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Schleicher, August: Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft. Weimar, 1863.

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welcher Verbreitung eine einzige Pflanze fähig ist, wenn
sie Raum und sonst günstige Verhältnisse dazu findet, das
erlebt der Gärtner auch manchmal mehr als ihm lieb ist;
und was die Veränderlichkeit der Arten, was Erblichkeit,
kurz, was 'Züchtung' betrifft, nun darin macht einer, der
seit Jahren das Steckenpferd reitet eine unserer abänder-
ungsfähigsten Zierblumen nach bestimmten Richtungen hin
zu vervollkommnen, manche Erfahrung und Beobachtung.

Dennoch warst du, lieber Freund, nicht ganz auf der
richtigen Fährte, als Du mich vorzüglich wegen meiner
Gartenleidenschaft mit dem genannten merkwürdigen Buche
zusammenbringen wolltest. In noch höherem Grade wirkten
nämlich Darwins Darlegungen und Ansichten auf mich in
so ferne ich sie in Verbindung brachte mit der Sprach-
wissenschaft.

Von den sprachlichen Organismen gelten nämlich ähnliche
Ansichten, wie sie Darwin von den lebenden Wesen über-
haupt ausspricht, theils fast allgemein, theils habe ich zu-
fällig im Jahre 1860, also in demselben Jahre, in welchem
die deutsche Uebersetzung von Darwins Werk erschien1), über
den 'Kampf ums Dasein', über das Erlöschen alter Formen,
über die grosse Ausbreitung und Differenzierung einzelner
Arten auf sprachlichem Gebiete mich in einer Weise aus-
gesprochen, welche, den Ausdruck abgerechnet, mit Dar-
wins Ansichten in auffälliger Weise zusammen stimmt2). Kein
Wunder also, dass diese mich lebhaft ansprachen.

1) Das englische Original ward in erster Ausgabe im November des
Jahres 1859 veröffentlicht (Seite 6 der Uebersetzung). Es blieb mir
unbekannt.
2) Die deutsche Sprache, Stuttgart 1860 S. 43 flg.; besonders S. 44
zu Anfang.

welcher Verbreitung eine einzige Pflanze fähig ist, wenn
sie Raum und sonst günstige Verhältnisse dazu findet, das
erlebt der Gärtner auch manchmal mehr als ihm lieb ist;
und was die Veränderlichkeit der Arten, was Erblichkeit,
kurz, was ‘Züchtung’ betrifft, nun darin macht einer, der
seit Jahren das Steckenpferd reitet eine unserer abänder-
ungsfähigsten Zierblumen nach bestimmten Richtungen hin
zu vervollkommnen, manche Erfahrung und Beobachtung.

Dennoch warst du, lieber Freund, nicht ganz auf der
richtigen Fährte, als Du mich vorzüglich wegen meiner
Gartenleidenschaft mit dem genannten merkwürdigen Buche
zusammenbringen wolltest. In noch höherem Grade wirkten
nämlich Darwins Darlegungen und Ansichten auf mich in
so ferne ich sie in Verbindung brachte mit der Sprach-
wissenschaft.

Von den sprachlichen Organismen gelten nämlich ähnliche
Ansichten, wie sie Darwin von den lebenden Wesen über-
haupt ausspricht, theils fast allgemein, theils habe ich zu-
fällig im Jahre 1860, also in demselben Jahre, in welchem
die deutsche Uebersetzung von Darwins Werk erschien1), über
den ‘Kampf ums Dasein’, über das Erlöschen alter Formen,
über die grosse Ausbreitung und Differenzierung einzelner
Arten auf sprachlichem Gebiete mich in einer Weise aus-
gesprochen, welche, den Ausdruck abgerechnet, mit Dar-
wins Ansichten in auffälliger Weise zusammen stimmt2). Kein
Wunder also, dass diese mich lebhaft ansprachen.

1) Das englische Original ward in erster Ausgabe im November des
Jahres 1859 veröffentlicht (Seite 6 der Uebersetzung). Es blieb mir
unbekannt.
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zu Anfang.
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[4/0004] welcher Verbreitung eine einzige Pflanze fähig ist, wenn sie Raum und sonst günstige Verhältnisse dazu findet, das erlebt der Gärtner auch manchmal mehr als ihm lieb ist; und was die Veränderlichkeit der Arten, was Erblichkeit, kurz, was ‘Züchtung’ betrifft, nun darin macht einer, der seit Jahren das Steckenpferd reitet eine unserer abänder- ungsfähigsten Zierblumen nach bestimmten Richtungen hin zu vervollkommnen, manche Erfahrung und Beobachtung. Dennoch warst du, lieber Freund, nicht ganz auf der richtigen Fährte, als Du mich vorzüglich wegen meiner Gartenleidenschaft mit dem genannten merkwürdigen Buche zusammenbringen wolltest. In noch höherem Grade wirkten nämlich Darwins Darlegungen und Ansichten auf mich in so ferne ich sie in Verbindung brachte mit der Sprach- wissenschaft. Von den sprachlichen Organismen gelten nämlich ähnliche Ansichten, wie sie Darwin von den lebenden Wesen über- haupt ausspricht, theils fast allgemein, theils habe ich zu- fällig im Jahre 1860, also in demselben Jahre, in welchem die deutsche Uebersetzung von Darwins Werk erschien 1), über den ‘Kampf ums Dasein’, über das Erlöschen alter Formen, über die grosse Ausbreitung und Differenzierung einzelner Arten auf sprachlichem Gebiete mich in einer Weise aus- gesprochen, welche, den Ausdruck abgerechnet, mit Dar- wins Ansichten in auffälliger Weise zusammen stimmt 2). Kein Wunder also, dass diese mich lebhaft ansprachen. 1) Das englische Original ward in erster Ausgabe im November des Jahres 1859 veröffentlicht (Seite 6 der Uebersetzung). Es blieb mir unbekannt. 2) Die deutsche Sprache, Stuttgart 1860 S. 43 flg.; besonders S. 44 zu Anfang.

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Zitationshilfe: Schleicher, August: Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft. Weimar, 1863, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleicher_darwin_1863/4>, abgerufen am 28.03.2024.