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Schleicher, August: Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen. Bd. 2. Weimar, 1862.

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Stambildung. Zusammensetzung.

Die praepositionen und das augment vor dem verbum bilden§. 207.
die häufigsten beispile von zusammenschmelzung in unseren spra-
chen; es sind an gewachsene adverbia, d. h. ursprüngliche casus,
z. b. abs-tineo auß abs und teneo; abs scheint wie ex u. a. eine
genitivform zu sein; die lose verbindung zeigt sich in fällen
wie ek-pipto neben ex-e-peson u. dgl. Doch findet sich zusam-
menrückung auch außerdem, z. b. lat. quamvis auß quam vis;
quamobrem
u. s. f.; deutsch frankenland (franken ist genitiv
pluralis), wolfsmilch (wolfs ist genitiv sing.) u. s. f. Hier zeigt
nur der ton die zusammenschmelzung zu einem worte an.

Die eigentliche zusammensetzung hat die kraft eine bezie-
hung auß zu drücken, sie kann dem neuen worte eine beziehung
geben, die den einzelnen elementen nicht zu kam, und die nur
in und mit der zusammensetzung entsteht, z. b. makro-kheir
longi-manus
, langhand, d. h. 'dessen hände lang sind, lange
hände habend,' hier ist die possessive beziehung wirkung der
zusammensetzung; logo-grapho-s 'reden schreibend' = logous
graphon; ju-dic
(judex) = jus dicens 'recht weisend, sagend'
u. s. f., in den lezteren beispilen fungiert das erstere ele-
ment der zusammensetzung als casus, obschon es kein casus-
suffix hat. Durch die zusammenschmelzung kann eine solche
neue beziehung niemals erzeugt werden, sie ist bloß als ver-
änderte, bequemer gemachte außsprache, als zusammenfaßung
früher getrenter worte unter einen hochton zu faßen, die also
mit der stambildung gar nichts zu tun hat.

Eine erschepfendere darlegung der indogermanischen stam-
bildung ligt nicht im plane dises compendiums, welches nur das
enthalten soll, was für den ersten beginn des studiums unent-
berlich ist. Die lere von der stambildung ist überdiß reich an
schwirigen partien und erfordert teilweise eine außfürlichere
erörterung, als sie in einem möglichst kurz gehaltenen buche
platz finden kann. Zudem gebricht es hier noch für die anord-
nung des gesamten stoffes an einem streng wißenschaftlichen
princip. Wir greifen daher im folgenden nur einige puncte
herauß und besprechen 1. die ab geleiteten verbalstämme; 2.
die ans verbum sich zunächst an schließenden nominalstämme, die

Stambildung. Zusammensetzung.

Die praepositionen und das augment vor dem verbum bilden§. 207.
die häufigsten beispile von zusammenschmelzung in unseren spra-
chen; es sind an gewachsene adverbia, d. h. ursprüngliche casus,
z. b. abs-tineo auß abs und teneo; abs scheint wie ex u. a. eine
genitivform zu sein; die lose verbindung zeigt sich in fällen
wie ἐϰ-πίπτω neben ἐξ-έ-πεσον u. dgl. Doch findet sich zusam-
menrückung auch außerdem, z. b. lat. quamvis auß quam vis;
quamobrem
u. s. f.; deutsch frankenland (franken ist genitiv
pluralis), wolfsmilch (wolfs ist genitiv sing.) u. s. f. Hier zeigt
nur der ton die zusammenschmelzung zu einem worte an.

Die eigentliche zusammensetzung hat die kraft eine bezie-
hung auß zu drücken, sie kann dem neuen worte eine beziehung
geben, die den einzelnen elementen nicht zu kam, und die nur
in und mit der zusammensetzung entsteht, z. b. μαϰρό-χειρ
longi-manus
, langhand, d. h. ‘dessen hände lang sind, lange
hände habend,’ hier ist die possessive beziehung wirkung der
zusammensetzung; λογο-γράφο-ς ‘reden schreibend’ = λόγους
γράφων; ju-dic
(judex) = jus dicens ‘recht weisend, sagend’
u. s. f., in den lezteren beispilen fungiert das erstere ele-
ment der zusammensetzung als casus, obschon es kein casus-
suffix hat. Durch die zusammenschmelzung kann eine solche
neue beziehung niemals erzeugt werden, sie ist bloß als ver-
änderte, bequemer gemachte außsprache, als zusammenfaßung
früher getrenter worte unter einen hochton zu faßen, die also
mit der stambildung gar nichts zu tun hat.

Eine erschepfendere darlegung der indogermanischen stam-
bildung ligt nicht im plane dises compendiums, welches nur das
enthalten soll, was für den ersten beginn des studiums unent-
berlich ist. Die lere von der stambildung ist überdiß reich an
schwirigen partien und erfordert teilweise eine außfürlichere
erörterung, als sie in einem möglichst kurz gehaltenen buche
platz finden kann. Zudem gebricht es hier noch für die anord-
nung des gesamten stoffes an einem streng wißenschaftlichen
princip. Wir greifen daher im folgenden nur einige puncte
herauß und besprechen 1. die ab geleiteten verbalstämme; 2.
die ans verbum sich zunächst an schließenden nominalstämme, die

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[291/0017] Stambildung. Zusammensetzung. Die praepositionen und das augment vor dem verbum bilden die häufigsten beispile von zusammenschmelzung in unseren spra- chen; es sind an gewachsene adverbia, d. h. ursprüngliche casus, z. b. abs-tineo auß abs und teneo; abs scheint wie ex u. a. eine genitivform zu sein; die lose verbindung zeigt sich in fällen wie ἐϰ-πίπτω neben ἐξ-έ-πεσον u. dgl. Doch findet sich zusam- menrückung auch außerdem, z. b. lat. quamvis auß quam vis; quamobrem u. s. f.; deutsch frankenland (franken ist genitiv pluralis), wolfsmilch (wolfs ist genitiv sing.) u. s. f. Hier zeigt nur der ton die zusammenschmelzung zu einem worte an. §. 207. Die eigentliche zusammensetzung hat die kraft eine bezie- hung auß zu drücken, sie kann dem neuen worte eine beziehung geben, die den einzelnen elementen nicht zu kam, und die nur in und mit der zusammensetzung entsteht, z. b. μαϰρό-χειρ longi-manus, langhand, d. h. ‘dessen hände lang sind, lange hände habend,’ hier ist die possessive beziehung wirkung der zusammensetzung; λογο-γράφο-ς ‘reden schreibend’ = λόγους γράφων; ju-dic (judex) = jus dicens ‘recht weisend, sagend’ u. s. f., in den lezteren beispilen fungiert das erstere ele- ment der zusammensetzung als casus, obschon es kein casus- suffix hat. Durch die zusammenschmelzung kann eine solche neue beziehung niemals erzeugt werden, sie ist bloß als ver- änderte, bequemer gemachte außsprache, als zusammenfaßung früher getrenter worte unter einen hochton zu faßen, die also mit der stambildung gar nichts zu tun hat. Eine erschepfendere darlegung der indogermanischen stam- bildung ligt nicht im plane dises compendiums, welches nur das enthalten soll, was für den ersten beginn des studiums unent- berlich ist. Die lere von der stambildung ist überdiß reich an schwirigen partien und erfordert teilweise eine außfürlichere erörterung, als sie in einem möglichst kurz gehaltenen buche platz finden kann. Zudem gebricht es hier noch für die anord- nung des gesamten stoffes an einem streng wißenschaftlichen princip. Wir greifen daher im folgenden nur einige puncte herauß und besprechen 1. die ab geleiteten verbalstämme; 2. die ans verbum sich zunächst an schließenden nominalstämme, die

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Zitationshilfe: Schleicher, August: Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen. Bd. 2. Weimar, 1862, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleicher_indogermanische02_1862/17>, abgerufen am 24.04.2024.