlichen Geographie bedienten, in der allgemeinen
Theorie aber über einige halbwahre oder falsche Generalisationen oder über einige
statistisch-technologische Notizen bezüglich Kohle und Dampfmaschine, Regenmenge und
Durchschnittswärme kaum hinaus kamen.

Versuchen wir, aus den erwähnten Wissenschaften und Vorarbeiten das Wichtigste
anzuführen.

Der Einfluß der Naturverhältniſſe in der bisherigen Litteratur.
Volksleben, Natur und Volkswirtſchaft einander entgegen. Er ſetzt ſich und das, was
er am direkteſten als Habe und Beſitz beherrſcht, was er durch ſeine Technik umgeſtaltet
hat, dem übrigen der äußeren Natur, ihren Kräften und Einflüſſen entgegen. Sie iſt
ihm ein fremdes, übermächtiges, unbeherrſchtes Gebilde; ſie tritt ihm als Erde und
Klima, als Boden und Gebirge, als Luft und Waſſer, als Pflanze und Tier gegenüber.
Sie iſt ihm eine fremde Macht, die ihn freilich hier fördert, aber dort hindert und
vernichtet, mit der er ringt, die ihn beherrſcht, die er beherrſchen möchte. Je nachdem
ihm ihre Unterwerfung gelingt, iſt er arm oder reich. Ihre Geſtaltung und Umformung
durch die Technik macht den Inhalt ſeiner wirtſchaftlichen Thätigkeit aus. Es iſt klar,
daß ihre verſchiedenen Kräfte, ihr verſchiedener Reichtum ihm es bald leichter, bald
ſchwerer machen, zum Ziele zu kommen. Das Band ſeiner Abhängigkeit von ihr iſt
bald ganz kurz, bald elaſtiſcher und loſer.

Es iſt die Frage, was wir über dieſes Band, über dieſen unzerreißbaren Zu-
ſammenhang, über die Wechſelwirkung zwiſchen Erde und Menſch, Natur und Volks-
wirtſchaft wiſſen.

Das in die Augen Fallendſte aus dieſen Zuſammenhängen war ſchon den Alten
klar, und Montesquieu hat es im 18. Buch des Geiſtes der Geſetze wieder in Erinne-
rung gebracht, indem er z. B. die freiheitliebenden Bergſtämme mit den bequemen
Ackerbauern der Tiefebene, die ſich despotiſcher Herrſchaft leicht unterwerfen, verglich.
Herder hat dann in ſeinen Ideen zur Geſchichte der Menſchheit dieſe Zuſammenhänge
weiter verfolgt, er ſucht zu zeigen, daß die Geſchichte der menſchlichen Kultur zu einem
erheblichen Teile zoologiſch und geographiſch ſei, daß die Menſchen jedes Klimas, jedes
Weltteils und Landes andere ſeien. Karl Ritter hat, auf dieſen Gedanken bauend, die
Vorſtellung, daß die natürliche Geſtaltung der Erde providentiell die Entwickelung der
menſchlichen Kultur vorgezeichnet habe, durch ſein reiches empiriſch-geographiſches Wiſſen
ebenſo wie durch ſeine philoſophiſchen Anſchauungen zu ſtützen geſucht. Und wenn die
Wege teleologiſch-geiſtvoller Ausdeutung des Zuſammenhanges zwiſchen Natur und
Geſchichte nur teilweiſe direkte Nachfolger in E. Kapp, J. G. Kohl, A. Guyot, E. Curtius,
H. Sivert fanden, gewiſſe Grundlinien dieſer Auffaſſung blieben den hiſtoriſchen, ſtaats-
wiſſenſchaftlichen und naturwiſſenſchaftlichen Studien doch als unverlierbares Erbe erhalten.
Es ſei nur an zwei freilich einſeitige Worte K. E. v. Baers erinnert: „Als die Erdachſe
ihre Neigung erhielt, als das feſte Land vom Waſſer ſich ſchied, als die Berge höher ſich
hoben und die Ländergebiete ſich begrenzten, war das Fatum des Menſchengeſchlechtes
in großen Umriſſen vorausbeſtimmt.“ Und: „Es giebt keinen Grund, anzunehmen,
daß die verſchiedenen Völker urſprünglich aus den Hand der Natur verſchieden hervor-
gegangen ſind; man hat vielmehr Grund, anzunehmen, daß ſie verſchieden geworden
ſind durch die verſchiedenen Einflüſſe des Klimas, der Nahrung, der ſocialen Zuſtände.
Der ſociale Zuſtand wird aber, zwar nicht allein, doch vorherrſchend durch die phyſiſche
Beſchaffenheit der Wohngebiete veranlaßt.“

Was neuerdings durch die fortſchreitende geographiſche Forſchung auf dieſem
Gebiete geleiſtet wurde, es ſei nur an die Arbeiten Peſchels und Ratzels erinnert, hat
die einſchlägigen Fragen im einzelnen weiter gefördert. Auch die Fortſchritte der
Meteorologie (Mühry, Dove), der Klimatologie (Hann, Woeikoff), der Pflanzen-
und Tiergeographie (Griſebach, Drude, A. Wallace), der Kulturgeſchichte der Pflanzen
und Tiere (Hehn, Hahn) ſchufen einen beſſeren Boden für die wirkliche Erkenntnis,
während die mechaniſchen Theorien und ſpielenden Analogien Buckles eher einen Rückfall
hinter Montesquieu bedeuten und die Nationalökonomen zwar in einzelnen Schilde-
rungen ſich der Methode der wiſſenſchaftlichen Geographie bedienten, in der allgemeinen
Theorie aber über einige halbwahre oder falſche Generaliſationen oder über einige
ſtatiſtiſch-technologiſche Notizen bezüglich Kohle und Dampfmaſchine, Regenmenge und
Durchſchnittswärme kaum hinaus kamen.

Verſuchen wir, aus den erwähnten Wiſſenſchaften und Vorarbeiten das Wichtigſte
anzuführen.

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[127/0143] Der Einfluß der Naturverhältniſſe in der bisherigen Litteratur. Volksleben, Natur und Volkswirtſchaft einander entgegen. Er ſetzt ſich und das, was er am direkteſten als Habe und Beſitz beherrſcht, was er durch ſeine Technik umgeſtaltet hat, dem übrigen der äußeren Natur, ihren Kräften und Einflüſſen entgegen. Sie iſt ihm ein fremdes, übermächtiges, unbeherrſchtes Gebilde; ſie tritt ihm als Erde und Klima, als Boden und Gebirge, als Luft und Waſſer, als Pflanze und Tier gegenüber. Sie iſt ihm eine fremde Macht, die ihn freilich hier fördert, aber dort hindert und vernichtet, mit der er ringt, die ihn beherrſcht, die er beherrſchen möchte. Je nachdem ihm ihre Unterwerfung gelingt, iſt er arm oder reich. Ihre Geſtaltung und Umformung durch die Technik macht den Inhalt ſeiner wirtſchaftlichen Thätigkeit aus. Es iſt klar, daß ihre verſchiedenen Kräfte, ihr verſchiedener Reichtum ihm es bald leichter, bald ſchwerer machen, zum Ziele zu kommen. Das Band ſeiner Abhängigkeit von ihr iſt bald ganz kurz, bald elaſtiſcher und loſer. Es iſt die Frage, was wir über dieſes Band, über dieſen unzerreißbaren Zu- ſammenhang, über die Wechſelwirkung zwiſchen Erde und Menſch, Natur und Volks- wirtſchaft wiſſen. Das in die Augen Fallendſte aus dieſen Zuſammenhängen war ſchon den Alten klar, und Montesquieu hat es im 18. Buch des Geiſtes der Geſetze wieder in Erinne- rung gebracht, indem er z. B. die freiheitliebenden Bergſtämme mit den bequemen Ackerbauern der Tiefebene, die ſich despotiſcher Herrſchaft leicht unterwerfen, verglich. Herder hat dann in ſeinen Ideen zur Geſchichte der Menſchheit dieſe Zuſammenhänge weiter verfolgt, er ſucht zu zeigen, daß die Geſchichte der menſchlichen Kultur zu einem erheblichen Teile zoologiſch und geographiſch ſei, daß die Menſchen jedes Klimas, jedes Weltteils und Landes andere ſeien. Karl Ritter hat, auf dieſen Gedanken bauend, die Vorſtellung, daß die natürliche Geſtaltung der Erde providentiell die Entwickelung der menſchlichen Kultur vorgezeichnet habe, durch ſein reiches empiriſch-geographiſches Wiſſen ebenſo wie durch ſeine philoſophiſchen Anſchauungen zu ſtützen geſucht. Und wenn die Wege teleologiſch-geiſtvoller Ausdeutung des Zuſammenhanges zwiſchen Natur und Geſchichte nur teilweiſe direkte Nachfolger in E. Kapp, J. G. Kohl, A. Guyot, E. Curtius, H. Sivert fanden, gewiſſe Grundlinien dieſer Auffaſſung blieben den hiſtoriſchen, ſtaats- wiſſenſchaftlichen und naturwiſſenſchaftlichen Studien doch als unverlierbares Erbe erhalten. Es ſei nur an zwei freilich einſeitige Worte K. E. v. Baers erinnert: „Als die Erdachſe ihre Neigung erhielt, als das feſte Land vom Waſſer ſich ſchied, als die Berge höher ſich hoben und die Ländergebiete ſich begrenzten, war das Fatum des Menſchengeſchlechtes in großen Umriſſen vorausbeſtimmt.“ Und: „Es giebt keinen Grund, anzunehmen, daß die verſchiedenen Völker urſprünglich aus den Hand der Natur verſchieden hervor- gegangen ſind; man hat vielmehr Grund, anzunehmen, daß ſie verſchieden geworden ſind durch die verſchiedenen Einflüſſe des Klimas, der Nahrung, der ſocialen Zuſtände. Der ſociale Zuſtand wird aber, zwar nicht allein, doch vorherrſchend durch die phyſiſche Beſchaffenheit der Wohngebiete veranlaßt.“ Was neuerdings durch die fortſchreitende geographiſche Forſchung auf dieſem Gebiete geleiſtet wurde, es ſei nur an die Arbeiten Peſchels und Ratzels erinnert, hat die einſchlägigen Fragen im einzelnen weiter gefördert. Auch die Fortſchritte der Meteorologie (Mühry, Dove), der Klimatologie (Hann, Woeikoff), der Pflanzen- und Tiergeographie (Griſebach, Drude, A. Wallace), der Kulturgeſchichte der Pflanzen und Tiere (Hehn, Hahn) ſchufen einen beſſeren Boden für die wirkliche Erkenntnis, während die mechaniſchen Theorien und ſpielenden Analogien Buckles eher einen Rückfall hinter Montesquieu bedeuten und die Nationalökonomen zwar in einzelnen Schilde- rungen ſich der Methode der wiſſenſchaftlichen Geographie bedienten, in der allgemeinen Theorie aber über einige halbwahre oder falſche Generaliſationen oder über einige ſtatiſtiſch-technologiſche Notizen bezüglich Kohle und Dampfmaſchine, Regenmenge und Durchſchnittswärme kaum hinaus kamen. Verſuchen wir, aus den erwähnten Wiſſenſchaften und Vorarbeiten das Wichtigſte anzuführen.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/143>, abgerufen am 29.03.2024.