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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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Disciplinen ab: theoretische oder reine Botanik, Systematik der Pflan-
zen, Pflanzengeographie und angewandte Botanik, so läßt sich doch
keine derselben nach ihrem Hauptgesichtspunct allein behandeln, wenn
sie überhaupt auf Wissenschaftlichkeit und Gründlichkeit Anspruch
machen soll; noch weniger aber ist es möglich die strenge Durchfüh-
rung jener vier Theile da festzuhalten, wo es nicht auf trockene Wissen-
schaftlichkeit, sondern auf lebendigere Anschaulichmachung der wich-
tigern Puncte ankommt. Die folgenden Abhandlungen können sich
daher nur sehr ungefähr der Eintheilung in jene vier Hauptverhält-
nisse anbequemen und eine freiere Behandlung wird durch den Reich-
thum des Stoffes geboten, der uns stets verführt, vom Wege abzu-
weichen, um hier und da eine farbig leuchtende oder süß duftende
Blume zu pflücken -- oder die Gesellschaft, die uns auf unserer Wan-
derung durch das Gebiet der Wissenschaft begleitet, bestimmt uns
häufig, die gerade aber staubige und ermüdende Landstraße zu ver-
lassen, um hier einen sich durch Wiesen schlängelnden Pfad, dort
einen schattigen Waldsteig zu verfolgen. Wir wollen sehen, wie wir
geführt werden.

Die Pflanze ist nicht wie ein Krystall oder wie eine reine Flüs-
sigkeit ein durch und durch gleichartiger Körper, bei dem die Kenntniß
Eines Stoffes, aus dem er besteht, und der ihn begrenzenden Form
zu seiner Ergründung genügte, sie ist vielmehr aus vielen kleinen,
selbst sehr künstlich gebauten und mannigfache Stoffe enthaltenden
Zellen zusammengesetzt, und eine möglichst ergründende Untersuchung
dieses inneren Baues muß allen übrigen Betrachtungen vorangehen.
(II.) Aber die kleinen Körperchen, die ich so eben als Zellen bezeich-
nete, sind größtentheils so klein, daß das unbewaffnete Auge zu ihrer
Erforschung bei weitem nicht hinreicht. Das Microscop ist das noth-
wendige Instrument, ohne welches der Botaniker keinen gesicherten
Schritt in der Wissenschaft vorwärts thun kann. Es giebt nun freilich
Viele, welche in dem Irrthum befangen sind, es bedürfe zu microscopi-
schen Untersuchungen nur eines Auges und eines Instrumentes und alles
sey abgethan. Aber nicht allein, daß der Gebrauch des Microscopes

Disciplinen ab: theoretiſche oder reine Botanik, Syſtematik der Pflan-
zen, Pflanzengeographie und angewandte Botanik, ſo läßt ſich doch
keine derſelben nach ihrem Hauptgeſichtspunct allein behandeln, wenn
ſie überhaupt auf Wiſſenſchaftlichkeit und Gründlichkeit Anſpruch
machen ſoll; noch weniger aber iſt es möglich die ſtrenge Durchfüh-
rung jener vier Theile da feſtzuhalten, wo es nicht auf trockene Wiſſen-
ſchaftlichkeit, ſondern auf lebendigere Anſchaulichmachung der wich-
tigern Puncte ankommt. Die folgenden Abhandlungen können ſich
daher nur ſehr ungefähr der Eintheilung in jene vier Hauptverhält-
niſſe anbequemen und eine freiere Behandlung wird durch den Reich-
thum des Stoffes geboten, der uns ſtets verführt, vom Wege abzu-
weichen, um hier und da eine farbig leuchtende oder ſüß duftende
Blume zu pflücken — oder die Geſellſchaft, die uns auf unſerer Wan-
derung durch das Gebiet der Wiſſenſchaft begleitet, beſtimmt uns
häufig, die gerade aber ſtaubige und ermüdende Landſtraße zu ver-
laſſen, um hier einen ſich durch Wieſen ſchlängelnden Pfad, dort
einen ſchattigen Waldſteig zu verfolgen. Wir wollen ſehen, wie wir
geführt werden.

Die Pflanze iſt nicht wie ein Kryſtall oder wie eine reine Flüſ-
ſigkeit ein durch und durch gleichartiger Körper, bei dem die Kenntniß
Eines Stoffes, aus dem er beſteht, und der ihn begrenzenden Form
zu ſeiner Ergründung genügte, ſie iſt vielmehr aus vielen kleinen,
ſelbſt ſehr künſtlich gebauten und mannigfache Stoffe enthaltenden
Zellen zuſammengeſetzt, und eine möglichſt ergründende Unterſuchung
dieſes inneren Baues muß allen übrigen Betrachtungen vorangehen.
(II.) Aber die kleinen Körperchen, die ich ſo eben als Zellen bezeich-
nete, ſind größtentheils ſo klein, daß das unbewaffnete Auge zu ihrer
Erforſchung bei weitem nicht hinreicht. Das Microſcop iſt das noth-
wendige Inſtrument, ohne welches der Botaniker keinen geſicherten
Schritt in der Wiſſenſchaft vorwärts thun kann. Es giebt nun freilich
Viele, welche in dem Irrthum befangen ſind, es bedürfe zu microſcopi-
ſchen Unterſuchungen nur eines Auges und eines Inſtrumentes und alles
ſey abgethan. Aber nicht allein, daß der Gebrauch des Microſcopes

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[4/0020] Disciplinen ab: theoretiſche oder reine Botanik, Syſtematik der Pflan- zen, Pflanzengeographie und angewandte Botanik, ſo läßt ſich doch keine derſelben nach ihrem Hauptgeſichtspunct allein behandeln, wenn ſie überhaupt auf Wiſſenſchaftlichkeit und Gründlichkeit Anſpruch machen ſoll; noch weniger aber iſt es möglich die ſtrenge Durchfüh- rung jener vier Theile da feſtzuhalten, wo es nicht auf trockene Wiſſen- ſchaftlichkeit, ſondern auf lebendigere Anſchaulichmachung der wich- tigern Puncte ankommt. Die folgenden Abhandlungen können ſich daher nur ſehr ungefähr der Eintheilung in jene vier Hauptverhält- niſſe anbequemen und eine freiere Behandlung wird durch den Reich- thum des Stoffes geboten, der uns ſtets verführt, vom Wege abzu- weichen, um hier und da eine farbig leuchtende oder ſüß duftende Blume zu pflücken — oder die Geſellſchaft, die uns auf unſerer Wan- derung durch das Gebiet der Wiſſenſchaft begleitet, beſtimmt uns häufig, die gerade aber ſtaubige und ermüdende Landſtraße zu ver- laſſen, um hier einen ſich durch Wieſen ſchlängelnden Pfad, dort einen ſchattigen Waldſteig zu verfolgen. Wir wollen ſehen, wie wir geführt werden. Die Pflanze iſt nicht wie ein Kryſtall oder wie eine reine Flüſ- ſigkeit ein durch und durch gleichartiger Körper, bei dem die Kenntniß Eines Stoffes, aus dem er beſteht, und der ihn begrenzenden Form zu ſeiner Ergründung genügte, ſie iſt vielmehr aus vielen kleinen, ſelbſt ſehr künſtlich gebauten und mannigfache Stoffe enthaltenden Zellen zuſammengeſetzt, und eine möglichſt ergründende Unterſuchung dieſes inneren Baues muß allen übrigen Betrachtungen vorangehen. (II.) Aber die kleinen Körperchen, die ich ſo eben als Zellen bezeich- nete, ſind größtentheils ſo klein, daß das unbewaffnete Auge zu ihrer Erforſchung bei weitem nicht hinreicht. Das Microſcop iſt das noth- wendige Inſtrument, ohne welches der Botaniker keinen geſicherten Schritt in der Wiſſenſchaft vorwärts thun kann. Es giebt nun freilich Viele, welche in dem Irrthum befangen ſind, es bedürfe zu microſcopi- ſchen Unterſuchungen nur eines Auges und eines Inſtrumentes und alles ſey abgethan. Aber nicht allein, daß der Gebrauch des Microſcopes

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/20>, abgerufen am 19.04.2024.