selben. Der zweyte Grad hat schon etwas Mystisches, und könnte leicht vernunftwidrig scheinen wie jedes Ideal. Ein Mann der das innere Verlangen seiner Geliebten nicht ganz füllen und befriedigen kann, versteht es gar nicht zu seyn, was er doch ist und seyn soll. Er ist eigentlich unvermögend, und kann keine gül- tige Ehe schließen. Zwar verschwin- det auch die höchste endliche Größe vor dem Unendlichen, und durch bloße Kraft läßt sich also das Pro- blem auch bey dem besten Willen nicht auflösen. Aber wer Fantasie hat, kann auch Fantasie mittheilen, und wo die ist, entbehren die Lie- benden gern, um zu verschwenden; ihr Weg geht nach Innen, ihr Ziel
ſelben. Der zweyte Grad hat ſchon etwas Myſtiſches, und könnte leicht vernunftwidrig ſcheinen wie jedes Ideal. Ein Mann der das innere Verlangen ſeiner Geliebten nicht ganz füllen und befriedigen kann, verſteht es gar nicht zu ſeyn, was er doch iſt und ſeyn ſoll. Er iſt eigentlich unvermögend, und kann keine gül- tige Ehe ſchließen. Zwar verſchwin- det auch die höchſte endliche Größe vor dem Unendlichen, und durch bloße Kraft läßt ſich alſo das Pro- blem auch bey dem beſten Willen nicht auflöſen. Aber wer Fantaſie hat, kann auch Fantaſie mittheilen, und wo die iſt, entbehren die Lie- benden gern, um zu verſchwenden; ihr Weg geht nach Innen, ihr Ziel
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0068"n="63"/>ſelben. Der zweyte Grad hat ſchon<lb/>
etwas Myſtiſches, und könnte leicht<lb/>
vernunftwidrig ſcheinen wie jedes<lb/>
Ideal. Ein Mann der das innere<lb/>
Verlangen ſeiner Geliebten nicht ganz<lb/>
füllen und befriedigen kann, verſteht<lb/>
es gar nicht zu ſeyn, was er doch<lb/>
iſt und ſeyn ſoll. Er iſt eigentlich<lb/>
unvermögend, und kann keine gül-<lb/>
tige Ehe ſchließen. Zwar verſchwin-<lb/>
det auch die höchſte endliche Größe<lb/>
vor dem Unendlichen, und durch<lb/>
bloße Kraft läßt ſich alſo das Pro-<lb/>
blem auch bey dem beſten Willen<lb/>
nicht auflöſen. Aber wer Fantaſie<lb/>
hat, kann auch Fantaſie mittheilen,<lb/>
und wo die iſt, entbehren die Lie-<lb/>
benden gern, um zu verſchwenden;<lb/>
ihr Weg geht nach Innen, ihr Ziel<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[63/0068]
ſelben. Der zweyte Grad hat ſchon
etwas Myſtiſches, und könnte leicht
vernunftwidrig ſcheinen wie jedes
Ideal. Ein Mann der das innere
Verlangen ſeiner Geliebten nicht ganz
füllen und befriedigen kann, verſteht
es gar nicht zu ſeyn, was er doch
iſt und ſeyn ſoll. Er iſt eigentlich
unvermögend, und kann keine gül-
tige Ehe ſchließen. Zwar verſchwin-
det auch die höchſte endliche Größe
vor dem Unendlichen, und durch
bloße Kraft läßt ſich alſo das Pro-
blem auch bey dem beſten Willen
nicht auflöſen. Aber wer Fantaſie
hat, kann auch Fantaſie mittheilen,
und wo die iſt, entbehren die Lie-
benden gern, um zu verſchwenden;
ihr Weg geht nach Innen, ihr Ziel
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schlegel, Friedrich von: Lucinde. Berlin, 1799, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_lucinde_1799/68>, abgerufen am 24.04.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.