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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Beschreibung; vergleichende Methode; Begriffsbildung.
und Beloch, haben Methode und Zusammenhang in diese Untersuchungen gebracht, eine
vergleichende historische Bevölkerungsstatistik geschaffen. So wirken eben die aneinander
grenzenden Wissenschaften immer gegenseitig befruchtend aufeinander.

Eine einzige Methode nationalökonomischer Beobachtung kann es entsprechend der
Kompliziertheit des Stoffes natürlich nicht geben. Auf jeden Teil des Stoffes sind die
Mittel zu verwenden, die uns am weitesten führen, die uns das zutreffendste, wahrste,
vollständigste Bild der Wirklichkeit, der volkswirtschaftlichen Thatsachen geben.

Die Thatsachen kennen, sagt Lotze, ist nicht alles, aber ein Großes; dies gering
zu schätzen, weil man mehr verlangt, geziemt nur jenen hesiodischen Thoren, die nie
verstehen, daß halb oft besser ist als ganz. Und Lassalle meint in ähnlichem Zusammen-
hange: Der Stoff hat ohne den Gedanken immer noch einen relativen Wert, der Gedanke
ohne den Stoff aber nur die Bedeutung einer Chimäre.

44. Die Begriffsbildung. Richtig beschreiben, von einem Gegenstande
Merkmale aussagen, die Ursachen aufdecken, die Folgen feststellen kann nur, wer die
Erscheinungen, ihre Merkmale, ihre Konsequenzen mit Worten festen Inhalts bezeichnet.
Die Begriffsbildung hat die Aufgabe, die in der gewöhnlichen Sprache vorhandenen,
von der Wissenschaft benutzten, weiter gebildeten, oft umgedeuteten Worte zu diesem
Zwecke einer Erörterung, Deutung und Fixierung zu unterwerfen. Diese Begriffsbildung,
für jede Wissenschaft eine ihrer wesentlichen Aufgaben, ist zunächst eine Fortsetzung oder
Potenzierung der natürlichen Sprachbildung. Jeder Sprachgebrauch geht vom anschau-
lichen, sinnlichen Bilde einer Erscheinung aus, in dem eine Summe von Vorstellungen
um eine herrschende gruppiert ist; das Wort ist dieser herrschenden Vorstellung entnommen,
bezeichnet das Bild mit allen seinen Vorstellungen; das Wort wird zu einem abstrakten,
konventionellen Zeichen, das bei allen Gebrauchenden die gleichen oder ähnlichen Vor-
stellungen hervorruft. Diese Vorstellungen sind aber nicht fixiert, es schieben sich in
die Wortbedeutung jeder lebendigen Sprache neue, wechselnde Vorstellungen ein; die
herrschende Vorstellung wird von einer anderen verdrängt. Und je allgemeinere Vor-
stellungskreise ein Wort einheitlich zusammenfaßt, desto zweifelhafter ist in der gewöhn-
lichen Sprache der damit verbundene Sinn. Die Wissenschaft hat nun das Bedürfnis,
diese fließenden und schwankenden Vorstellungskreise immer wieder für ihre Zwecke zu
fixieren; sie verlangt möglichste Konstanz, durchgängige, feste Bestimmtheit, Sicherheit
und Allgemeingültigkeit der Wortbezeichnung. Die Definition ist das wissenschaftlich
begründete Urteil über die Bedeutung eines Wortes. Indem wir definieren, wollen
wir für alle an der Gedankenarbeit Teilnehmenden eine gleichmäßige Ordnung des Vor-
stellungsinhaltes und damit zugleich eine einheitliche Klassifikation der Erscheinungen
eintreten lassen. Das ist aber immer nur bis zu einem gewissen Grade möglich. Die
Dinge selbst und alle unsere Vorstellungen über sie sind stets im Flusse begriffen; die
vollendete Klassifikation der Erscheinungen ist niemals ganz vorhanden; die Worte, mit
denen wir einen Begriff definieren, sind selbst nicht absolut feststehend; sie wären es
nur, wenn es bereits ein vollendetes Begriffssystem gäbe, was nicht der Fall ist. Wir
müssen uns also in allen Wissenschaften mit vorläufigen Definitionen begnügen, dem
weiteren Fortschritte der Wissenschaft und des Lebens ihre weitere Richtigstellung über-
lassend.

Eine Wissenschaft, die schon ein relativ feststehendes Begriffssystem hat, definiert
durch Angabe der nächst höheren Gattung des Begriffes und durch den artbildenden
Unterschied; die Nationalökonomie und das ganze Gebiet der Staatswissenschaft ist nur
an einzelnen Stellen so weit, in dieser Weise definieren zu können: z. B. die Haus-
industrie ist eine Unternehmungsform, bei welcher der kleine Produzent nicht direkt ans
Publikum verkauft, sondern den Absatz seiner Produkte nur durch anderweite kauf-
männische Vermittelung erreicht.

In der Regel muß sie definieren, indem sie den Begriff in seine Merkmale zerlegt,
die wichtigsten zur Charakterisierung benutzt. Artet die Definition dadurch zu einer breiten
analytischen Beschreibung aus, so hört sie auf Definition zu sein, und riskiert, nicht ein-
mal die herrschende Vorstellung in den Mittelpunkt zu stellen. Betont sie in der Definition

Beſchreibung; vergleichende Methode; Begriffsbildung.
und Beloch, haben Methode und Zuſammenhang in dieſe Unterſuchungen gebracht, eine
vergleichende hiſtoriſche Bevölkerungsſtatiſtik geſchaffen. So wirken eben die aneinander
grenzenden Wiſſenſchaften immer gegenſeitig befruchtend aufeinander.

Eine einzige Methode nationalökonomiſcher Beobachtung kann es entſprechend der
Kompliziertheit des Stoffes natürlich nicht geben. Auf jeden Teil des Stoffes ſind die
Mittel zu verwenden, die uns am weiteſten führen, die uns das zutreffendſte, wahrſte,
vollſtändigſte Bild der Wirklichkeit, der volkswirtſchaftlichen Thatſachen geben.

Die Thatſachen kennen, ſagt Lotze, iſt nicht alles, aber ein Großes; dies gering
zu ſchätzen, weil man mehr verlangt, geziemt nur jenen heſiodiſchen Thoren, die nie
verſtehen, daß halb oft beſſer iſt als ganz. Und Laſſalle meint in ähnlichem Zuſammen-
hange: Der Stoff hat ohne den Gedanken immer noch einen relativen Wert, der Gedanke
ohne den Stoff aber nur die Bedeutung einer Chimäre.

44. Die Begriffsbildung. Richtig beſchreiben, von einem Gegenſtande
Merkmale ausſagen, die Urſachen aufdecken, die Folgen feſtſtellen kann nur, wer die
Erſcheinungen, ihre Merkmale, ihre Konſequenzen mit Worten feſten Inhalts bezeichnet.
Die Begriffsbildung hat die Aufgabe, die in der gewöhnlichen Sprache vorhandenen,
von der Wiſſenſchaft benutzten, weiter gebildeten, oft umgedeuteten Worte zu dieſem
Zwecke einer Erörterung, Deutung und Fixierung zu unterwerfen. Dieſe Begriffsbildung,
für jede Wiſſenſchaft eine ihrer weſentlichen Aufgaben, iſt zunächſt eine Fortſetzung oder
Potenzierung der natürlichen Sprachbildung. Jeder Sprachgebrauch geht vom anſchau-
lichen, ſinnlichen Bilde einer Erſcheinung aus, in dem eine Summe von Vorſtellungen
um eine herrſchende gruppiert iſt; das Wort iſt dieſer herrſchenden Vorſtellung entnommen,
bezeichnet das Bild mit allen ſeinen Vorſtellungen; das Wort wird zu einem abſtrakten,
konventionellen Zeichen, das bei allen Gebrauchenden die gleichen oder ähnlichen Vor-
ſtellungen hervorruft. Dieſe Vorſtellungen ſind aber nicht fixiert, es ſchieben ſich in
die Wortbedeutung jeder lebendigen Sprache neue, wechſelnde Vorſtellungen ein; die
herrſchende Vorſtellung wird von einer anderen verdrängt. Und je allgemeinere Vor-
ſtellungskreiſe ein Wort einheitlich zuſammenfaßt, deſto zweifelhafter iſt in der gewöhn-
lichen Sprache der damit verbundene Sinn. Die Wiſſenſchaft hat nun das Bedürfnis,
dieſe fließenden und ſchwankenden Vorſtellungskreiſe immer wieder für ihre Zwecke zu
fixieren; ſie verlangt möglichſte Konſtanz, durchgängige, feſte Beſtimmtheit, Sicherheit
und Allgemeingültigkeit der Wortbezeichnung. Die Definition iſt das wiſſenſchaftlich
begründete Urteil über die Bedeutung eines Wortes. Indem wir definieren, wollen
wir für alle an der Gedankenarbeit Teilnehmenden eine gleichmäßige Ordnung des Vor-
ſtellungsinhaltes und damit zugleich eine einheitliche Klaſſifikation der Erſcheinungen
eintreten laſſen. Das iſt aber immer nur bis zu einem gewiſſen Grade möglich. Die
Dinge ſelbſt und alle unſere Vorſtellungen über ſie ſind ſtets im Fluſſe begriffen; die
vollendete Klaſſifikation der Erſcheinungen iſt niemals ganz vorhanden; die Worte, mit
denen wir einen Begriff definieren, ſind ſelbſt nicht abſolut feſtſtehend; ſie wären es
nur, wenn es bereits ein vollendetes Begriffsſyſtem gäbe, was nicht der Fall iſt. Wir
müſſen uns alſo in allen Wiſſenſchaften mit vorläufigen Definitionen begnügen, dem
weiteren Fortſchritte der Wiſſenſchaft und des Lebens ihre weitere Richtigſtellung über-
laſſend.

Eine Wiſſenſchaft, die ſchon ein relativ feſtſtehendes Begriffsſyſtem hat, definiert
durch Angabe der nächſt höheren Gattung des Begriffes und durch den artbildenden
Unterſchied; die Nationalökonomie und das ganze Gebiet der Staatswiſſenſchaft iſt nur
an einzelnen Stellen ſo weit, in dieſer Weiſe definieren zu können: z. B. die Haus-
induſtrie iſt eine Unternehmungsform, bei welcher der kleine Produzent nicht direkt ans
Publikum verkauft, ſondern den Abſatz ſeiner Produkte nur durch anderweite kauf-
männiſche Vermittelung erreicht.

In der Regel muß ſie definieren, indem ſie den Begriff in ſeine Merkmale zerlegt,
die wichtigſten zur Charakteriſierung benutzt. Artet die Definition dadurch zu einer breiten
analytiſchen Beſchreibung aus, ſo hört ſie auf Definition zu ſein, und riskiert, nicht ein-
mal die herrſchende Vorſtellung in den Mittelpunkt zu ſtellen. Betont ſie in der Definition

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[103/0119] Beſchreibung; vergleichende Methode; Begriffsbildung. und Beloch, haben Methode und Zuſammenhang in dieſe Unterſuchungen gebracht, eine vergleichende hiſtoriſche Bevölkerungsſtatiſtik geſchaffen. So wirken eben die aneinander grenzenden Wiſſenſchaften immer gegenſeitig befruchtend aufeinander. Eine einzige Methode nationalökonomiſcher Beobachtung kann es entſprechend der Kompliziertheit des Stoffes natürlich nicht geben. Auf jeden Teil des Stoffes ſind die Mittel zu verwenden, die uns am weiteſten führen, die uns das zutreffendſte, wahrſte, vollſtändigſte Bild der Wirklichkeit, der volkswirtſchaftlichen Thatſachen geben. Die Thatſachen kennen, ſagt Lotze, iſt nicht alles, aber ein Großes; dies gering zu ſchätzen, weil man mehr verlangt, geziemt nur jenen heſiodiſchen Thoren, die nie verſtehen, daß halb oft beſſer iſt als ganz. Und Laſſalle meint in ähnlichem Zuſammen- hange: Der Stoff hat ohne den Gedanken immer noch einen relativen Wert, der Gedanke ohne den Stoff aber nur die Bedeutung einer Chimäre. 44. Die Begriffsbildung. Richtig beſchreiben, von einem Gegenſtande Merkmale ausſagen, die Urſachen aufdecken, die Folgen feſtſtellen kann nur, wer die Erſcheinungen, ihre Merkmale, ihre Konſequenzen mit Worten feſten Inhalts bezeichnet. Die Begriffsbildung hat die Aufgabe, die in der gewöhnlichen Sprache vorhandenen, von der Wiſſenſchaft benutzten, weiter gebildeten, oft umgedeuteten Worte zu dieſem Zwecke einer Erörterung, Deutung und Fixierung zu unterwerfen. Dieſe Begriffsbildung, für jede Wiſſenſchaft eine ihrer weſentlichen Aufgaben, iſt zunächſt eine Fortſetzung oder Potenzierung der natürlichen Sprachbildung. Jeder Sprachgebrauch geht vom anſchau- lichen, ſinnlichen Bilde einer Erſcheinung aus, in dem eine Summe von Vorſtellungen um eine herrſchende gruppiert iſt; das Wort iſt dieſer herrſchenden Vorſtellung entnommen, bezeichnet das Bild mit allen ſeinen Vorſtellungen; das Wort wird zu einem abſtrakten, konventionellen Zeichen, das bei allen Gebrauchenden die gleichen oder ähnlichen Vor- ſtellungen hervorruft. Dieſe Vorſtellungen ſind aber nicht fixiert, es ſchieben ſich in die Wortbedeutung jeder lebendigen Sprache neue, wechſelnde Vorſtellungen ein; die herrſchende Vorſtellung wird von einer anderen verdrängt. Und je allgemeinere Vor- ſtellungskreiſe ein Wort einheitlich zuſammenfaßt, deſto zweifelhafter iſt in der gewöhn- lichen Sprache der damit verbundene Sinn. Die Wiſſenſchaft hat nun das Bedürfnis, dieſe fließenden und ſchwankenden Vorſtellungskreiſe immer wieder für ihre Zwecke zu fixieren; ſie verlangt möglichſte Konſtanz, durchgängige, feſte Beſtimmtheit, Sicherheit und Allgemeingültigkeit der Wortbezeichnung. Die Definition iſt das wiſſenſchaftlich begründete Urteil über die Bedeutung eines Wortes. Indem wir definieren, wollen wir für alle an der Gedankenarbeit Teilnehmenden eine gleichmäßige Ordnung des Vor- ſtellungsinhaltes und damit zugleich eine einheitliche Klaſſifikation der Erſcheinungen eintreten laſſen. Das iſt aber immer nur bis zu einem gewiſſen Grade möglich. Die Dinge ſelbſt und alle unſere Vorſtellungen über ſie ſind ſtets im Fluſſe begriffen; die vollendete Klaſſifikation der Erſcheinungen iſt niemals ganz vorhanden; die Worte, mit denen wir einen Begriff definieren, ſind ſelbſt nicht abſolut feſtſtehend; ſie wären es nur, wenn es bereits ein vollendetes Begriffsſyſtem gäbe, was nicht der Fall iſt. Wir müſſen uns alſo in allen Wiſſenſchaften mit vorläufigen Definitionen begnügen, dem weiteren Fortſchritte der Wiſſenſchaft und des Lebens ihre weitere Richtigſtellung über- laſſend. Eine Wiſſenſchaft, die ſchon ein relativ feſtſtehendes Begriffsſyſtem hat, definiert durch Angabe der nächſt höheren Gattung des Begriffes und durch den artbildenden Unterſchied; die Nationalökonomie und das ganze Gebiet der Staatswiſſenſchaft iſt nur an einzelnen Stellen ſo weit, in dieſer Weiſe definieren zu können: z. B. die Haus- induſtrie iſt eine Unternehmungsform, bei welcher der kleine Produzent nicht direkt ans Publikum verkauft, ſondern den Abſatz ſeiner Produkte nur durch anderweite kauf- männiſche Vermittelung erreicht. In der Regel muß ſie definieren, indem ſie den Begriff in ſeine Merkmale zerlegt, die wichtigſten zur Charakteriſierung benutzt. Artet die Definition dadurch zu einer breiten analytiſchen Beſchreibung aus, ſo hört ſie auf Definition zu ſein, und riskiert, nicht ein- mal die herrſchende Vorſtellung in den Mittelpunkt zu ſtellen. Betont ſie in der Definition

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/119>, abgerufen am 25.04.2024.