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Schlegel, Friedrich von: Lucinde. Berlin, 1799.

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So schaut das Auge in dem Spie-
gel des Flusses nur den Wiederschein
des blauen Himmels, die grünen
Ufer, die schwankenden Bäume und
die eigne Gestalt de in sich selbst
versunkenen Betrachters. Wenn ein
Gemüth voll unbewußter Liebe da,
wo es Gegenliebe hoffte, sich selbst
findet, wird es von Erstaunen ge-
troffen. Doch bald läßt sich der
Mensch wieder durch den Zauber
der Anschauung locken und täuschen,
seinen Schatten zu lieben. Dann ist
der Augenblick der Anmuth gekom-
men, die Seele bildet ihre Hülle noch
einmal, und athmet den letzten Hauch
der Vollendung durch die Gestalt.
Der Geist verliert sich in seiner kla-
ren Tiefe und findet sich wie Nar-
cissus als Blume wieder.


So ſchaut das Auge in dem Spie-
gel des Fluſſes nur den Wiederſchein
des blauen Himmels, die grünen
Ufer, die ſchwankenden Bäume und
die eigne Geſtalt de in ſich ſelbſt
verſunkenen Betrachters. Wenn ein
Gemüth voll unbewußter Liebe da,
wo es Gegenliebe hoffte, ſich ſelbſt
findet, wird es von Erſtaunen ge-
troffen. Doch bald läßt ſich der
Menſch wieder durch den Zauber
der Anſchauung locken und täuſchen,
ſeinen Schatten zu lieben. Dann iſt
der Augenblick der Anmuth gekom-
men, die Seele bildet ihre Hülle noch
einmal, und athmet den letzten Hauch
der Vollendung durch die Geſtalt.
Der Geiſt verliert ſich in ſeiner kla-
ren Tiefe und findet ſich wie Nar-
ciſſus als Blume wieder.


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[218/0223] So ſchaut das Auge in dem Spie- gel des Fluſſes nur den Wiederſchein des blauen Himmels, die grünen Ufer, die ſchwankenden Bäume und die eigne Geſtalt de in ſich ſelbſt verſunkenen Betrachters. Wenn ein Gemüth voll unbewußter Liebe da, wo es Gegenliebe hoffte, ſich ſelbſt findet, wird es von Erſtaunen ge- troffen. Doch bald läßt ſich der Menſch wieder durch den Zauber der Anſchauung locken und täuſchen, ſeinen Schatten zu lieben. Dann iſt der Augenblick der Anmuth gekom- men, die Seele bildet ihre Hülle noch einmal, und athmet den letzten Hauch der Vollendung durch die Geſtalt. Der Geiſt verliert ſich in ſeiner kla- ren Tiefe und findet ſich wie Nar- ciſſus als Blume wieder.

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Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Lucinde. Berlin, 1799, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_lucinde_1799/223>, abgerufen am 29.03.2024.