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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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zu wollen, bedarf keiner Erinnerung. Ich glaube aber, wenn die Män-
ner der Wissenschaft mehr den Versuch machten, die Wahrheit in schönem
Gewande in die Gesellschaft einzuführen, dieses jenem unerträglichen,
geheimnißvoll und tiefthuenden Geschwätz ohne Kern sicherer den
Weg abschneiden würde, als alle gründliche Polemik dagegen. Der
Deutsche hat ein zu gesundes Urtheil, einen zu gediegenen Geschmack, um
nicht ohne viel Bedenken das Aechte und Gehaltvolle dem leeren Stroh
vorzuziehen, wenn nur beides in gleich genießbarer Form sich darstellt.

Den Inhalt der einzelnen Vorlesungen anlangend, so ist zwar,
wie es die Veranlassung mit sich brachte, jede für sich abgeschlossen
und von den Andern unabhängig, gleichwohl läuft durch alle eine Art
von Faden durch, der sie innerlich zusammenhält. Es sey mir ver-
gönnt, diesen hier noch etwas auffälliger zu machen, indem ich ihn
im Einzelnen aufweise. --

Die ganze Pflanzenwelt, wenn man nur in ihr etwas Anderes
sehen will als Material fürs Herbarium, bietet so mannigfaltige Be-
rührungspuncte dem Menschen dar, daß derjenige, welcher sich dem
Studium derselben hingiebt, bei weitem eher von den sich andrängen-
den interessanten Fragen und Aufgaben erdrückt wird, als über Mangel
an Stoff zu klagen hätte. Man kann füglich die sämmtlichen Betrach-
tungen unter vier Gesichtspuncte ordnen: erstens, wie verhält sich die
Pflanze für sich als Aufgabe wissenschaftlicher Forschung, zweitens,
in welchen Beziehungen stehen die einzelnen Pflanzen zu einander,
drittens, in welchem Verhältniß stehen die Pflanzen als Organismen
zum Organismus der ganzen Erde und viertens, wie verhält sich der
Mensch zur Pflanzenwelt. Da aber in jedem Zeitmoment die Pflanze
jede dieser vier Beziehungen erfüllt, so ist es unendlich schwer, wo
nicht unmöglich, jene Gesichtspuncte rein und unvermischt festzuhalten
und wenn wir an eins jener Verhältnisse herantreten und es einer ge-
nauern Erforschung unterwerfen wollen, so werden wir immer unwill-
kührlich gezwungen seyn, bald mehr bald weniger auch die andern zu
berücksichtigen und in den Kreis unserer Untersuchung zu ziehen. Leitet
man nun aus jenen Aufgaben etwa nach ihrer Reihefolge folgende

1*

zu wollen, bedarf keiner Erinnerung. Ich glaube aber, wenn die Män-
ner der Wiſſenſchaft mehr den Verſuch machten, die Wahrheit in ſchönem
Gewande in die Geſellſchaft einzuführen, dieſes jenem unerträglichen,
geheimnißvoll und tiefthuenden Geſchwätz ohne Kern ſicherer den
Weg abſchneiden würde, als alle gründliche Polemik dagegen. Der
Deutſche hat ein zu geſundes Urtheil, einen zu gediegenen Geſchmack, um
nicht ohne viel Bedenken das Aechte und Gehaltvolle dem leeren Stroh
vorzuziehen, wenn nur beides in gleich genießbarer Form ſich darſtellt.

Den Inhalt der einzelnen Vorleſungen anlangend, ſo iſt zwar,
wie es die Veranlaſſung mit ſich brachte, jede für ſich abgeſchloſſen
und von den Andern unabhängig, gleichwohl läuft durch alle eine Art
von Faden durch, der ſie innerlich zuſammenhält. Es ſey mir ver-
gönnt, dieſen hier noch etwas auffälliger zu machen, indem ich ihn
im Einzelnen aufweiſe. —

Die ganze Pflanzenwelt, wenn man nur in ihr etwas Anderes
ſehen will als Material fürs Herbarium, bietet ſo mannigfaltige Be-
rührungspuncte dem Menſchen dar, daß derjenige, welcher ſich dem
Studium derſelben hingiebt, bei weitem eher von den ſich andrängen-
den intereſſanten Fragen und Aufgaben erdrückt wird, als über Mangel
an Stoff zu klagen hätte. Man kann füglich die ſämmtlichen Betrach-
tungen unter vier Geſichtspuncte ordnen: erſtens, wie verhält ſich die
Pflanze für ſich als Aufgabe wiſſenſchaftlicher Forſchung, zweitens,
in welchen Beziehungen ſtehen die einzelnen Pflanzen zu einander,
drittens, in welchem Verhältniß ſtehen die Pflanzen als Organismen
zum Organismus der ganzen Erde und viertens, wie verhält ſich der
Menſch zur Pflanzenwelt. Da aber in jedem Zeitmoment die Pflanze
jede dieſer vier Beziehungen erfüllt, ſo iſt es unendlich ſchwer, wo
nicht unmöglich, jene Geſichtspuncte rein und unvermiſcht feſtzuhalten
und wenn wir an eins jener Verhältniſſe herantreten und es einer ge-
nauern Erforſchung unterwerfen wollen, ſo werden wir immer unwill-
kührlich gezwungen ſeyn, bald mehr bald weniger auch die andern zu
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man nun aus jenen Aufgaben etwa nach ihrer Reihefolge folgende

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[3/0019] zu wollen, bedarf keiner Erinnerung. Ich glaube aber, wenn die Män- ner der Wiſſenſchaft mehr den Verſuch machten, die Wahrheit in ſchönem Gewande in die Geſellſchaft einzuführen, dieſes jenem unerträglichen, geheimnißvoll und tiefthuenden Geſchwätz ohne Kern ſicherer den Weg abſchneiden würde, als alle gründliche Polemik dagegen. Der Deutſche hat ein zu geſundes Urtheil, einen zu gediegenen Geſchmack, um nicht ohne viel Bedenken das Aechte und Gehaltvolle dem leeren Stroh vorzuziehen, wenn nur beides in gleich genießbarer Form ſich darſtellt. Den Inhalt der einzelnen Vorleſungen anlangend, ſo iſt zwar, wie es die Veranlaſſung mit ſich brachte, jede für ſich abgeſchloſſen und von den Andern unabhängig, gleichwohl läuft durch alle eine Art von Faden durch, der ſie innerlich zuſammenhält. Es ſey mir ver- gönnt, dieſen hier noch etwas auffälliger zu machen, indem ich ihn im Einzelnen aufweiſe. — Die ganze Pflanzenwelt, wenn man nur in ihr etwas Anderes ſehen will als Material fürs Herbarium, bietet ſo mannigfaltige Be- rührungspuncte dem Menſchen dar, daß derjenige, welcher ſich dem Studium derſelben hingiebt, bei weitem eher von den ſich andrängen- den intereſſanten Fragen und Aufgaben erdrückt wird, als über Mangel an Stoff zu klagen hätte. Man kann füglich die ſämmtlichen Betrach- tungen unter vier Geſichtspuncte ordnen: erſtens, wie verhält ſich die Pflanze für ſich als Aufgabe wiſſenſchaftlicher Forſchung, zweitens, in welchen Beziehungen ſtehen die einzelnen Pflanzen zu einander, drittens, in welchem Verhältniß ſtehen die Pflanzen als Organismen zum Organismus der ganzen Erde und viertens, wie verhält ſich der Menſch zur Pflanzenwelt. Da aber in jedem Zeitmoment die Pflanze jede dieſer vier Beziehungen erfüllt, ſo iſt es unendlich ſchwer, wo nicht unmöglich, jene Geſichtspuncte rein und unvermiſcht feſtzuhalten und wenn wir an eins jener Verhältniſſe herantreten und es einer ge- nauern Erforſchung unterwerfen wollen, ſo werden wir immer unwill- kührlich gezwungen ſeyn, bald mehr bald weniger auch die andern zu berückſichtigen und in den Kreis unſerer Unterſuchung zu ziehen. Leitet man nun aus jenen Aufgaben etwa nach ihrer Reihefolge folgende 1*

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/19>, abgerufen am 29.03.2024.