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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Einleitung. Begriff. Psychologische und sittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
Untersuchung bewußt sind, nicht einheitlichen Ursachen, sondern einer Reihe von Ursachen-
komplexen gegenüber zu stehen, deren jede ihre eigene Natur hat, besondere wissenschaft-
liche Behandlung verlangt.

Die Thatsachen der äußeren Natur, welche die Volkswirtschaft beherrschen und
beeinflussen, sind nur durch die Methoden naturwissenschaftlicher Forschung zugänglich;
sie geben für die Möglichkeiten der volkswirtschaftlichen Entwickelung gewisse Minimal-
und Maximalgrenzen, ähnlich wie alle rein äußeren materiellen, wirtschaftlichen Ursachen,
z. B. auch Bevölkerungsdichtigkeit, Kapitalreichtum, Stand der Technik notwendig eine
gewisse Gestaltung der ganzen Volkswirtschaft nach sich ziehen, die aber in ihrem wich-
tigsten Detail doch ganz verschieden sein kann, je nach den psychologischen und sittlichen
Eigenschaften der Menschen.

Die Thatsachen der menschlichen Rassen- und Völkerkunde unterliegen naturwissen-
schaftlicher, historischer und psychologischer Untersuchung, die in ihrem Gesamtergebnis
wesentlich mit die abweichende wirtschaftliche Kultur der einzelnen Nationen bestimmen
und daher immer ergänzend heranzuziehen sind zu den generellen psychologischen Schlüssen
aus der allgemeinen Menschennatur.

Die Thatsachen der elementaren Bevölkerungsbewegung sind biologischen und
psychischen Charakters; bei einer gewissen Kultur und in bestimmtem Klima muß ihr
gewöhnlicher Gang ein gleichmäßiger sein; die Erklärung der Elementarerscheinungen ist
zunächst physiologischen Charakters. Die Massenerscheinungen der Bevölkerung wie die
Preiserscheinungen des Marktes in relativ ruhig sich entwickelnden Gemeinwesen sind
statistisch erfaßt einer Art mechanisch-mathematischer Behandlung zugänglich, wobei dann
eine Konstanz der wesentlichen Ursachen vorausgesetzt wird. Die Erklärung der Ab-
weichungen und Schwankungen der Bevölkerungsstatistik wie der ganzen Moralstatistik
erfordert eine psychologische, historische, völkervergleichende und wirtschaftliche Unter-
suchung.

Die allgemeinen psychologischen Elemente, welche das volkswirtschaftliche Leben
beeinflussen und beherrschen, äußern sich teils in elementarer, direkter Weise gleichsam
als Ursachen erster Ordnung, wobei von einer psychischen Trieblehre und einer Theorie
der sittlichen Charakterbildung auszugehen ist, dann aber als komplizierte Ergebnisse
eines höheren Kulturlebens, als Sprache, Sitte, Recht, als Institutionen wirtschaftlicher
und rechtlicher Art. Das ergiebt ein Netz psychischer Verursachung höherer Ordnung.
Für ersteres kommt die individuelle und vergleichende Psychologie, für diese hauptsächlich
die historische Untersuchung, die vergleichende Sitten- und Rechtsgeschichte in Betracht.
Es bildet einen der größten Fortschritte der neueren Volkswirtschaftslehre, daß sie auf
die Erkenntnis dieser geistigen Zwischenglieder zwischen Natur und Psyche einerseits und
volkswirtschaftlichen und socialen Erscheinungen andererseits den rechten Nachdruck gelegt
hat, daß sie nicht mehr versucht, bloß aus Natur- und Größenverhältnissen und den
rohsten psychologischen Axiomen, sondern vor allem aus der Geschichte der volkswirt-
schaftlichen Institutionen heraus zu argumentieren.

46. Gesetze, induktive und deduktive Methode. Das Ergebnis ist so
das allerdings für den Anfänger erschreckende: zu wissenschaftlich allseitigen Untersuchungen
auf volkswirtschaftlichem Gebiete gehören Methoden der verschiedensten Art, Kenntnisse
aus den verschiedensten Wissensgebieten. Die Ergebnisse sind nirgends vollständige, sie
liegen nach Methode und Gegenstand oft so getrennt nebeneinander, daß ihre syn-
thetische Verbindung die größte Schwierigkeit bereitet und nur auf wenigen Gebieten
bis jetzt eine vollendete Erkenntnis gewährt. Und doch ist schon unendlich viel gewonnen
gegen früher. Die einfacheren Vorgänge des Markt- und Verkehrswesens, der Bevölke-
rung, den Hauptgang der volkswirtschaftlichen Entwickelung übersehen wir ziemlich genau;
wir wissen, daß gewisse elementare volkswirtschaftliche Vorgänge und sociale Einrichtungen
so ziemlich überall gleichmäßig bei gewisser Kulturhöhe eintreten. Wir haben in den
unteren Etagen des Gebäudes die Fähigkeit einer gewissen Voraussage erreicht, die nicht
zu verachten ist. Wir sprechen, während wir gestehen, historische Gesetze nicht zu kennen,
von volkswirtschaftlichen und statistischen Gesetzen. Wir meinen damit freilich teilweise

Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
Unterſuchung bewußt ſind, nicht einheitlichen Urſachen, ſondern einer Reihe von Urſachen-
komplexen gegenüber zu ſtehen, deren jede ihre eigene Natur hat, beſondere wiſſenſchaft-
liche Behandlung verlangt.

Die Thatſachen der äußeren Natur, welche die Volkswirtſchaft beherrſchen und
beeinfluſſen, ſind nur durch die Methoden naturwiſſenſchaftlicher Forſchung zugänglich;
ſie geben für die Möglichkeiten der volkswirtſchaftlichen Entwickelung gewiſſe Minimal-
und Maximalgrenzen, ähnlich wie alle rein äußeren materiellen, wirtſchaftlichen Urſachen,
z. B. auch Bevölkerungsdichtigkeit, Kapitalreichtum, Stand der Technik notwendig eine
gewiſſe Geſtaltung der ganzen Volkswirtſchaft nach ſich ziehen, die aber in ihrem wich-
tigſten Detail doch ganz verſchieden ſein kann, je nach den pſychologiſchen und ſittlichen
Eigenſchaften der Menſchen.

Die Thatſachen der menſchlichen Raſſen- und Völkerkunde unterliegen naturwiſſen-
ſchaftlicher, hiſtoriſcher und pſychologiſcher Unterſuchung, die in ihrem Geſamtergebnis
weſentlich mit die abweichende wirtſchaftliche Kultur der einzelnen Nationen beſtimmen
und daher immer ergänzend heranzuziehen ſind zu den generellen pſychologiſchen Schlüſſen
aus der allgemeinen Menſchennatur.

Die Thatſachen der elementaren Bevölkerungsbewegung ſind biologiſchen und
pſychiſchen Charakters; bei einer gewiſſen Kultur und in beſtimmtem Klima muß ihr
gewöhnlicher Gang ein gleichmäßiger ſein; die Erklärung der Elementarerſcheinungen iſt
zunächſt phyſiologiſchen Charakters. Die Maſſenerſcheinungen der Bevölkerung wie die
Preiserſcheinungen des Marktes in relativ ruhig ſich entwickelnden Gemeinweſen ſind
ſtatiſtiſch erfaßt einer Art mechaniſch-mathematiſcher Behandlung zugänglich, wobei dann
eine Konſtanz der weſentlichen Urſachen vorausgeſetzt wird. Die Erklärung der Ab-
weichungen und Schwankungen der Bevölkerungsſtatiſtik wie der ganzen Moralſtatiſtik
erfordert eine pſychologiſche, hiſtoriſche, völkervergleichende und wirtſchaftliche Unter-
ſuchung.

Die allgemeinen pſychologiſchen Elemente, welche das volkswirtſchaftliche Leben
beeinfluſſen und beherrſchen, äußern ſich teils in elementarer, direkter Weiſe gleichſam
als Urſachen erſter Ordnung, wobei von einer pſychiſchen Trieblehre und einer Theorie
der ſittlichen Charakterbildung auszugehen iſt, dann aber als komplizierte Ergebniſſe
eines höheren Kulturlebens, als Sprache, Sitte, Recht, als Inſtitutionen wirtſchaftlicher
und rechtlicher Art. Das ergiebt ein Netz pſychiſcher Verurſachung höherer Ordnung.
Für erſteres kommt die individuelle und vergleichende Pſychologie, für dieſe hauptſächlich
die hiſtoriſche Unterſuchung, die vergleichende Sitten- und Rechtsgeſchichte in Betracht.
Es bildet einen der größten Fortſchritte der neueren Volkswirtſchaftslehre, daß ſie auf
die Erkenntnis dieſer geiſtigen Zwiſchenglieder zwiſchen Natur und Pſyche einerſeits und
volkswirtſchaftlichen und ſocialen Erſcheinungen andererſeits den rechten Nachdruck gelegt
hat, daß ſie nicht mehr verſucht, bloß aus Natur- und Größenverhältniſſen und den
rohſten pſychologiſchen Axiomen, ſondern vor allem aus der Geſchichte der volkswirt-
ſchaftlichen Inſtitutionen heraus zu argumentieren.

46. Geſetze, induktive und deduktive Methode. Das Ergebnis iſt ſo
das allerdings für den Anfänger erſchreckende: zu wiſſenſchaftlich allſeitigen Unterſuchungen
auf volkswirtſchaftlichem Gebiete gehören Methoden der verſchiedenſten Art, Kenntniſſe
aus den verſchiedenſten Wiſſensgebieten. Die Ergebniſſe ſind nirgends vollſtändige, ſie
liegen nach Methode und Gegenſtand oft ſo getrennt nebeneinander, daß ihre ſyn-
thetiſche Verbindung die größte Schwierigkeit bereitet und nur auf wenigen Gebieten
bis jetzt eine vollendete Erkenntnis gewährt. Und doch iſt ſchon unendlich viel gewonnen
gegen früher. Die einfacheren Vorgänge des Markt- und Verkehrsweſens, der Bevölke-
rung, den Hauptgang der volkswirtſchaftlichen Entwickelung überſehen wir ziemlich genau;
wir wiſſen, daß gewiſſe elementare volkswirtſchaftliche Vorgänge und ſociale Einrichtungen
ſo ziemlich überall gleichmäßig bei gewiſſer Kulturhöhe eintreten. Wir haben in den
unteren Etagen des Gebäudes die Fähigkeit einer gewiſſen Vorausſage erreicht, die nicht
zu verachten iſt. Wir ſprechen, während wir geſtehen, hiſtoriſche Geſetze nicht zu kennen,
von volkswirtſchaftlichen und ſtatiſtiſchen Geſetzen. Wir meinen damit freilich teilweiſe

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[108/0124] Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode. Unterſuchung bewußt ſind, nicht einheitlichen Urſachen, ſondern einer Reihe von Urſachen- komplexen gegenüber zu ſtehen, deren jede ihre eigene Natur hat, beſondere wiſſenſchaft- liche Behandlung verlangt. Die Thatſachen der äußeren Natur, welche die Volkswirtſchaft beherrſchen und beeinfluſſen, ſind nur durch die Methoden naturwiſſenſchaftlicher Forſchung zugänglich; ſie geben für die Möglichkeiten der volkswirtſchaftlichen Entwickelung gewiſſe Minimal- und Maximalgrenzen, ähnlich wie alle rein äußeren materiellen, wirtſchaftlichen Urſachen, z. B. auch Bevölkerungsdichtigkeit, Kapitalreichtum, Stand der Technik notwendig eine gewiſſe Geſtaltung der ganzen Volkswirtſchaft nach ſich ziehen, die aber in ihrem wich- tigſten Detail doch ganz verſchieden ſein kann, je nach den pſychologiſchen und ſittlichen Eigenſchaften der Menſchen. Die Thatſachen der menſchlichen Raſſen- und Völkerkunde unterliegen naturwiſſen- ſchaftlicher, hiſtoriſcher und pſychologiſcher Unterſuchung, die in ihrem Geſamtergebnis weſentlich mit die abweichende wirtſchaftliche Kultur der einzelnen Nationen beſtimmen und daher immer ergänzend heranzuziehen ſind zu den generellen pſychologiſchen Schlüſſen aus der allgemeinen Menſchennatur. Die Thatſachen der elementaren Bevölkerungsbewegung ſind biologiſchen und pſychiſchen Charakters; bei einer gewiſſen Kultur und in beſtimmtem Klima muß ihr gewöhnlicher Gang ein gleichmäßiger ſein; die Erklärung der Elementarerſcheinungen iſt zunächſt phyſiologiſchen Charakters. Die Maſſenerſcheinungen der Bevölkerung wie die Preiserſcheinungen des Marktes in relativ ruhig ſich entwickelnden Gemeinweſen ſind ſtatiſtiſch erfaßt einer Art mechaniſch-mathematiſcher Behandlung zugänglich, wobei dann eine Konſtanz der weſentlichen Urſachen vorausgeſetzt wird. Die Erklärung der Ab- weichungen und Schwankungen der Bevölkerungsſtatiſtik wie der ganzen Moralſtatiſtik erfordert eine pſychologiſche, hiſtoriſche, völkervergleichende und wirtſchaftliche Unter- ſuchung. Die allgemeinen pſychologiſchen Elemente, welche das volkswirtſchaftliche Leben beeinfluſſen und beherrſchen, äußern ſich teils in elementarer, direkter Weiſe gleichſam als Urſachen erſter Ordnung, wobei von einer pſychiſchen Trieblehre und einer Theorie der ſittlichen Charakterbildung auszugehen iſt, dann aber als komplizierte Ergebniſſe eines höheren Kulturlebens, als Sprache, Sitte, Recht, als Inſtitutionen wirtſchaftlicher und rechtlicher Art. Das ergiebt ein Netz pſychiſcher Verurſachung höherer Ordnung. Für erſteres kommt die individuelle und vergleichende Pſychologie, für dieſe hauptſächlich die hiſtoriſche Unterſuchung, die vergleichende Sitten- und Rechtsgeſchichte in Betracht. Es bildet einen der größten Fortſchritte der neueren Volkswirtſchaftslehre, daß ſie auf die Erkenntnis dieſer geiſtigen Zwiſchenglieder zwiſchen Natur und Pſyche einerſeits und volkswirtſchaftlichen und ſocialen Erſcheinungen andererſeits den rechten Nachdruck gelegt hat, daß ſie nicht mehr verſucht, bloß aus Natur- und Größenverhältniſſen und den rohſten pſychologiſchen Axiomen, ſondern vor allem aus der Geſchichte der volkswirt- ſchaftlichen Inſtitutionen heraus zu argumentieren. 46. Geſetze, induktive und deduktive Methode. Das Ergebnis iſt ſo das allerdings für den Anfänger erſchreckende: zu wiſſenſchaftlich allſeitigen Unterſuchungen auf volkswirtſchaftlichem Gebiete gehören Methoden der verſchiedenſten Art, Kenntniſſe aus den verſchiedenſten Wiſſensgebieten. Die Ergebniſſe ſind nirgends vollſtändige, ſie liegen nach Methode und Gegenſtand oft ſo getrennt nebeneinander, daß ihre ſyn- thetiſche Verbindung die größte Schwierigkeit bereitet und nur auf wenigen Gebieten bis jetzt eine vollendete Erkenntnis gewährt. Und doch iſt ſchon unendlich viel gewonnen gegen früher. Die einfacheren Vorgänge des Markt- und Verkehrsweſens, der Bevölke- rung, den Hauptgang der volkswirtſchaftlichen Entwickelung überſehen wir ziemlich genau; wir wiſſen, daß gewiſſe elementare volkswirtſchaftliche Vorgänge und ſociale Einrichtungen ſo ziemlich überall gleichmäßig bei gewiſſer Kulturhöhe eintreten. Wir haben in den unteren Etagen des Gebäudes die Fähigkeit einer gewiſſen Vorausſage erreicht, die nicht zu verachten iſt. Wir ſprechen, während wir geſtehen, hiſtoriſche Geſetze nicht zu kennen, von volkswirtſchaftlichen und ſtatiſtiſchen Geſetzen. Wir meinen damit freilich teilweiſe

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/124>, abgerufen am 25.04.2024.