das Höchste besaß, hatte er nicht einmal gewußt oder gewagt, ihm den rechten Namen zu geben. Er erkannte nun wohl daß die Liebe, die für die weibliche Seele ein un- theilbares durchaus einfaches Gefühl ist, für den Mann nur ein Wechsel und eine Mischung von Leidenschaft, von Freundschaft und von Sinnlich- keit seyn kann; und er sah mit fro- hem Erstaunen, daß er eben so un- endlich geliebt werde wie er liebe.
Überhaupt schien es vorherbe- stimmt, daß jede Begebenheit seines Lebens ihn durch ein sonderbares Ende überraschen solle. Nichts zog ihn anfangs so sehr an, und hatte ihn so mächtig getroffen, als die Wahrnehmung, daß Lucinde von
das Höchſte beſaß, hatte er nicht einmal gewußt oder gewagt, ihm den rechten Namen zu geben. Er erkannte nun wohl daß die Liebe, die für die weibliche Seele ein un- theilbares durchaus einfaches Gefühl iſt, für den Mann nur ein Wechſel und eine Miſchung von Leidenſchaft, von Freundſchaft und von Sinnlich- keit ſeyn kann; und er ſah mit fro- hem Erſtaunen, daß er eben ſo un- endlich geliebt werde wie er liebe.
Überhaupt ſchien es vorherbe- ſtimmt, daß jede Begebenheit ſeines Lebens ihn durch ein ſonderbares Ende überraſchen ſolle. Nichts zog ihn anfangs ſo ſehr an, und hatte ihn ſo mächtig getroffen, als die Wahrnehmung, daß Lucinde von
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0207"n="202"/>
das Höchſte beſaß, hatte er nicht<lb/>
einmal gewußt oder gewagt, ihm<lb/>
den rechten Namen zu geben. Er<lb/>
erkannte nun wohl daß die Liebe,<lb/>
die für die weibliche Seele ein un-<lb/>
theilbares durchaus einfaches Gefühl<lb/>
iſt, für den Mann nur ein Wechſel<lb/>
und eine Miſchung von Leidenſchaft,<lb/>
von Freundſchaft und von Sinnlich-<lb/>
keit ſeyn kann; und er ſah mit fro-<lb/>
hem Erſtaunen, daß er eben ſo un-<lb/>
endlich geliebt werde wie er liebe.</p><lb/><p>Überhaupt ſchien es vorherbe-<lb/>ſtimmt, daß jede Begebenheit ſeines<lb/>
Lebens ihn durch ein ſonderbares<lb/>
Ende überraſchen ſolle. Nichts zog<lb/>
ihn anfangs ſo ſehr an, und hatte<lb/>
ihn ſo mächtig getroffen, als die<lb/>
Wahrnehmung, daß Lucinde von<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[202/0207]
das Höchſte beſaß, hatte er nicht
einmal gewußt oder gewagt, ihm
den rechten Namen zu geben. Er
erkannte nun wohl daß die Liebe,
die für die weibliche Seele ein un-
theilbares durchaus einfaches Gefühl
iſt, für den Mann nur ein Wechſel
und eine Miſchung von Leidenſchaft,
von Freundſchaft und von Sinnlich-
keit ſeyn kann; und er ſah mit fro-
hem Erſtaunen, daß er eben ſo un-
endlich geliebt werde wie er liebe.
Überhaupt ſchien es vorherbe-
ſtimmt, daß jede Begebenheit ſeines
Lebens ihn durch ein ſonderbares
Ende überraſchen ſolle. Nichts zog
ihn anfangs ſo ſehr an, und hatte
ihn ſo mächtig getroffen, als die
Wahrnehmung, daß Lucinde von
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schlegel, Friedrich von: Lucinde. Berlin, 1799, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_lucinde_1799/207>, abgerufen am 19.04.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.