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Schleiden, Matthias Jacob: Das Alter des Menschengeschlechts, die Entstehung der Arten und die Stellung des Menschen in der Natur. Leipzig, 1863.

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Erste Vorlesung.
"Bringet her die letzten Gaben,
Stimmt die Todtenflag'!
Alles sei mit ihm begraben,
Was ihn freuen mag.
Legt ihm unter's Haupt die Beile,
Die er tapfer schwang,
Auch des Bären fette Keule,
Denn der Weg ist lang;
Auch das Messer scharf geschliffen"

Aber auch hier können wir noch nicht abbrechen, denn nach dem,
was oben über die Entstehung des Löß, jener eigenthümlichen feinen
Thonart der Europäischen Niederungen gesagt worden ist, müssen wir
uns an den Gedanken gewöhnen, die Zeit unserer Vorfahren auf der
Erde noch viel weiter hinaufzurücken, da Menschenknochen zusammen
mit ächten (nicht wollhaarigen) Elephanten schon 1815--23 in dem Löß
bei Mästricht aufgefunden worden sind. Und in der That möchte es
gut sein sich vorläufig mit diesem Gedanken vertraut zu machen, denn
allem Anscheine nach stehen wir erst am Anfange, aber noch lange nicht
am Ende der Entdeckungen. Auch Cuvier sprach noch 1830 sein Er¬
staunen darüber aus, daß in den tertiären Formationen noch keine
fossilen Affen gefunden seien und in der That blieb es lange ein Glau¬
benssatz bei den Geognosten, daß die Affen ganz und gar der allerneu¬
sten Erdbildung angehörig seien. Fünf Jahre nach Cuvier's Tode 1837
wurden fast gleichzeitig in Europa und Brasilien die ersten fossilen
Affen der Tertiärzeit entdeckt und jetzt kennt man allein in Europa schon
6 Arten derselben. Es ist nicht nur nicht unwahrscheinlich, sondern im
Gegentheil fast mit Gewißheit vorauszusagen, daß über kurz oder lang
auch Menschenformen, vielleicht von den bis jetzt gefundenen in man¬
chen Punkten abweichend in den tertiären Schichten entdeckt werden
und dann dürften wir mit der Annahme von 300,000 Jahren kaum
das Zeitalter ihres Lebens erreichen.

In Bezug auf diesen letzten Punkt will ich noch eine interessante

Erſte Vorleſung.
„Bringet her die letzten Gaben,
Stimmt die Todtenflag'!
Alles ſei mit ihm begraben,
Was ihn freuen mag.
Legt ihm unter's Haupt die Beile,
Die er tapfer ſchwang,
Auch des Bären fette Keule,
Denn der Weg iſt lang;
Auch das Meſſer ſcharf geſchliffen“

Aber auch hier können wir noch nicht abbrechen, denn nach dem,
was oben über die Entſtehung des Löß, jener eigenthümlichen feinen
Thonart der Europäiſchen Niederungen geſagt worden iſt, müſſen wir
uns an den Gedanken gewöhnen, die Zeit unſerer Vorfahren auf der
Erde noch viel weiter hinaufzurücken, da Menſchenknochen zuſammen
mit ächten (nicht wollhaarigen) Elephanten ſchon 1815—23 in dem Löß
bei Mäſtricht aufgefunden worden ſind. Und in der That möchte es
gut ſein ſich vorläufig mit dieſem Gedanken vertraut zu machen, denn
allem Anſcheine nach ſtehen wir erſt am Anfange, aber noch lange nicht
am Ende der Entdeckungen. Auch Cuvier ſprach noch 1830 ſein Er¬
ſtaunen darüber aus, daß in den tertiären Formationen noch keine
foſſilen Affen gefunden ſeien und in der That blieb es lange ein Glau¬
bensſatz bei den Geognoſten, daß die Affen ganz und gar der allerneu¬
ſten Erdbildung angehörig ſeien. Fünf Jahre nach Cuvier's Tode 1837
wurden faſt gleichzeitig in Europa und Braſilien die erſten foſſilen
Affen der Tertiärzeit entdeckt und jetzt kennt man allein in Europa ſchon
6 Arten derſelben. Es iſt nicht nur nicht unwahrſcheinlich, ſondern im
Gegentheil faſt mit Gewißheit vorauszuſagen, daß über kurz oder lang
auch Menſchenformen, vielleicht von den bis jetzt gefundenen in man¬
chen Punkten abweichend in den tertiären Schichten entdeckt werden
und dann dürften wir mit der Annahme von 300,000 Jahren kaum
das Zeitalter ihres Lebens erreichen.

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[20/0030] Erſte Vorleſung. „Bringet her die letzten Gaben, Stimmt die Todtenflag'! Alles ſei mit ihm begraben, Was ihn freuen mag. Legt ihm unter's Haupt die Beile, Die er tapfer ſchwang, Auch des Bären fette Keule, Denn der Weg iſt lang; Auch das Meſſer ſcharf geſchliffen“ Aber auch hier können wir noch nicht abbrechen, denn nach dem, was oben über die Entſtehung des Löß, jener eigenthümlichen feinen Thonart der Europäiſchen Niederungen geſagt worden iſt, müſſen wir uns an den Gedanken gewöhnen, die Zeit unſerer Vorfahren auf der Erde noch viel weiter hinaufzurücken, da Menſchenknochen zuſammen mit ächten (nicht wollhaarigen) Elephanten ſchon 1815—23 in dem Löß bei Mäſtricht aufgefunden worden ſind. Und in der That möchte es gut ſein ſich vorläufig mit dieſem Gedanken vertraut zu machen, denn allem Anſcheine nach ſtehen wir erſt am Anfange, aber noch lange nicht am Ende der Entdeckungen. Auch Cuvier ſprach noch 1830 ſein Er¬ ſtaunen darüber aus, daß in den tertiären Formationen noch keine foſſilen Affen gefunden ſeien und in der That blieb es lange ein Glau¬ bensſatz bei den Geognoſten, daß die Affen ganz und gar der allerneu¬ ſten Erdbildung angehörig ſeien. Fünf Jahre nach Cuvier's Tode 1837 wurden faſt gleichzeitig in Europa und Braſilien die erſten foſſilen Affen der Tertiärzeit entdeckt und jetzt kennt man allein in Europa ſchon 6 Arten derſelben. Es iſt nicht nur nicht unwahrſcheinlich, ſondern im Gegentheil faſt mit Gewißheit vorauszuſagen, daß über kurz oder lang auch Menſchenformen, vielleicht von den bis jetzt gefundenen in man¬ chen Punkten abweichend in den tertiären Schichten entdeckt werden und dann dürften wir mit der Annahme von 300,000 Jahren kaum das Zeitalter ihres Lebens erreichen. In Bezug auf dieſen letzten Punkt will ich noch eine intereſſante

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Das Alter des Menschengeschlechts, die Entstehung der Arten und die Stellung des Menschen in der Natur. Leipzig, 1863, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_menschengeschlecht_1863/30>, abgerufen am 19.04.2024.