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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838.

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sein, aber man darf nie vermuthen daß die verbindende Parti-
kel ganz ihre Bedeutung verloren habe. Man vermuthet dieß,
wenn das unmittelbar verbindende nicht zusammenzugehören
scheint. Aber erstlich der lezte Saz vor der Partikel kann Zu-
saz sein und die Verbindung auf den rückwärts liegenden Haupt-
saz gehen. Ebenso kann der erste Saz nach der Verbindung
Vorrede sein und die Verbindung auf den folgenden Hauptge-
danken gehen. Zwar sollten dergleichen Nebensäze in Zwischen-
säze verwandelt werden um das Gebiet einer jeden Verknüpfung
anschaulich zu machen. Allein jede Schreibart verträgt derglei-
chen nur in gewissen und sehr verschiedenem Maaß, und je
leichter, ungebundener die Schreibart desto mehr muß darin der
Verfasser auf den Leser rechnen. Zweitens, es kann aber auch
die Verknüpfung oft nicht einmal auf den lezten Hauptgedan-
ken gehn, sondern auf eine ganze Reihe, weil auch ganze Ab-
schnitte nicht anders verbunden werden können. In bestimm-
ter gegliederten Schriften geschieht es, daß man beim Übergang
das Resultat eines Abschnittes wiederholt und die Verbindung
wol in einen ganzen Saz verwandelt der zugleich den Haupt-
inhalt des folgenden Abschnittes enthält; und schwerfällige For-
men vertragen darin bestimmte Anknüpfungen und Wiederho-
lungen, wiewol auch das nicht übertrieben werden darf. Aber
in leichteren Formen muß der Leser selbst achten und darum ist
allgemeine Übersicht vor dem einzelnen Verstehen doppelt noth-
wendig.

Es giebt auch subjective Verbindungen nemlich wodurch der
Grund angegeben wird, warum das vorhergehende gesagt wor-
den. Unterscheiden sich nun solche Verbindungen in der Form
nicht von den objectiven, so glaubt man leicht dieß sei Verrin-
gerung der Bedeutung der verknüpfenden Partikel, ein bloßer
Übergang.

4. Daß die bloße Anknüpfung auch kann gleichsam empha-
tisch gesteigert werden geht schon daraus hervor, daß alle un-
sere organisch verknüpfenden Partikeln ursprünglich nur Raum-

ſein, aber man darf nie vermuthen daß die verbindende Parti-
kel ganz ihre Bedeutung verloren habe. Man vermuthet dieß,
wenn das unmittelbar verbindende nicht zuſammenzugehoͤren
ſcheint. Aber erſtlich der lezte Saz vor der Partikel kann Zu-
ſaz ſein und die Verbindung auf den ruͤckwaͤrts liegenden Haupt-
ſaz gehen. Ebenſo kann der erſte Saz nach der Verbindung
Vorrede ſein und die Verbindung auf den folgenden Hauptge-
danken gehen. Zwar ſollten dergleichen Nebenſaͤze in Zwiſchen-
ſaͤze verwandelt werden um das Gebiet einer jeden Verknuͤpfung
anſchaulich zu machen. Allein jede Schreibart vertraͤgt derglei-
chen nur in gewiſſen und ſehr verſchiedenem Maaß, und je
leichter, ungebundener die Schreibart deſto mehr muß darin der
Verfaſſer auf den Leſer rechnen. Zweitens, es kann aber auch
die Verknuͤpfung oft nicht einmal auf den lezten Hauptgedan-
ken gehn, ſondern auf eine ganze Reihe, weil auch ganze Ab-
ſchnitte nicht anders verbunden werden koͤnnen. In beſtimm-
ter gegliederten Schriften geſchieht es, daß man beim Übergang
das Reſultat eines Abſchnittes wiederholt und die Verbindung
wol in einen ganzen Saz verwandelt der zugleich den Haupt-
inhalt des folgenden Abſchnittes enthaͤlt; und ſchwerfaͤllige For-
men vertragen darin beſtimmte Anknuͤpfungen und Wiederho-
lungen, wiewol auch das nicht uͤbertrieben werden darf. Aber
in leichteren Formen muß der Leſer ſelbſt achten und darum iſt
allgemeine Überſicht vor dem einzelnen Verſtehen doppelt noth-
wendig.

Es giebt auch ſubjective Verbindungen nemlich wodurch der
Grund angegeben wird, warum das vorhergehende geſagt wor-
den. Unterſcheiden ſich nun ſolche Verbindungen in der Form
nicht von den objectiven, ſo glaubt man leicht dieß ſei Verrin-
gerung der Bedeutung der verknuͤpfenden Partikel, ein bloßer
Übergang.

4. Daß die bloße Anknuͤpfung auch kann gleichſam empha-
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ſere organiſch verknuͤpfenden Partikeln urſpruͤnglich nur Raum-

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[72/0096] ſein, aber man darf nie vermuthen daß die verbindende Parti- kel ganz ihre Bedeutung verloren habe. Man vermuthet dieß, wenn das unmittelbar verbindende nicht zuſammenzugehoͤren ſcheint. Aber erſtlich der lezte Saz vor der Partikel kann Zu- ſaz ſein und die Verbindung auf den ruͤckwaͤrts liegenden Haupt- ſaz gehen. Ebenſo kann der erſte Saz nach der Verbindung Vorrede ſein und die Verbindung auf den folgenden Hauptge- danken gehen. Zwar ſollten dergleichen Nebenſaͤze in Zwiſchen- ſaͤze verwandelt werden um das Gebiet einer jeden Verknuͤpfung anſchaulich zu machen. Allein jede Schreibart vertraͤgt derglei- chen nur in gewiſſen und ſehr verſchiedenem Maaß, und je leichter, ungebundener die Schreibart deſto mehr muß darin der Verfaſſer auf den Leſer rechnen. Zweitens, es kann aber auch die Verknuͤpfung oft nicht einmal auf den lezten Hauptgedan- ken gehn, ſondern auf eine ganze Reihe, weil auch ganze Ab- ſchnitte nicht anders verbunden werden koͤnnen. In beſtimm- ter gegliederten Schriften geſchieht es, daß man beim Übergang das Reſultat eines Abſchnittes wiederholt und die Verbindung wol in einen ganzen Saz verwandelt der zugleich den Haupt- inhalt des folgenden Abſchnittes enthaͤlt; und ſchwerfaͤllige For- men vertragen darin beſtimmte Anknuͤpfungen und Wiederho- lungen, wiewol auch das nicht uͤbertrieben werden darf. Aber in leichteren Formen muß der Leſer ſelbſt achten und darum iſt allgemeine Überſicht vor dem einzelnen Verſtehen doppelt noth- wendig. Es giebt auch ſubjective Verbindungen nemlich wodurch der Grund angegeben wird, warum das vorhergehende geſagt wor- den. Unterſcheiden ſich nun ſolche Verbindungen in der Form nicht von den objectiven, ſo glaubt man leicht dieß ſei Verrin- gerung der Bedeutung der verknuͤpfenden Partikel, ein bloßer Übergang. 4. Daß die bloße Anknuͤpfung auch kann gleichſam empha- tiſch geſteigert werden geht ſchon daraus hervor, daß alle un- ſere organiſch verknuͤpfenden Partikeln urſpruͤnglich nur Raum-

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Zitationshilfe: Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/96>, abgerufen am 29.03.2024.