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Schleicher, August: Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft. Weimar, 1863.

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Diess auszuführen ist der eigentliche Zweck dieser Zeilen,
zu dem wir uns nunmehr wenden, nachdem wir im allge-
meinen gezeigt zu haben glauben, wie überhaupt durch die
Beobachtungswissenschaften der Neuzeit, zu denen auch die
Sprachwissenschaft gehört, ein gemeinsamer Zug, bedingt
durch eine bestimmte philosophische Grundanschauung, hin-
durch geht.

Nehmen wir nun das Darwinsche Buch zur Hand und
sehen wir zu, was sich von Seiten der Sprachwissenschaft
den von Darwin vertretenen Anschauungen analoges zur
Seite stellen lässt.

Vor Allem sein jedoch daran erinnert, dass die Verhält-
nisse der Specificierung im Gebiete der Sprachen zwar im
Wesentlichen dieselben sind als im Reiche der Naturwesen
überhaupt, dass aber die Ausdrücke zur Bezeichnung dieser
Verhältnisse, deren sich die Sprachforscher bedienen, von
denen der Naturforscher abweichen. Diess bitte ich stäts
vor Augen zu behalten, da auf dieser Erkenntniss alles Fol-
gende beruht. Was die Naturforscher als Gattung bezeich-
nen würden, heisst bei den Glottikern Sprachstamm, auch
Sprachsippe; näher verwandte Gattungen bezeichnen sie wohl
auch als Sprachfamilien einer Sippe oder eines Sprachstam-
mes. Ich will jedoch keineswegs verschweigen, dass über die
Feststellung der Gattungen bei den Sprachforschern nicht
minder Uneinigkeit obwaltet, als bei den Zoologen und Bo-
tanikern; auf diesen charakteristischen Umstand, der sich
bei allen Abstufungen der Specificierung wiederholt, komme
ich später noch besonders zurück. Die Arten einer Gattung
nennen wir Sprachen eines Stammes; die Unterarten einer
Art sind bei uns die Dialecte oder Mundarten einer Sprache;
den Varietäten und Spielarten entsprechen die Untermund-

Diess auszuführen ist der eigentliche Zweck dieser Zeilen,
zu dem wir uns nunmehr wenden, nachdem wir im allge-
meinen gezeigt zu haben glauben, wie überhaupt durch die
Beobachtungswissenschaften der Neuzeit, zu denen auch die
Sprachwissenschaft gehört, ein gemeinsamer Zug, bedingt
durch eine bestimmte philosophische Grundanschauung, hin-
durch geht.

Nehmen wir nun das Darwinsche Buch zur Hand und
sehen wir zu, was sich von Seiten der Sprachwissenschaft
den von Darwin vertretenen Anschauungen analoges zur
Seite stellen lässt.

Vor Allem sein jedoch daran erinnert, dass die Verhält-
nisse der Specificierung im Gebiete der Sprachen zwar im
Wesentlichen dieselben sind als im Reiche der Naturwesen
überhaupt, dass aber die Ausdrücke zur Bezeichnung dieser
Verhältnisse, deren sich die Sprachforscher bedienen, von
denen der Naturforscher abweichen. Diess bitte ich stäts
vor Augen zu behalten, da auf dieser Erkenntniss alles Fol-
gende beruht. Was die Naturforscher als Gattung bezeich-
nen würden, heisst bei den Glottikern Sprachstamm, auch
Sprachsippe; näher verwandte Gattungen bezeichnen sie wohl
auch als Sprachfamilien einer Sippe oder eines Sprachstam-
mes. Ich will jedoch keineswegs verschweigen, dass über die
Feststellung der Gattungen bei den Sprachforschern nicht
minder Uneinigkeit obwaltet, als bei den Zoologen und Bo-
tanikern; auf diesen charakteristischen Umstand, der sich
bei allen Abstufungen der Specificierung wiederholt, komme
ich später noch besonders zurück. Die Arten einer Gattung
nennen wir Sprachen eines Stammes; die Unterarten einer
Art sind bei uns die Dialecte oder Mundarten einer Sprache;
den Varietäten und Spielarten entsprechen die Untermund-

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[12/0012] Diess auszuführen ist der eigentliche Zweck dieser Zeilen, zu dem wir uns nunmehr wenden, nachdem wir im allge- meinen gezeigt zu haben glauben, wie überhaupt durch die Beobachtungswissenschaften der Neuzeit, zu denen auch die Sprachwissenschaft gehört, ein gemeinsamer Zug, bedingt durch eine bestimmte philosophische Grundanschauung, hin- durch geht. Nehmen wir nun das Darwinsche Buch zur Hand und sehen wir zu, was sich von Seiten der Sprachwissenschaft den von Darwin vertretenen Anschauungen analoges zur Seite stellen lässt. Vor Allem sein jedoch daran erinnert, dass die Verhält- nisse der Specificierung im Gebiete der Sprachen zwar im Wesentlichen dieselben sind als im Reiche der Naturwesen überhaupt, dass aber die Ausdrücke zur Bezeichnung dieser Verhältnisse, deren sich die Sprachforscher bedienen, von denen der Naturforscher abweichen. Diess bitte ich stäts vor Augen zu behalten, da auf dieser Erkenntniss alles Fol- gende beruht. Was die Naturforscher als Gattung bezeich- nen würden, heisst bei den Glottikern Sprachstamm, auch Sprachsippe; näher verwandte Gattungen bezeichnen sie wohl auch als Sprachfamilien einer Sippe oder eines Sprachstam- mes. Ich will jedoch keineswegs verschweigen, dass über die Feststellung der Gattungen bei den Sprachforschern nicht minder Uneinigkeit obwaltet, als bei den Zoologen und Bo- tanikern; auf diesen charakteristischen Umstand, der sich bei allen Abstufungen der Specificierung wiederholt, komme ich später noch besonders zurück. Die Arten einer Gattung nennen wir Sprachen eines Stammes; die Unterarten einer Art sind bei uns die Dialecte oder Mundarten einer Sprache; den Varietäten und Spielarten entsprechen die Untermund-

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Zitationshilfe: Schleicher, August: Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft. Weimar, 1863, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleicher_darwin_1863/12>, abgerufen am 25.04.2024.