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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838.

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23. Beide nähern sich wenn man bedenkt, daß in Ab-
sicht des religiösen Inhalts die Identität der Schule und in
Absicht der Nebengedanken die Identität des Sprachgebietes
eintritt.

24. Falsch bleibt aus der dogmatischen Ansicht der
Kanon: Man müsse nur im höchsten Nothfall bildlichen
Gebrauch annehmen 1). Dieser Kanon geht von einer be-
stimmten Persönlichkeit des heiligen Geistes als Schriftstel-
lers aus.

25. Die philologische Ansicht bleibt hinter ihrem ei-
genen Princip zurück wenn sie die gemeinsame Abhängigkeit
neben der individuellen Bildung verwirft.

26. Die dogmatische geht über ihr Bedürfniß hin-
aus wenn sie neben der Abhängigkeit die individuelle Bil-
dung verwirft, und zerstört so sich selbst.

Sie zerstört sich nemlich selbst, weil sie dann dem heiligen
Geist den unleugbaren Wechsel der Stimmungen und Modifi-
cationen der Ansicht zuschreiben muß.

Zusaz 2). Dieß wäre auch in Widerspruch mit der Paulinischen
Theorie von dem Verhältniß des Einen und selbigen Geistes
zu den verschiedenen Gaben in den einzelnen Gemeindegliedern
1. Kor. 12.

27. Es bleibt noch die Frage, welche von beiden
über die andere gestellt werden soll, und diese muß die
philologische Ansicht selbst zu Gunsten der Abhängigkeit ent-
scheiden.

1) Dieß ist zu verstehen aus: Ernesti Instit. interpret. ed. Ammon. p. 114.
115. Vulgare est praeceptum, quod jubet non facile (oder non sine
evidenti causa aut necessitate
) discedere a proprietate significationis
2) Aus der Vorles. v. 1826.

23. Beide naͤhern ſich wenn man bedenkt, daß in Ab-
ſicht des religioͤſen Inhalts die Identitaͤt der Schule und in
Abſicht der Nebengedanken die Identitaͤt des Sprachgebietes
eintritt.

24. Falſch bleibt aus der dogmatiſchen Anſicht der
Kanon: Man muͤſſe nur im hoͤchſten Nothfall bildlichen
Gebrauch annehmen 1). Dieſer Kanon geht von einer be-
ſtimmten Perſoͤnlichkeit des heiligen Geiſtes als Schriftſtel-
lers aus.

25. Die philologiſche Anſicht bleibt hinter ihrem ei-
genen Princip zuruͤck wenn ſie die gemeinſame Abhaͤngigkeit
neben der individuellen Bildung verwirft.

26. Die dogmatiſche geht uͤber ihr Beduͤrfniß hin-
aus wenn ſie neben der Abhaͤngigkeit die individuelle Bil-
dung verwirft, und zerſtoͤrt ſo ſich ſelbſt.

Sie zerſtoͤrt ſich nemlich ſelbſt, weil ſie dann dem heiligen
Geiſt den unleugbaren Wechſel der Stimmungen und Modifi-
cationen der Anſicht zuſchreiben muß.

Zuſaz 2). Dieß waͤre auch in Widerſpruch mit der Pauliniſchen
Theorie von dem Verhaͤltniß des Einen und ſelbigen Geiſtes
zu den verſchiedenen Gaben in den einzelnen Gemeindegliedern
1. Kor. 12.

27. Es bleibt noch die Frage, welche von beiden
uͤber die andere geſtellt werden ſoll, und dieſe muß die
philologiſche Anſicht ſelbſt zu Gunſten der Abhaͤngigkeit ent-
ſcheiden.

1) Dieß iſt zu verſtehen aus: Ernesti Instit. interpret. ed. Ammon. p. 114.
115. Vulgare est praeceptum, quod jubet non facile (oder non sine
evidenti causa aut necessitate
) discedere a proprietate significationis
2) Aus der Vorleſ. v. 1826.
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[80/0104] 23. Beide naͤhern ſich wenn man bedenkt, daß in Ab- ſicht des religioͤſen Inhalts die Identitaͤt der Schule und in Abſicht der Nebengedanken die Identitaͤt des Sprachgebietes eintritt. 24. Falſch bleibt aus der dogmatiſchen Anſicht der Kanon: Man muͤſſe nur im hoͤchſten Nothfall bildlichen Gebrauch annehmen 1). Dieſer Kanon geht von einer be- ſtimmten Perſoͤnlichkeit des heiligen Geiſtes als Schriftſtel- lers aus. 25. Die philologiſche Anſicht bleibt hinter ihrem ei- genen Princip zuruͤck wenn ſie die gemeinſame Abhaͤngigkeit neben der individuellen Bildung verwirft. 26. Die dogmatiſche geht uͤber ihr Beduͤrfniß hin- aus wenn ſie neben der Abhaͤngigkeit die individuelle Bil- dung verwirft, und zerſtoͤrt ſo ſich ſelbſt. Sie zerſtoͤrt ſich nemlich ſelbſt, weil ſie dann dem heiligen Geiſt den unleugbaren Wechſel der Stimmungen und Modifi- cationen der Anſicht zuſchreiben muß. Zuſaz 2). Dieß waͤre auch in Widerſpruch mit der Pauliniſchen Theorie von dem Verhaͤltniß des Einen und ſelbigen Geiſtes zu den verſchiedenen Gaben in den einzelnen Gemeindegliedern 1. Kor. 12. 27. Es bleibt noch die Frage, welche von beiden uͤber die andere geſtellt werden ſoll, und dieſe muß die philologiſche Anſicht ſelbſt zu Gunſten der Abhaͤngigkeit ent- ſcheiden. 1) Dieß iſt zu verſtehen aus: Ernesti Instit. interpret. ed. Ammon. p. 114. 115. Vulgare est praeceptum, quod jubet non facile (oder non sine evidenti causa aut necessitate) discedere a proprietate significationis 2) Aus der Vorleſ. v. 1826.

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Zitationshilfe: Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/104>, abgerufen am 24.04.2024.