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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Einleitung. Begriff. Psychologische und sittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
und der Bodenverteilung, Eigentum, Geld, Kapital, Zins, Bodenwert sind die Kategorien,
mit Hülfe deren er die wirtschaftlichen Klassen, den Verkehr, die Einkommensverteilung,
die Wirkung des Kapitals abstrakt erklärt und ähnliche liberale Forderungen aufstellt
wie Quesnay. Als Provinzialintendant musterhaft, hat er als Minister den über-
stürzenden Doktrinär hervorgekehrt. Seine Schriften sind hingeworfene, geist- und
geschmackvolle Skizzen, nicht ohne Übertreibungen und Gemeinplätze, geschrieben ganz im
Fahrwasser der individualistischen Naturrechtsaufklärung und im blinden Glauben an
deren erlösende Formeln; durch seine theoretisierende Zusammenfassung hat er aber auf
A. Smith und die Folgezeit wohl mehr gewirkt als die anderen Physiokraten. War
der Einfluß derselben im ganzen in anderen Ländern auch entfernt nicht so groß wie
in Frankreich, so bilden sie doch ein wichtiges Glied in der Gesamtentwickelung unserer
Wissenschaft. Sie sind die ersten Theoretiker, die ein einfaches System der wirtschaft-
lichen Gesellschaftsverfassung auf Grund der stoisch-naturrechtlichen Harmonieanschauungen
aufbauten, damit eine Reihe von Begriffen, Kategorien und Anschauungen schufen, die
seither als Gerüst der Disciplin dienten, die mit schwungvoller Begeisterung gegen die
Mißhandlung der unteren Klassen auftraten, damit überall, auch in den Salons der
Fürsten und Vornehmen, Beifall fanden. Sie bleiben ideologische Doktrinäre, aber
ihre Zeit beobachtend und in ihr wurzelnd, haben sie doch verstanden, ihr die Wege
zu weisen.

Hatten die Physiokraten hauptsächlich die Überschätzung der Industrie bekämpft,
so suchte David Hume, der auch als Moralphilosoph und Erkenntnistheoretiker eine
führende Stellung einnimmt, durch scharfsinnige Zergliederung des Handels und des
Geldes die naiven Irrtümer älterer Zeit zu widerlegen, und an ihn schließt sich nun
sein etwas jüngerer Schüler A. Smith, der schon 1759 in seiner feinsinnigen und
liebenswürdigen Theorie der moralischen Gefühle sich ebenbürtig in die Reihe der großen
psychologischen englischen Gefühlsmoralisten gestellt hatte. Die Bedeutung seines großen
Werkes (Inquiry into the nature and causes of the wealth of nations, 1776) liegt
darin, daß er, ähnlich wie James Steuart, aber von seinem individualistischen Stand-
punkte aus das Ganze der volks- und staatswirtschaftlichen Erscheinungen in einem großen
Werke populär und doch mit wissenschaftlichen Exkursen vorführt und ähnlich wie Turgot
dieses Ganze unter dem Bilde einer vom Staate losgelösten Tauschgesellschaft von freien
Individuen mit freiem Eigentum darstellt. Aber er übertrifft dabei nun diese beiden
Vorgänger weit, den ersteren durch die zeitgemäßere liberale Tendenz und die wissen-
schaftliche Eleganz, den letzteren durch die Fülle und Breite der Ausführung und die
Freiheit von den phpsiokratischen Einseitigkeiten. Der Standpunkt ist jedoch im ganzen
derselbe wie bei den Physiokraten, bei Locke oder Hume: ein idealer Naturzustand ist
gleichsam in dem bürgerlichen enthalten, der Staat hat wesentlich nur die persönliche
Freiheit und das Eigentum zu gewährleisten; im übrigen sind seine Lenker "listige,
verschlagene Tiere", deren Thätigkeit seit Jahrhunderten nur die natürliche Ordnung
gestört hat. Unbedingt freie wirtschaftliche Bewegung und freie Konkurrenz erscheinen
als die nützlichen und gerechten Mittel, welche die Individuen am besten erziehen, die
socialen Klassen versöhnen, die Gesellschaft von selbst richtig organisieren. Den psycho-
logisch moralischen Hintergrund bildet die Analyse des natürlichen Menschen, der halb
im Sinne von Shaftesbury als gut, tugendhaft, mit sympathischen Gefühlen, halb in
dem von Hume und Helvetius als selbstisch gefaßt wird. Jedenfalls erscheint das
individuelle Selbstinteresse, das nach ihm im ganzen in den Schranken der Gerechtigkeit
sich bewegt, als die heilsame und nicht zu beschränkende Sprungfeder des wirtschaftlichen
Handelns wie des socialen Mechanismus. Aus ihm geht die Arbeit, der Tauschtrieb,
der Spartrieb hervor. Die Einzelinteressen kommen von selbst zur Harmonie, nicht
durch Staat und Recht, wie bei den Physiokraten, nicht durch Kämpfe und Kompromisse,
sondern durch die weise Einrichtung der Triebe, die ein allmächtiger, gütiger Gott so
geschaffen, daß die gesellschaftliche Welt wie ein Uhrwerk sich abspielt. Es handelt sich
nur darum, die falschen Eingriffe der Gesetzgeber, der unter sich verschworenen Kaufleute
und Unternehmer in dieses Triebwerk zu beseitigen, alle Privilegien, falschen bisherigen

Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
und der Bodenverteilung, Eigentum, Geld, Kapital, Zins, Bodenwert ſind die Kategorien,
mit Hülfe deren er die wirtſchaftlichen Klaſſen, den Verkehr, die Einkommensverteilung,
die Wirkung des Kapitals abſtrakt erklärt und ähnliche liberale Forderungen aufſtellt
wie Quesnay. Als Provinzialintendant muſterhaft, hat er als Miniſter den über-
ſtürzenden Doktrinär hervorgekehrt. Seine Schriften ſind hingeworfene, geiſt- und
geſchmackvolle Skizzen, nicht ohne Übertreibungen und Gemeinplätze, geſchrieben ganz im
Fahrwaſſer der individualiſtiſchen Naturrechtsaufklärung und im blinden Glauben an
deren erlöſende Formeln; durch ſeine theoretiſierende Zuſammenfaſſung hat er aber auf
A. Smith und die Folgezeit wohl mehr gewirkt als die anderen Phyſiokraten. War
der Einfluß derſelben im ganzen in anderen Ländern auch entfernt nicht ſo groß wie
in Frankreich, ſo bilden ſie doch ein wichtiges Glied in der Geſamtentwickelung unſerer
Wiſſenſchaft. Sie ſind die erſten Theoretiker, die ein einfaches Syſtem der wirtſchaft-
lichen Geſellſchaftsverfaſſung auf Grund der ſtoiſch-naturrechtlichen Harmonieanſchauungen
aufbauten, damit eine Reihe von Begriffen, Kategorien und Anſchauungen ſchufen, die
ſeither als Gerüſt der Disciplin dienten, die mit ſchwungvoller Begeiſterung gegen die
Mißhandlung der unteren Klaſſen auftraten, damit überall, auch in den Salons der
Fürſten und Vornehmen, Beifall fanden. Sie bleiben ideologiſche Doktrinäre, aber
ihre Zeit beobachtend und in ihr wurzelnd, haben ſie doch verſtanden, ihr die Wege
zu weiſen.

Hatten die Phyſiokraten hauptſächlich die Überſchätzung der Induſtrie bekämpft,
ſo ſuchte David Hume, der auch als Moralphiloſoph und Erkenntnistheoretiker eine
führende Stellung einnimmt, durch ſcharfſinnige Zergliederung des Handels und des
Geldes die naiven Irrtümer älterer Zeit zu widerlegen, und an ihn ſchließt ſich nun
ſein etwas jüngerer Schüler A. Smith, der ſchon 1759 in ſeiner feinſinnigen und
liebenswürdigen Theorie der moraliſchen Gefühle ſich ebenbürtig in die Reihe der großen
pſychologiſchen engliſchen Gefühlsmoraliſten geſtellt hatte. Die Bedeutung ſeines großen
Werkes (Inquiry into the nature and causes of the wealth of nations, 1776) liegt
darin, daß er, ähnlich wie James Steuart, aber von ſeinem individualiſtiſchen Stand-
punkte aus das Ganze der volks- und ſtaatswirtſchaftlichen Erſcheinungen in einem großen
Werke populär und doch mit wiſſenſchaftlichen Exkurſen vorführt und ähnlich wie Turgot
dieſes Ganze unter dem Bilde einer vom Staate losgelöſten Tauſchgeſellſchaft von freien
Individuen mit freiem Eigentum darſtellt. Aber er übertrifft dabei nun dieſe beiden
Vorgänger weit, den erſteren durch die zeitgemäßere liberale Tendenz und die wiſſen-
ſchaftliche Eleganz, den letzteren durch die Fülle und Breite der Ausführung und die
Freiheit von den phpſiokratiſchen Einſeitigkeiten. Der Standpunkt iſt jedoch im ganzen
derſelbe wie bei den Phyſiokraten, bei Locke oder Hume: ein idealer Naturzuſtand iſt
gleichſam in dem bürgerlichen enthalten, der Staat hat weſentlich nur die perſönliche
Freiheit und das Eigentum zu gewährleiſten; im übrigen ſind ſeine Lenker „liſtige,
verſchlagene Tiere“, deren Thätigkeit ſeit Jahrhunderten nur die natürliche Ordnung
geſtört hat. Unbedingt freie wirtſchaftliche Bewegung und freie Konkurrenz erſcheinen
als die nützlichen und gerechten Mittel, welche die Individuen am beſten erziehen, die
ſocialen Klaſſen verſöhnen, die Geſellſchaft von ſelbſt richtig organiſieren. Den pſycho-
logiſch moraliſchen Hintergrund bildet die Analyſe des natürlichen Menſchen, der halb
im Sinne von Shaftesbury als gut, tugendhaft, mit ſympathiſchen Gefühlen, halb in
dem von Hume und Helvetius als ſelbſtiſch gefaßt wird. Jedenfalls erſcheint das
individuelle Selbſtintereſſe, das nach ihm im ganzen in den Schranken der Gerechtigkeit
ſich bewegt, als die heilſame und nicht zu beſchränkende Sprungfeder des wirtſchaftlichen
Handelns wie des ſocialen Mechanismus. Aus ihm geht die Arbeit, der Tauſchtrieb,
der Spartrieb hervor. Die Einzelintereſſen kommen von ſelbſt zur Harmonie, nicht
durch Staat und Recht, wie bei den Phyſiokraten, nicht durch Kämpfe und Kompromiſſe,
ſondern durch die weiſe Einrichtung der Triebe, die ein allmächtiger, gütiger Gott ſo
geſchaffen, daß die geſellſchaftliche Welt wie ein Uhrwerk ſich abſpielt. Es handelt ſich
nur darum, die falſchen Eingriffe der Geſetzgeber, der unter ſich verſchworenen Kaufleute
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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/106>, abgerufen am 25.04.2024.