Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

so müssen wir sie in den Schriften des Alterthums immer ganz
wegdenken, sonst geht man bei dem, der sie als Ausleger gemacht
hat, in die Schule und wird von ihm abhängig und befangen.
Ohnehin schwanken die Systeme der Interpunktion und sind un-
vollkommen, die alten wie die neuen. Man gewöhne sich also
rein aus dem inneren Verhältnisse die Verbindung der Säze zu
bestimmen.

8. Bei der Verbindung im Saz ist das schwierigste
die Präposition und das unmittelbare Abhängigkeitsverhältniß.

1. Es ist dabei gleich ob der Saz aus Subject und Prä-
dicat oder auch zugleich der Copula besteht. Die unmittelbare
Verbindung beider ist nie zu verkennen, und auch ihre unmittel-
baren Erweiterungen durch Adjectiva und Adverbien concresci-
ren durch die Form zu Einem ganzen mit ihnen. Die Prä-
position aber knüpft nähere Bestimmungen des Verbi, nemlich
seiner Richtung, seines Gegenstandes u. s. w., an dasselbe an.
Der Genitiv, der Status constructus u. s. w. ist nähere Be-
stimmung des Subjects. Der Sinn der Präposition wird leicht
durch Subject und Object bestimmt. Da tritt aber die Ent-
scheidung durch das materielle Element ein.

In 1) Beziehung auf die materiellen Elemente des einfachen Sa-
zes entsteht die Frage, ob derselbe zweigliedrig ist (Subject und
Prädicat) oder dreigliedrig (wo die Copula dazukommt). Die er-
stere Ansicht ist die dynamische, die zweite die atomistische, weil man
glaubt die Verbindung sei wieder etwas sich neben die Theile
hinstellendes. Auffallend, daß diese leztere Ansicht noch so allge-
mein herrschend ist. Wenn man von dieser Seite auf die Frage
wie es z. B. mit dem Saze steht, der Baum blüht, antwortet
er sei eigentlich dreigliedrig, nemlich so, der Baum ist blühend, so
ist das der Sprache gar nicht gemäß, es würde folgen, daß es
nur ein einziges Verbum gebe, das Verbum sein. Dieß ist aber

1) Aus der Vorles. v. 1826.

ſo muͤſſen wir ſie in den Schriften des Alterthums immer ganz
wegdenken, ſonſt geht man bei dem, der ſie als Ausleger gemacht
hat, in die Schule und wird von ihm abhaͤngig und befangen.
Ohnehin ſchwanken die Syſteme der Interpunktion und ſind un-
vollkommen, die alten wie die neuen. Man gewoͤhne ſich alſo
rein aus dem inneren Verhaͤltniſſe die Verbindung der Saͤze zu
beſtimmen.

8. Bei der Verbindung im Saz iſt das ſchwierigſte
die Praͤpoſition und das unmittelbare Abhaͤngigkeitsverhaͤltniß.

1. Es iſt dabei gleich ob der Saz aus Subject und Praͤ-
dicat oder auch zugleich der Copula beſteht. Die unmittelbare
Verbindung beider iſt nie zu verkennen, und auch ihre unmittel-
baren Erweiterungen durch Adjectiva und Adverbien concreſci-
ren durch die Form zu Einem ganzen mit ihnen. Die Praͤ-
poſition aber knuͤpft naͤhere Beſtimmungen des Verbi, nemlich
ſeiner Richtung, ſeines Gegenſtandes u. ſ. w., an daſſelbe an.
Der Genitiv, der Status conſtructus u. ſ. w. iſt naͤhere Be-
ſtimmung des Subjects. Der Sinn der Praͤpoſition wird leicht
durch Subject und Object beſtimmt. Da tritt aber die Ent-
ſcheidung durch das materielle Element ein.

In 1) Beziehung auf die materiellen Elemente des einfachen Sa-
zes entſteht die Frage, ob derſelbe zweigliedrig iſt (Subject und
Praͤdicat) oder dreigliedrig (wo die Copula dazukommt). Die er-
ſtere Anſicht iſt die dynamiſche, die zweite die atomiſtiſche, weil man
glaubt die Verbindung ſei wieder etwas ſich neben die Theile
hinſtellendes. Auffallend, daß dieſe leztere Anſicht noch ſo allge-
mein herrſchend iſt. Wenn man von dieſer Seite auf die Frage
wie es z. B. mit dem Saze ſteht, der Baum bluͤht, antwortet
er ſei eigentlich dreigliedrig, nemlich ſo, der Baum iſt bluͤhend, ſo
iſt das der Sprache gar nicht gemaͤß, es wuͤrde folgen, daß es
nur ein einziges Verbum gebe, das Verbum ſein. Dieß iſt aber

1) Aus der Vorleſ. v. 1826.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0100" n="76"/>
&#x017F;o mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir &#x017F;ie in den Schriften des Alterthums immer ganz<lb/>
wegdenken, &#x017F;on&#x017F;t geht man bei dem, der &#x017F;ie als Ausleger gemacht<lb/>
hat, in die Schule und wird von ihm abha&#x0364;ngig und befangen.<lb/>
Ohnehin &#x017F;chwanken die Sy&#x017F;teme der Interpunktion und &#x017F;ind un-<lb/>
vollkommen, die alten wie die neuen. Man gewo&#x0364;hne &#x017F;ich al&#x017F;o<lb/>
rein aus dem inneren Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e die Verbindung der Sa&#x0364;ze zu<lb/>
be&#x017F;timmen.</p><lb/>
            <p>8. Bei der Verbindung im Saz i&#x017F;t das &#x017F;chwierig&#x017F;te<lb/>
die Pra&#x0364;po&#x017F;ition und das unmittelbare Abha&#x0364;ngigkeitsverha&#x0364;ltniß.</p><lb/>
            <p>1. Es i&#x017F;t dabei gleich ob der Saz aus Subject und Pra&#x0364;-<lb/>
dicat oder auch zugleich der Copula be&#x017F;teht. Die unmittelbare<lb/>
Verbindung beider i&#x017F;t nie zu verkennen, und auch ihre unmittel-<lb/>
baren Erweiterungen durch Adjectiva und Adverbien concre&#x017F;ci-<lb/>
ren durch die Form zu Einem ganzen mit ihnen. Die Pra&#x0364;-<lb/>
po&#x017F;ition aber knu&#x0364;pft na&#x0364;here Be&#x017F;timmungen des Verbi, nemlich<lb/>
&#x017F;einer Richtung, &#x017F;eines Gegen&#x017F;tandes u. &#x017F;. w., an da&#x017F;&#x017F;elbe an.<lb/>
Der Genitiv, der Status con&#x017F;tructus u. &#x017F;. w. i&#x017F;t na&#x0364;here Be-<lb/>
&#x017F;timmung des Subjects. Der Sinn der Pra&#x0364;po&#x017F;ition wird leicht<lb/>
durch Subject und Object be&#x017F;timmt. Da tritt aber die Ent-<lb/>
&#x017F;cheidung durch das materielle Element ein.</p><lb/>
            <p>In <note place="foot" n="1)">Aus der Vorle&#x017F;. v. 1826.</note> Beziehung auf die materiellen Elemente des einfachen Sa-<lb/>
zes ent&#x017F;teht die Frage, ob der&#x017F;elbe zweigliedrig i&#x017F;t (Subject und<lb/>
Pra&#x0364;dicat) oder dreigliedrig (wo die Copula dazukommt). Die er-<lb/>
&#x017F;tere An&#x017F;icht i&#x017F;t die dynami&#x017F;che, die zweite die atomi&#x017F;ti&#x017F;che, weil man<lb/>
glaubt die Verbindung &#x017F;ei wieder etwas &#x017F;ich neben die Theile<lb/>
hin&#x017F;tellendes. Auffallend, daß die&#x017F;e leztere An&#x017F;icht noch &#x017F;o allge-<lb/>
mein herr&#x017F;chend i&#x017F;t. Wenn man von die&#x017F;er Seite auf die Frage<lb/>
wie es z. B. mit dem Saze &#x017F;teht, der Baum blu&#x0364;ht, antwortet<lb/>
er &#x017F;ei eigentlich dreigliedrig, nemlich &#x017F;o, der Baum i&#x017F;t blu&#x0364;hend, &#x017F;o<lb/>
i&#x017F;t das der Sprache gar nicht gema&#x0364;ß, es wu&#x0364;rde folgen, daß es<lb/>
nur ein einziges Verbum gebe, das Verbum &#x017F;ein. Dieß i&#x017F;t aber<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[76/0100] ſo muͤſſen wir ſie in den Schriften des Alterthums immer ganz wegdenken, ſonſt geht man bei dem, der ſie als Ausleger gemacht hat, in die Schule und wird von ihm abhaͤngig und befangen. Ohnehin ſchwanken die Syſteme der Interpunktion und ſind un- vollkommen, die alten wie die neuen. Man gewoͤhne ſich alſo rein aus dem inneren Verhaͤltniſſe die Verbindung der Saͤze zu beſtimmen. 8. Bei der Verbindung im Saz iſt das ſchwierigſte die Praͤpoſition und das unmittelbare Abhaͤngigkeitsverhaͤltniß. 1. Es iſt dabei gleich ob der Saz aus Subject und Praͤ- dicat oder auch zugleich der Copula beſteht. Die unmittelbare Verbindung beider iſt nie zu verkennen, und auch ihre unmittel- baren Erweiterungen durch Adjectiva und Adverbien concreſci- ren durch die Form zu Einem ganzen mit ihnen. Die Praͤ- poſition aber knuͤpft naͤhere Beſtimmungen des Verbi, nemlich ſeiner Richtung, ſeines Gegenſtandes u. ſ. w., an daſſelbe an. Der Genitiv, der Status conſtructus u. ſ. w. iſt naͤhere Be- ſtimmung des Subjects. Der Sinn der Praͤpoſition wird leicht durch Subject und Object beſtimmt. Da tritt aber die Ent- ſcheidung durch das materielle Element ein. In 1) Beziehung auf die materiellen Elemente des einfachen Sa- zes entſteht die Frage, ob derſelbe zweigliedrig iſt (Subject und Praͤdicat) oder dreigliedrig (wo die Copula dazukommt). Die er- ſtere Anſicht iſt die dynamiſche, die zweite die atomiſtiſche, weil man glaubt die Verbindung ſei wieder etwas ſich neben die Theile hinſtellendes. Auffallend, daß dieſe leztere Anſicht noch ſo allge- mein herrſchend iſt. Wenn man von dieſer Seite auf die Frage wie es z. B. mit dem Saze ſteht, der Baum bluͤht, antwortet er ſei eigentlich dreigliedrig, nemlich ſo, der Baum iſt bluͤhend, ſo iſt das der Sprache gar nicht gemaͤß, es wuͤrde folgen, daß es nur ein einziges Verbum gebe, das Verbum ſein. Dieß iſt aber 1) Aus der Vorleſ. v. 1826.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/100
Zitationshilfe: Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/100>, abgerufen am 20.04.2024.