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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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eine schwere erst zu erlernende Kunst ist, selbst das wissenschaftliche
Sehen mit unbewaffnetem Auge hat seine Schwierigkeiten, die von
Manchem verkannt werden und es ist daher vor allem nöthig, wenig-
stens die Gesichtspuncte aufzuweisen, aus denen der Gebrauch des
Auges und des Microscops zu beurtheilen ist. (I.)

Gehen wir nun einen Schritt weiter, so wirft sich uns als nächste
Frage auf, was hält denn jene vielen kleinen Organismen, die Zellen
in der Pflanze, zu einem Individuum zusammen und wir werden
an die Betrachtung der Gestalten gewiesen, zu denen sich die Zellen
aufbauen. Die Morphologie oder Gestaltlehre (IV.) macht ihre eignen
Ansprüche an unsere Erkenntnißthätigkeit. Aber hier finden wir, daß
wir es selten mit einfachen Pflanzen zu thun haben, daß vielmehr
die meisten Gewächse, ähnlich einem Polypenstock, einer Corallencolo-
nie, aus zahlreich mit einander verwachsenen und lebendig verbun-
denen Individuen bestehen, welche Producte der Fortpflanzungsthä-
tigkeit der Pflanze sind und ehe wir an die Morphologie hinantreten,
erscheint es uns zweckmäßig erst die Fortpflanzung der Gewächse et-
was weiter zu verfolgen. (III.)

So haben wir die Pflanze in ihrem innern, ihrem äußern Bau
erkannt, wir haben gesehen, wie sich eine nie ermüdende Kraft der
Bildung gefällt, immer aufs neue in unerschöpflichem Reichthum
Pflanzen hervorzurufen und zu sorgen, daß der reiche bunte Teppich,
in welchen die Natur die arme nackte Erde gehüllt, keine kahlen Stel-
len bekomme. Die Pflanze bedarf aber zur Bildung ihrer Gestalt und
Organe, zur Hervorrufung und Zeugung zahlreicher Abkömmlinge des
Stoffes. Sie soll entstehen, sich erhalten, sich vermehren und dadurch
werden wir auf die Ernährung der Pflanzen hingewiesen. Hier ist
es besonders, wo wir schon nicht mehr umhin können, die Pflanze
im Verhältniß zu ihrer Trägerin der Erde und zu ihrem Vernichter
dem Menschen zu betrachten. Die ganze Thierwelt und vor allen der
Mensch macht seine Ansprüche an die Pflanzenwelt geltend, sie soll
Nahrungsstoffe liefern für zahllose Bedürftige; indem sie sich ernährt
und wächst verlangt ihre Bestimmung im Erdenleben, daß der Stoff,

eine ſchwere erſt zu erlernende Kunſt iſt, ſelbſt das wiſſenſchaftliche
Sehen mit unbewaffnetem Auge hat ſeine Schwierigkeiten, die von
Manchem verkannt werden und es iſt daher vor allem nöthig, wenig-
ſtens die Geſichtspuncte aufzuweiſen, aus denen der Gebrauch des
Auges und des Microſcops zu beurtheilen iſt. (I.)

Gehen wir nun einen Schritt weiter, ſo wirft ſich uns als nächſte
Frage auf, was hält denn jene vielen kleinen Organismen, die Zellen
in der Pflanze, zu einem Individuum zuſammen und wir werden
an die Betrachtung der Geſtalten gewieſen, zu denen ſich die Zellen
aufbauen. Die Morphologie oder Geſtaltlehre (IV.) macht ihre eignen
Anſprüche an unſere Erkenntnißthätigkeit. Aber hier finden wir, daß
wir es ſelten mit einfachen Pflanzen zu thun haben, daß vielmehr
die meiſten Gewächſe, ähnlich einem Polypenſtock, einer Corallencolo-
nie, aus zahlreich mit einander verwachſenen und lebendig verbun-
denen Individuen beſtehen, welche Producte der Fortpflanzungsthä-
tigkeit der Pflanze ſind und ehe wir an die Morphologie hinantreten,
erſcheint es uns zweckmäßig erſt die Fortpflanzung der Gewächſe et-
was weiter zu verfolgen. (III.)

So haben wir die Pflanze in ihrem innern, ihrem äußern Bau
erkannt, wir haben geſehen, wie ſich eine nie ermüdende Kraft der
Bildung gefällt, immer aufs neue in unerſchöpflichem Reichthum
Pflanzen hervorzurufen und zu ſorgen, daß der reiche bunte Teppich,
in welchen die Natur die arme nackte Erde gehüllt, keine kahlen Stel-
len bekomme. Die Pflanze bedarf aber zur Bildung ihrer Geſtalt und
Organe, zur Hervorrufung und Zeugung zahlreicher Abkömmlinge des
Stoffes. Sie ſoll entſtehen, ſich erhalten, ſich vermehren und dadurch
werden wir auf die Ernährung der Pflanzen hingewieſen. Hier iſt
es beſonders, wo wir ſchon nicht mehr umhin können, die Pflanze
im Verhältniß zu ihrer Trägerin der Erde und zu ihrem Vernichter
dem Menſchen zu betrachten. Die ganze Thierwelt und vor allen der
Menſch macht ſeine Anſprüche an die Pflanzenwelt geltend, ſie ſoll
Nahrungsſtoffe liefern für zahlloſe Bedürftige; indem ſie ſich ernährt
und wächſt verlangt ihre Beſtimmung im Erdenleben, daß der Stoff,

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[5/0021] eine ſchwere erſt zu erlernende Kunſt iſt, ſelbſt das wiſſenſchaftliche Sehen mit unbewaffnetem Auge hat ſeine Schwierigkeiten, die von Manchem verkannt werden und es iſt daher vor allem nöthig, wenig- ſtens die Geſichtspuncte aufzuweiſen, aus denen der Gebrauch des Auges und des Microſcops zu beurtheilen iſt. (I.) Gehen wir nun einen Schritt weiter, ſo wirft ſich uns als nächſte Frage auf, was hält denn jene vielen kleinen Organismen, die Zellen in der Pflanze, zu einem Individuum zuſammen und wir werden an die Betrachtung der Geſtalten gewieſen, zu denen ſich die Zellen aufbauen. Die Morphologie oder Geſtaltlehre (IV.) macht ihre eignen Anſprüche an unſere Erkenntnißthätigkeit. Aber hier finden wir, daß wir es ſelten mit einfachen Pflanzen zu thun haben, daß vielmehr die meiſten Gewächſe, ähnlich einem Polypenſtock, einer Corallencolo- nie, aus zahlreich mit einander verwachſenen und lebendig verbun- denen Individuen beſtehen, welche Producte der Fortpflanzungsthä- tigkeit der Pflanze ſind und ehe wir an die Morphologie hinantreten, erſcheint es uns zweckmäßig erſt die Fortpflanzung der Gewächſe et- was weiter zu verfolgen. (III.) So haben wir die Pflanze in ihrem innern, ihrem äußern Bau erkannt, wir haben geſehen, wie ſich eine nie ermüdende Kraft der Bildung gefällt, immer aufs neue in unerſchöpflichem Reichthum Pflanzen hervorzurufen und zu ſorgen, daß der reiche bunte Teppich, in welchen die Natur die arme nackte Erde gehüllt, keine kahlen Stel- len bekomme. Die Pflanze bedarf aber zur Bildung ihrer Geſtalt und Organe, zur Hervorrufung und Zeugung zahlreicher Abkömmlinge des Stoffes. Sie ſoll entſtehen, ſich erhalten, ſich vermehren und dadurch werden wir auf die Ernährung der Pflanzen hingewieſen. Hier iſt es beſonders, wo wir ſchon nicht mehr umhin können, die Pflanze im Verhältniß zu ihrer Trägerin der Erde und zu ihrem Vernichter dem Menſchen zu betrachten. Die ganze Thierwelt und vor allen der Menſch macht ſeine Anſprüche an die Pflanzenwelt geltend, ſie ſoll Nahrungsſtoffe liefern für zahlloſe Bedürftige; indem ſie ſich ernährt und wächſt verlangt ihre Beſtimmung im Erdenleben, daß der Stoff,

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/21>, abgerufen am 19.04.2024.