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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838.

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Wörterbuch aufnehmen. Der Unterschied zwischen leichteren
und schwereren Stellen kann nicht dagegen angeführt werden,
aber freilich ist er es von dem man bei jener Regel ausgegan-
gen ist.

2. Bei Hauptgedanken besonders würde sie im N. T. sehr
beschränkt dadurch daß die religiöse Umwandlung nicht alles
betroffen hat, sondern manche Vorstellungen blieben wie die
Zeitgenossen sie hatten, theils auch daß Vorstellungen der Zeit
angeführt werden im Gegensaz gegen die christlichen.

3. Bei Nebengedanken ist offenbar daß einem neutestam.
Schriftsteller die andern nicht näher verwandt sind als andere
nicht neutestam., welche Gedankenkreis, Bildungsstufe und
Sprachgebiet mit ihm gemein haben.

4. Noch weniger ist die Regel bei dem N. T. werth, wenn
man unter heil. Schrift auch das alte Testament mit versteht.
Denn dieß enthält in Absicht der Hauptgedanken manches ir-
rige, was schon dem ganzen neutest. Zeitalter fremd geworden,
und in Absicht der Nebengedanken gehört es einer Zeit an von
der nur wenig in das Bewußtsein der damaligen überge-
gangen war.

37. Da der Sinn nicht in den einzelnen Elementen
sondern nur in ihrem Zusammensein ist, so sind die nächsten
Parallelen die, welche dasselbe Zusammensein darbieten.

Es ist immer eine Art Willkühr, ein Wort für das dunklere
zu erklären, denn es kann eben so gut das andere sein, z. E.
Joh. 7, 39., wo man sich vergeblich bemühen würde, wenn
man aufs Gerathewohl wollte unter den verschiedenen Bedeu-
tungen von pneuma agion herumsuchen, sondern die rechte
Parallele ist Apostelgesch. 19, 2., und man kann wirklich sagen die
Schwierigkeit liegt in dem einai, welches hier nicht streng zu
nehmen ist, sondern heißt, in der Erscheinung vorhanden, mit-
getheilt sein.

Woͤrterbuch aufnehmen. Der Unterſchied zwiſchen leichteren
und ſchwereren Stellen kann nicht dagegen angefuͤhrt werden,
aber freilich iſt er es von dem man bei jener Regel ausgegan-
gen iſt.

2. Bei Hauptgedanken beſonders wuͤrde ſie im N. T. ſehr
beſchraͤnkt dadurch daß die religioͤſe Umwandlung nicht alles
betroffen hat, ſondern manche Vorſtellungen blieben wie die
Zeitgenoſſen ſie hatten, theils auch daß Vorſtellungen der Zeit
angefuͤhrt werden im Gegenſaz gegen die chriſtlichen.

3. Bei Nebengedanken iſt offenbar daß einem neuteſtam.
Schriftſteller die andern nicht naͤher verwandt ſind als andere
nicht neuteſtam., welche Gedankenkreis, Bildungsſtufe und
Sprachgebiet mit ihm gemein haben.

4. Noch weniger iſt die Regel bei dem N. T. werth, wenn
man unter heil. Schrift auch das alte Teſtament mit verſteht.
Denn dieß enthaͤlt in Abſicht der Hauptgedanken manches ir-
rige, was ſchon dem ganzen neuteſt. Zeitalter fremd geworden,
und in Abſicht der Nebengedanken gehoͤrt es einer Zeit an von
der nur wenig in das Bewußtſein der damaligen uͤberge-
gangen war.

37. Da der Sinn nicht in den einzelnen Elementen
ſondern nur in ihrem Zuſammenſein iſt, ſo ſind die naͤchſten
Parallelen die, welche daſſelbe Zuſammenſein darbieten.

Es iſt immer eine Art Willkuͤhr, ein Wort fuͤr das dunklere
zu erklaͤren, denn es kann eben ſo gut das andere ſein, z. E.
Joh. 7, 39., wo man ſich vergeblich bemuͤhen wuͤrde, wenn
man aufs Gerathewohl wollte unter den verſchiedenen Bedeu-
tungen von πνεῦμα ἅγιον herumſuchen, ſondern die rechte
Parallele iſt Apoſtelgeſch. 19, 2., und man kann wirklich ſagen die
Schwierigkeit liegt in dem εἶναι, welches hier nicht ſtreng zu
nehmen iſt, ſondern heißt, in der Erſcheinung vorhanden, mit-
getheilt ſein.

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[85/0109] Woͤrterbuch aufnehmen. Der Unterſchied zwiſchen leichteren und ſchwereren Stellen kann nicht dagegen angefuͤhrt werden, aber freilich iſt er es von dem man bei jener Regel ausgegan- gen iſt. 2. Bei Hauptgedanken beſonders wuͤrde ſie im N. T. ſehr beſchraͤnkt dadurch daß die religioͤſe Umwandlung nicht alles betroffen hat, ſondern manche Vorſtellungen blieben wie die Zeitgenoſſen ſie hatten, theils auch daß Vorſtellungen der Zeit angefuͤhrt werden im Gegenſaz gegen die chriſtlichen. 3. Bei Nebengedanken iſt offenbar daß einem neuteſtam. Schriftſteller die andern nicht naͤher verwandt ſind als andere nicht neuteſtam., welche Gedankenkreis, Bildungsſtufe und Sprachgebiet mit ihm gemein haben. 4. Noch weniger iſt die Regel bei dem N. T. werth, wenn man unter heil. Schrift auch das alte Teſtament mit verſteht. Denn dieß enthaͤlt in Abſicht der Hauptgedanken manches ir- rige, was ſchon dem ganzen neuteſt. Zeitalter fremd geworden, und in Abſicht der Nebengedanken gehoͤrt es einer Zeit an von der nur wenig in das Bewußtſein der damaligen uͤberge- gangen war. 37. Da der Sinn nicht in den einzelnen Elementen ſondern nur in ihrem Zuſammenſein iſt, ſo ſind die naͤchſten Parallelen die, welche daſſelbe Zuſammenſein darbieten. Es iſt immer eine Art Willkuͤhr, ein Wort fuͤr das dunklere zu erklaͤren, denn es kann eben ſo gut das andere ſein, z. E. Joh. 7, 39., wo man ſich vergeblich bemuͤhen wuͤrde, wenn man aufs Gerathewohl wollte unter den verſchiedenen Bedeu- tungen von πνεῦμα ἅγιον herumſuchen, ſondern die rechte Parallele iſt Apoſtelgeſch. 19, 2., und man kann wirklich ſagen die Schwierigkeit liegt in dem εἶναι, welches hier nicht ſtreng zu nehmen iſt, ſondern heißt, in der Erſcheinung vorhanden, mit- getheilt ſein.

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Zitationshilfe: Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/109>, abgerufen am 16.04.2024.