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Scheyb, Franz Christoph von: Theresiade. Bd. 1. Wien, 1746.

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Erstes Buch.
Wollt' ich von einer dieß, von jener das verstehen,
So mußt' ich hin und her durch das Gedränge gehen.
Doch weil man sich nur halb und halb vernehmen ließ,
590Und die Vielfältigkeit mir manches Wort entriß;
So konnt' ich keine Sach, als nur gebrochen, hören:
Bald ließ' ich mich von der, und bald von jener stören.

Jch schärffte das Gehör; ich kehrte mich dahin,
Wo man in dem Gespräch am meisten eifrig schien;
595Da kam mir ungefähr der Ausspruch zu den Ohren:
"Der Himmel hat sie selbst zur Königinn erkohren!
Jch horcht', ich sah', ich stund als wie ein Wandersmann
Der für des Walds Gebrauß den Freund nicht hören kann,
Oft nur ein Wort vernimmt. Man sprach von einem Kreiße;
600Von einem Tugend-Streit; wie wußt' ich, was das heisse?
Doch merckt' ich allerseits fast einen gleichen Sinn:
Man sprach von niemand mehr, als von der Königinn.
Besonders wie sie sich schon in der zärtsten Jugend
Der Weisen Rath ergab; doch mehr der Helden Tugend.
605Wie sie nicht durch den Schmuck und Staat der Majestät,
Nein: sondern durch das Wohl der Länder sich erhöht.
Wie wenig Feur und Schwert des Feinds ihr Herz besiegen.
Wie standhaft sie den Thron in der Gefahr bestiegen.
Wie sie den Fürsten haßt, der nur auf Waffen traut,
610Oft einen Thron zerstört, und niemahls keinen baut.
Mit

Erſtes Buch.
Wollt’ ich von einer dieß, von jener das verſtehen,
So mußt’ ich hin und her durch das Gedraͤnge gehen.
Doch weil man ſich nur halb und halb vernehmen ließ,
590Und die Vielfaͤltigkeit mir manches Wort entriß;
So konnt’ ich keine Sach, als nur gebrochen, hoͤren:
Bald ließ’ ich mich von der, und bald von jener ſtoͤren.

Jch ſchaͤrffte das Gehoͤr; ich kehrte mich dahin,
Wo man in dem Geſpraͤch am meiſten eifrig ſchien;
595Da kam mir ungefaͤhr der Ausſpruch zu den Ohren:
„Der Himmel hat ſie ſelbſt zur Koͤniginn erkohren!
Jch horcht’, ich ſah’, ich ſtund als wie ein Wandersmann
Der fuͤr des Walds Gebrauß den Freund nicht hoͤren kann,
Oft nur ein Wort vernimmt. Man ſprach von einem Kreiße;
600Von einem Tugend-Streit; wie wußt’ ich, was das heiſſe?
Doch merckt’ ich allerſeits faſt einen gleichen Sinn:
Man ſprach von niemand mehr, als von der Koͤniginn.
Beſonders wie ſie ſich ſchon in der zaͤrtſten Jugend
Der Weiſen Rath ergab; doch mehr der Helden Tugend.
605Wie ſie nicht durch den Schmuck und Staat der Majeſtaͤt,
Nein: ſondern durch das Wohl der Laͤnder ſich erhoͤht.
Wie wenig Feur und Schwert des Feinds ihr Herz beſiegen.
Wie ſtandhaft ſie den Thron in der Gefahr beſtiegen.
Wie ſie den Fuͤrſten haßt, der nur auf Waffen traut,
610Oft einen Thron zerſtoͤrt, und niemahls keinen baut.
Mit
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[0050] Erſtes Buch. Wollt’ ich von einer dieß, von jener das verſtehen, So mußt’ ich hin und her durch das Gedraͤnge gehen. Doch weil man ſich nur halb und halb vernehmen ließ, Und die Vielfaͤltigkeit mir manches Wort entriß; So konnt’ ich keine Sach, als nur gebrochen, hoͤren: Bald ließ’ ich mich von der, und bald von jener ſtoͤren. Jch ſchaͤrffte das Gehoͤr; ich kehrte mich dahin, Wo man in dem Geſpraͤch am meiſten eifrig ſchien; Da kam mir ungefaͤhr der Ausſpruch zu den Ohren: „Der Himmel hat ſie ſelbſt zur Koͤniginn erkohren! Jch horcht’, ich ſah’, ich ſtund als wie ein Wandersmann Der fuͤr des Walds Gebrauß den Freund nicht hoͤren kann, Oft nur ein Wort vernimmt. Man ſprach von einem Kreiße; Von einem Tugend-Streit; wie wußt’ ich, was das heiſſe? Doch merckt’ ich allerſeits faſt einen gleichen Sinn: Man ſprach von niemand mehr, als von der Koͤniginn. Beſonders wie ſie ſich ſchon in der zaͤrtſten Jugend Der Weiſen Rath ergab; doch mehr der Helden Tugend. Wie ſie nicht durch den Schmuck und Staat der Majeſtaͤt, Nein: ſondern durch das Wohl der Laͤnder ſich erhoͤht. Wie wenig Feur und Schwert des Feinds ihr Herz beſiegen. Wie ſtandhaft ſie den Thron in der Gefahr beſtiegen. Wie ſie den Fuͤrſten haßt, der nur auf Waffen traut, Oft einen Thron zerſtoͤrt, und niemahls keinen baut. Mit

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Zitationshilfe: Scheyb, Franz Christoph von: Theresiade. Bd. 1. Wien, 1746, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheyb_theresiade01_1746/50>, abgerufen am 20.04.2024.