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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838.

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griechische zurückgehen. Je mehr das Gegentheil, desto mehr ha-
ben wir auf das hebräische Element zurückzugehen. Aber diese
allgemeine Regel ist auch wieder zu begrenzen, und zwar nach
zwei Seiten. Es giebt in allen Sprachen, so auch in der grie-
chischen gewisse Sprachweisen, die sich im gemeinen Leben bilden.
Dergleichen werden nun aber im neutest. Idiom sich in Palästina
nach der Analogie des Hebräischen gebildet haben. Auch bei einem
Schriftsteller wie Paulus, der sonst des Griechischen mächtig
ist, sind solche Sprachweisen dennoch aus dem Hebräischen zu er-
klären. Dieß ist die Begrenzung auf der einen Seite. Auf der
andern Seite wird auch ein vom Hebräischen mehr gebundener
neutest. Schriftsteller z. B. für die hebr. Verbindungspartikel d
nicht überall kai gebrauchen. Es giebt solche Extreme. Aber
in Allgemeinen ist anzunehmen, daß von dem griechischen Parti-
kelreichthum immer vieles in das Ohr der griechischredenden Juden
eingegangen ist, und so im neutest. Idiom für das hebräische d
verschiedene griechische Partikeln in Gebrauch gekommen sind. Al-
lein, da doch immer die vollkommene Kenntniß des Griechischen
fehlte, so waren bei der Übertragung des Hebräischen ins Griechi-
sche Unrichtigkeiten, Verwirrungen kaum zu vermeiden. Daher
eine besondere neutest. Grammatik ein wesentliches hermeneutisches
Bedürfniß ist. Dabei ist, wie oben gezeigt, das ganze Sprach-
gebiet des jüdischen Hellenismus zu berücksichtigen. Die Haupt-
sache bleibt aber bei dem formellen Sprachelement immer die neu-
testam. Analogie selbst. Ist nun, um diese richtig zu bestimmen,
nöthig die neutestam. Schriftsteller in dieser Hinsicht zu klassifi-
ziren, so muß man dabei von den oben angegebenen Punkten
ausgehen.

Durch Mangel an Periodenbau charakterisiren sich die über-
wiegend hebraisirenden Schriftsteller. Aber es giebt da Abstufun-
gen. Man bemerkt in dieser Klasse ein Fortschreiten der Ge-
danken nach Art des Hebräischen in einfacher Aneinanderreihung
oder in gar keiner (Asyndeton), nach andern Gesezen, als im
Griechischen. Ferner zeigt sich auch ein gewisses Bestreben,

griechiſche zuruͤckgehen. Je mehr das Gegentheil, deſto mehr ha-
ben wir auf das hebraͤiſche Element zuruͤckzugehen. Aber dieſe
allgemeine Regel iſt auch wieder zu begrenzen, und zwar nach
zwei Seiten. Es giebt in allen Sprachen, ſo auch in der grie-
chiſchen gewiſſe Sprachweiſen, die ſich im gemeinen Leben bilden.
Dergleichen werden nun aber im neuteſt. Idiom ſich in Palaͤſtina
nach der Analogie des Hebraͤiſchen gebildet haben. Auch bei einem
Schriftſteller wie Paulus, der ſonſt des Griechiſchen maͤchtig
iſt, ſind ſolche Sprachweiſen dennoch aus dem Hebraͤiſchen zu er-
klaͤren. Dieß iſt die Begrenzung auf der einen Seite. Auf der
andern Seite wird auch ein vom Hebraͤiſchen mehr gebundener
neuteſt. Schriftſteller z. B. fuͤr die hebr. Verbindungspartikel ד
nicht uͤberall ϰαί gebrauchen. Es giebt ſolche Extreme. Aber
in Allgemeinen iſt anzunehmen, daß von dem griechiſchen Parti-
kelreichthum immer vieles in das Ohr der griechiſchredenden Juden
eingegangen iſt, und ſo im neuteſt. Idiom fuͤr das hebraͤiſche ד
verſchiedene griechiſche Partikeln in Gebrauch gekommen ſind. Al-
lein, da doch immer die vollkommene Kenntniß des Griechiſchen
fehlte, ſo waren bei der Übertragung des Hebraͤiſchen ins Griechi-
ſche Unrichtigkeiten, Verwirrungen kaum zu vermeiden. Daher
eine beſondere neuteſt. Grammatik ein weſentliches hermeneutiſches
Beduͤrfniß iſt. Dabei iſt, wie oben gezeigt, das ganze Sprach-
gebiet des juͤdiſchen Hellenismus zu beruͤckſichtigen. Die Haupt-
ſache bleibt aber bei dem formellen Sprachelement immer die neu-
teſtam. Analogie ſelbſt. Iſt nun, um dieſe richtig zu beſtimmen,
noͤthig die neuteſtam. Schriftſteller in dieſer Hinſicht zu klaſſifi-
ziren, ſo muß man dabei von den oben angegebenen Punkten
ausgehen.

Durch Mangel an Periodenbau charakteriſiren ſich die uͤber-
wiegend hebraiſirenden Schriftſteller. Aber es giebt da Abſtufun-
gen. Man bemerkt in dieſer Klaſſe ein Fortſchreiten der Ge-
danken nach Art des Hebraͤiſchen in einfacher Aneinanderreihung
oder in gar keiner (Aſyndeton), nach andern Geſezen, als im
Griechiſchen. Ferner zeigt ſich auch ein gewiſſes Beſtreben,

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[130/0154] griechiſche zuruͤckgehen. Je mehr das Gegentheil, deſto mehr ha- ben wir auf das hebraͤiſche Element zuruͤckzugehen. Aber dieſe allgemeine Regel iſt auch wieder zu begrenzen, und zwar nach zwei Seiten. Es giebt in allen Sprachen, ſo auch in der grie- chiſchen gewiſſe Sprachweiſen, die ſich im gemeinen Leben bilden. Dergleichen werden nun aber im neuteſt. Idiom ſich in Palaͤſtina nach der Analogie des Hebraͤiſchen gebildet haben. Auch bei einem Schriftſteller wie Paulus, der ſonſt des Griechiſchen maͤchtig iſt, ſind ſolche Sprachweiſen dennoch aus dem Hebraͤiſchen zu er- klaͤren. Dieß iſt die Begrenzung auf der einen Seite. Auf der andern Seite wird auch ein vom Hebraͤiſchen mehr gebundener neuteſt. Schriftſteller z. B. fuͤr die hebr. Verbindungspartikel ד nicht uͤberall ϰαί gebrauchen. Es giebt ſolche Extreme. Aber in Allgemeinen iſt anzunehmen, daß von dem griechiſchen Parti- kelreichthum immer vieles in das Ohr der griechiſchredenden Juden eingegangen iſt, und ſo im neuteſt. Idiom fuͤr das hebraͤiſche ד verſchiedene griechiſche Partikeln in Gebrauch gekommen ſind. Al- lein, da doch immer die vollkommene Kenntniß des Griechiſchen fehlte, ſo waren bei der Übertragung des Hebraͤiſchen ins Griechi- ſche Unrichtigkeiten, Verwirrungen kaum zu vermeiden. Daher eine beſondere neuteſt. Grammatik ein weſentliches hermeneutiſches Beduͤrfniß iſt. Dabei iſt, wie oben gezeigt, das ganze Sprach- gebiet des juͤdiſchen Hellenismus zu beruͤckſichtigen. Die Haupt- ſache bleibt aber bei dem formellen Sprachelement immer die neu- teſtam. Analogie ſelbſt. Iſt nun, um dieſe richtig zu beſtimmen, noͤthig die neuteſtam. Schriftſteller in dieſer Hinſicht zu klaſſifi- ziren, ſo muß man dabei von den oben angegebenen Punkten ausgehen. Durch Mangel an Periodenbau charakteriſiren ſich die uͤber- wiegend hebraiſirenden Schriftſteller. Aber es giebt da Abſtufun- gen. Man bemerkt in dieſer Klaſſe ein Fortſchreiten der Ge- danken nach Art des Hebraͤiſchen in einfacher Aneinanderreihung oder in gar keiner (Aſyndeton), nach andern Geſezen, als im Griechiſchen. Ferner zeigt ſich auch ein gewiſſes Beſtreben,

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Zitationshilfe: Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/154>, abgerufen am 25.04.2024.