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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Der Standpunkt des Merkantilismus.

Die Vorstellung einer besonderen, selbständig neben dem Staate stehenden Volks-
wirtschaft ist eigentlich noch nicht vorhanden. Finanzen, Arbeitsteilung, Verkehr sind
den Denkern jener Tage integrierende Teile des angeblich durch den Staatsvertrag ent-
standenen Gemeinwesens. Das ganze politische und wirtschaftliche Leben ist ein Mecha-
nismus, der durch klug ersonnene Gesetze und staatliche Organe zu regulieren ist; die
scharfsinnigsten Realisten, von Macchiavelli bis auf James Steuart, sehen darin in erster
Linie eine Schöpfung des Staatsmannes. Und die meisten damaligen Staaten waren
es auch in ihrer Gründung, wie in ihrer weiteren politischen und wirtschaftlichen Ent-
wickelung. Vielfach wenigstens mit Blut und Eisen und mit allen Künsten der
Diplomatie waren aus den kleinen Gebieten, aus den selbständigen Städten und
Provinzen die größeren Staaten damals hergestellt worden. Überall stand die Herbei-
führung gleicher und einheitlicher wirtschaftlicher Ordnungen innerhalb dieser neugebildeten
Staaten im Vordergrunde der staatlichen Aufgaben; selbst Colbert hat unendlich mehr
für die innere Verwaltungseinheit Frankreichs als für dessen Abschluß nach außen
gethan. Innerhalb der neugebildeten Staaten mit ihrem vergrößerten inneren Markte
gilt es nun für die entsprechende Zahl Menschen und ihre richtige Verteilung zu sorgen;
das Verhältnis der Ackerbauer zu den Gewerbtreibenden nach Zahl und nach Art des
Austausches beschäftigt die Aufmerksamkeit, ebenso die Frage, ob in jedem einzelnen
Erwerbszweige die rechte Zahl von Menschen sei; es ist Sache der Regierung, überall
das Zuviel und Zuwenig, das "Polypolium" und das "Monopolium" der Produzierenden
zu hindern. Die Vorstellung von Angebot und Nachfrage begegnet uns bereits; als
das Mittel, sie in regelmäßige Berührung zu bringen, erscheint das Geld, die Münze;
die Geldcirkulation wird gefeiert als der große Motor des socialen Körpers; sie soll
befördert werden; eine zunehmende Geldmenge wird ebenso gepriesen wie eine raschere,
gleichmäßigere Geldcirkulation. Aber abgesehen von wenigen Großkaufleuten, die, schon
damals an den Sitzen des lebendigsten Verkehrs, teils an sich der Freiheit der Geld-
cirkulation und aller Verkehrstransaktionen vertrauen, teils diese Freiheit in ihrem
Interesse finden (wie Pieter de la Court in Holland), erscheint diese Cirkulation des
Geldes und der Waren, welche gerade damals sich außerordentlich vermehrte und
ausdehnte, niemandem als ein Strom, der sich selbst überlassen werden könne. Man
fürchtete vom Handwerker die Lieferung schlechter Waren, von der natürlichen
Preisbildung eine Verteuerung, die den Absatz vernichte; man lebte noch ganz in
den überlieferten Zuständen, welche mit ihren hergebrachten Stapelrechten, Binnenzöllen,
Marktrechten, ihrem Fremdenrechte leicht jede Änderung und Ausdehnung des Verkehrs
hemmten. Alles rief nach dem Staatsmanne, der jedem Angebote seinen Absatz
verschaffen, der allen Verkehr von Markt zu Markt, von Stadt zu Land, von Provinz
zu Provinz und vollends von Staat zu Staat regulieren, der ordnend, Waren-
schau haltend, preissetzend eingreife. Nur so -- fand man -- könne dieses künstliche
Gewebe des Verkehrs gedeihen, vor falscher, dem Staate ungünstiger Entwickelung bewahrt
bleiben. Ein Heißhunger nach wirklicher oder fiktiver Statistik, welche als staatlicher
Kontrollapparat allen Verkehrsvorgängen dienen sollte, erfüllt die aufgeklärten, am besten
regierten Staaten von den italienischen Tyrannen des Cinque Cento bis zu den großen
Regenten des 18. Jahrhunderts.

Nicht sowohl das Geld als einziger Gegenstand des Reichtums steht so im Mittel-
punkte der Betrachtung, als die Cirkulation desselben, das Geld als Schwungrad des
Verkehrs. Da dieses Geld aber obrigkeitliche Münze ist, vom Fürsten geprägt wird,
da die Staatsgewalt für die genügende Menge verantwortlich ist, so erscheint, zumal
in den Staaten ohne Bergwerke, die Pflicht, durch Handelsmaßregeln für die ent-
sprechenden Geldsummen zu sorgen, als die wichtigste volkswirtschaftliche Aufgabe der
Regierung. Und da zugleich die neuen Geldsteuern für Heer und Beamtentum nur da
reichlich fließen, wo Verkehr und Industrie erblüht sind, da man diese überall da ent-
stehen sieht, wo der auswärtige Handel, vor allem der nach den Kolonien, und der
Handel, der inländische Industriewaren ausführt, gedeiht, so wird die Frage, wie durch
Kolonialhandel und Manufaktenausfuhr eine günstige Handelsbilanz zu erzielen sei, zum
Prüfstein der richtigen staatlichen Wirtschaftspolitik.

Der Standpunkt des Merkantilismus.

Die Vorſtellung einer beſonderen, ſelbſtändig neben dem Staate ſtehenden Volks-
wirtſchaft iſt eigentlich noch nicht vorhanden. Finanzen, Arbeitsteilung, Verkehr ſind
den Denkern jener Tage integrierende Teile des angeblich durch den Staatsvertrag ent-
ſtandenen Gemeinweſens. Das ganze politiſche und wirtſchaftliche Leben iſt ein Mecha-
nismus, der durch klug erſonnene Geſetze und ſtaatliche Organe zu regulieren iſt; die
ſcharfſinnigſten Realiſten, von Macchiavelli bis auf James Steuart, ſehen darin in erſter
Linie eine Schöpfung des Staatsmannes. Und die meiſten damaligen Staaten waren
es auch in ihrer Gründung, wie in ihrer weiteren politiſchen und wirtſchaftlichen Ent-
wickelung. Vielfach wenigſtens mit Blut und Eiſen und mit allen Künſten der
Diplomatie waren aus den kleinen Gebieten, aus den ſelbſtändigen Städten und
Provinzen die größeren Staaten damals hergeſtellt worden. Überall ſtand die Herbei-
führung gleicher und einheitlicher wirtſchaftlicher Ordnungen innerhalb dieſer neugebildeten
Staaten im Vordergrunde der ſtaatlichen Aufgaben; ſelbſt Colbert hat unendlich mehr
für die innere Verwaltungseinheit Frankreichs als für deſſen Abſchluß nach außen
gethan. Innerhalb der neugebildeten Staaten mit ihrem vergrößerten inneren Markte
gilt es nun für die entſprechende Zahl Menſchen und ihre richtige Verteilung zu ſorgen;
das Verhältnis der Ackerbauer zu den Gewerbtreibenden nach Zahl und nach Art des
Austauſches beſchäftigt die Aufmerkſamkeit, ebenſo die Frage, ob in jedem einzelnen
Erwerbszweige die rechte Zahl von Menſchen ſei; es iſt Sache der Regierung, überall
das Zuviel und Zuwenig, das „Polypolium“ und das „Monopolium“ der Produzierenden
zu hindern. Die Vorſtellung von Angebot und Nachfrage begegnet uns bereits; als
das Mittel, ſie in regelmäßige Berührung zu bringen, erſcheint das Geld, die Münze;
die Geldcirkulation wird gefeiert als der große Motor des ſocialen Körpers; ſie ſoll
befördert werden; eine zunehmende Geldmenge wird ebenſo geprieſen wie eine raſchere,
gleichmäßigere Geldcirkulation. Aber abgeſehen von wenigen Großkaufleuten, die, ſchon
damals an den Sitzen des lebendigſten Verkehrs, teils an ſich der Freiheit der Geld-
cirkulation und aller Verkehrstransaktionen vertrauen, teils dieſe Freiheit in ihrem
Intereſſe finden (wie Pieter de la Court in Holland), erſcheint dieſe Cirkulation des
Geldes und der Waren, welche gerade damals ſich außerordentlich vermehrte und
ausdehnte, niemandem als ein Strom, der ſich ſelbſt überlaſſen werden könne. Man
fürchtete vom Handwerker die Lieferung ſchlechter Waren, von der natürlichen
Preisbildung eine Verteuerung, die den Abſatz vernichte; man lebte noch ganz in
den überlieferten Zuſtänden, welche mit ihren hergebrachten Stapelrechten, Binnenzöllen,
Marktrechten, ihrem Fremdenrechte leicht jede Änderung und Ausdehnung des Verkehrs
hemmten. Alles rief nach dem Staatsmanne, der jedem Angebote ſeinen Abſatz
verſchaffen, der allen Verkehr von Markt zu Markt, von Stadt zu Land, von Provinz
zu Provinz und vollends von Staat zu Staat regulieren, der ordnend, Waren-
ſchau haltend, preisſetzend eingreife. Nur ſo — fand man — könne dieſes künſtliche
Gewebe des Verkehrs gedeihen, vor falſcher, dem Staate ungünſtiger Entwickelung bewahrt
bleiben. Ein Heißhunger nach wirklicher oder fiktiver Statiſtik, welche als ſtaatlicher
Kontrollapparat allen Verkehrsvorgängen dienen ſollte, erfüllt die aufgeklärten, am beſten
regierten Staaten von den italieniſchen Tyrannen des Cinque Cento bis zu den großen
Regenten des 18. Jahrhunderts.

Nicht ſowohl das Geld als einziger Gegenſtand des Reichtums ſteht ſo im Mittel-
punkte der Betrachtung, als die Cirkulation desſelben, das Geld als Schwungrad des
Verkehrs. Da dieſes Geld aber obrigkeitliche Münze iſt, vom Fürſten geprägt wird,
da die Staatsgewalt für die genügende Menge verantwortlich iſt, ſo erſcheint, zumal
in den Staaten ohne Bergwerke, die Pflicht, durch Handelsmaßregeln für die ent-
ſprechenden Geldſummen zu ſorgen, als die wichtigſte volkswirtſchaftliche Aufgabe der
Regierung. Und da zugleich die neuen Geldſteuern für Heer und Beamtentum nur da
reichlich fließen, wo Verkehr und Induſtrie erblüht ſind, da man dieſe überall da ent-
ſtehen ſieht, wo der auswärtige Handel, vor allem der nach den Kolonien, und der
Handel, der inländiſche Induſtriewaren ausführt, gedeiht, ſo wird die Frage, wie durch
Kolonialhandel und Manufaktenausfuhr eine günſtige Handelsbilanz zu erzielen ſei, zum
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[85/0101] Der Standpunkt des Merkantilismus. Die Vorſtellung einer beſonderen, ſelbſtändig neben dem Staate ſtehenden Volks- wirtſchaft iſt eigentlich noch nicht vorhanden. Finanzen, Arbeitsteilung, Verkehr ſind den Denkern jener Tage integrierende Teile des angeblich durch den Staatsvertrag ent- ſtandenen Gemeinweſens. Das ganze politiſche und wirtſchaftliche Leben iſt ein Mecha- nismus, der durch klug erſonnene Geſetze und ſtaatliche Organe zu regulieren iſt; die ſcharfſinnigſten Realiſten, von Macchiavelli bis auf James Steuart, ſehen darin in erſter Linie eine Schöpfung des Staatsmannes. Und die meiſten damaligen Staaten waren es auch in ihrer Gründung, wie in ihrer weiteren politiſchen und wirtſchaftlichen Ent- wickelung. Vielfach wenigſtens mit Blut und Eiſen und mit allen Künſten der Diplomatie waren aus den kleinen Gebieten, aus den ſelbſtändigen Städten und Provinzen die größeren Staaten damals hergeſtellt worden. Überall ſtand die Herbei- führung gleicher und einheitlicher wirtſchaftlicher Ordnungen innerhalb dieſer neugebildeten Staaten im Vordergrunde der ſtaatlichen Aufgaben; ſelbſt Colbert hat unendlich mehr für die innere Verwaltungseinheit Frankreichs als für deſſen Abſchluß nach außen gethan. Innerhalb der neugebildeten Staaten mit ihrem vergrößerten inneren Markte gilt es nun für die entſprechende Zahl Menſchen und ihre richtige Verteilung zu ſorgen; das Verhältnis der Ackerbauer zu den Gewerbtreibenden nach Zahl und nach Art des Austauſches beſchäftigt die Aufmerkſamkeit, ebenſo die Frage, ob in jedem einzelnen Erwerbszweige die rechte Zahl von Menſchen ſei; es iſt Sache der Regierung, überall das Zuviel und Zuwenig, das „Polypolium“ und das „Monopolium“ der Produzierenden zu hindern. Die Vorſtellung von Angebot und Nachfrage begegnet uns bereits; als das Mittel, ſie in regelmäßige Berührung zu bringen, erſcheint das Geld, die Münze; die Geldcirkulation wird gefeiert als der große Motor des ſocialen Körpers; ſie ſoll befördert werden; eine zunehmende Geldmenge wird ebenſo geprieſen wie eine raſchere, gleichmäßigere Geldcirkulation. Aber abgeſehen von wenigen Großkaufleuten, die, ſchon damals an den Sitzen des lebendigſten Verkehrs, teils an ſich der Freiheit der Geld- cirkulation und aller Verkehrstransaktionen vertrauen, teils dieſe Freiheit in ihrem Intereſſe finden (wie Pieter de la Court in Holland), erſcheint dieſe Cirkulation des Geldes und der Waren, welche gerade damals ſich außerordentlich vermehrte und ausdehnte, niemandem als ein Strom, der ſich ſelbſt überlaſſen werden könne. Man fürchtete vom Handwerker die Lieferung ſchlechter Waren, von der natürlichen Preisbildung eine Verteuerung, die den Abſatz vernichte; man lebte noch ganz in den überlieferten Zuſtänden, welche mit ihren hergebrachten Stapelrechten, Binnenzöllen, Marktrechten, ihrem Fremdenrechte leicht jede Änderung und Ausdehnung des Verkehrs hemmten. Alles rief nach dem Staatsmanne, der jedem Angebote ſeinen Abſatz verſchaffen, der allen Verkehr von Markt zu Markt, von Stadt zu Land, von Provinz zu Provinz und vollends von Staat zu Staat regulieren, der ordnend, Waren- ſchau haltend, preisſetzend eingreife. Nur ſo — fand man — könne dieſes künſtliche Gewebe des Verkehrs gedeihen, vor falſcher, dem Staate ungünſtiger Entwickelung bewahrt bleiben. Ein Heißhunger nach wirklicher oder fiktiver Statiſtik, welche als ſtaatlicher Kontrollapparat allen Verkehrsvorgängen dienen ſollte, erfüllt die aufgeklärten, am beſten regierten Staaten von den italieniſchen Tyrannen des Cinque Cento bis zu den großen Regenten des 18. Jahrhunderts. Nicht ſowohl das Geld als einziger Gegenſtand des Reichtums ſteht ſo im Mittel- punkte der Betrachtung, als die Cirkulation desſelben, das Geld als Schwungrad des Verkehrs. Da dieſes Geld aber obrigkeitliche Münze iſt, vom Fürſten geprägt wird, da die Staatsgewalt für die genügende Menge verantwortlich iſt, ſo erſcheint, zumal in den Staaten ohne Bergwerke, die Pflicht, durch Handelsmaßregeln für die ent- ſprechenden Geldſummen zu ſorgen, als die wichtigſte volkswirtſchaftliche Aufgabe der Regierung. Und da zugleich die neuen Geldſteuern für Heer und Beamtentum nur da reichlich fließen, wo Verkehr und Induſtrie erblüht ſind, da man dieſe überall da ent- ſtehen ſieht, wo der auswärtige Handel, vor allem der nach den Kolonien, und der Handel, der inländiſche Induſtriewaren ausführt, gedeiht, ſo wird die Frage, wie durch Kolonialhandel und Manufaktenausfuhr eine günſtige Handelsbilanz zu erzielen ſei, zum Prüfſtein der richtigen ſtaatlichen Wirtſchaftspolitik.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/101>, abgerufen am 24.04.2024.