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Schlegel, Friedrich von: Lucinde. Berlin, 1799.

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dachte, alle Wesen müßten ihn ver-
nehmen und die ganze Welt sollte
harmonisch wiederklingen: aber ich
besann mich, daß meine Lippen die
Kunst nicht gelernt hätten, die Ge-
sänge des Geistes nachzubilden. --
"Du mußt das unsterbliche Feuer
"nicht rein und roh mittheilen wol-
"len," sprach die bekannte Stimme
meines freundlichen Begleiters. "Bil-
"de, erfinde, verwandle und erhalte
"die Welt und ihre ewigen Gestalten
"im steten Wechsel neuer Trennun-
"gen und Vermählungen. Verhülle
"und binde den Geist im Buchsta-
"ben. Der ächte Buchstabe ist all-
"mächtig und der eigentliche Zauber-
"stab. Er ist es, mit dem die un-
"widerstehliche Willkühr der hohen

dachte, alle Weſen müßten ihn ver-
nehmen und die ganze Welt ſollte
harmoniſch wiederklingen: aber ich
beſann mich, daß meine Lippen die
Kunſt nicht gelernt hätten, die Ge-
ſänge des Geiſtes nachzubilden. —
»Du mußt das unſterbliche Feuer
»nicht rein und roh mittheilen wol-
»len,« ſprach die bekannte Stimme
meines freundlichen Begleiters. »Bil-
»de, erfinde, verwandle und erhalte
»die Welt und ihre ewigen Geſtalten
»im ſteten Wechſel neuer Trennun-
»gen und Vermählungen. Verhülle
»und binde den Geiſt im Buchſta-
»ben. Der ächte Buchſtabe iſt all-
»mächtig und der eigentliche Zauber-
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[58/0063] dachte, alle Weſen müßten ihn ver- nehmen und die ganze Welt ſollte harmoniſch wiederklingen: aber ich beſann mich, daß meine Lippen die Kunſt nicht gelernt hätten, die Ge- ſänge des Geiſtes nachzubilden. — »Du mußt das unſterbliche Feuer »nicht rein und roh mittheilen wol- »len,« ſprach die bekannte Stimme meines freundlichen Begleiters. »Bil- »de, erfinde, verwandle und erhalte »die Welt und ihre ewigen Geſtalten »im ſteten Wechſel neuer Trennun- »gen und Vermählungen. Verhülle »und binde den Geiſt im Buchſta- »ben. Der ächte Buchſtabe iſt all- »mächtig und der eigentliche Zauber- »ſtab. Er iſt es, mit dem die un- »widerſtehliche Willkühr der hohen

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Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Lucinde. Berlin, 1799, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_lucinde_1799/63>, abgerufen am 24.04.2024.