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Schiller, Friedrich: Die Räuber. [Stuttgart], Frankfurt u. a., 1781.

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Die Räuber,
Moor. Hört ihrs wohl? Habt ihr den Seuf-
zer bemerkt? Steht er nicht da, als wollte er
Feuer vom Himmel auf die Rotte Korah herunter
beten, richtet mit einem Achselzucken, verdammt
mit einem christlichen Ach! -- Kann der Mensch
denn so blind seyn? Er, der die hundert Augen
des Argus hat Flecken an seinem Bruder zu sphä-
en, kann er so gar blind gegen sich selbst seyn?
-- Da donnern sie Sanfftmuth und Duldung aus
ihren Wolken, und bringen dem Gott der Liebe
Menschenopfer wie einem feuerarmigen Moloch --
predigen Liebe des Nächsten, und fluchen den achzig-
jährigen Blinden von ihren Thüren hinweg: -- stür-
men wider den Geiz und haben Peru um goldner
Spangen willen entvölkert und die Heyden wie Zug-
vieh vor ihre Wagen gespannt -- Sie zerbrechen sich
die Köpffe wie es doch möglich gewesen wäre, daß
die Natur hätte können einen Jschariot schaffen,
und nicht der schlimmste unter ihnen würde den
dreyeinigen Gott um zehen Silberlinge verrathen. --
O über euch Pharisäer, auch Falschmünzer der Wahr-
heit, euch Affen der Gottheit! Jhr scheut euch
nicht vor Kreuz und Altären zu knien, zerfleischt
eure Rücken mit Riemen, und foltert euer Fleisch
mit Fasten; ihr wähnt mit diesen erbärmlichen Gau-
keleyen demjenigen einen blauen Dunst vorzuma-
chen, denn ihr Thoren doch den allwissenden nennt,
nicht anders als wie man der Grossen am bitter-
sten
Die Raͤuber,
Moor. Hoͤrt ihrs wohl? Habt ihr den Seuf-
zer bemerkt? Steht er nicht da, als wollte er
Feuer vom Himmel auf die Rotte Korah herunter
beten, richtet mit einem Achſelzucken, verdammt
mit einem chriſtlichen Ach! — Kann der Menſch
denn ſo blind ſeyn? Er, der die hundert Augen
des Argus hat Flecken an ſeinem Bruder zu ſphaͤ-
en, kann er ſo gar blind gegen ſich ſelbſt ſeyn?
— Da donnern ſie Sanfftmuth und Duldung aus
ihren Wolken, und bringen dem Gott der Liebe
Menſchenopfer wie einem feuerarmigen Moloch —
predigen Liebe des Naͤchſten, und fluchen den achzig-
jaͤhrigen Blinden von ihren Thuͤren hinweg: — ſtuͤr-
men wider den Geiz und haben Peru um goldner
Spangen willen entvoͤlkert und die Heyden wie Zug-
vieh vor ihre Wagen geſpannt — Sie zerbrechen ſich
die Koͤpffe wie es doch moͤglich geweſen waͤre, daß
die Natur haͤtte koͤnnen einen Jſchariot ſchaffen,
und nicht der ſchlimmſte unter ihnen wuͤrde den
dreyeinigen Gott um zehen Silberlinge verrathen. —
O uͤber euch Phariſaͤer, auch Falſchmuͤnzer der Wahr-
heit, euch Affen der Gottheit! Jhr ſcheut euch
nicht vor Kreuz und Altaͤren zu knien, zerfleiſcht
eure Ruͤcken mit Riemen, und foltert euer Fleiſch
mit Faſten; ihr waͤhnt mit dieſen erbaͤrmlichen Gau-
keleyen demjenigen einen blauen Dunſt vorzuma-
chen, denn ihr Thoren doch den allwiſſenden nennt,
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ſten
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[106/0128] Die Raͤuber, Moor. Hoͤrt ihrs wohl? Habt ihr den Seuf- zer bemerkt? Steht er nicht da, als wollte er Feuer vom Himmel auf die Rotte Korah herunter beten, richtet mit einem Achſelzucken, verdammt mit einem chriſtlichen Ach! — Kann der Menſch denn ſo blind ſeyn? Er, der die hundert Augen des Argus hat Flecken an ſeinem Bruder zu ſphaͤ- en, kann er ſo gar blind gegen ſich ſelbſt ſeyn? — Da donnern ſie Sanfftmuth und Duldung aus ihren Wolken, und bringen dem Gott der Liebe Menſchenopfer wie einem feuerarmigen Moloch — predigen Liebe des Naͤchſten, und fluchen den achzig- jaͤhrigen Blinden von ihren Thuͤren hinweg: — ſtuͤr- men wider den Geiz und haben Peru um goldner Spangen willen entvoͤlkert und die Heyden wie Zug- vieh vor ihre Wagen geſpannt — Sie zerbrechen ſich die Koͤpffe wie es doch moͤglich geweſen waͤre, daß die Natur haͤtte koͤnnen einen Jſchariot ſchaffen, und nicht der ſchlimmſte unter ihnen wuͤrde den dreyeinigen Gott um zehen Silberlinge verrathen. — O uͤber euch Phariſaͤer, auch Falſchmuͤnzer der Wahr- heit, euch Affen der Gottheit! Jhr ſcheut euch nicht vor Kreuz und Altaͤren zu knien, zerfleiſcht eure Ruͤcken mit Riemen, und foltert euer Fleiſch mit Faſten; ihr waͤhnt mit dieſen erbaͤrmlichen Gau- keleyen demjenigen einen blauen Dunſt vorzuma- chen, denn ihr Thoren doch den allwiſſenden nennt, nicht anders als wie man der Groſſen am bitter- ſten

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Die Räuber. [Stuttgart], Frankfurt u. a., 1781, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_raeuber_1781/128>, abgerufen am 29.03.2024.