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Schiller, Friedrich: Die Räuber. [Stuttgart], Frankfurt u. a., 1781.

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ein Schauspiel.
nen Lippen! Er wird mir lächeln, sagst du? Ver-
geben? du must bey mir bleiben, Geliebte meines
Karls, wenn ich sterbe.
Amalia. Sterben ist Flug in seine Arme. Wohl
euch! Jhr seyd zu beneiden. Warum sind diese Gebeine
nicht mürb? Warum diese Haare nicht grau? Wehe über
die Kräffte der Jugend! Willkommen, du markloses
Alter! näher gelegen dem Himmel und meinem Karl.

Franz tritt auf.
D. a. Moor. Trit her, mein Sohn! Vergib
mir, wenn ich vorhin zu hart gegen dich war! ich
vergebe dir alles. Jch möchte so gern im Frieden
den Geist aufgeben.
Franz. Habt ihr genug um euren Sohn ge-
weint? so viel ich sehe, habt ihr nur einen.
D. a. Moor. Jakob hatte der Söhne zwölf,
aber um seinen Joseph hat er blutige Thränen ge-
weint.
Franz. Hum!
D. a. Moor. Geh, nimm die Bibel, meine
Tochter, und lies mir die Geschichte Jakobs und
Josephs! Sie hat mich immer so gerührt, und da-
mals bin ich noch nicht Jakob gewesen.
Amalia. Welches soll ich euch lesen? nimmt die
Bibel und blättert.

D. a. Moor. Lis mir den Jammer des verlas-
senen, als er ihn nimmer unter seinen Kindern
fand
E 5
ein Schauſpiel.
nen Lippen! Er wird mir laͤcheln, ſagſt du? Ver-
geben? du muſt bey mir bleiben, Geliebte meines
Karls, wenn ich ſterbe.
Amalia. Sterben iſt Flug in ſeine Arme. Wohl
euch! Jhr ſeyd zu beneiden. Warum ſind dieſe Gebeine
nicht muͤrb? Warum dieſe Haare nicht grau? Wehe uͤber
die Kraͤffte der Jugend! Willkommen, du markloſes
Alter! naͤher gelegen dem Himmel und meinem Karl.

Franz tritt auf.
D. a. Moor. Trit her, mein Sohn! Vergib
mir, wenn ich vorhin zu hart gegen dich war! ich
vergebe dir alles. Jch moͤchte ſo gern im Frieden
den Geiſt aufgeben.
Franz. Habt ihr genug um euren Sohn ge-
weint? ſo viel ich ſehe, habt ihr nur einen.
D. a. Moor. Jakob hatte der Soͤhne zwoͤlf,
aber um ſeinen Joſeph hat er blutige Thraͤnen ge-
weint.
Franz. Hum!
D. a. Moor. Geh, nimm die Bibel, meine
Tochter, und lies mir die Geſchichte Jakobs und
Joſephs! Sie hat mich immer ſo geruͤhrt, und da-
mals bin ich noch nicht Jakob geweſen.
Amalia. Welches ſoll ich euch leſen? nimmt die
Bibel und blaͤttert.

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ſenen, als er ihn nimmer unter ſeinen Kindern
fand
E 5
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[73/0095] ein Schauſpiel. nen Lippen! Er wird mir laͤcheln, ſagſt du? Ver- geben? du muſt bey mir bleiben, Geliebte meines Karls, wenn ich ſterbe. Amalia. Sterben iſt Flug in ſeine Arme. Wohl euch! Jhr ſeyd zu beneiden. Warum ſind dieſe Gebeine nicht muͤrb? Warum dieſe Haare nicht grau? Wehe uͤber die Kraͤffte der Jugend! Willkommen, du markloſes Alter! naͤher gelegen dem Himmel und meinem Karl. Franz tritt auf. D. a. Moor. Trit her, mein Sohn! Vergib mir, wenn ich vorhin zu hart gegen dich war! ich vergebe dir alles. Jch moͤchte ſo gern im Frieden den Geiſt aufgeben. Franz. Habt ihr genug um euren Sohn ge- weint? ſo viel ich ſehe, habt ihr nur einen. D. a. Moor. Jakob hatte der Soͤhne zwoͤlf, aber um ſeinen Joſeph hat er blutige Thraͤnen ge- weint. Franz. Hum! D. a. Moor. Geh, nimm die Bibel, meine Tochter, und lies mir die Geſchichte Jakobs und Joſephs! Sie hat mich immer ſo geruͤhrt, und da- mals bin ich noch nicht Jakob geweſen. Amalia. Welches ſoll ich euch leſen? nimmt die Bibel und blaͤttert. D. a. Moor. Lis mir den Jammer des verlaſ- ſenen, als er ihn nimmer unter ſeinen Kindern fand E 5

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Die Räuber. [Stuttgart], Frankfurt u. a., 1781, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_raeuber_1781/95>, abgerufen am 29.03.2024.