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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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nothwendig zugleich in das Wesen der Construktion tiefer eindringen
müssen.

Der Zusatz Kunst in "Philosophie der Kunst" beschränkt bloß
den allgemeinen Begriff der Philosophie, aber hebt ihn nicht auf.
Unsere Wissenschaft soll Philosophie seyn. Dieß ist das Wesentliche;
daß sie eben Philosophie seyn soll in Beziehung auf Kunst, ist das Zu-
fällige unseres Begriffs. Nun kann aber weder überhaupt das Acci-
dentelle eines Begriffs das Wesentliche desselben verändern, noch kann
Philosophie insbesondere als Philosophie der Kunst etwas anderes
seyn, als sie an sich und absolut betrachtet ist. Philosophie ist schlecht-
hin und wesentlich eins; sie kann nicht getheilt werden; was also über-
haupt Philosophie ist, ist es ganz und ungetheilt. Diesen Begriff von
der Ungetheiltheit der Philosophie wünsche ich, daß Sie sich insbeson-
dere fest gegenwärtig erhalten, um die ganze Idee unserer Wissenschaft
zu fassen. Es ist bekannt genug, welcher heillose Mißbrauch mit dem
Begriff der Philosophie getrieben wird. Wir haben schon eine Philo-
sophie, ja sogar eine Wissenschaftslehre der Landwirthschaft erhalten,
es ist zu erwarten, daß man auch noch eine Philosophie des Fuhrwerks
aufstelle, und daß es am Ende so viel Philosophien gibt, als es über-
haupt Gegenstände gibt, und man vor lauter Philosophien die Philo-
sophie selbst gänzlich verlieren wird. Außer diesen vielen Philosophien
hat man aber auch noch einzelne philosophische Wissenschaften oder phi-
losophische Theorien. Auch damit ist es nichts. Es ist nur Eine Phi-
losophie und Eine Wissenschaft der Philosophie; was man verschiedene
philosophische Wissenschaften nennt, ist entweder etwas ganz Schiefes,
oder es sind nur Darstellungen des Einen und ungetheilten Ganzen der
Philosophie in verschiedenen Potenzen oder unter verschiedenen ideellen
Bestimmungen 1.

Ich erkläre diesen Ausdruck hier, da er das erstemal wenigstens
in einem Zusammenhang vorkommt, in dem es wichtig ist daß er

1 Man vergl. hier und zum gleich Folgenden den Anfang der Abhandlung
über das Verhältniß der Naturphilosophie zur Philosophie überhaupt, oben
S. 106 ff. D. H.

nothwendig zugleich in das Weſen der Conſtruktion tiefer eindringen
müſſen.

Der Zuſatz Kunſt in „Philoſophie der Kunſt“ beſchränkt bloß
den allgemeinen Begriff der Philoſophie, aber hebt ihn nicht auf.
Unſere Wiſſenſchaft ſoll Philoſophie ſeyn. Dieß iſt das Weſentliche;
daß ſie eben Philoſophie ſeyn ſoll in Beziehung auf Kunſt, iſt das Zu-
fällige unſeres Begriffs. Nun kann aber weder überhaupt das Acci-
dentelle eines Begriffs das Weſentliche deſſelben verändern, noch kann
Philoſophie insbeſondere als Philoſophie der Kunſt etwas anderes
ſeyn, als ſie an ſich und abſolut betrachtet iſt. Philoſophie iſt ſchlecht-
hin und weſentlich eins; ſie kann nicht getheilt werden; was alſo über-
haupt Philoſophie iſt, iſt es ganz und ungetheilt. Dieſen Begriff von
der Ungetheiltheit der Philoſophie wünſche ich, daß Sie ſich insbeſon-
dere feſt gegenwärtig erhalten, um die ganze Idee unſerer Wiſſenſchaft
zu faſſen. Es iſt bekannt genug, welcher heilloſe Mißbrauch mit dem
Begriff der Philoſophie getrieben wird. Wir haben ſchon eine Philo-
ſophie, ja ſogar eine Wiſſenſchaftslehre der Landwirthſchaft erhalten,
es iſt zu erwarten, daß man auch noch eine Philoſophie des Fuhrwerks
aufſtelle, und daß es am Ende ſo viel Philoſophien gibt, als es über-
haupt Gegenſtände gibt, und man vor lauter Philoſophien die Philo-
ſophie ſelbſt gänzlich verlieren wird. Außer dieſen vielen Philoſophien
hat man aber auch noch einzelne philoſophiſche Wiſſenſchaften oder phi-
loſophiſche Theorien. Auch damit iſt es nichts. Es iſt nur Eine Phi-
loſophie und Eine Wiſſenſchaft der Philoſophie; was man verſchiedene
philoſophiſche Wiſſenſchaften nennt, iſt entweder etwas ganz Schiefes,
oder es ſind nur Darſtellungen des Einen und ungetheilten Ganzen der
Philoſophie in verſchiedenen Potenzen oder unter verſchiedenen ideellen
Beſtimmungen 1.

Ich erkläre dieſen Ausdruck hier, da er das erſtemal wenigſtens
in einem Zuſammenhang vorkommt, in dem es wichtig iſt daß er

1 Man vergl. hier und zum gleich Folgenden den Anfang der Abhandlung
über das Verhältniß der Naturphiloſophie zur Philoſophie überhaupt, oben
S. 106 ff. D. H.
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[365/0041] nothwendig zugleich in das Weſen der Conſtruktion tiefer eindringen müſſen. Der Zuſatz Kunſt in „Philoſophie der Kunſt“ beſchränkt bloß den allgemeinen Begriff der Philoſophie, aber hebt ihn nicht auf. Unſere Wiſſenſchaft ſoll Philoſophie ſeyn. Dieß iſt das Weſentliche; daß ſie eben Philoſophie ſeyn ſoll in Beziehung auf Kunſt, iſt das Zu- fällige unſeres Begriffs. Nun kann aber weder überhaupt das Acci- dentelle eines Begriffs das Weſentliche deſſelben verändern, noch kann Philoſophie insbeſondere als Philoſophie der Kunſt etwas anderes ſeyn, als ſie an ſich und abſolut betrachtet iſt. Philoſophie iſt ſchlecht- hin und weſentlich eins; ſie kann nicht getheilt werden; was alſo über- haupt Philoſophie iſt, iſt es ganz und ungetheilt. Dieſen Begriff von der Ungetheiltheit der Philoſophie wünſche ich, daß Sie ſich insbeſon- dere feſt gegenwärtig erhalten, um die ganze Idee unſerer Wiſſenſchaft zu faſſen. Es iſt bekannt genug, welcher heilloſe Mißbrauch mit dem Begriff der Philoſophie getrieben wird. Wir haben ſchon eine Philo- ſophie, ja ſogar eine Wiſſenſchaftslehre der Landwirthſchaft erhalten, es iſt zu erwarten, daß man auch noch eine Philoſophie des Fuhrwerks aufſtelle, und daß es am Ende ſo viel Philoſophien gibt, als es über- haupt Gegenſtände gibt, und man vor lauter Philoſophien die Philo- ſophie ſelbſt gänzlich verlieren wird. Außer dieſen vielen Philoſophien hat man aber auch noch einzelne philoſophiſche Wiſſenſchaften oder phi- loſophiſche Theorien. Auch damit iſt es nichts. Es iſt nur Eine Phi- loſophie und Eine Wiſſenſchaft der Philoſophie; was man verſchiedene philoſophiſche Wiſſenſchaften nennt, iſt entweder etwas ganz Schiefes, oder es ſind nur Darſtellungen des Einen und ungetheilten Ganzen der Philoſophie in verſchiedenen Potenzen oder unter verſchiedenen ideellen Beſtimmungen 1. Ich erkläre dieſen Ausdruck hier, da er das erſtemal wenigſtens in einem Zuſammenhang vorkommt, in dem es wichtig iſt daß er 1 Man vergl. hier und zum gleich Folgenden den Anfang der Abhandlung über das Verhältniß der Naturphiloſophie zur Philoſophie überhaupt, oben S. 106 ff. D. H.

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/41>, abgerufen am 16.04.2024.