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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Einleitung. Begriff. Psychologische und sittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
schaft, 1860 ff.) von dem Verhältnis der Gesellschaft zum Staate, von der Verschiedenheit
dieses Verhältnisses zur Zeit des Geschlechterstaates, des Ständestaates und des modernen
staatsbürgerlichen Staates aus; er sieht sein Ideal in einem socialen Königtum, das
seine Macht für Hebung der unteren Klassen einsetzt. Er begreift früher und viel richtiger
als die socialistischen Materialisten den Zusammenhang von Recht, Verfassung und Ver-
waltung mit den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zuständen. Er ist mehr Staats-
gelehrter als Nationalökonom, hat auch auf Lassalle, Gneist, Treitschke mehr Einfluß
geübt als auf die späteren deutschen Nationalökonomen. Sein encyklopädisches Wissen
reicht oft nicht aus für die Größe seiner Aufgaben, seine Systematik und Geschichts-
konstruktion schwebt vielfach mit geistreichen und halbwahren Konstruktionen in der
Luft, aber sein großartiger, historischer Blick sieht meist in die Tiefe der Dinge.

Waren so in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mancherlei theoretisch-staats-
wissenschaftliche und allgemeine Strömungen -- neben dem Socialismus -- vorhanden,
welche die Smithsche Nationalökonomie zumal in Deutschland nach und nach überwanden,
so war doch das Wichtigste, um ihre epigonenhafte Ausspinnung zu immer inhalts-
loseren, abstrakteren Betrachtungen zu bekämpfen, eine energische Erfassung der empirischen
Wirklichkeit. Es mußte eine vollkommenere Analyse der volkswirtschaftlichen Verhältnisse
in quantitativer und qualitativer Richtung eintreten. Das erstere geschah durch die
Statistik, das letztere durch die rechts- und wirtschaftshistorische und sonstige realistische
volkswirtschaftliche Forschung.

48. Die Statistik ist durch die Gründung der staatlichen statistischen
Ämter 1806--1875 sowie der städtischen von 1860 an, durch die regelmäßige Publi-
kation ihrer Ergebnisse, durch die Ausbildung einer besonderen Zählungs-, Erhebungs-
und Bearbeitungstechnik etwas ganz anderes als im vorigen Jahrhundert geworden.
Aus einer beschreibenden Staatenkunde, die einige notdürftige Notizen der heimlichen,
bureaukratischen Erhebungen der Verwaltungs- und Finanzbehörden mit Ergebnissen
der Kirchenbücher und privaten Schätzungen verband, ist ein großartiger, in der Haupt-
sache staatlich geordneter Apparat der Massenbeobachtung entstanden, der mit immer
größerer Anforderung an die Sicherheit der Erhebungen über große Gruppen von In-
dividuen ein Netz von Observatorien ausbreitet, um methodisch nicht bloß die für die
Verwaltung, sondern mehr und mehr auch die für die wissenschaftliche Erfassung des
gesellschaftlichen Lebens wichtigeren gleichartigen Erscheinungen zu beobachten und zu
registrieren. Es werden dabei gewisse Gruppen von Menschen, von Handlungen, von
wirtschaftlichen Gütern, Kapitalien, Grundstücken ins Auge gefaßt, und die in der Gruppe
enthaltenen Einzelfälle nach bestimmten natürlichen und rechtlichen Eigenschaften gezählt.
Es handelt sich um die Einführung der Meßkunst in das Gebiet der Staats- und Social-
wissenschaft. Auf Grund genereller, begrifflicher Klassifikationen wird innerhalb der Klasse
nach gewissen Merkmalen das Gleichartige oder Ungleichartige größenmäßig festgestellt.
Es werden diese Größenfeststellungen periodisch wiederholt. Aus der Vergleichung der
Zählungen, welche zu verschiedener Zeit auf denselben Gegenstand gerichtet sind oder mit
derselben Fragestellung in verschiedenen Ländern die analogen Gruppen fassen, ergeben sich
Regelmäßigkeiten, Abweichungen und Veränderungen, die zunächst an sich ein Interesse
haben, Fortschritt oder Rückschritt andeuten, dann auf gewisse, bisher unbekannte Ursachen
hinweisen, bekannte Ursachen in ihrer Wirkungsweise zu kontrollieren gestatten.

So glänzend die Fortschritte der Statistik, so groß die Anforderungen der heutigen
Statistik an die Thätigkeit der Behörden sind, so verfeinert und kompliziert die Methoden
der Fragestellung und Sammlung der Antworten z. B. in Bezug auf Sterblichkeits-,
Krankheits-, Handelsstatistik etc. ist, so ist doch klar, daß es sich bei aller Statistik um
die Messung von Größenverhältnissen der Bevölkerung, der Produktion, des Verkehrs
handelt, die über die Natur dieser Dinge sonst nichts aussagt; diese Natur muß möglichst
vorher bei der Fragestellung bekannt, muß durch anderweite Mittel wissenschaftlicher
Untersuchung festgestellt sein oder werden. Vor allem auch die gesamten Ursachen werden
nicht durch die Statistik aufgedeckt, sondern nur in ihrer Wirkung gemessen und
kontrolliert; die Statistik weist an bestimmter Stelle auf mögliche Ursachen hin, sie

Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
ſchaft, 1860 ff.) von dem Verhältnis der Geſellſchaft zum Staate, von der Verſchiedenheit
dieſes Verhältniſſes zur Zeit des Geſchlechterſtaates, des Ständeſtaates und des modernen
ſtaatsbürgerlichen Staates aus; er ſieht ſein Ideal in einem ſocialen Königtum, das
ſeine Macht für Hebung der unteren Klaſſen einſetzt. Er begreift früher und viel richtiger
als die ſocialiſtiſchen Materialiſten den Zuſammenhang von Recht, Verfaſſung und Ver-
waltung mit den geſellſchaftlichen und wirtſchaftlichen Zuſtänden. Er iſt mehr Staats-
gelehrter als Nationalökonom, hat auch auf Laſſalle, Gneiſt, Treitſchke mehr Einfluß
geübt als auf die ſpäteren deutſchen Nationalökonomen. Sein encyklopädiſches Wiſſen
reicht oft nicht aus für die Größe ſeiner Aufgaben, ſeine Syſtematik und Geſchichts-
konſtruktion ſchwebt vielfach mit geiſtreichen und halbwahren Konſtruktionen in der
Luft, aber ſein großartiger, hiſtoriſcher Blick ſieht meiſt in die Tiefe der Dinge.

Waren ſo in der erſten Hälfte des 19. Jahrhunderts mancherlei theoretiſch-ſtaats-
wiſſenſchaftliche und allgemeine Strömungen — neben dem Socialismus — vorhanden,
welche die Smithſche Nationalökonomie zumal in Deutſchland nach und nach überwanden,
ſo war doch das Wichtigſte, um ihre epigonenhafte Ausſpinnung zu immer inhalts-
loſeren, abſtrakteren Betrachtungen zu bekämpfen, eine energiſche Erfaſſung der empiriſchen
Wirklichkeit. Es mußte eine vollkommenere Analyſe der volkswirtſchaftlichen Verhältniſſe
in quantitativer und qualitativer Richtung eintreten. Das erſtere geſchah durch die
Statiſtik, das letztere durch die rechts- und wirtſchaftshiſtoriſche und ſonſtige realiſtiſche
volkswirtſchaftliche Forſchung.

48. Die Statiſtik iſt durch die Gründung der ſtaatlichen ſtatiſtiſchen
Ämter 1806—1875 ſowie der ſtädtiſchen von 1860 an, durch die regelmäßige Publi-
kation ihrer Ergebniſſe, durch die Ausbildung einer beſonderen Zählungs-, Erhebungs-
und Bearbeitungstechnik etwas ganz anderes als im vorigen Jahrhundert geworden.
Aus einer beſchreibenden Staatenkunde, die einige notdürftige Notizen der heimlichen,
bureaukratiſchen Erhebungen der Verwaltungs- und Finanzbehörden mit Ergebniſſen
der Kirchenbücher und privaten Schätzungen verband, iſt ein großartiger, in der Haupt-
ſache ſtaatlich geordneter Apparat der Maſſenbeobachtung entſtanden, der mit immer
größerer Anforderung an die Sicherheit der Erhebungen über große Gruppen von In-
dividuen ein Netz von Obſervatorien ausbreitet, um methodiſch nicht bloß die für die
Verwaltung, ſondern mehr und mehr auch die für die wiſſenſchaftliche Erfaſſung des
geſellſchaftlichen Lebens wichtigeren gleichartigen Erſcheinungen zu beobachten und zu
regiſtrieren. Es werden dabei gewiſſe Gruppen von Menſchen, von Handlungen, von
wirtſchaftlichen Gütern, Kapitalien, Grundſtücken ins Auge gefaßt, und die in der Gruppe
enthaltenen Einzelfälle nach beſtimmten natürlichen und rechtlichen Eigenſchaften gezählt.
Es handelt ſich um die Einführung der Meßkunſt in das Gebiet der Staats- und Social-
wiſſenſchaft. Auf Grund genereller, begrifflicher Klaſſifikationen wird innerhalb der Klaſſe
nach gewiſſen Merkmalen das Gleichartige oder Ungleichartige größenmäßig feſtgeſtellt.
Es werden dieſe Größenfeſtſtellungen periodiſch wiederholt. Aus der Vergleichung der
Zählungen, welche zu verſchiedener Zeit auf denſelben Gegenſtand gerichtet ſind oder mit
derſelben Frageſtellung in verſchiedenen Ländern die analogen Gruppen faſſen, ergeben ſich
Regelmäßigkeiten, Abweichungen und Veränderungen, die zunächſt an ſich ein Intereſſe
haben, Fortſchritt oder Rückſchritt andeuten, dann auf gewiſſe, bisher unbekannte Urſachen
hinweiſen, bekannte Urſachen in ihrer Wirkungsweiſe zu kontrollieren geſtatten.

So glänzend die Fortſchritte der Statiſtik, ſo groß die Anforderungen der heutigen
Statiſtik an die Thätigkeit der Behörden ſind, ſo verfeinert und kompliziert die Methoden
der Frageſtellung und Sammlung der Antworten z. B. in Bezug auf Sterblichkeits-,
Krankheits-, Handelsſtatiſtik ꝛc. iſt, ſo iſt doch klar, daß es ſich bei aller Statiſtik um
die Meſſung von Größenverhältniſſen der Bevölkerung, der Produktion, des Verkehrs
handelt, die über die Natur dieſer Dinge ſonſt nichts ausſagt; dieſe Natur muß möglichſt
vorher bei der Frageſtellung bekannt, muß durch anderweite Mittel wiſſenſchaftlicher
Unterſuchung feſtgeſtellt ſein oder werden. Vor allem auch die geſamten Urſachen werden
nicht durch die Statiſtik aufgedeckt, ſondern nur in ihrer Wirkung gemeſſen und
kontrolliert; die Statiſtik weiſt an beſtimmter Stelle auf mögliche Urſachen hin, ſie

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[114/0130] Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode. ſchaft, 1860 ff.) von dem Verhältnis der Geſellſchaft zum Staate, von der Verſchiedenheit dieſes Verhältniſſes zur Zeit des Geſchlechterſtaates, des Ständeſtaates und des modernen ſtaatsbürgerlichen Staates aus; er ſieht ſein Ideal in einem ſocialen Königtum, das ſeine Macht für Hebung der unteren Klaſſen einſetzt. Er begreift früher und viel richtiger als die ſocialiſtiſchen Materialiſten den Zuſammenhang von Recht, Verfaſſung und Ver- waltung mit den geſellſchaftlichen und wirtſchaftlichen Zuſtänden. Er iſt mehr Staats- gelehrter als Nationalökonom, hat auch auf Laſſalle, Gneiſt, Treitſchke mehr Einfluß geübt als auf die ſpäteren deutſchen Nationalökonomen. Sein encyklopädiſches Wiſſen reicht oft nicht aus für die Größe ſeiner Aufgaben, ſeine Syſtematik und Geſchichts- konſtruktion ſchwebt vielfach mit geiſtreichen und halbwahren Konſtruktionen in der Luft, aber ſein großartiger, hiſtoriſcher Blick ſieht meiſt in die Tiefe der Dinge. Waren ſo in der erſten Hälfte des 19. Jahrhunderts mancherlei theoretiſch-ſtaats- wiſſenſchaftliche und allgemeine Strömungen — neben dem Socialismus — vorhanden, welche die Smithſche Nationalökonomie zumal in Deutſchland nach und nach überwanden, ſo war doch das Wichtigſte, um ihre epigonenhafte Ausſpinnung zu immer inhalts- loſeren, abſtrakteren Betrachtungen zu bekämpfen, eine energiſche Erfaſſung der empiriſchen Wirklichkeit. Es mußte eine vollkommenere Analyſe der volkswirtſchaftlichen Verhältniſſe in quantitativer und qualitativer Richtung eintreten. Das erſtere geſchah durch die Statiſtik, das letztere durch die rechts- und wirtſchaftshiſtoriſche und ſonſtige realiſtiſche volkswirtſchaftliche Forſchung. 48. Die Statiſtik iſt durch die Gründung der ſtaatlichen ſtatiſtiſchen Ämter 1806—1875 ſowie der ſtädtiſchen von 1860 an, durch die regelmäßige Publi- kation ihrer Ergebniſſe, durch die Ausbildung einer beſonderen Zählungs-, Erhebungs- und Bearbeitungstechnik etwas ganz anderes als im vorigen Jahrhundert geworden. Aus einer beſchreibenden Staatenkunde, die einige notdürftige Notizen der heimlichen, bureaukratiſchen Erhebungen der Verwaltungs- und Finanzbehörden mit Ergebniſſen der Kirchenbücher und privaten Schätzungen verband, iſt ein großartiger, in der Haupt- ſache ſtaatlich geordneter Apparat der Maſſenbeobachtung entſtanden, der mit immer größerer Anforderung an die Sicherheit der Erhebungen über große Gruppen von In- dividuen ein Netz von Obſervatorien ausbreitet, um methodiſch nicht bloß die für die Verwaltung, ſondern mehr und mehr auch die für die wiſſenſchaftliche Erfaſſung des geſellſchaftlichen Lebens wichtigeren gleichartigen Erſcheinungen zu beobachten und zu regiſtrieren. Es werden dabei gewiſſe Gruppen von Menſchen, von Handlungen, von wirtſchaftlichen Gütern, Kapitalien, Grundſtücken ins Auge gefaßt, und die in der Gruppe enthaltenen Einzelfälle nach beſtimmten natürlichen und rechtlichen Eigenſchaften gezählt. Es handelt ſich um die Einführung der Meßkunſt in das Gebiet der Staats- und Social- wiſſenſchaft. Auf Grund genereller, begrifflicher Klaſſifikationen wird innerhalb der Klaſſe nach gewiſſen Merkmalen das Gleichartige oder Ungleichartige größenmäßig feſtgeſtellt. Es werden dieſe Größenfeſtſtellungen periodiſch wiederholt. Aus der Vergleichung der Zählungen, welche zu verſchiedener Zeit auf denſelben Gegenſtand gerichtet ſind oder mit derſelben Frageſtellung in verſchiedenen Ländern die analogen Gruppen faſſen, ergeben ſich Regelmäßigkeiten, Abweichungen und Veränderungen, die zunächſt an ſich ein Intereſſe haben, Fortſchritt oder Rückſchritt andeuten, dann auf gewiſſe, bisher unbekannte Urſachen hinweiſen, bekannte Urſachen in ihrer Wirkungsweiſe zu kontrollieren geſtatten. So glänzend die Fortſchritte der Statiſtik, ſo groß die Anforderungen der heutigen Statiſtik an die Thätigkeit der Behörden ſind, ſo verfeinert und kompliziert die Methoden der Frageſtellung und Sammlung der Antworten z. B. in Bezug auf Sterblichkeits-, Krankheits-, Handelsſtatiſtik ꝛc. iſt, ſo iſt doch klar, daß es ſich bei aller Statiſtik um die Meſſung von Größenverhältniſſen der Bevölkerung, der Produktion, des Verkehrs handelt, die über die Natur dieſer Dinge ſonſt nichts ausſagt; dieſe Natur muß möglichſt vorher bei der Frageſtellung bekannt, muß durch anderweite Mittel wiſſenſchaftlicher Unterſuchung feſtgeſtellt ſein oder werden. Vor allem auch die geſamten Urſachen werden nicht durch die Statiſtik aufgedeckt, ſondern nur in ihrer Wirkung gemeſſen und kontrolliert; die Statiſtik weiſt an beſtimmter Stelle auf mögliche Urſachen hin, ſie

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/130>, abgerufen am 20.04.2024.