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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838.

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und Zeitpartikeln sind. Also können auch die jezigen bloß an-
knüpfenden noch einzeln gesteigert werden. Der Kanon dazu
geht daraus hervor, daß bloße Anknüpfung im Ganzen nicht
vorausgesezt werden darf. Sie herrscht vor in Beschreibungen
und Erzählungen, aber auch da nicht rein, weil der Schreibende
sonst bloßes Organ wäre. Wo also dieß nicht stattfindet, da
kann sie nur untergeordnet sein, d. h. in organische Verknü-
pfung eingefaßt oder aus derselben gefolgert oder sie vorbereitend.
Wo aber keine organische Verknüpfung außerdem vorhanden ist,
da muß sie in der bloß anreihenden latitiren.

Die 1) allgemeine Formel für die schwierigeren Fälle der Sazver-
bindung ist diese: Werden Säze von ungleichem Gehalte verbun-
den, so ist die Verbindung keine unmittelbare und man muß
auf einen Saz von gleichem Gehalt zurückgehen.

5. Anwendung auf das Neue Testament.

1. Da wenn auch in der (fremden) Sprache der Schrift
gedacht wird was man schreibt, doch das Entwerfen, oft in der
Muttersprache geschieht, und schon im ersten Entwurf die Ge-
dankenverbindung liegt, so ist bei den neutestam. Schriftstellern
dem obigen zufolge besonders an Vermischung des griechischen
und hebräischen zu denken.

2. Diese Vermischung ist um so mehr von großem Einfluß
als beide Sprachen in den Verbindungsformen sehr verschieden
sind. Den Reichthum der griechischen Sprache in dieser Hin-
sicht konnten sich die neutest. Schriftsteller auf dem ungelehrten
Wege nicht aneignen, da man auf diesem Wege hierauf am
wenigsten achtet und durch flüchtiges Hören sich den Werth
der Verbindungsformen weniger aneignet. Dieser Mangel macht
denn auch zaghaft im Gebrauch der wirklich schon bekannten.
Griechische Zeichen die in mehreren Fällen einem hebräischen ent-
sprachen, wurden dann um so leichter für gleichbedeutend gehalten.

1) Aus der Vorles. v. 1826.

und Zeitpartikeln ſind. Alſo koͤnnen auch die jezigen bloß an-
knuͤpfenden noch einzeln geſteigert werden. Der Kanon dazu
geht daraus hervor, daß bloße Anknuͤpfung im Ganzen nicht
vorausgeſezt werden darf. Sie herrſcht vor in Beſchreibungen
und Erzaͤhlungen, aber auch da nicht rein, weil der Schreibende
ſonſt bloßes Organ waͤre. Wo alſo dieß nicht ſtattfindet, da
kann ſie nur untergeordnet ſein, d. h. in organiſche Verknuͤ-
pfung eingefaßt oder aus derſelben gefolgert oder ſie vorbereitend.
Wo aber keine organiſche Verknuͤpfung außerdem vorhanden iſt,
da muß ſie in der bloß anreihenden latitiren.

Die 1) allgemeine Formel fuͤr die ſchwierigeren Faͤlle der Sazver-
bindung iſt dieſe: Werden Saͤze von ungleichem Gehalte verbun-
den, ſo iſt die Verbindung keine unmittelbare und man muß
auf einen Saz von gleichem Gehalt zuruͤckgehen.

5. Anwendung auf das Neue Teſtament.

1. Da wenn auch in der (fremden) Sprache der Schrift
gedacht wird was man ſchreibt, doch das Entwerfen, oft in der
Mutterſprache geſchieht, und ſchon im erſten Entwurf die Ge-
dankenverbindung liegt, ſo iſt bei den neuteſtam. Schriftſtellern
dem obigen zufolge beſonders an Vermiſchung des griechiſchen
und hebraͤiſchen zu denken.

2. Dieſe Vermiſchung iſt um ſo mehr von großem Einfluß
als beide Sprachen in den Verbindungsformen ſehr verſchieden
ſind. Den Reichthum der griechiſchen Sprache in dieſer Hin-
ſicht konnten ſich die neuteſt. Schriftſteller auf dem ungelehrten
Wege nicht aneignen, da man auf dieſem Wege hierauf am
wenigſten achtet und durch fluͤchtiges Hoͤren ſich den Werth
der Verbindungsformen weniger aneignet. Dieſer Mangel macht
denn auch zaghaft im Gebrauch der wirklich ſchon bekannten.
Griechiſche Zeichen die in mehreren Faͤllen einem hebraͤiſchen ent-
ſprachen, wurden dann um ſo leichter fuͤr gleichbedeutend gehalten.

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[73/0097] und Zeitpartikeln ſind. Alſo koͤnnen auch die jezigen bloß an- knuͤpfenden noch einzeln geſteigert werden. Der Kanon dazu geht daraus hervor, daß bloße Anknuͤpfung im Ganzen nicht vorausgeſezt werden darf. Sie herrſcht vor in Beſchreibungen und Erzaͤhlungen, aber auch da nicht rein, weil der Schreibende ſonſt bloßes Organ waͤre. Wo alſo dieß nicht ſtattfindet, da kann ſie nur untergeordnet ſein, d. h. in organiſche Verknuͤ- pfung eingefaßt oder aus derſelben gefolgert oder ſie vorbereitend. Wo aber keine organiſche Verknuͤpfung außerdem vorhanden iſt, da muß ſie in der bloß anreihenden latitiren. Die 1) allgemeine Formel fuͤr die ſchwierigeren Faͤlle der Sazver- bindung iſt dieſe: Werden Saͤze von ungleichem Gehalte verbun- den, ſo iſt die Verbindung keine unmittelbare und man muß auf einen Saz von gleichem Gehalt zuruͤckgehen. 5. Anwendung auf das Neue Teſtament. 1. Da wenn auch in der (fremden) Sprache der Schrift gedacht wird was man ſchreibt, doch das Entwerfen, oft in der Mutterſprache geſchieht, und ſchon im erſten Entwurf die Ge- dankenverbindung liegt, ſo iſt bei den neuteſtam. Schriftſtellern dem obigen zufolge beſonders an Vermiſchung des griechiſchen und hebraͤiſchen zu denken. 2. Dieſe Vermiſchung iſt um ſo mehr von großem Einfluß als beide Sprachen in den Verbindungsformen ſehr verſchieden ſind. Den Reichthum der griechiſchen Sprache in dieſer Hin- ſicht konnten ſich die neuteſt. Schriftſteller auf dem ungelehrten Wege nicht aneignen, da man auf dieſem Wege hierauf am wenigſten achtet und durch fluͤchtiges Hoͤren ſich den Werth der Verbindungsformen weniger aneignet. Dieſer Mangel macht denn auch zaghaft im Gebrauch der wirklich ſchon bekannten. Griechiſche Zeichen die in mehreren Faͤllen einem hebraͤiſchen ent- ſprachen, wurden dann um ſo leichter fuͤr gleichbedeutend gehalten. 1) Aus der Vorleſ. v. 1826.

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Zitationshilfe: Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/97>, abgerufen am 24.04.2024.