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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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die mystische Ehrfurcht vor dem Fremden gab ihren Strebungen im
Dienst der Kirche Bestand.

Andere Zeiten, andere Lieder! Heute bauen die Enkel jener Hei-
ligen den Schweizern für gutes eidgenössisches Geld die Eisenbahn.15)

Aus der schmucklosen Zelle an der Steinach, wo der irische Ein-
siedel seine Abenteuer mit Dornen, Bären und gespenstigen Wasser-
weibern bestand, war ein umfangreich Kloster emporgewachsen. Statt-
lich ragte der achteckige Thurm der Kirche aus den schindelgedeckten
Dächern der Wohngebäude, Schulhäuser, Kornspeicher, Kellerei und
Scheunen waren daran gebaut, auch ein klappernd Mühlrad ließ sich
hören, denn aller Bedarf zum Lebensunterhalt muß in des Klosters
nächster Nähe bereitet werden, auf daß es den Mönchen nicht noth-
wendig falle, in die Ferne zu schweifen, was ihrem Seelenheil un-
diensam. Eine feste Ringmauer mit Thurm und Thor umschloß das
Ganze, minder des Zierraths, als der Sicherheit halber, maßen man-
cher Gewaltige im Land das Gebot: laß dich nicht gelüsten deines
Nachbars Gut! dazumal nicht allzustrenge einhielt.

Es war Mittagszeit vorüber, schweigende Ruhe lag über dem Thal.
Des heiligen Benedict Regel ordnet für diese Stunde, daß ein Jeder
sich still auf seinem Lager halte, und wiewohl von der gliederlösen-
den Gluth italischer Mittagssonne, die Menschen und Thier in des
Schlummers Arme treibt, diesseits der Alpen wenig zu verspüren,
folgten sie im Kloster doch pflichtgemäß dem Gebot.16)

Nur der Wächter auf dem Thorthurm stand, wie immer, treulich
und aufrecht im mückendurchsummten Stüblein.

Der Wächter hieß Romeias und hielt gute Wacht. Da hörte er
durch den nahen Tannwald ein Roßgetrabe; er spitzte sein Ohr nach
der Richtung. Acht oder zehn Berittene! sprach er nach prüfendem
Lauschen; er ließ das Fallgatter vom Thor herniederrasseln, zog das
Brücklein was über den Wassergraben führte auf, und langte sein
Horn vom Nagel. Und weil sich einiges Spinnweb drin festgesetzt
hatte, reinigte er dasselbe.

Jetzt kamen die Vordersten des Zuges am Waldessaum zum
Vorschein. Da fuhr Romeias mit der Rechten über die Stirn, und
that einen sonderbarlichen Blick hinunter. Das Endergebniß seines
Blicks war eine Wort: Weibervölker!? -- er sprach's halb fragend, halb

die myſtiſche Ehrfurcht vor dem Fremden gab ihren Strebungen im
Dienſt der Kirche Beſtand.

Andere Zeiten, andere Lieder! Heute bauen die Enkel jener Hei-
ligen den Schweizern für gutes eidgenöſſiſches Geld die Eiſenbahn.15)

Aus der ſchmuckloſen Zelle an der Steinach, wo der iriſche Ein-
ſiedel ſeine Abenteuer mit Dornen, Bären und geſpenſtigen Waſſer-
weibern beſtand, war ein umfangreich Kloſter emporgewachſen. Statt-
lich ragte der achteckige Thurm der Kirche aus den ſchindelgedeckten
Dächern der Wohngebäude, Schulhäuſer, Kornſpeicher, Kellerei und
Scheunen waren daran gebaut, auch ein klappernd Mühlrad ließ ſich
hören, denn aller Bedarf zum Lebensunterhalt muß in des Kloſters
nächſter Nähe bereitet werden, auf daß es den Mönchen nicht noth-
wendig falle, in die Ferne zu ſchweifen, was ihrem Seelenheil un-
dienſam. Eine feſte Ringmauer mit Thurm und Thor umſchloß das
Ganze, minder des Zierraths, als der Sicherheit halber, maßen man-
cher Gewaltige im Land das Gebot: laß dich nicht gelüſten deines
Nachbars Gut! dazumal nicht allzuſtrenge einhielt.

Es war Mittagszeit vorüber, ſchweigende Ruhe lag über dem Thal.
Des heiligen Benedict Regel ordnet für dieſe Stunde, daß ein Jeder
ſich ſtill auf ſeinem Lager halte, und wiewohl von der gliederlöſen-
den Gluth italiſcher Mittagsſonne, die Menſchen und Thier in des
Schlummers Arme treibt, dieſſeits der Alpen wenig zu verſpüren,
folgten ſie im Kloſter doch pflichtgemäß dem Gebot.16)

Nur der Wächter auf dem Thorthurm ſtand, wie immer, treulich
und aufrecht im mückendurchſummten Stüblein.

Der Wächter hieß Romeias und hielt gute Wacht. Da hörte er
durch den nahen Tannwald ein Roßgetrabe; er ſpitzte ſein Ohr nach
der Richtung. Acht oder zehn Berittene! ſprach er nach prüfendem
Lauſchen; er ließ das Fallgatter vom Thor herniederraſſeln, zog das
Brücklein was über den Waſſergraben führte auf, und langte ſein
Horn vom Nagel. Und weil ſich einiges Spinnweb drin feſtgeſetzt
hatte, reinigte er daſſelbe.

Jetzt kamen die Vorderſten des Zuges am Waldesſaum zum
Vorſchein. Da fuhr Romeias mit der Rechten über die Stirn, und
that einen ſonderbarlichen Blick hinunter. Das Endergebniß ſeines
Blicks war eine Wort: Weibervölker!? — er ſprach's halb fragend, halb

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[12/0034] die myſtiſche Ehrfurcht vor dem Fremden gab ihren Strebungen im Dienſt der Kirche Beſtand. Andere Zeiten, andere Lieder! Heute bauen die Enkel jener Hei- ligen den Schweizern für gutes eidgenöſſiſches Geld die Eiſenbahn. ¹⁵⁾ Aus der ſchmuckloſen Zelle an der Steinach, wo der iriſche Ein- ſiedel ſeine Abenteuer mit Dornen, Bären und geſpenſtigen Waſſer- weibern beſtand, war ein umfangreich Kloſter emporgewachſen. Statt- lich ragte der achteckige Thurm der Kirche aus den ſchindelgedeckten Dächern der Wohngebäude, Schulhäuſer, Kornſpeicher, Kellerei und Scheunen waren daran gebaut, auch ein klappernd Mühlrad ließ ſich hören, denn aller Bedarf zum Lebensunterhalt muß in des Kloſters nächſter Nähe bereitet werden, auf daß es den Mönchen nicht noth- wendig falle, in die Ferne zu ſchweifen, was ihrem Seelenheil un- dienſam. Eine feſte Ringmauer mit Thurm und Thor umſchloß das Ganze, minder des Zierraths, als der Sicherheit halber, maßen man- cher Gewaltige im Land das Gebot: laß dich nicht gelüſten deines Nachbars Gut! dazumal nicht allzuſtrenge einhielt. Es war Mittagszeit vorüber, ſchweigende Ruhe lag über dem Thal. Des heiligen Benedict Regel ordnet für dieſe Stunde, daß ein Jeder ſich ſtill auf ſeinem Lager halte, und wiewohl von der gliederlöſen- den Gluth italiſcher Mittagsſonne, die Menſchen und Thier in des Schlummers Arme treibt, dieſſeits der Alpen wenig zu verſpüren, folgten ſie im Kloſter doch pflichtgemäß dem Gebot. ¹⁶⁾ Nur der Wächter auf dem Thorthurm ſtand, wie immer, treulich und aufrecht im mückendurchſummten Stüblein. Der Wächter hieß Romeias und hielt gute Wacht. Da hörte er durch den nahen Tannwald ein Roßgetrabe; er ſpitzte ſein Ohr nach der Richtung. Acht oder zehn Berittene! ſprach er nach prüfendem Lauſchen; er ließ das Fallgatter vom Thor herniederraſſeln, zog das Brücklein was über den Waſſergraben führte auf, und langte ſein Horn vom Nagel. Und weil ſich einiges Spinnweb drin feſtgeſetzt hatte, reinigte er daſſelbe. Jetzt kamen die Vorderſten des Zuges am Waldesſaum zum Vorſchein. Da fuhr Romeias mit der Rechten über die Stirn, und that einen ſonderbarlichen Blick hinunter. Das Endergebniß ſeines Blicks war eine Wort: Weibervölker!? — er ſprach's halb fragend, halb

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/34>, abgerufen am 29.03.2024.