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Schleicher, August: Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen. Bd. 1. Weimar, 1861.

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Vom indogerman. sprachstamme.
abteilung, in welcher das griechische bei weitem am treusten
das alte bewart hat, endlich die nördlich europäische gruppe,
die, im ganzen und großen überblikt, sich als die am indivi-
duelsten entwickelte, als die am wenigsten der ursprache treu
geblibene zu erkennen gibt.

Combinieren wir diß mit den eben an gegebenen verwant-
schaftsverhältnissen der indogermanischen sprachen unter einan-
der und ziehen wir darauß den schluß auf die teilungsprocesse
des indogermanischen sprachkörpers in der vorzeit, so erhalten
wir mit notwendigkeit folgendes resultat.

Die indogermanische ursprache teilte sich zuerst durch
ungleiche entwickelung in verschidenen teilen ires gebietes in
zwei teile, es schied nämlich von ir auß das slawodeutsche
(die sprache, welche später in deutsch und slawolitauisch
auß einander gieng); sodann teilte sich der zurückbleibende stock
der ursprache, das ariograecoitalokeltische, in graecoi-
talokeltisch
und arisch, von denen das erstere in grie-
chisch
(albanesisch) und italokeltisch sich schied, das lez-
tere, das arische, aber noch lange vereint blib. Später teilten
sich slawolitauisch, arisch (indoeranisch) und italokeltisch nochmals.

Je östlicher ein indogermanisches volk wont, desto mer
altes hat seine sprache erhalten, je westlicher, desto weniger
altes und desto mer neubildungen enthält sie. Hierauß, wie
auß andern andeutungen folgt, daß die Slawodeutschen zuerst
ire wanderung nach westen an traten, dann folgten die Graecoi-
talokelten, von den zurück bleibenden Ariern zogen sich die
Inder südostwärts, die Eraner breiteten sich in der richtung von
südwest auß. Die heimat des indogermanischen urvolkes ist
somit in Centralhochasien zu suchen.

Nur von den Indern, die zu allerlezt den stamsitz verließen,
wißen wir mit völliger sicherheit, daß sie auß iren späteren
wonsitzen ein stamfremdes älteres volk verdrängten, auß dessen
sprache manches in die irige über gieng. Von mereren der
übrigen indogermanischen völker ist änliches teilweise in hohem
grade warscheinlich. Die ältesten teilungen des indogermani-
schen bis zum entstehen der grundsprachen der den sprachstamm

Vom indogerman. sprachstamme.
abteilung, in welcher das griechische bei weitem am treusten
das alte bewart hat, endlich die nördlich europäische gruppe,
die, im ganzen und großen überblikt, sich als die am indivi-
duelsten entwickelte, als die am wenigsten der ursprache treu
geblibene zu erkennen gibt.

Combinieren wir diß mit den eben an gegebenen verwant-
schaftsverhältnissen der indogermanischen sprachen unter einan-
der und ziehen wir darauß den schluß auf die teilungsprocesse
des indogermanischen sprachkörpers in der vorzeit, so erhalten
wir mit notwendigkeit folgendes resultat.

Die indogermanische ursprache teilte sich zuerst durch
ungleiche entwickelung in verschidenen teilen ires gebietes in
zwei teile, es schied nämlich von ir auß das slawodeutsche
(die sprache, welche später in deutsch und slawolitauisch
auß einander gieng); sodann teilte sich der zurückbleibende stock
der ursprache, das ariograecoitalokeltische, in graecoi-
talokeltisch
und arisch, von denen das erstere in grie-
chisch
(albanesisch) und italokeltisch sich schied, das lez-
tere, das arische, aber noch lange vereint blib. Später teilten
sich slawolitauisch, arisch (indoeranisch) und italokeltisch nochmals.

Je östlicher ein indogermanisches volk wont, desto mer
altes hat seine sprache erhalten, je westlicher, desto weniger
altes und desto mer neubildungen enthält sie. Hierauß, wie
auß andern andeutungen folgt, daß die Slawodeutschen zuerst
ire wanderung nach westen an traten, dann folgten die Graecoi-
talokelten, von den zurück bleibenden Ariern zogen sich die
Inder südostwärts, die Eraner breiteten sich in der richtung von
südwest auß. Die heimat des indogermanischen urvolkes ist
somit in Centralhochasien zu suchen.

Nur von den Indern, die zu allerlezt den stamsitz verließen,
wißen wir mit völliger sicherheit, daß sie auß iren späteren
wonsitzen ein stamfremdes älteres volk verdrängten, auß dessen
sprache manches in die irige über gieng. Von mereren der
übrigen indogermanischen völker ist änliches teilweise in hohem
grade warscheinlich. Die ältesten teilungen des indogermani-
schen bis zum entstehen der grundsprachen der den sprachstamm

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[6/0020] Vom indogerman. sprachstamme. abteilung, in welcher das griechische bei weitem am treusten das alte bewart hat, endlich die nördlich europäische gruppe, die, im ganzen und großen überblikt, sich als die am indivi- duelsten entwickelte, als die am wenigsten der ursprache treu geblibene zu erkennen gibt. Combinieren wir diß mit den eben an gegebenen verwant- schaftsverhältnissen der indogermanischen sprachen unter einan- der und ziehen wir darauß den schluß auf die teilungsprocesse des indogermanischen sprachkörpers in der vorzeit, so erhalten wir mit notwendigkeit folgendes resultat. Die indogermanische ursprache teilte sich zuerst durch ungleiche entwickelung in verschidenen teilen ires gebietes in zwei teile, es schied nämlich von ir auß das slawodeutsche (die sprache, welche später in deutsch und slawolitauisch auß einander gieng); sodann teilte sich der zurückbleibende stock der ursprache, das ariograecoitalokeltische, in graecoi- talokeltisch und arisch, von denen das erstere in grie- chisch (albanesisch) und italokeltisch sich schied, das lez- tere, das arische, aber noch lange vereint blib. Später teilten sich slawolitauisch, arisch (indoeranisch) und italokeltisch nochmals. Je östlicher ein indogermanisches volk wont, desto mer altes hat seine sprache erhalten, je westlicher, desto weniger altes und desto mer neubildungen enthält sie. Hierauß, wie auß andern andeutungen folgt, daß die Slawodeutschen zuerst ire wanderung nach westen an traten, dann folgten die Graecoi- talokelten, von den zurück bleibenden Ariern zogen sich die Inder südostwärts, die Eraner breiteten sich in der richtung von südwest auß. Die heimat des indogermanischen urvolkes ist somit in Centralhochasien zu suchen. Nur von den Indern, die zu allerlezt den stamsitz verließen, wißen wir mit völliger sicherheit, daß sie auß iren späteren wonsitzen ein stamfremdes älteres volk verdrängten, auß dessen sprache manches in die irige über gieng. Von mereren der übrigen indogermanischen völker ist änliches teilweise in hohem grade warscheinlich. Die ältesten teilungen des indogermani- schen bis zum entstehen der grundsprachen der den sprachstamm

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Zitationshilfe: Schleicher, August: Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen. Bd. 1. Weimar, 1861, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleicher_indogermanische01_1861/20>, abgerufen am 19.04.2024.