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Schiller, Friedrich: Die Räuber. [Stuttgart], Frankfurt u. a., 1781.

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ein Schauspiel.
ganzen Herkules Arbeit gedacht wird. Nun kommt
mich eben auch der Kizel an -- und dran krepirt
ein Mensch, und gewis ist hier mehr Verstand und
Absichten, als dort bey seinem Entstehen war --
Hängt nicht das Daseyn der meisten Menschen
mehrentheils an der Hize eines Julius Mittags,
oder am anziehenden Anblick eines Betttuchs, oder
an der wagrechten Lage einer schlafenden Küchen-
Grazie, oder an einem ausgelöschten Licht? -- Jst
die Geburt des Menschen das Werk einer viehi-
schen Anwandlung, eines Ungefährs, wer sollte we-
gen der Verneinung seiner Geburt sich einkom-
men lassen an ein bedeutendes etwas zu denken?
Verflucht sey die Thorheit unserer Ammen und
Wärterinnen, die unsere Phantasie mit schröklichen
Mährgen verderben, und gräßliche Bilder von Straf-
gerichten in unser weiches Gehirnmark drücken,
daß unwillkührliche Schauder die Glieder des Man-
nes noch in frostige Angst rütteln, unsere kühnste
Entschlossenheit sperren, unsere erwachende Ver-
nunft an Ketten abergläubischer Finsterniß legen --
Mord! wie eine ganze Hölle von Furien um das
Wort flattert -- die Natur vergas einen Mann
mehr zu machen -- die Nabelschnur ist nicht un-
terbunden worden -- der Vater hat in der Hoch-
zeit-Nacht glatten Leib bekommen -- und die gan-
ze Schattenspielerey ist verschwunden. Es war et-
was und wird nichts -- Heißt es nicht eben so
viel,
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ein Schauſpiel.
ganzen Herkules Arbeit gedacht wird. Nun kommt
mich eben auch der Kizel an — und dran krepirt
ein Menſch, und gewis iſt hier mehr Verſtand und
Abſichten, als dort bey ſeinem Entſtehen war —
Haͤngt nicht das Daſeyn der meiſten Menſchen
mehrentheils an der Hize eines Julius Mittags,
oder am anziehenden Anblick eines Betttuchs, oder
an der wagrechten Lage einer ſchlafenden Kuͤchen-
Grazie, oder an einem ausgeloͤſchten Licht? — Jſt
die Geburt des Menſchen das Werk einer viehi-
ſchen Anwandlung, eines Ungefaͤhrs, wer ſollte we-
gen der Verneinung ſeiner Geburt ſich einkom-
men laſſen an ein bedeutendes etwas zu denken?
Verflucht ſey die Thorheit unſerer Ammen und
Waͤrterinnen, die unſere Phantaſie mit ſchroͤklichen
Maͤhrgen verderben, und graͤßliche Bilder von Straf-
gerichten in unſer weiches Gehirnmark druͤcken,
daß unwillkuͤhrliche Schauder die Glieder des Man-
nes noch in froſtige Angſt ruͤtteln, unſere kuͤhnſte
Entſchloſſenheit ſperren, unſere erwachende Ver-
nunft an Ketten aberglaͤubiſcher Finſterniß legen —
Mord! wie eine ganze Hoͤlle von Furien um das
Wort flattert — die Natur vergas einen Mann
mehr zu machen — die Nabelſchnur iſt nicht un-
terbunden worden — der Vater hat in der Hoch-
zeit-Nacht glatten Leib bekommen — und die gan-
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was und wird nichts — Heißt es nicht eben ſo
viel,
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[147/0169] ein Schauſpiel. ganzen Herkules Arbeit gedacht wird. Nun kommt mich eben auch der Kizel an — und dran krepirt ein Menſch, und gewis iſt hier mehr Verſtand und Abſichten, als dort bey ſeinem Entſtehen war — Haͤngt nicht das Daſeyn der meiſten Menſchen mehrentheils an der Hize eines Julius Mittags, oder am anziehenden Anblick eines Betttuchs, oder an der wagrechten Lage einer ſchlafenden Kuͤchen- Grazie, oder an einem ausgeloͤſchten Licht? — Jſt die Geburt des Menſchen das Werk einer viehi- ſchen Anwandlung, eines Ungefaͤhrs, wer ſollte we- gen der Verneinung ſeiner Geburt ſich einkom- men laſſen an ein bedeutendes etwas zu denken? Verflucht ſey die Thorheit unſerer Ammen und Waͤrterinnen, die unſere Phantaſie mit ſchroͤklichen Maͤhrgen verderben, und graͤßliche Bilder von Straf- gerichten in unſer weiches Gehirnmark druͤcken, daß unwillkuͤhrliche Schauder die Glieder des Man- nes noch in froſtige Angſt ruͤtteln, unſere kuͤhnſte Entſchloſſenheit ſperren, unſere erwachende Ver- nunft an Ketten aberglaͤubiſcher Finſterniß legen — Mord! wie eine ganze Hoͤlle von Furien um das Wort flattert — die Natur vergas einen Mann mehr zu machen — die Nabelſchnur iſt nicht un- terbunden worden — der Vater hat in der Hoch- zeit-Nacht glatten Leib bekommen — und die gan- ze Schattenſpielerey iſt verſchwunden. Es war et- was und wird nichts — Heißt es nicht eben ſo viel, K 2

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Die Räuber. [Stuttgart], Frankfurt u. a., 1781, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_raeuber_1781/169>, abgerufen am 25.04.2024.